Erfolgreiche Führung in einer unübersichtlichen Welt - worauf es sich zu achten lohnt und welche Kompetenzen bald besonders wichtig werden Beitrag für den Tagungsband zum Fachkongress 3rd WORLDCONGRESS ON EXCELLENCE Chandigarh, Indien, 19-23 Oktober 2015 Autoren: Eberhard Hauser & Dr. Sebastian Schlömer, hauserconsulting Einführung Zum Thema "Führung" ist eigentlich alles gesagt. Seit Tausenden von Jahren beschreiben Menschen, wie es gelingen kann, dass eine Gruppe von Menschen komplexe Aufgaben gemeinsam bewältigt.1 Was auch immer Forscher oder Praktiker als Modelle, Methoden oder Rezepte beschreiben, die uns jährlich vielfach in der Literatur, in Seminaren, Trainings und Vorträgen begegnen - sie alle lassen sich auf frühere Überlegungen und Konzepte zurückführen. Interessant ist daher nicht, ob etwas neu ist, sondern, ob eine bestimmte Perspektive, ein Fokus nützlich ist, um aktuell vorhandene Führungsprobleme zu lösen. Die Relevanz eines Diskurses zum Thema „Führung“ liegt folglich in der Betrachtung des aktuellen historischen und ökonomischen Kontextes, in dem er geführt werden muss, und der spezifischen Kompetenzen und Handlungsstrategien, auf die ein Führender aktuell besondere Aufmerksamkeit richten muss. Wie kann dieser aktuell relevante Kontext charakterisiert werden? Führen in der VUCA Welt Unser gesamtgesellschaftlicher und ökonomischer Kontext kann derzeit mit folgenden Schlagworten umrissen werden: rasant steigende Komplexität, Beschleunigung, Veränderung der technologischen Bedingungen, Wandel der Wertvorstellungen, Globalisierung und Dynamisierung der Märkte, etc. Es ist die Rede von „Führung in der VUCA Welt“. Hierbei steht das aus der Militärsprache stammende Acronym „VUCA“ für „Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity“. Dieser Kontext, der sich in seinen Ausprägungen exponentiell zu entwickeln scheint, macht einen neuen Mix von Ansatzpunkten in der Führung notwendig. 1 Die Autoren legen die folgende Definition von „Führung“ zugrunde (Wunderer & Grunwald, 1980): Führung ist die zielorientierte soziale Einflussnahme mit dem Zweck, gemeinsam Aufgaben in einem strukturierten Arbeitskontext zu erfüllen. 2 Im Folgenden werden vier zentrale Fokuspunkte beschrieben, die in der aktuellen Situation eine Stütze und Orientierung bei der Bewältigung von Führungsaufgaben bieten können und daher von Führenden mit besonderer Achtsamkeit bedacht werden sollten. Doch zunächst sei angemerkt: Eine Reihe von Anforderungen, die in der Vergangenheit an Führungskräfte gestellt wurden, bleiben auch in der VUCA-Welt relevant. Aspekte von Führung, die weiterhin relevant bleiben werden Konstant bleibt, dass Gruppen bzw. Organisationen jemanden benötigen, der eine Vision entwickelt und vermittelt. Jemanden, der die Mitwirkenden eines Kollektivvorhabens vorantreibt, der über Belohnung, Werte und vorbildliches Verhalten Motivation fördert, der zu Entscheidungen ermutigt und selbst Entscheidungen trifft. Genauso behalten auch alle grundlegenden Führungsaufgaben, wie bspw. die Formulierung von Zielen, Organisation und Kontrolle, aber auch die Förderung und Entwicklung von Mitarbeitern, ihre Bedeutung. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich weniger das „Was“ als vielmehr das „Wie“ ändern wird. Neu in den Fokus rücken die folgenden Punkte 1. Autonomie und Selbstverantwortung 2. Beziehung, Dialog und Vertrauen 3. Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung 4. Gestaltung der Organisationskultur Autonomie und Selbstverantwortung Das Konzept von Kontrolle, welches den Führungsdiskurs lange Zeit geprägt hat, funktioniert nicht mehr wie bisher. Die hohe Komplexität der heutigen Geschäftswelt führt dazu, dass immer mehr Entscheidungs- und Regelungskompetenz aus der zentralen Hierarchie abgegeben werden muss, um autonomes, schnelles, flexibles und dezentrales Agieren (Stichwort „flache Hierarchien“) zu ermöglichen. Damit Mitarbeiter diese (neuen) Handlungsspielräume nutzen, ist es jedoch notwendig, dass sie Verantwortung übernehmen. Hier sind Menschen mit einem hohen Maß an Selbstverantwortung und Verantwortungsbereitschaft gefordert. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass sie selbst Selbstverantwortung lernen und dann gezielt vorleben, fördern und einfordern müssen. 3 Beziehung, Dialog und Vertrauen Die Zunahme an Autonomie und selbstverantwortlichem Handeln bei den Mitarbeitern führt dazu, dass der Faktor der Beziehungsqualität zwischen Führungskraft und Mitarbeiter stärker denn je in den Vordergrund rückt. Nur eine tragfähige, positive Beziehung auf Augenhöhe kann die Art von Vertrauen aufbauen, die Führungskräfte benötigen, um Kontrolle abzugeben – und die Mitarbeiter benötigen, um tatkräftig und mutig Freiräume zu nutzen. Für Führungskräfte ergibt sich daraus die Notwendigkeit, wesentlich stärker als in der Vergangenheit in Beziehungen zu investieren und Vertrauen als zentrale Schlüsselressource aufzubauen. Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung Der Wille zur Übernahme von Verantwortung und eine durch Vertrauen geprägte Führungsbeziehung sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für erfolgreiches Agieren in einer komplexen Welt. Die häufige Auseinandersetzung mit unbekannten, neuen und mehrdeutigen Situationen erfordert auch ein hohes Maß an Erwartung, den Herausforderungen gewachsen zu sein. Selbstwirksamkeit ist gefragt – die Erwartung, zu etwas fähig zu sein und Herausforderungen meistern zu können. Hier ist die Führungskraft in der Rolle als Mentor und Coach gefragt, der das persönliche Wachstum seiner Mitarbeiter als eine seiner Kernaufgaben betrachtet, statt sie an die Personalentwicklung zu delegieren. Gestaltung der Organisationskultur Die obenstehenden drei Punkte beziehen sich auf das konkrete Verhalten der Führungskraft und ihrer Mitarbeiter sowie auf das Wechselspiel zwischen beiden. Auf einer übergreifenden Ebene gilt es, die angestrebten Verhaltensweisen auch durch die gezielte Schaffung eines förderlichen Kontextes zu ermöglichen und zu unterstützen. Hier befinden wir uns auf der Ebene der Gestaltung von Organisationskultur, die zwar die beschriebenen Verhaltensaspekte umfasst, aber darüber hinausgeht. Dabei geht es um die Gestaltung bzw. Entwicklung eines abgestimmten Zusammenspiels von Verhalten auf der einen Seite, aber auch um Strukturen, Technologie und Symbole auf der anderen Seite. Nur wenn eine Organisationskultur in ihrer Gesamtheit Autonomie und Selbstverantwortung, Beziehung und Vertrauen sowie die Selbstwirksamkeitserwartung fördert, werden diese entstehen. Für Führungskräfte heißt dies: Kulturentwicklung ist Kerngeschäft und nicht das Hobby von „Soft-Skill-Experten.