Erfolgreiche Führung in einer unübersichtlichen

Erfolgreiche Führung in einer unübersichtlichen
Welt - worauf es sich zu achten lohnt und
welche Kompetenzen bald besonders wichtig
werden
Beitrag für den Tagungsband zum Fachkongress
3rd WORLDCONGRESS ON EXCELLENCE
Chandigarh, Indien, 19-23 Oktober 2015
Autoren: Eberhard Hauser & Dr. Sebastian Schlömer, hauserconsulting
Einführung
Zum Thema "Führung" ist eigentlich alles gesagt. Seit Tausenden von Jahren
beschreiben Menschen, wie es gelingen kann, dass eine Gruppe von Menschen
komplexe Aufgaben gemeinsam bewältigt.1
Was auch immer Forscher oder Praktiker als Modelle, Methoden oder Rezepte
beschreiben, die uns jährlich vielfach in der Literatur, in Seminaren, Trainings und
Vorträgen begegnen - sie alle lassen sich auf frühere Überlegungen und Konzepte
zurückführen.
Interessant ist daher nicht, ob etwas neu ist, sondern, ob eine bestimmte
Perspektive, ein Fokus nützlich ist, um aktuell vorhandene Führungsprobleme zu
lösen.
Die Relevanz eines Diskurses zum Thema „Führung“ liegt folglich in der
Betrachtung des aktuellen historischen und ökonomischen Kontextes, in dem er
geführt werden muss, und der spezifischen Kompetenzen und Handlungsstrategien,
auf die ein Führender aktuell besondere Aufmerksamkeit richten muss.
Wie kann dieser aktuell relevante Kontext charakterisiert werden?
Führen in der VUCA Welt
Unser gesamtgesellschaftlicher und ökonomischer Kontext kann derzeit mit
folgenden Schlagworten umrissen werden: rasant steigende Komplexität,
Beschleunigung, Veränderung der technologischen Bedingungen, Wandel der
Wertvorstellungen, Globalisierung und Dynamisierung der Märkte, etc.
Es ist die Rede von „Führung in der VUCA Welt“. Hierbei steht das aus der
Militärsprache stammende Acronym „VUCA“ für „Volatility, Uncertainty,
Complexity und Ambiguity“.
Dieser Kontext, der sich in seinen Ausprägungen exponentiell zu entwickeln
scheint, macht einen neuen Mix von Ansatzpunkten in der Führung notwendig.
1
Die Autoren legen die folgende Definition von „Führung“ zugrunde (Wunderer &
Grunwald, 1980):
Führung ist die zielorientierte soziale Einflussnahme mit dem Zweck, gemeinsam
Aufgaben in einem strukturierten Arbeitskontext zu erfüllen.
2
Im Folgenden werden vier zentrale Fokuspunkte beschrieben, die in der aktuellen
Situation eine Stütze und Orientierung bei der Bewältigung von Führungsaufgaben
bieten können und daher von Führenden mit besonderer Achtsamkeit bedacht
werden sollten.
Doch zunächst sei angemerkt: Eine Reihe von Anforderungen, die in der
Vergangenheit an Führungskräfte gestellt wurden, bleiben auch in der VUCA-Welt
relevant.
Aspekte von Führung, die weiterhin relevant bleiben werden
Konstant bleibt, dass Gruppen bzw. Organisationen jemanden benötigen, der eine
Vision entwickelt und vermittelt. Jemanden, der die Mitwirkenden eines
Kollektivvorhabens vorantreibt, der über Belohnung, Werte und vorbildliches
Verhalten Motivation fördert, der zu Entscheidungen ermutigt und selbst
Entscheidungen trifft.
Genauso behalten auch alle grundlegenden Führungsaufgaben, wie bspw. die
Formulierung von Zielen, Organisation und Kontrolle, aber auch die Förderung und
Entwicklung von Mitarbeitern, ihre Bedeutung. Insgesamt lässt sich sagen, dass
sich weniger das „Was“ als vielmehr das „Wie“ ändern wird.
Neu in den Fokus rücken die folgenden Punkte
1.
Autonomie und Selbstverantwortung
2. Beziehung, Dialog und Vertrauen
3. Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung
4. Gestaltung der Organisationskultur
Autonomie und Selbstverantwortung
