„Was nützt Jugendarbeit eigentlich?“ Eine Einführung in die Evaluation von (Nonprofit-) Organisationen und Projekten der Jugendarbeit Mag. Olivia Rauscher NPO & SE Kompetenzzentrum, WU Wien Definitionen „Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird von Evaluation gesprochen, wenn spezifische Sachverhalte in einem objektivierten Verfahren und nach explizit auf den Sachverhalt bezogenen und begründeten Kriterien durch Personen bewertet werden, die zu dieser Bewertung in besonderer Weise befähigt sind“ (Kromrey, 2001). „Evaluation research is the systematic application of social research procedures in assessing the conceptualization and design, implementation, and utility of social intervention programms“ (Rossi & Freemann, 1993). „Evaluation is the systematic assessment of the worth or merit of an object“ (Joint Committee 1994). Evaluation = systematische Bewertung eines Sachverhalts anhand festgelegter Kriterien (mithilfe sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden) 2 Dimensionen der Evaluation Was: Projekte, Maßnahmen, Organisationen, Reformen Was? z.B. Außerschulische Jugendbildung, Jugendarbeit in Sport u. Spiel, Jugendberatung, arbeitswelt-, schul- u. familienbezogene Jugendarbeit … Warum: um Steuerungsentscheidungen treffen zu können, um Programme verbessern zu können (Defizite erkennen), um Wirkungen belegen zu können (Erfolg/Misserfolg)… Wann: zu Beginn des Programms, laufend, nach Abschluss des Programms Wer: befähigte Personen z.B. ExpertInnen, Mitwirkende, Personen aus anderen Einrichtungen, „Betroffene“,… Wo: im Projektteam, in der Organisation/Institution, in einem externen Forschungsinstitut… Wie: nach einem objektiviertem Verfahren (Evaluationsdesign) Warum? Wann? Wer? Wo? Wie? 3 Haupttypen von Evaluationsstudien Was? Bedarfsanalyse Warum? Evaluation der Programmkonzeption Prozessevaluation Wirkungsanalyse Wann? Wer? Wo? Wie? 4 Prozessevaluation Was? Begleitforschung oder Monitoring als laufende Interventionskontrolle Informationen über Programmverlauf und ProgrammErgebnisse sammeln, bewerten und rückspeisen Hilfe bei Steuerungsentscheidungen durch frühzeitige Korrekturmöglichkeiten können Veränderungen im Programmdesign vorgenommen werden beratende u. programmgestaltende Funktion (Qualitätssicherung) 5 Beispiel Prozessevaluation „Herz-KreislaufErkrankungen bei Jugendlichen“ Was? Zielgruppe: Jugendliche mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen Ziel der Intervention: durch struktur- oder verhaltensändernde Projekte das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Jugendlichen senken Fokus der Evaluation: Darstellung des Ressourcenaufwandes pro Projekt, Wahrnehmung unterschiedlicher Stakeholder, Zufriedenheit der Jugendlichen, Feedback des Kernteams, getroffene Steuerungsentscheidungen und deren Auswirkungen abbilden Methoden: Zeiterfassungslisten, Dokumentenanalyse (Protokolle, Kurzberichte), Leitfadeninterviews mit Stakeholdern, Fragebogen an Jugendliche, Onlinebefragung der MitarbeiterInnen, Reflexionsworkshops Ergebnis der Evaluation: durch kontinuierliches Rückspielen der Ergebnisse Steuerungsentscheidungen erleichtern -> Ergebnisse in Halbjahresberichten präsentiert 6 Wirkungsanalyse Durch das Programm entfaltete Wirkungen identifizieren, messen und ev. bewerten (z.B. monetarisieren) Was? Beabsichtigte Wirkungen werden bereits in Programmtheorie festgelegt Wirkungen werden meist stakeholderspezifisch betrachtet Erfolgskontrolle nach definierten Kriterien (Effektivität, Effizienz, Akzeptanz) Messung der Wirkungen kann methodisch