vom Einzelnen über die Klasse bis zum ganzen Schulhaus

Schreiben als gemeinsames Tun – vom Einzelnen
über die Klasse bis zum ganzen Schulhaus
Beilage 1
CLAUDIA NEUGEBAUER UND AFRA STURM
Wer schreibt, möchte in den meisten Fällen anderen
etwas mitteilen, andere von etwas überzeugen, andere
zu etwas anleiten, andere unterhalten usw. Anders formuliert: Wer schreibt, interagiert in bestimmter Weise
mit Lesern und Leserinnen. Schreiben in diesem Sinne
kann als eine Form sozialen Handelns verstanden werden. Das äussert sich auch darin, dass sich in einer
Sprachgemeinschaft im Verlauf ihrer Geschichte Textmuster wie Abenteuergeschichte, Bedienungsanleitung,
Leserbrief, Bewerbungsschreiben usw. herausbilden.
Solche Textmuster dienen nicht zuletzt dazu, dass ganz
bestimmte kommunikative Aufgaben leichter zu bewältigen sind.
Die Verbindung von Textmuster und kommunikativer
Funktion ist fürs Schreibenlernen zentral. Dabei reicht
es nicht, dass die SchülerInnen wissen, wie bspw. eine
Geschichte oder eine Anleitung aufgebaut ist: Die Erfahrung, wie LeserInnen auf einen Text reagieren, welches
kommunikative Ziel mit welchen Mitteln erreicht werden
kann, stellt eine unabdingbare Voraussetzung fürs
Schreibenlernen dar.
Das bedingt, dass Schreiben nicht nur als eine Interaktion zwischen Lehrperson und SchülerIn verstanden
wird: Vielmehr gilt es, die eigene Klasse, mithin das ganze Schulhaus als eine Schreibcommunity zu verstehen und
auch aufzubauen (Fisher et al., 2010). Dazu gehört, dass
SchülerInnen auf Texte ihrer Peers reagieren können.
Ein solches Verständnis von Schreiben als sozialer
Praxis stellt hohe Anforderungen an Lehrpersonen,
aber auch an ein ganzes Kollegium. Im QUIMS-Projekt
«Schreiben auf allen Schulstufen» wird dieser Problematik v. a. auf zwei Arten Rechnung getragen: Zum einen
werden Musteraufgaben entwickelt, die das didaktische
Handlungsmuster beim Schreiben als soziale Praxis
fokussieren, zum anderen wird im Rahmen einer
schulinternen Weiterbildung mit dem Kollegium daran
gearbeitet, ein gemeinsames Verständnis von Schreiben
als soziale Praxis zu entwickeln.
Ein gemeinsames Verständnis entwickeln setzt eine
kollegiale Auseinandersetzung wie auch Zusammenarbeit
voraus:
Es war dann sehr interessant, plötzlich als ich diese
Fragen stellte, was da alles gekommen ist […]. Von der
Zeichnungslehrerin, wie sie Illustrationen zeichnen
lässt anhand von Texten usw. Und der Kochlehrer hat
dann begonnen, was sie bei ihm schreiben. Wenn man
darüber spricht, ich glaube, das wäre der erste Schritt,
dass man über Schreiben spricht im pädagogischen
Team. Dann würde sich auch etwas entwickeln. (Aussage einer Lehrperson der Oberstufe, vgl. Sturm,
Schneider & Philipp, 2013, S. 50)
Gemeinsame Themenfelder herausarbeiten
Zu Beginn einer schulinternen QUIMS-Weiterbildung
zum Förderschwerpunkt «Schreiben als soziale Praxis»
füllen die Lehrpersonen eines Kollegiums einen Reflexionsbogen zu folgenden Fragen aus:
a) Beschreibe 2–3 Beispiele, die zeigen, wie du Schreiben
als soziale Praxis bei deinen SchülerInnen förderst.
b) Schildere 2–3 wichtige Erfahrungen, die du bei der
Umsetzung gemacht hast.
c) Notiere zu diesem Thema 2–3 Fragen, die für dich im
Hinblick auf die Weiterarbeit wichtig sind.