Das Konzept von Kontrolle, welches den Führungsdiskurs lange Zeit geprägt hat,
funktioniert nicht mehr wie bisher. Die hohe Komplexität der heutigen
Geschäftswelt führt dazu, dass immer mehr Entscheidungs- und
Regelungskompetenz aus der zentralen Hierarchie abgegeben werden muss, um
autonomes, schnelles, flexibles und dezentrales Agieren (Stichwort „flache
Hierarchien“) zu ermöglichen. Damit Mitarbeiter diese (neuen)
Handlungsspielräume nutzen, ist es jedoch notwendig, dass sie Verantwortung
übernehmen. Hier sind Menschen mit einem hohen Maß an Selbstverantwortung
und Verantwortungsbereitschaft gefordert. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass
sie selbst Selbstverantwortung lernen und dann gezielt vorleben, fördern und
einfordern müssen.
3
Beziehung, Dialog und Vertrauen
Die Zunahme an Autonomie und selbstverantwortlichem Handeln bei den
Mitarbeitern führt dazu, dass der Faktor der Beziehungsqualität zwischen
Führungskraft und Mitarbeiter stärker denn je in den Vordergrund rückt.
Nur eine tragfähige, positive Beziehung auf Augenhöhe kann die Art von Vertrauen
aufbauen, die Führungskräfte benötigen, um Kontrolle abzugeben – und die
Mitarbeiter benötigen, um tatkräftig und mutig Freiräume zu nutzen.
Für Führungskräfte ergibt sich daraus die Notwendigkeit, wesentlich stärker als in
der Vergangenheit in Beziehungen zu investieren und Vertrauen als zentrale
Schlüsselressource aufzubauen.
Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung
Der Wille zur Übernahme von Verantwortung und eine durch Vertrauen geprägte
Führungsbeziehung sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für
erfolgreiches Agieren in einer komplexen Welt. Die häufige Auseinandersetzung mit
unbekannten, neuen und mehrdeutigen Situationen erfordert auch ein hohes Maß
an Erwartung, den Herausforderungen gewachsen zu sein. Selbstwirksamkeit ist
gefragt – die Erwartung, zu etwas fähig zu sein und Herausforderungen meistern
zu können. Hier ist die Führungskraft in der Rolle als Mentor und Coach gefragt,
der das persönliche Wachstum seiner Mitarbeiter als eine seiner Kernaufgaben
betrachtet, statt sie an die Personalentwicklung zu delegieren.
Gestaltung der Organisationskultur
Die obenstehenden drei Punkte beziehen sich auf das konkrete Verhalten der
Führungskraft und ihrer Mitarbeiter sowie auf das Wechselspiel zwischen beiden.
Auf einer übergreifenden Ebene gilt es, die angestrebten Verhaltensweisen auch
durch die gezielte Schaffung eines förderlichen Kontextes zu ermöglichen und zu
unterstützen. Hier befinden wir uns auf der Ebene der Gestaltung von
Organisationskultur, die zwar die beschriebenen Verhaltensaspekte umfasst, aber
darüber hinausgeht. Dabei geht es um die Gestaltung bzw. Entwicklung eines
abgestimmten Zusammenspiels von Verhalten auf der einen Seite, aber auch um
Strukturen, Technologie und Symbole auf der anderen Seite. Nur wenn eine
Organisationskultur in ihrer Gesamtheit Autonomie und Selbstverantwortung,
Beziehung und Vertrauen sowie die Selbstwirksamkeitserwartung fördert, werden
diese entstehen. Für Führungskräfte heißt dies: Kulturentwicklung ist Kerngeschäft
und nicht das Hobby von „Soft-Skill-Experten.“
4
Autonomie und Selbstverantwortung
Kontrolle ist ein zentrales Konzept, wenn es um Führung geht. Je größer das
Unternehmen, desto ausdifferenzierter sind die Mechanismen, die
Entscheidungsfindung und Leistungserbringung absichern sollen (z. B.
Budgetierung, Investitionsanträge, Projektfortschrittskontrollen, Entscheidungen
über Produktinnovationen oder Prozessveränderungen etc.). Das endgültige
ökonomische Ziel bleibt hier, den ökonomischen Nutzen zu optimieren und Risiken
