Kommunikative Aufgabe? D as fünfte Rad am Wagen ist und bleibt das Bild, das die Bedeutung der Kultur in der nordrhein-westfälischen Landespolitik treffend beschreibt. Denn in einem Ministerium, das Kinder, Familie, Jugend und Sport vereint, rangiert sie als Anhängsel. Der Kultur kommt hier keine eigenständige, gar gestaltende Rolle zu. Das Land betreibt in seiner Hauptstadt Düsseldorf die Kunstsammlung NRW und – gemeinsam mit der Stadt – das Schauspielhaus, daneben aber nur noch das Museum Schloss Moyland in Bedburg-Hau am Niederrhein. Im Wesentlichen fällt die Kultur – und das hat gute, historische Gründe – in die Zuständigkeit der Kommunen. Und doch wäre das Land gefordert, sich ihrer anzunehmen, Kräfte zu bündeln, Perspektiven aufzuzeigen, Ziele zu formulieren. Aber Kultur läuft hier nicht, sie läuft nur mit. Vielleicht hat Christina Kampmann, als sie Mitte September 2015 überraschend zur Nachfolgerin von Ute Schäfer an die Spitze des Mammut-Ministeriums berufen wurde, zunächst gar nicht mitbekommen, dass auch noch die Kultur dazugehört. Verständlich wäre das. Ihre ersten Äußerungen klingen ein wenig danach. Sehr überrascht sei sie gewesen, und alles sei sehr schnell gegangen, sagte sie damals: »Aber ich fühle mich dazu bereit. Das Familienministerium passt gut zu mir.« 54 Mit 35 Jahren ist Christina Kampmann die Jüngste am Kabinettstisch. Sie stammt – wie ihre Vorgängerin Ute Schäfer – aus Ostwestfalen. Zur Kultur kein Wort, damals nicht und seitdem fast auch nicht. Weil sie nicht zu ihr passt? Oder weil sie ihr nicht passt? Oder hat sie einfach noch keine Zeit dafür gefunden? Auch das wäre verständlich. Christina Kampmann hat eine rasante Karriere hingelegt: Geboren 1980 in Gütersloh, aufgewachsen auf einem Bauernhof, Vater Kfz-Mechaniker, Mutter Hausfrau, Abitur, Fachhochschule, Diplom als Verwaltungswirtin 2004, Sachbearbeiterin im Sozialamt der Stadt Bielefeld, dann ein berufsbegleitendes Studium der Politikwissenschaft an der FernUni Hagen, B.A. 2008, danach Masterarbeit in Wien, von 2009 bis 2011 Standesbeamtin in Bielefeld. Seit 2006 bei den Jusos, seit 2007 in der SPD, nimmt sie 2013 der CDU den Wahlkreis Bielefeld-Gütersloh II ab, MdB mit 33! Klingt tüchtig und auch sympathisch, doch eine Affinität zu Kunst und Kultur lässt es nicht erkennen. Im Bundestag saß sie im Innenausschuss, als Arbeitsschwerpunkte gab sie Netzpolitik, Innenpolitik, »Soziale Stadt«, Gleichstellung und Arbeitsmarktpolitik an. Dann kam der Ruf aus Düsseldorf. Nach hundert Tagen eine erste Bilanz zu ziehen, fällt schwer. Kulturpolitisch ist Christina Kampmann bisher kaum aufgefallen: Den Kinderbuchpreis hat sie verliehen, bei der Duisburger Filmwoche sich blicken lassen, Bedenken gegen das Kulturgutschutzgesetz der Bundesregierung geäußert – und in der Januarausgabe von »Kultur und Politik«, dem Verbandsorgan des Deutschen Kulturrats, auf vier Gemeinplatz-Fragen vier – von ihren Mitarbeitern vorformulierte – Gemeinplatz-Antworten gegeben: Individuelle Künstlerförderung, Digitalisierung in Kunst und Kultur und Kulturelle Bildung nennt sie als Akzente. »Ich sehe Kulturentwicklung nicht als ›hoheitliche‹, sondern als kommunikative Aufgabe«, lautet ein Kernsatz. Doch als Ansprechpartner für die Künstler im Land hat sie sich bisher nicht hervorgetan, kulturpolitische Debatten weder aufgegriffen noch angestoßen. Merkwürdig ist das schon. Kaum hatte Ute Schäfer – spät, aber immerhin – kulturpolitische Kante gezeigt, indem sie sich gegen den Verkauf der Kunstsammlung der ehemaligen WestLB und damit gegen den Finanzminister stellte, wurde sie abgelöst. Auch so lässt sich Kontinuität sichern. Die Kulturpolitik bleibt in NRW das fünfte Rad am Wagen. Christina Kampmann dafür zu kritisieren, heißt auch, den Sack statt den Esel zu schlagen. Die Verantwortung dafür trägt die Ministerpräsidentin, die aus ihrer Geringschätzung für die Kultur nie einen Hehl gemacht hat. Andreas Rossmann ist Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Nordrhein-Westfalen. Westfalenspiegel 1-2016 Seit Herbst vergangenen Jahres ist Christina Kampmann NRW-Kulturministerin. Zeit für eine erste Bilanz. Kulturpolitisch ist sie bisher nicht weiter aufgefallen, meint Andreas Rossmann. Foto: Catrin Moritz/MFKJKS ZUR DISKUSSION Kulturpolitik in NRW
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