sehr anspruchsvoll sein -> Kausalität Aktuell viele verschiedene Methoden zur Messung des „Social Impacts“, aber keine Standardisierungen Wird (noch) primär zu Legitimationszwecken eingesetzt 7 Was sind Wirkungen? Was? Wirkungen bezeichnen jene (positiven und/oder negativen) Veränderungen die an Begünstigten bzw. Betroffenen einer Intervention (z.B. Menschen, Gruppen, Gesellschaft) oder der Umwelt festzustellen sind, nachdem eine Intervention stattgefunden hat. Wirkungen können auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden (zeitlich, strukturell und inhaltlich) siehe Wirkungsbox Wirkungen sind stakeholderspezifisch unterschiedlich zu messen, zu analysieren und zu bewerten Wirkungen können in Brutto-Wirkungen (Outcome) und Netto-Wirkungen (Impact) eingeteilt werden SEITE 8 FUßZEILE Logisches Modell/ Wirkungskette Was? 9 Wirkungsbox Was? SROI – die Grundlegende Logik Beispiel Identifizierung der Stakeholder „Gesellschaft“ Herkunftsfamilien Betreute Kinder u. Jugendliche MitarbeiterInnen LieferantInnen Unternehmen Arbeitsamt Casa Abraham Kindergärten Sozialversicherung Staatl. Kinder- u. Jugendheime Staat Andere Berufsschulen Concordia Essl Foundation Polizei Auszug aus einer Impact Value Chain – „Casa Abraham“ Stakeholder Input Aktivität Output Outcome Deadweight Wille zur Veränderung, Akzeptanz der Strukturen Unterkunft u. Versorgung bereitstellen, Ausbildung, familiäres soziales Netz, Unterstützung bei Jobsuche, Wiedereingliederung in die Gesellschaft (Akzeptanz von Normen, Vermitteln von Werten…) Anzahl an in die Gesellschaft integrierten Kinder u. Jugendlichen Unterkunft und Versorgung, Ausbildung, Integration auf dem Arbeitsmarkt, familiäres soziales Netz u. psychische Stabilisierung, Bessere physische Gesundheit, aktive Freizeitgestaltung, Qualität der Kinderbetreuung (Kindergarten) Anzahl der Kinder u. Jugendlichen, die aus eigener Kraft od. durch andere Institutionen die Rückkehr in ein konventionelles Leben geschafft hätten. MitarbeiterInnen Zeit, Fähigkeiten Arbeitsplatz bereitstellen, Weiterbildung anbieten Anzahl an bezahlten Arbeitsstunden, Anzahl an gebotenen Weiterbildungen Feste Beschäftigung u. fixes Einkommen, Erweiterter Kompetenzen und Know-how Gewinn Möglichkeit eines Alternativjobs in einem anderen Projekt/ Betrieb LieferantInnen Produkte und Dienstleistungen Bezug von Produkten u. Dienstleistungen, um den Betrieb der CA zu ermöglichen Anzahl an gelieferten Zusätzliche Aufträge Produkten und DL Betreute Kinder und Jugendliche Aufträge von anderen Organisationen/ Firmen Festsetzen von Indikatoren –„Casa Abraham“ Stakeholder Outcome Unterkunft und Versorgung Ausbildung Betreute Kinderund Jugendliche Integration auf dem Arbeitsmarkt Familiäres soziales Netz und psychische Stabilisierung Bessere physische Gesundheit Aktive Freizeitgestaltung Qualität der Kinderbetreuung MitarbeiterInnen Feste Beschäftigung u. fixes Einkommen, Erweiterte Kompetenzen u. Know-how Gewinn Indikatoren/ Proxies Kosten für Ein-Zimmer-Wohnung in Bukarest und Lebenserhaltungskosten der CA Proxy: Differenz des Mindestlohns zum Durchschnittsgehalt der jeweiligen Berufe (aufgerechnet auf das durchschnittl. Pensionsalter) Proxy: Anzahl der Jugendlichen mit Job und Höhe des Mindestlohns (aufgerechnet auf das durchschnittl. Pensionsalter) Nur zum Teil ökonomisch bewertbar. Proxy: Kosten für Psychotherapie, um soziale und emotionale Kompetenzen zu erhalten Proxy: Ausgaben der Gesundheitsversorgung je Einwohner Kosten für Musikstunde und Sportverein Proxy: Differenz der Kosten zwischen privatem