zu minimieren.
Für Führungskräfte steht aus karrieretaktischem Kalkül häufig die
Risikominimierung im Vordergrund, da es einfacher ist, wegen eines Fehlers in
Kritik zu geraten als wegen eines entgangenen potenziellen Gewinns. Jedoch führt
in einer Welt, die durch VUCA charakterisiert ist und in der es keine Sicherheiten
gibt, eben diese Kontrolle, die das Überleben eines Unternehmens sichern soll,
letztendlich dazu, dass Unternehmen in eingefahrenen Mustern verharren, statt
überlebensnotwendige Veränderungen vorzunehmen.
Die Antwort auf die zunehmende Komplexität und Dynamik lautet nun schon seit
einigen Jahren „Dezentralisierung und flache Hierarchien“. Immer mehr
Entscheidungs- und Regelungskompetenz wird „nach unten“ abgegeben, damit
flexibel, schnell und lokal angemessen entschieden und agiert werden kann.
Die Herausforderung in vielen Unternehmen ist allerdings, dass viele der
Führungskräfte und Mitarbeiter nicht gelernt haben, die ihnen überlassenen
Entscheidungs- und Handlungsspielräume zu nutzen und auszufüllen. Stattdessen
wird versucht, aus den Gegebenheiten, aus formalen Rahmenbedingungen oder
anhand von Daten die richtige Wahl logisch abzuleiten. Beispiele sind
Marktanalysen bzw. Handlungsempfehlungen von Unternehmensberatungen, die
Entscheidungsträgen als quasi-objektive Begründung bemühen können, wenn sie
eingeschlagene Wege rechtfertigen wollen.
Hier wird Verantwortung abgegeben, indem man sich auf externe Quellen oder
Begründungssachlagen beruft, die einem angeblich keine Wahl gelassen hätten,
anders zu entscheiden. Gleichzeitig ist klar, dass auch diese externen Quellen nur
scheinbar Sicherheit geben und fehlerbehaftet sein können. Dieses Verhalten ist
menschlich nachvollziehbar; trotzdem ist es in einer VUCA-Welt nicht
leistungsförderlich.
Echte Verantwortungsübernahme ist stattdessen notwendig. Führungskräfte und
Mitarbeiter sind gefordert, unter Bedingungen von Unsicherheit Entscheidungen zu
treffen und Handlungen zu unternehmen, obwohl es für deren Erfolg keine
Garantie gibt - und trotzdem die Verantwortung bei Fehlschlägen zu übernehmen.
5
Die Autoren postulieren, dass diese Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme
entscheidend erleichtert wird, wenn Menschen auch im persönlichen Bereich ein
hohes Maß an Selbstverantwortung an den Tag legen. Konkret bedeutet dies: diese
Menschen sehen sich selbst als Gestalter ihres Lebens, treffen Entscheidungen und
leben mit den Konsequenzen, ohne dabei andere oder die Umstände für etwaige
Missstände verantwortlich zu machen.
Gesellschaftskritisch muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass der Ruf nach
Selbstverantwortung je nach Kulturkreis nicht nur unterschiedlich stark ausgeprägt
ist, sondern auch zum Teil von den lokal herrschenden Eliten als Ideologie
missbraucht wird, um sich der Verantwortung gegenüber den armen
Bevölkerungsteilen zu entziehen. Im vorliegenden Artikel richtet sich das Plädoyer
für mehr Selbstverantwortung jedoch speziell an Führungskräfte und Mitarbeiter in
Unternehmen, nicht an die große Menge der Kleinst-Unternehmer, die
„eigenverantwortlich“ um ihr Überleben kämpfen müssen.
Für Führungskräfte bedeutet dieser Imperativ zur Übernahme von
Selbstverantwortung: sie sind gefordert, bei sich selbst anzufangen und
Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Erst dann können sie ihren
Mitarbeitern glaubwürdig vorleben, wie Verantwortungsübernahme funktionieren
kann und erst dann besitzen sie die Legitimität, dies selbst immer wieder
einzufordern. Dies ist schwerer, als es sich zunächst liest.
