Forensik Verbrecherjagd mit wissenschaftlichen Methoden Der genetische Fingerabdruck in der Forensik Am Anfang war es nur eine kleine Meldung. „Junge Neuköllnerin vermisst, meldete der Berliner Tagesspiegel. Die 21 jährige Claudia Mrosek, Bankangestellte aus der Silbersteinstraße, sei am 27. Februar 1988 „möglicherweise einem Verbrechen zum Opfer gefallen“. Der Verdacht erhärtete sich, als in den folgenden Tagen ein Unbekannter mit ihrer Eurocheque-Karte - und ihrer Geheimnummer - an Geldautomaten abkassierte. Beim vierten Mal jedoch schluckte der Automat die Karte, weil das Konto inzwischen gesperrt war, und eine Videokamera wurde ausgelöst. Sie filmte einen 30 bis 35 Jahre alten Mann mit beginnender Stirnglatze. Als die Aufnahmen in den Zeitungen erschienen, erhielt die Mordkommission mehrere Anrufer, die den 31 jährigen Hansjoachim R. erkannt haben, der erst ein Vierteljahr zuvor aus der Haft entlassen worden war. R. kam zunächst nur wegen des Verdachts des Computerbetrugs in Untersuchungshaft. Das Schicksal von Claudia Mrosek war zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Am 16. März 1988, gut zwei Wochen nach Verschwinden der jungen Frau, vermerkte ein Kleingärtner im Bezirk Tempelhof, dass bei einer Nachbarlaube ein Fenster eingeschlagen war. Als der Mann hineinschaute, entdeckte er die Leiche von Claudia Mrosek. Sie war vergewaltigt und erdrosselt worden. Bei der Obduktion sicherte die Polizei zwar noch Spermaspuren, doch herkömmliche Analysen sind schon 36 Stunden nach der Tat sinnlos. Hansjoachim R. leugnete die Tat. Ein Berliner Haftrichter ordnete beim Verdächtigen eine Blutprobe an. Blutprobe und Spermaspur wurden in einem britischen Genlabor untersucht. Als das Ergebnis im August 1988 in Berlin eintraf, trommelte die Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz zusammen, um eine Revolution des Strafverfahrens zu präsentieren. Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wurde ein Täter mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks verurteilt. Egal, an welchem Ort wir uns befinden: Auch wenn wir uns bemühen, wir hinterlassen winzige Spuren von uns in Form von DNA auf Gegenständen und Personen, auch wenn wir Fingerabdrücke vermeiden. Die Technik des genetischen Fingerabdrucks wurde erst ermöglicht durch das Ende der 1980er Jahre entwickelte PCR-Verfahren, mit dem es innerhalb von zwei bis drei Stunden gelingt, von winzigen Spuren an DNA milliardenfach Kopien zu erstellen, die nun zu weiteren Untersuchungen herangezogen werden können. Heute sind in der Bundesrepublik tausende Laboratorien in der Lage, innerhalb weniger Stunden einen genetischen Fingerabdruck zur Täteranalyse zu liefern. Die untersuchten Abschnitte auf der DNA (oft fälschlicherweise als Genabschnitte bezeichnet) sind so individuell, dass die Genauigkeit bei etwa 1 zu 60000000 liegt, die Ergebnisse also praktisch eine hundertprozentige Aussage gewährleisten. Genetische Untersuchungen im Mordfall Dr. F. Lorenz Nach Entwicklung und Analyse der Fingerabdrücke und Blutspuren wurden von unserem Forensikteam im Genlabor die DNA-Spuren von Haut- und Blutpartikeln, die sich unter den Fingernägeln des Opfers befanden, sowie das genetische Material der drei Hauptverdächtigen und von Dr. Friederike Lorenz untersucht. Wir werden die einzelnen Schritte, die zur Erstellung des jeweiligen genetischen Fingerabdrucks führen, kurz erläutern. 1. Schritt: Gewinnung der DNA durch Extraktion Mittels eines Wangenabstrichstäbchens wird die DNA aus der Mundschleimhaut der Verdächtigen gewonnen. Das Wattestäbchen befindet sich in einer sterilen Box, die nach Entnahme der Epithelzellen der Mundschleimhaut wieder fest verschlossen werden sollte. Natürlich kann aber auch DNA aus anderen Zellen (bspw. vom Opfer) oder Hautzellen, Haaren (Kampfspuren unter den Fingernägeln) etc. gewonnen und isoliert werden. Die gewonnene Probe wird ins genetische Labor geschickt. Kontaminationen durch Fehler bei der Herstellung oder der Handhabung führten in der Geschichte der Kriminalistik zu Aufsehen erregenden Fehlinterpretationen. Die DNA befindet sich noch im Zellkern des vom Tatort oder den Verdächtigen gewonnenen zellulären Materials und muss nun im Labor extrahiert und von anderen Zellbestandteilen und Proteinen, Fetten und anderen Biomolekülen gereinigt werden. Detergentien und Salze bilden den Lysispuffer, der Zellund Kernmembran aufbricht. Die DNA bindet sich spezifisch an zugesetzte Linker. Der DNA-Komplex ist nun zu groß, um durch einen Zentrifugationsfiltereinsatz im Epi durchzurutschen, während die löslichen Bestandteile abzentrifugiert werden können. Ein Elutionspuffer löst nach mehreren Reinigungsschritten zum Schluss die DNA vom Trägermaterial. 