und staatl. Kindergarten Anzahl der MitarbeiterInnen und Höhe des zusätzl. Einkommens sowie Kosten für Weiterbildung Der ermittelte Social Return on Investment – „Casa Abraham“ Jeder in die Casa Abraham investierte Euro schafft Wirkungen im monetarisierten Gegenwert von 3,47 Euro. Sensitivitätsberechnungen können die Auswirkung von Variationen bei einzelnen Parametern auf das Gesamtergebnis abrunden. => Z.B. ein/e zusätzliche/r Jugendliche/r mehr bedeutet ceteris paribus einen höheren SROI-Wert von 0,2 Investitionen 2010 174.775 € Profite 2010 606.405 € SROI gesamt 3,47 Funktionen der Evaluation Was? Erkenntnisfunktion Kontrollfunktion Warum? Wann? Programm/ Projekt Wer? Dialogfunktion Legitimitätsfunktion 17 Stockmann 2000 Wo? Wie? Wann wird evaluiert? Was? Formative Evaluation Summative Evaluation ex-ante, on-going, ex-post Warum? Wann? Wer? Erhebungszeitpunkte sind davon unabhängig zu planen! Wo? Wie? 18 Selbst- vs. Fremdevaluation Selbstevaluation Fremdevaluation Eigenes Personal = Interne Evaluation Außenstehende, unabhängige ForscherInnen = Externe Evaluation Vorteile: Problemloser Zugang zu Informationen, zu jedem Zeitpunkt vor Ort, bereits „fachkundig“ Vorteile: wissenschaftl. Professionalität & Objektivität gegeben Nachteile: Mangelnde Professionalität, fehlende Objektivität, Befangenheit, mangelnder Zugang zu Quellen Nachteile: Weniger Detailwissen zu Maßnahme & Umfeld, meist teurer, weniger ErgebnisRückkoppelung Was? Warum? Wann? Wer? Wo? Wie? Zusammenfassender Überblick Bedarfsanalyse/ Eval. der Programmkonz. Prozessevaluation (Begleitforschung) Wirkungsanalyse Rahmen- u. Eingangsbedingung en untersuchen, Erstellung eines Programmdesigns > Input-Evaluation Programmverlauf, Programmergebnisse bewerten, Kontrollu. Beratungsaufgabe -> Prozessevaluation Wirkungen erfassen u. ev. bewerten, Zusammenhänge aufzeigen -> Outcome-, Nutzenevaluierung Warum Erkenntnisfunktion Kontrollfunktion, Erkenntnisfunktion, Dialogfunktion Dialogfunktion, Legitimitätsfunktion Wann ex-ante, (pre)formativ: aktiv gestaltend, prozessorientiert, konstruktiv on-going, formativ/summativ: beides möglich ex-post, summativ: zusammenfassend, bilanzierend, ergebnisorientiert Wer20 / Wo Selbstevaluation, Interne Evaluation Selbst-/Fremdeval., Interne/Externe Eval.: beides möglich Fremdevaluation, Externe Evaluation Was Methoden der Evaluation Was? Befragung Beobachtung Inhaltsanalyse Nicht-reaktive Erhebungsmethoden Warum? „face-to-face“ Interview strukturiert oder unstrukturiert Texte Verhaltensspuren Wann? telefonisches Interview teilnehmend oder nicht-teilnehmend Bilder Prozessproduzierte Daten Wer? schriftliche Befragung Gruppendiskussion offen oder verdeckt Wo? Filme Amtliche Statistiken Wie? 21 Vgl. Diekmann 2007 Anwendungsbereiche qualitativer Methoden (QM) in der sozialen Arbeit Wissenschaft Wie? QM als Forschungsmethoden: Forschung über anonymisierte Akteure und soziale Welten QM als Methoden der Selbstbeforschung: Selbstreflexion 22 Forschung über die eigene Praxis QM als Methoden der Sozialen Arbeit: Forschung mit AdressatInnen Praxis Quelle: Völter (2008) Beispiel 1: Qualitative Einzel- und Gruppenbefragungen Evaluation der städtischen offenen Kinder- und Jugendarbeit Ziel: Erkenntnisse zur Zufriedenheit der NutzerInnen, zur Inanspruchnahme der Angebote und bezüglich des Verbesserungspotenzials zu gewinnen Methode: Face-to-face Interviews mit MitarbeiterInnen von acht Einrichtungen und Jugendämter, Gruppendiskussionen mit NutzerInnen (4-6 Jugendliche, nach Geschlecht getrennt) Auszug aus dem Leitfaden für MitarbeiterInnen: 1. Einzugsgebiet/Sozialraum und Kooperation / Vernetzung im Stadtteil Wie charakterisieren Sie ihren Stadtteil? Was sind die größten Besonderheiten ihres Stadtteils? … 2. Räumliche Ausstattung der Einrichtung Welche Räume und Außengelände haben Sie? Wie ist die Zugänglichkeit? …. 