Wie schwierig die Übernahme von Verantwortung sein kann, erleben die Autoren
selbst immer wieder in Führungscurricula. In so genannten „offenen Programmen“
erhalten die Teilnehmer einen hohen Bestimmungsfreiraum, was die inhaltliche
und methodische Gestaltung der Führungsseminare betrifft. So können die
Teilnehmer unter anderem über Themen, Zeiten und Formate frei entscheiden.
Häufig führt dieser Freiraum – und Mangel an vorgegebener Struktur– zu großer
Irritation, da die Teilnehmer keine Routine darin haben, aus sich heraus und in
diesem Umfang Entscheidungen zu treffen.
Es wird deutlich, dass auch von HR ein Beitrag notwendig wird: angefangen bei der
Rekrutierung neuer Führungskräfte bis hin zu Leistungsbewertung und
Weiterentwicklung – Eigenverantwortlichkeit und Verantwortungsübernahme
sollten wesentlich stärker gewichtet werden, als dies in vielen Unternehmen aktuell
der Fall ist.
6
Beziehung, Dialog und Vertrauen
Begriffe wie „Führung“ und „Führungskraft“ werden gemeinhin mit Stärke,
Durchsetzungsfähigkeit, und Macht in Verbindung gebracht. Dementsprechend
werden Ikonen des Managements in der Regel nicht dafür gepriesen, dass sie
besonders gut in der Beziehungsgestaltung und dem Aufbau von Vertrauen seien.
Dabei gilt: Entscheidungs- und Handlungsspielräume, die formal durch flache
Hierarchien und Dezentralisierung geschaffen werden, können nur dann im
täglichen Handeln eigenverantwortlich ausgefüllt werden, wenn Vertrauen
zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern vorhanden ist. Führungskräfte,
die ihren Mitarbeitern nicht vertrauen, können nur schlecht Kontrolle abgeben und
sie somit nicht in eigenverantwortliches Handeln entlassen. Gleichzeitigt werden
auch Mitarbeiter Freiräume und damit Verantwortung nicht ergreifen, wenn sie
nicht darauf vertrauen, dass ihre Führungskraft konstruktiv mit Fehlern umgehen
wird. Die grundlegende Funktion von Vertrauen liegt hierbei in der
Komplexitätsreduktion (Sjurts, 1998), da das Vertrauen die Handlungen des jeweils
anderen antizipierbar und berechenbar macht.
Doch was bedeutet das genau, wenn Vertrauen in den Mittelpunkt des
Führungskonzepts rückt? Um diese Frage zu beantworten, muss man einen
genaueren Blick auf das Konstrukt „Vertrauen“ werfen.
Für das Entstehen von interpersonalem Vertrauen sind immer mindestens zwei
Personen bzw. Parteien notwendig – das Vertrauenssubjekt („der, der vertraut“)
und das Vertrauensobjekt („der, dem Vertrauen entgegengebracht wird“).
Charakteristisch für die Vertrauensbeziehung ist, dass das Vertrauenssubjekt sich
entscheidet, an das Objekt Kontrolle abzugeben bzw. sich angreifbar zu machen,
und dabei davon ausgeht, dass das Objekt diesen Vorteil nicht zu Ungunsten des
Subjekts ausnutzen wird. Luhmann (2000) bezeichnet Vertrauen demensprechend
als „riskante Vorleistung“.
Hauser (2011) schlägt ein praxisorientiertes Modell der Vertrauensbildung vor, das
es ermöglicht, den schwer greifbaren Begriff „Vertrauen“ zu operationalisieren und
einer zielgerichteten Entwicklung zugänglich zu machen.
Vertrauen entsteht demnach dann, wenn folgende Voraussetzungen ganz oder
teilweise erfüllt werden können:
1.
Positionssicherheit
2. Handlungssicherheit
3. Wertschätzung und Respekt
4. Gemeinsame Werte
7
Gemäß dem Modell kann Vertrauen in Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden, wenn
die beteiligten Akteure alle vier Ebenen als gegeben erleben. Umgekehrt ist bei
fehlendem Vertrauen mindestens eine der obigen Voraussetzungen nicht erfüllt,
meist sind mehrere Ebenen fragil oder nicht vorhanden.

