5. Klimaschutz und freier Markt – Zehn Jahre Cap and Trade

COP21 Dossier 5/10
Klimaschutz und freier Markt: Zehn Jahre „Cap and Trade“
Von Susanne Götze
„Freiwillige Abkommen und der Emissionshandel sind der falsche Weg in die grüne Ökonomie“,
erklärte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz im Juni provokant auf dem
Klimaforschungskongress in Paris. Der ehemalige Chefökonom der Weltbank plädiert für crossborder taxes, eine grenzüberschreitende Besteuerung von CO2.
Zehn Jahre nach Einführung der marktbasierten Klimaschutzinstrumente sind die Debatten über die
Wirksamkeit und deren Kosten immer noch hochkontrovers. Mittlerweile gibt es aber nicht nur
Gegner und Befürworter, sondern vor allem viele Kritiker, die den Emissionshandel nicht abschaffen,
sondern vor allem wirksamer machen wollen.
Grundidee des Emissionshandels war es, in den 2000er Jahren möglichst viel Klimaschutz zu
möglichst wenig Kosten zu machen. Statt eines Top-Down-Modells einer Steuer, sollten die im
Emissionshandel erfassten Energieversorger und Industrieunternehmen durch die Deckelung ihrer
Emissionen motiviert werden, weniger Treibhausgase auszustoßen und in entsprechende CO2freundliche Technologien zu investieren. Der Verteilungsschlüssel für Zertifikate wird in einem
"nationalen Allokationsplan" von der Bundesregierung festgelegt. Der marktwirtschaftliche
Mechanismus zur Verminderung von Umweltbelastungen war damals der erste seiner Art im
deutschen Umweltrecht.
Ab 80 Euro pro Tonne CO2 beginnt Klimaschutz
Allerdings hat das Image des wichtigsten Klimaschutz-Instrumentes in diesen ersten zehn Jahren
schwer gelitten. Der Preis für die CO2-Zertifikate liegt mit mittlerweile 8 Euro weit unter den
anfangs verlangten rund 30 Euro pro Tonne. Dieser Preis war nicht zufällig angestrebt: Erst wenn der
Ausstoß einer Tonne CO2 stabil um die 20 bis 30 Euro kostet, sagt die Wissenschaft, beginnt der
Emissionshandel wirksam werden und Unternehmen investieren in ihre eigene Energiewende – so
wie das Kyoto-Protokoll es will.
Zuletzt hatte die TEEB-Forschungsinitiative (The Economics of Ecosystems and Biodiversity“) intensiv
die Diskussionen um eine CO2-Bepreisung angesehen und das Ganze nachgerechnet. Die Forscher
kommen auf eine Spannbreite von 80 bis 120 Euro, die der Ausstoß einer Tonne CO2 kosten müsste,
will man wirklich alle Schadenskosten abbilden. Das ist mindestens das 20-Fache des derzeitigen
Börsenpreises.
Politiker fordern deshalb immer wieder etwas hilflos eine Verknappung der Papiere, um den Markt
zu stabilisieren und den Preis nach oben zu bringen – vergeblich. Das stetige Gerücht von der
Wirkungslosigkeit des Zertifikate-Handels hält sich dementsprechend hartnäckig. Das Europäische
Emissionshandelssystem ETS ist zwar Vorbild für viele weltweite Neuauflagen, krankt jedoch schon
seit Jahren an einer massiven Überausstattung mit Emissionsrechten. Die Schieflage ist so groß, dass
auch die 900 Millionen Zertifikate, die kürzlich durch das sogenannte Backloading vom Markt
genommen wurden, den Preis kaum belebten.
Der EU-Umweltministerrat beschloss im September zudem endgültig die Einführung einer
Marktstabilitätsreserve im europäischen Emissionshandel, die am 1. Januar 2019 in Kraft treten soll.
Entgegen früherer Angaben wurde die Kur des Emissionshandels allerdings verschlankt: Ab 2019
sollten ursprünglich bis zu 1,9 Milliarden überschüssige CO2-Zertifikate in die Reserve wandern –
also vom Markt genommen werden.
Nunmehr sollen aber nur noch pro Jahr zwölf Prozent in die Reserve gehen – im ersten Jahr 2019
sind das gerade einmal 240 Millionen Zertifikate. "Damit müssen wir zehn Jahre warten, bis der
Emissionshandel zu wirken beginnt", zeigte sich WWF-Expertin Juliette de Grandpré schwer
enttäuscht. Es gebe, sagt sie weiter, auch keine Festlegung, ob die aus dem Markt genommenen
Zertifikate später wieder dorthin zurückkehren oder gelöscht werden.
Umweltorganisationen wie der WWF weisen in Studien darauf hin, dass die meisten
Emissionsberechtigungen kostenlos verteilt werden. Insgesamt hätten allein neun deutsche
Industrieunternehmen so bis Ende 2012 CO2-Emissionsberechtigungen im Wert von mehr als einer
Milliarde Euro weiterverkauft.
Exportschlager Emissionshandel
Bisher gibt es weltweit 17 marktbasierte Klimaschutzsysteme, die den Gesamtausstoß an
Treibhausgasen für bestimmte Sektoren deckeln, den Besitz von Zertifikaten für den Ausstoß von
Treibhausgasen vorschreiben und den Teilnehmern erlauben, diese Rechte frei zu handeln. So gibt
es „Cap and Trade“ heute auch in Staaten, die nicht an der zweiten Verpflichtungsperiode des
Kyoto-Protokolls bis 2020 teilnehmen, darunter Japan und Bundesstaaten in den USA und Kanada.