3. Angebote und Zielgruppe der Einrichtung Welche Angebotsschwerpunkte hat Ihre Einrichtung? Welche Zielgruppe spricht Ihre Einrichtung an? Welche Zielgruppen erreichen Sie nicht? Warum nicht?.... 4. NutzerInnen und deren Bedarfe der Einrichtung 23 Wer nutzt Ihre Einrichtung tatsächlich? Was wissen Sie über die NutzerInnen? …. Wie? Beispiel 2: Auszüge aus Beobachtungsprotokollen Wie? Frage Antwort Anmerkungen war der Lärmpegel im o sehr laut WieStark kooperativ Raum? o o o o unruhig normal ruhig sehr ruhig Was war auf den Gesichtern der Jugendlichen zu beobachten? ….. ….. ….. Jugendlichen insgesamt? …... Eher kooperativ Gering kooperativ Nicht kooperativ Die Jugendlichen zeigten sich bei der Gruppenarbeit… Wie wirkten die ….. Stark kooperativ Eher kooperativ Gering kooperativ Nicht kooperativ Die Jugendlichen zeigten sich bei der Gruppenarbeit… Sehr gering Die Beteiligung der Jugendlichen an der Diskussion ist… Sehr hoch Fallbeispiel 3: Bildanalyse (mit Interviewteil) Wie? Evaluation der räumlichen Gestaltung eines Kinderbereiches Vorgehensweise: 1. Kinder sollen Raum aus Vogelperspektive zeichnen 2. in Zeichnung an bevorzugtem Aufenthaltsort positionieren 3. Nachfrageteil mit Fragen wie „Wo hältst du dich am liebsten auf? Was ist dort wichtig und gut?“, „An welchen Orten gibt es öfter Streit? Worum geht es da?“, „Gibt es Orte denen du aus dem Weg gehst?“, …. Zeichnung wird einem Foto vom Raum gegenübergestellt und bezüglich Auffälligkeiten, Größenverhältnissen, Farbgestaltung etc. unter Berücksichtigung des Gesagten von KollegInnen einer anderen Einrichtung analysiert Raumgestaltung aufgrund der Ergebnisse aus Bildanalyse und Analyse des Gesagten hinterfragen und gegebenenfalls adaptieren 25 Weiterführende Literatur Crosby, Richard A./ DiClemente, Ralph J./ Salazar, Laura F. (2006): „Research Methods in Health Promotion“. Jossey-Bass, San Francisco. Diekmann, Andreas (2007): „Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen.“ Rowohlt, Reinbek. Flick, Uwe (Hrsg.) (2006): „ Qualitative Evaluationsforschung: Konzepte - Methoden – Umsetzungen“. Rowohlt, Reinbek. Kromrey, Helmut (2001): „Evaluation – ein vielschichtiges Konzept. Begriff und Methodik von Evaluierung und Evaluationsforschung. Empfehlungen für die Praxis. Sozialwissenschaften und Berufspraxis 2001/Heft 2: 105-131. Rossi, Peter H./ Lipsey, Mark W./ Freeman, Howard E. (2004): „ Evaluation. A Systematic Approach“. Sage Publications, Thousand Oaks. Stockmann, Reinhard (2000): „Evaluationsforschung. Grundlagen und Ausgewählte Forschungsfelder“. Leske+Budrich, Opladen. Stufflebeam, Daniel L./ Shinkfield, Anthony J. (2007): „Evaluation Theory, Models, and Applications”. Jossey-Bass, San Francisco. Windsor, Richard/ Clark, Noreen/ Boyd, Neal Richard/ Goodman/ Robert M. (2003): „Evaluation of Health Promotion, Health Education, and Disease Prevention Programs“. McGraw-Hill, New York. Wottawa, Heinrich/ Thierau, Heike (2003): „Lehrbuch Evaluation“. Hans Huber, Bern. 26 Kompetenzzentrum für Nonprofit Organisationen und Social Entrepreneurship Welthandelsplatz 1 Gebäude D1, 2. Stock 1020 Wien Mag. Olivia RAUSCHER T +43-1-313 36-5826 F +43-1-313 36-905826 [email protected] www.npo.or.at
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