2. Schritt: Amplifikation von DNA-Abschnitten Von der DNA des Spurenmaterials werden nun mittels des nahezu automatisierten PCR-Verfahrens (polymerase chain reaction) in einem Thermocycler milliardenfach Kopien hergestellt, die anschließend das individuelle Bandenmuster liefern sollen. Das von Kary Mullis (Nobelpreis für Chemie 1993) entwickelte geniale Verfahren verwendet in seinem Reaktionsansatz die äußerst hitzebeständige Taq-Polymerase aus dem in heißen Quellen vorkommenden thermophilen Bakterium Thermus aquaticus als Enzym zur Replikation der DNA-Abschnitte. Die Vermehrungszyklen werden allein durch Modifikation der Temperatur gesteuert. Nach 20 bis 30 Zyklen liegt genügend DNAMaterial für die weitere Analyse vor. 2. Schritt: Entwicklung des individuellen Bandenmusters Zur Erstellung eines genetischen Fingerabdrucks eines Lebewesens muss nicht die komplette DNA-Sequenz analysiert werden. Gerade DNA-Sequenzen, die keine Gene, also Protein codierende DNASequenzen besitzen, erleiden häufig Mutationen, die kaum den Selektionsmechanismen unterliegen. Dies bedeutet, dass wir uns in diesen DNA-Abschnitten individuell voneinander unterscheiden, ohne dass den Trägern dieser Mutationen gesundheitliche Nachteile erwachsen würden. Es genügt also, mittels spezifischer Nukleasen, die wie molekulare Scheren wirken, derartige Abschnitte aus der gewonnenen DNA herauszuschneiden. Derartige Restriktionsenzyme wie das von uns verwendete Enzym EcoRI aus dem menschlichen Darmbakterium E. coli arbeiten sehr spezifisch und zerschneiden die jeweiligen DNA-Abschnitte der unterschiedlichen Proben in unterschiedlich lange DNA-Fragmente. Dabei unterstützt die Enzyme u. a. der KGB-Puffer (Kalium-Glutamat-Buffer), bei dem ausnahmsweise nicht der russische Geheimdienst seine Finger im Spiel hat. Da sich unsere DNA in den erwähnten Abschnitten individuell unterscheidet, erhalten wir durch die Arbeit der Restriktionsenzyme für jeden Menschen unterschiedlich lange DNA-Fragmente, die im anschließenden Schritt der Gelelektrophorese voneinander getrennt werden. (Heutige Verfahren laufen direkt über eine PCR, bei der nur signifikante DNA-Abschnitte kopiert und vermehrt werden. Diese Methode liefert noch genauere Ergebnisse.) 3. Schritt: Agarose-Gelelektrophorese Unter den chromatographischen Trennverfahren nimmt die Agarose- Gelelektrophorese eine Sonderstellung ein. Mit ihr gelingt es sogar, makromolekulare Polymere wie Protein- oder Nukleinsäure-Gemische, die sich nur geringfügig unterscheiden, schonend voneinander zu trennen, um sie zu identifizieren oder getrennt weiter zu analysieren. Nach Anlegen einer elektrischen Gleichspannung wandern die DNA-Fragmente der Analysenproben mit unterschiedlichen Wanderungsgeschwindigkeiten zur Anode, da die DNA in der Pufferlösung negativ geladen vorliegt. Die DNA-Fragmente werden entsprechend ihrer Kettenlänge beim Durchwandern des Agarosegels getrennt: Die kürzeren DNA-Abschnitte sind schneller. Im Gel befindet sich eine spezifische Substanz, die sich zwischen die Basenpaare der DNA lagert und dadurch deren Lichtabsorption ändert, so dass die nach der Trennung vorliegenden Banden im UV-Licht sichtbar werden. Derartige Substanzen wie Ethidiumbromid oder „Gelstar“ wirken dadurch bei Hautkontakt mutagen, indem sie über Replikationsfehler zu DNA-Veränderungen führen und gegebenenfalls Krebs auslösen können. In der Zentrifuge sind alle noch gleich schnell. Der spannende Augenblick: Die Geltaschen sind befüllt mit den DNA-Proben. Was werden die Analysen ergeben? Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchung Es wurden von zwei forensischen Teams molekulargenetische Untersuchungen mit zahlreichen Proben der Verdächtigen und vom Tatort gemacht. Die Auswertung hatte ein erstaunliches Ergebnis: An der Innenseite der blutverschmierten Handschuhe, die vermutlich vom Täter am Fundort fortgeworfen wurden, fand sich analysierbares DNAMaterial in großer Menge. Diese DNA-Spuren weisen eindeutig die identischen Merkmale auf wie auch sämtliche Zigarettenkippen im Aschenbecher aus dem Heizungskeller. Dieser genetische Fingerabdruck aber findet sich bei keinem der bisher als Zeugen vernommenen, verdächtigen Personen aus dem unmittelbaren Umfeld der Ermordeten (Harms Peterson und Lilly Fee Drobka) bzw. der Personen, die Marina Weinert kurz nach ihrem Ableben gefunden haben (Heinz Heine und Jacky Torsemann). Noch erstaunlicher aber ist der Befund, dass sich auf der Klebefläche der Briefmarke, die als Fake an Lilly Fee Drobka im Namen der Ermordeten geschrieben wurde, die DNA des Täters befindet. Absolut rätselhaft sind die vielfältigen Spuren des gleichen mutmaßlichen Mörders auf dem aus Zeitungsschnipseln zusammengestellten Drohbrief an Anna-Maria Rosenthal, die bislang mit diesem Mordfall noch überhaupt nicht in einen Zusammenhang gebracht wurde. Damit erhält der Fall eine neue Dimension.
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