Positionssicherheit besteht, wenn sich die Akteure in ihren organisationalen
Positionen sicher fühlen und davon ausgehen, dass ihre Position nicht in Frage
gestellt wird. Damit geht einher, dass die Beteiligten gegenseitig die Position
ihrer Mitspieler respektieren.

Handlungssicherheit ist vorhanden, wenn die Beteiligten wissen, was auf sie
zukommt bzw. wie der andere handeln wird, sich alle Beteiligten gegenseitig
ihre Gedanken mitteilen und sich auf gemeinsame, klare Spielregeln einigen.

Wertschätzung und Respekt besteht, wenn sich die Beteiligten für einander Zeit
nehmen, sich explizit gegenseitig Wertschätzung zeigen, sich einfühlsames,
kritisches Feedback geben und sich dadurch immer besser kennenlernen.

Gemeinsame Werte fördern Vertrauen, wenn die Beteiligten ihre eigenen und
die grundlegenden Werte der Mitspieler kennen, sich darüber austauschen und
genügend Gemeinsamkeiten finden – aber auch wissen, was ihnen
Unterschiedlichkeit nützt.
Der Begriff des „Vertrauensaufbaus“ impliziert es schon – Vertrauen lässt sich nicht
per ad hoc Entscheidung oder Anordnung erzeugen. Es ist vielmehr das Resultat
eines fragilen, iterativen Prozesses, in dem das gegenseitige Schenken von
Vertrauen („sich angreifbar machen“) und das Bestätigen der Vertrauenserwartung
(„angemessen mit dem Vertrauensvorschuss umgehen“) zirkulär und sich selbst
verstärkend stattfinden.
Die Zerstörung von Vertrauen hingegen geschieht oft schnell und dauerhaft – eine
einzige unfaire, nicht integere Handlung reicht aus, um ein Vertrauensverhältnis
langfristig zu schädigen. Für Führungskräfte bedeutet dies: Vertrauenswürdigkeit
muss ein authentischer Charakterzug sein und kann nicht als „Führungstool“
instrumentell und nach Gutdünken ein- oder ausgesetzt werden.
Schaffen es Führungskräfte in einer Organisation, flächendeckend eine von
Vertrauen geprägten Umgang mit ihren Kollegen und Mitarbeitern zur Routine
werden zu lassen, ist von „High Trust Organizations“ die Rede (Six & Sorge, 2008).
High Trust Organizations zeichnen sich aus durch partizipative Führung, einen
hohen Grad an Selbstorganisation, große Handlungs- und
Entscheidungsspielräume sowie einen konstruktiven und positiven Umgang mit
Fehlern.
8
Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung
Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern Freiräume einräumen, Mitarbeiter, die die
angebotene Verantwortung auch übernehmen und Führungsbeziehungen, die durch
gegenseitiges Vertrauen geprägt sind – Unternehmen, die darüber verfügen, haben
schon viel geschafft.
Eine weitere Komponente darf jedoch nicht fehlen – die häufige
Auseinandersetzung mit unbekannten, neuen und mehrdeutigen Situationen
erfordert auch die starke Erwartung, den Herausforderungen gewachsen zu sein.
Albert Bandura hat hierzu den Begriff der „Selbstwirksamkeitserwartung“ geprägt
(Bandura, 1977). Das Konstrukt bezeichnet die Stärke der eigenen Erwartung oder
Überzeugung, ob und wie sehr man dazu in der Lage ist, eine Aufgabe zu vollenden
oder ein Ziel zu erreichen.
Eine hohe oder niedrige Selbstwirksamkeitserwartung beeinflusst somit, ob
jemand eine herausfordernde Aufgabe annehmen und bearbeiten oder sie als zu
schwierig ablehnen wird.
Dabei liegt ein optimales Niveau leicht über dem der tatsächlichen individuellen
Fähigkeiten, da Menschen hier bereit sind, herausfordernde Aufgaben zu
übernehmen und sich durch neue Erfahrungen weiterzuentwickeln.
Faktoren, die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person beeinflussen, sind nach
Bandura (1977):

Die eigene Erfahrung, etwas wirklich gut zu können („mastery“)

Die Beobachtung von anderen dabei, wie sie etwas kompetent bewältigen
(„modeling“)