Für das Jahr 2017 hat China angekündigt, einen landesweiten Emissionshandel einzuführen – in
einigen chinesischen Städten und Provinzen wird schon länger mit CO2-Zertifikaten gehandelt.
Doch der Emissionshandel beschränkt sich schon längst nicht mehr auf einzelne Regionen und
Staaten, sondern wird auch durch eine Vielzahl von globalen Kompensationsinstrumenten gespeist.
Besonders „tricky“ wird es, wenn es um den seit 2008 in Kraft getretenen CDM-Mechanismus geht,
dessen grundsätzliche Idee es ist, dass CO2 dort eingespart wird, wo die Einsparung am wenigsten
Kosten verursacht. Deshalb können beispielsweise CO2-Zertifikate aus Projekten in
Entwicklungsländern (engl. Clean Development Mechanism, kurz CDM) für das Unternehmen
günstiger sein, als am deutschen Standort energieeffiziente Maßnahmen durchzuführen oder gar
die Produktion zu drosseln.
Derzeit weisen viele Kommentatoren darauf hin, dass Deutschland und Europa ihre Emissionen in
den letzten Jahren auch dadurch senkten, indem sie emissionsintensive Industrien und Anlagen in
Schwellen- und Entwicklungsländer verlagerten und dort die Emissionen entsprechend anstiegen.
Nun werden gerade in diesem Ländern aber auch die meisten CDM-Vorhaben umgesetzt, deren
Emissionseinsparung sich ebenfalls die Industrieländer anrechnen – dem Anschein nach hat der
„Rest“ der Welt hier vermutlich eine doppelte Last zu tragen.
Schlupflöcher und Betrug auf dem Carbon-Markt
Aufgrund einer Vielzahl von Betrugsskandalen und des niedrigen CO2-Preises will die Diskussion
nicht abebben, ob sogenannte Offsets wirklich zu CO2-Einsparungen und mehr Klimagerechtigkeit
führen oder die Kompensation nur Alibi oder sogar eine gefundene Gelddruckmaschine für die im
Emissionshandel verpflichteten Unternehmen sind. Das legen einige Analysen und Studien der
zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012, beispielsweise durch das Öko-Institut nahe. Experten
beteuern allerdings auch, dass sich die Standards und Kontrollen in der dritten Handelsperiode seit
2013 wesentlich verbessert haben. Allerdings stehen die Chancen aufgrund verschiedener
internationaler Entwicklungen schlecht, dass es Mechanismen wie den CDM auch noch nach 2020
geben wird.
Nach zahlreichen Skandalen um den Klimaschutz-Mechanismus CDM ist nun ein weiteres
Marktinstrument des Kyoto-Protokolls mit massiven Betrugsvorwürfen konfrontiert. Millionen
Zertifikate, die vor allem aus russischen und ukrainischen Klimaschutzprojekten stammen sollen,
seien faul, meint das Stockholm Environment Institute (SEI) in einer kürzlich veröffentlichten
Untersuchung.
Die faulen Papiere wurden durch das Klimaschutzinstrument Joint Implementation (JI) generiert. JI
ermöglicht den Handel mit CO2-Zertifikaten zwischen Industrieländern, die das Kyoto-Protokoll zum
Klimaschutz unterzeichnet haben. Die Staaten können gemeinsame Projekte zur Emissionsreduktion
auflegen, wobei die Einsparungen dem Land gutgeschrieben werden, das als Investor auftritt. Rund
90 Prozent dieser Zertifikate kommen dabei bisher aus Russland und der Ukraine - bis zu drei
Vierteln der untersuchten Zertifikate sind laut Studie gefakt und haben nur zum Teil zu
Emissionseinsparungen geführt.
Trotzdem lässt sich Bundesumweltministerin Barbara Hendricks nicht vom Glauben an
marktbasieren Klimaschutz abbringen: „Alternativen zum Emissionshandel haben den Nachteil, dass
sie zu volkswirtschaftlich höheren Kosten führen“, meint Hendricks. „Der Emissionshandel ist das
zentrale Klimaschutzinstrument der EU, und das nicht ohne Grund. Natürlich ist jedes Instrument
immer nur so gut, wie man es ausgestaltet“, so die Ministerin.
Freiwilliger Klimaschutz durch Kompensation
Weniger beachtet aber im stetigen Wachstum begriffen ist der freiwillige Kompensationsmarkt: 4,5
Milliarden US-Dollar bezahlten Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Privatleute 2014 für
freiwillige CO2-Kompensation. Hier können Unternehmen und Privatpersonen CO2-Zertifikate
kaufen – fürs gute Gewissen, das grüne Image oder für ihre Corporate Social Responsibility (CSR).
Die freiwillige Kompensation findet außerhalb des verpflichtenden Emissionshandels statt.
Privatpersonen und die meisten mittelständischen Unternehmen unterliegen aktuell keinen
gesetzlichen CO2-Reduktionszielen. Daher ist Klimaschutz für diese Gruppe freiwillig und besteht
darin, die Klimaschädlichkeit des eigenen Handelns durch Kompensation auszugleichen, um
beispielsweise den klimaschädlichen Flug dennoch durchführen zu können und wenigstens ein
wenig fürs Klima zu tun. Auch die Vereinten Nationen wollen nun sogar den persönlichen
Emissionshandel unterstützen und dafür den "United Nations Climate Credit Store" aufbauen. Über
diese Internetplattform der UNO soll es Privatpersonen und Firmen möglich sein,
Emissionszertifikate aus dem Clean Development Mechanism (CDM) zu kaufen, um so ihre
Emissionen zu kompensieren – alles freiwillig natürlich.
Dieser Text ist in Kooperation mit klimaretter.info entstanden und spiegelt nicht in allen Punkten die
Positionen der Klima-Allianz Deutschland wider.