Ein solcher Reflexionsbogen kann zum einen sichtbar
machen, was die einzelnen Lehrpersonen unter sozialer
Praxis verstehen, zum anderen lassen sich so auch Aspekte herauskristallisieren, die auf ein gemeinsames
Verständnis oder auf Widersprüche hindeuten. Zusätzlich kann die schulinterne Weiterbildung besser an die
Gegebenheiten vor Ort zugeschnitten werden.
Bisherige Erfahrungen zeigen v.a. zwei Dinge: Die
Fragen, die im mehrsprachigen Umfeld der QUIMSSchulen zu diesem Förderschwerpunkt häufig genannt
werden, betreffen Peerfeedback. Die positive Wirkung
ist den Lehrpersonen aus dem fachdidaktischen Diskurs
zwar bekannt, in Bezug auf die praktische Umsetzung
in mehrsprachigen Klassen besteht aber Unsicherheit.
Bisweilen wird auch die Auffassung vertreten, dass
Peerfeedback in einem solchen Umfeld gar nichts zur
Schreibentwicklung der SchülerInnen beitragen könne,
da ihnen das nötige «Sprachgefühl» und differenzierte
Wortschatzkenntnisse fehlten. Diese Bedenken dürften
auch der Grund dafür sein, dass oftmals v.a. die Lehrperson als Leserin der Schülertexte anvisiert wird. Das
gegenseitige Lesen von Texten unter den SchülerInnen
wird nicht als lernwirksam erachtet.
Zusammengefasst werden von Lehrpersonen in
QUIMS-Schulen in etwa die folgenden Herausforderungen beschrieben:
Rundschreiben Zentrum Lesen – Pädagogische Hochschule der FHNW – Institut Forschung und Entwicklung
28/2015
1) In Klassen mit sehr unterschiedlichen Deutschniveaus
ist es schwierig, dass die SchülerInnen einander differenzierte Rückmeldungen zu Texten geben. Werden
sie trotzdem dazu angeleitet, zeigen sich kaum Auswirkungen auf die weitere Textproduktion.
2)Es ist schwierig, gute und motivierende Schreibaufgaben zu finden, die dem sprachlichen Niveau der
SchülerInnen entsprechen.
Ein gemeinsames Verständnis aufbauen und sichern
In der Weiterbildung kann je nach Sachlage eher Peerfeedback oder eher die Frage fokussiert werden, wie
Schreibaufgaben gestaltet sein müssen, damit SchülerInnen für verschiedene LeserInnen schreiben und mit
ihnen auch interagieren können. In beiden Fällen erhalten
die Lehrpersonen dazu passend einen Praxisauftrag, der
sie dazu anleitet, diese Vorgehensweise mit ihrer Klasse
zu erproben. Nach 2–3 Monaten findet ein Treffen zum
Erfahrungsaustausch statt, an dem Beobachtungen bei
der Umsetzung, Gelungenes und Stolpersteine diskutiert
werden (vgl. Neugebauer & Nodari, 2014, S. 142ff.). Ein
wichtiges Element des Erfahrungsaustausches ist, dass
etwa in Bezug auf Peerfeedback die Erwartungen diskutiert und geklärt werden.
Am Ende einer mehrphasigen schulinternen QUIMSWeiterbildung wird ausgehend vom gemeinsam aufgebauten fachdidaktischen Wissen und aufgrund der geteilten Erfahrungen ein Sicherungsziel formuliert und
im Schulprogramm verankert. Ausgewählte schreibförderliche Massnahmen sollen also verbindlich umgesetzt
werden.
Literatur
Fisher, R., Jones, S., Larkin, S. & Myhill, D. (Hrsg.) (2010).
Using Talk to Support Writing. Sage Publications Ltd.
Neugebauer, C., Nodari, C. (2014). Förderung der Schulsprache in allen Fächern. Praxisvorschläge für Schulen
in einem mehrsprachigen Umfeld. Kindergarten bis
Sekundarstufe I. Bern: Schulverlag plus.
Sturm, A., Schneider, H. & Philipp, M. (2013). Schreibförderung an QUIMS-Schulen. Grundlagen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Programms.
Aarau: Pädagogische Hochschule FHNW, Zentrum
Lesen.
Rundschreiben Zentrum Lesen – Pädagogische Hochschule der FHNW – Institut Forschung und Entwicklung
28/2015