Die Ermutigung durch andere Menschen während der Bewältigung einer
Aufgabe („persuasion“)
Ein vierter Faktor, der hier eine Rolle spielt, ist emotionale Erregung (physische
Stress-Symptome). Menschen mit einer ohnehin schon niedrigen
Selbstwirksamkeitserwartung interpretieren derartige körperliche Symptome
schnell als weiteren Beleg ihrer Inkompetenz. Menschen mit hoher
Selbstwirksamkeitserwartung hingegen stellen keinen Bezug der körperlichen
Stress-Symptome zur eigenen Befähigung her.
9
Für Führungskräfte lassen sich hier Implikationen in Bezug auf
Mitarbeiterentwicklung sowie Mitarbeiterrecruiting und –auswahl ableiten.
Als Mitarbeiterentwickler sollten Führungskräfte auf folgende Dinge Acht geben:

Zu aller erst Aufgaben des „Learning and Development“ als Kernaufgabe
ihrer Managementtätigkeit betrachten, statt sie an die
Personalentwicklungsabteilung zu delegieren.

Ihren Mitarbeitern Aufgaben und Gelegenheiten geben, bei denen sie ein
Erfolg und Kompetenz erfahren und im besten Fall gleichzeitig
herausgefordert sind.

Ihren Mitarbeitern ermöglichen, anderen Menschen (eventuell auch die
Führungskraft selbst) bei hochgradig kompetenter Performance zu
beobachten. Dies wäre beispielsweise systematisch förderbar durch
Shadowing-Programme, Rotation oder „Weiterbildungsbesuche“.

Führungskräfte sollten durch eigenes Vorbildverhalten eine Kultur prägen,
in der positives Feedback und Ermutigung zum Tagesgeschäft gehören.
Als Personalverantwortliche sollten Führungskräfte ihre Bewertungskriterien und
ihren Beobachtungsfokus bei der Selektion neuer Mitarbeiter darauf ausrichten,
dass Kandidaten eine möglichst hohe Selbstwirksamkeitserwartung aufweisen. Dies
kann bedeuten, dass Führungskräfte ihre persönliche Theorie darüber, was einen
erfolgreichen Mitarbeiter ausmacht, anpassen müssen.
Gestaltung der Organisationskultur
Je stärker formale Kontroll- und Regelungsmechanismen in einer Organisation in
den Hintergrund rücken und Autonomie, Selbstorganisation und Beziehungen in
den Vordergrund treten, desto relevanter wird das Konstrukt der
Organisationskultur als Instrument der Verhaltenssteuerung.
Der Begriff der Organisationskultur zielt darauf ab, Eigenschaften einer
Organisation in seiner Gesamtheit zu beschreiben. Eine der am häufigsten
bemühten Definition ist jene des Organisationsforschers Edgar H. Schein (2010):
„The culture of a group can now be defined as a pattern of shared basic
assumptions learned by a group as it solved its problems of external
adaption and internal integration, which has worked well enough to be
considered valid and, therefore, to be taught to new members as the
correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems."
10
Organisationskultur ist deshalb in de-regulierten Organisationen so wichtig, weil
sie, wenn sie internalisiert worden ist, Menschen von innen heraus steuert.
Bei der Analyse von Organisationskulturen kann zwischen „patterns for behavior“
und „patterns of behavior“ unterschieden werden.
Der Begriff „Patterns for behavior“ meint mentale Strukturen, die sich kollektiv „in
den Köpfen“ der Mitarbeiter befinden und sich auf deren Wahrnehmung und
Verhalten auswirken. Diese Ebene umfasst unter anderem Basisannahmen, Werte
und informelle und implizite Normen. „Patterns of behavior“ sind die
beobachtbaren Muster, die sich in Form von typischen Verhaltensweisen,
Ereignissen und Artefakten manifestieren.
Beide Ebenen sind dialogisch stark verknüpft. Zum einen beeinflussen sie sich
gegenseitig: die mentale Struktur prägt beobachtbares Verhalten und dessen
Resultate – die wiederum als gegebene Fakten die mentalen Strukturen
beeinflussen. Zum anderen kann man die Oberfläche nur verstehen, wenn man die
zugrundeliegende Tiefenstruktur kennt (Neuberger & Kompa, 1993, in Bezug auf
Keesing, 1974).
Führungskräfte spielen als „Menschen im Rampenlicht der Organisation“ eine
zentrale Rolle bei der Entwicklung der Organisationskultur. Dabei können Sie auf
verschiedenen Ebenen ansetzen:

Artefakte (z. B. Gebäude, Büros) so gestalten, dass sie gewünschte Werte
widerspiegeln und zu erwünschten Verhaltensweisen einladen

Wertkonformes Verhalten vorleben und gleichzeitig abweichendes
Verhalten kritisch ansprechen

Normen, Werte und offizielle Statements hinterfragen, in einen
(möglicherweise anderen) Kontext einbetten oder sie neu bewerten

Menschen rekrutieren, einstellen und fördern, die die gewünschten Werte
und Basisannahmen vertreten und durch ihr Verhalten zum Ausdruck
bringen
Für Führungskräfte in sehr flachen Organisationen bedeutet dies, dass sie
Organisationskulturen entwickeln sollten, die Autonomie und Selbstverantwortung,
Dialog und Vertrauen sowie die Förderung von Selbstwirksamkeitserwartungen
nicht nur ermöglichen, sondern gar fördern.
Diese Funktion als Kulturschaffende ist insofern für Führungskräfte nicht alltäglich,
als dass „softe“ Themen wie Organisationskultur traditionell den Experten aus der
HR-Abteilung überlassen worden sind. Für zukünftige Führungskräfte gehört dies
jedoch mit zum Kern ihres Aufgabenspektrums.
11
Zusammenfassung und Ausblick
In einer VUCA- Umwelt verändert sich die Wahrnehmung, was gute Führungskräfte
ausmacht. Während früher der „starke Mann“ als Führungsideal galt, zählen heute
andere Qualitäten.
Nach Meinung der Autoren geht es konkret darum, dass Führungskräfte:

Autonomie und Selbstverantwortung vorleben, diese bei ihren Mitarbeitern
fördern und einfordern.

Beziehungen aufbauen und Dialog leben, um das dringend notwendige
Vertrauen aufzubauen.

die Selbstwirksamkeitserwartung ihrer Mitarbeiter aktiv und präzise
verbessern, um mutige Mitstreiter für komplexe Herausforderungen zu
haben.

die Gestaltung der Organisationskultur – die die obenstehenden drei
Punkte realisiert - als ihre höchst eigene Aufgabe verstehen und nicht als
„HR-Thema“.
Die Führungskraft „alter Schule“, die ihre Mitarbeiter mit einem hohen Maß an
Kontrolle, starkem Einsatz formaler Macht, wenig Beziehungsorientierung und
Wertschätzung und ohne Rücksicht auf persönliche Entwicklung führt, wird es
immer noch geben. Aber sie wird es zunehmend schwerer haben, je flacher,
schneller und flexibler ihre Organisationen werden.
12
Literaturverzeichnis
Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change.
Psychological Review, 84(2), 191-215.
Hauser, E. (2011). Lässt sich Vertrauen operationalisieren? In Leeb, W. A., Trenkle,
B. & Weckenmann, M. F. (Hrsg.). Der Realitätenkellner. Hypnosystemische
Konzepte in Beratung, Coaching und Supervision. Heidelberg: Carl-Auer.
Keesing, R. M. (1974). Theories of culture. Annual Review of Anthropology. 3, 7397.
Luhmann, N. (2000). Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer
Komplexität. UTB. 4. Auflage. Stuttgart: Lucius und Lucius.
Neuberger, O. & Kompa, A. (1993). Wir, die Firma : der Kult um die
Unternehmenskultur. Ungekürzte Taschenbuchausgabe. München, Heyne.
Schein, E. H. (2010). Organizational Culture and Leadership (4. Auflage). John
Wiley & Sons.
Six, F. & Sorge, A. (2008). Creating a High-Trust Organization: An Exploration into
Organizational Policies that Stimulate Interpersonal Trust Building. Journal of
Management Studies, 45(5), 857-884.
Sjurts, I. (1998). Kontrolle ist gut, ist Vertrauen besser? : Ökonomische Analysen
zur Selbstorganisation als Leitidee neuer Organisationskonzepte. Die
Betriebswirtschaft: DBW, 58(3), 283-298.
Wunderer, R. & Grunwald, W. (1980). Führungslehre, Band I: Grundlagen.
Berlin/New York: De Gruyter.
13