diskussion - Deutsches Ärzteblatt

MEDIZIN
DISKUSSION
zu dem Beitrag
Prävalenz von Sehbeeinträchtigungen bei
Bewohnern von Seniorenheimen
von Dr. med. Luisa Thederan, Susanne Steinmetz, Sabine Kampmann,
Anna-Maria Koob-Matthes, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Franz Grehn, Prof. Dr. med.
Thomas Klink in Heft 18/2016
Große Versorgungslücken
Die Erhebung in sechs Einrichtungen des Würzburger
Caritasverbands liefert einen wichtigen Beleg für die
fachärztlichen Versorgungslücken (1). Leider werden
die Probleme vermutlich noch unterschätzt.
Für 188 der 391 Bewohner (48 %) konnte kein Einverständnis von Betreuern/Betroffenen zur Durchführung der Untersuchungen eingeholt werden. Die nicht
erfassten Menschen dürften ein höheres Risiko für eine gesundheitliche Vernachlässigung haben (2).
In Bayern gibt es Regelegungen mit Alleinstellungsmerkmal in Deutschland: Der ambulante Beratungs- und Reha-Dienst des Bayerischen Blindenund Sehbehindertenbundes e. V. (BBSB) bietet jährlich für 1 545 Klienten (2014) eine visuelle Rehabilitation mit qualifizierter Beratung und Anpassung vergrößernder Hilfsmittel an.
Ein Verband wie die Caritas, die hier Sensibilität
für die Thematik bewies, unterscheidet sich von stärker gewinnorientierten Trägern von Pflegeeinrichtungen. Trotz des hohen Durchschnittsalters von 82 Jahren waren im letzten Jahr neun von zehn Bewohnern
ohne augenärztliche Untersuchung. Die alarmierenden Zahlen bestätigen bisherige Untersuchungen (3):
Seniorenheime sind in Deutschland zu oft fachärztliches Niemandsland. 21,7 % mit akut behandlungsbedürftigen Augenerkrankungen sollten die Gesundheitspolitiker wach rütteln.
Für die Neuausrichtung der Pflegeausbildung müssen alltagstaugliche Checklisten etabliert werden, die
das Wissen um Erkrankungen mit Erblindungsrisiko,
Sturzgefahr und Demenzprogression weitergeben.
Leider hat die Würzburger Studie keinen genauen
Mobilitätstatus berichtet. Im Gegensatz zu anderen
Fachdisziplinen machen es Kosten und Größe der
technischen Ausstattung notwendig, dass Senioren
und Hochbetagte besser in der Augenarztpraxis untersucht werden. Um Transport- und Begleitstrukturen
ist es nach Auslaufen des Zivildienstes schlecht bestellt.
Der jeweils nächstgelegene Facharzt mit kassenärztlichem Versorgungsauftrag ist zur Untersuchung
verpflichtet. Verantwortlich sind aber Medizinischer
Dienst, Kostenträger und Gesundheitspolitiker, die
wenig gegen die vermeidbare Erblindung unserer
Groß- und Urgroßeltern unternehmen.
LITERATUR
1. Thederan L, Steinmetz S, Kampmann S, Koob-Matthes AM, Grehn F,
Klink T: The prevalence of visual impairment in retirement home residents. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 323–7.
2. Elam AR, Lee PP: High-risk populations for vision loss and eye care
underutilization: a review of the literature and ideas on moving forward. Surv Ophthalmol 2013; 58: 348–58.
3. Balzer K, Butz S, Bentzel J, Boulkhemair D, Lühmann D: Beschreibung und Bewertung der fachärztlichen Versorgung von Pflegeheimbewohnern in Deutschland. Schriftenreihe Health Technology Assessment Bd. 125; 2013. http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/
hta298_bericht_de.pdf (last accessed on 17 August 2016).
Prof. Dr. med. Focke Ziemssen
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
[email protected]
Schlusswort
Mit unserer Studie konnten wir neben der Sehfähigkeit und vorhandenen Augenkrankheiten auch die augenfachärztliche Versorgungsstruktur in Altenwohnheimen analysieren (1). Die Untersuchungen wurden
in der jeweiligen Senioreneinrichtung durchgeführt,
so dass auch immobile Bewohner an unserer Studie
teilnehmen konnten. Im Rahmen unserer Studie war
es möglich, die notwendigen Untersuchungen mit
normalerweise nicht transportablen Untersuchungsgeräten (Spaltlampe und optische Kohärenztomographie) und in Zusammenarbeit mit einer Orthoptistin
durchzuführen.
Wir möchten zeigen, dass mittels einer Vernetzung
aller Berufsgruppen, die an der Versorgung und Betreuung von älteren Menschen mit Sehbeeinträchtigungen
beteiligt sind, die Versorgung verbessert werden kann.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0720b
LITERATUR
1. Thederan L, Steinmetz S, Kampmann S, Koob-Matthes AM, Grehn F,
Klink T: The prevalence of visual impairment in retirement home residents. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 323–7.
Für die Verfasser
Dr. med. Luisa Thederan
Uniklinik Würzburg
[email protected]
Interessenkonflikt
Die Autoren beider Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt
besteht.
Freier Zugang zu allen Artikeln
Alle Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sind im Internet frei
zugänglich (open access). Dies gilt für die deutsche und
für die englische Fassung.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0720a
720
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 42 | 21. Oktober 2016