“ 4 Autonomie und Selbstverantwortung Kontrolle ist ein zentrales Konzept, wenn es um Führung geht. Je größer das Unternehmen, desto ausdifferenzierter sind die Mechanismen, die Entscheidungsfindung und Leistungserbringung absichern sollen (z. B. Budgetierung, Investitionsanträge, Projektfortschrittskontrollen, Entscheidungen über Produktinnovationen oder Prozessveränderungen etc.). Das endgültige ökonomische Ziel bleibt hier, den ökonomischen Nutzen zu optimieren und Risiken zu minimieren. Für Führungskräfte steht aus karrieretaktischem Kalkül häufig die Risikominimierung im Vordergrund, da es einfacher ist, wegen eines Fehlers in Kritik zu geraten als wegen eines entgangenen potenziellen Gewinns. Jedoch führt in einer Welt, die durch VUCA charakterisiert ist und in der es keine Sicherheiten gibt, eben diese Kontrolle, die das Überleben eines Unternehmens sichern soll, letztendlich dazu, dass Unternehmen in eingefahrenen Mustern verharren, statt überlebensnotwendige Veränderungen vorzunehmen. Die Antwort auf die zunehmende Komplexität und Dynamik lautet nun schon seit einigen Jahren „Dezentralisierung und flache Hierarchien“. Immer mehr Entscheidungs- und Regelungskompetenz wird „nach unten“ abgegeben, damit flexibel, schnell und lokal angemessen entschieden und agiert werden kann. Die Herausforderung in vielen Unternehmen ist allerdings, dass viele der Führungskräfte und Mitarbeiter nicht gelernt haben, die ihnen überlassenen Entscheidungs- und Handlungsspielräume zu nutzen und auszufüllen. Stattdessen wird versucht, aus den Gegebenheiten, aus formalen Rahmenbedingungen oder anhand von Daten die richtige Wahl logisch abzuleiten. Beispiele sind Marktanalysen bzw. Handlungsempfehlungen von Unternehmensberatungen, die Entscheidungsträgen als quasi-objektive Begründung bemühen können, wenn sie eingeschlagene Wege rechtfertigen wollen. Hier wird Verantwortung abgegeben, indem man sich auf externe Quellen oder Begründungssachlagen beruft, die einem angeblich keine Wahl gelassen hätten, anders zu entscheiden. Gleichzeitig ist klar, dass auch diese externen Quellen nur scheinbar Sicherheit geben und fehlerbehaftet sein können. Dieses Verhalten ist menschlich nachvollziehbar; trotzdem ist es in einer VUCA-Welt nicht leistungsförderlich. Echte Verantwortungsübernahme ist stattdessen notwendig. Führungskräfte und Mitarbeiter sind gefordert, unter Bedingungen von Unsicherheit Entscheidungen zu treffen und Handlungen zu unternehmen, obwohl es für deren Erfolg keine Garantie gibt - und trotzdem die Verantwortung bei Fehlschlägen zu übernehmen. 5 Die Autoren postulieren, dass diese Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme entscheidend erleichtert wird, wenn Menschen auch im persönlichen Bereich ein hohes Maß an Selbstverantwortung an den Tag legen. Konkret bedeutet dies: diese Menschen sehen sich selbst als Gestalter ihres Lebens, treffen Entscheidungen und leben mit den Konsequenzen, ohne dabei andere oder die Umstände für etwaige Missstände verantwortlich zu machen. Gesellschaftskritisch muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass der Ruf nach Selbstverantwortung je nach Kulturkreis nicht nur unterschiedlich stark ausgeprägt ist, sondern auch zum Teil von den lokal herrschenden Eliten als Ideologie missbraucht wird, um sich der Verantwortung gegenüber den armen Bevölkerungsteilen zu entziehen. Im vorliegenden Artikel richtet sich das Plädoyer für mehr Selbstverantwortung jedoch speziell an Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen, nicht an die große Menge der Kleinst-Unternehmer, die „eigenverantwortlich“ um ihr Überleben kämpfen müssen. Für Führungskräfte bedeutet dieser Imperativ zur Übernahme von Selbstverantwortung: sie sind gefordert, bei sich selbst anzufangen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Erst dann können sie ihren Mitarbeitern glaubwürdig vorleben, wie Verantwortungsübernahme funktionieren kann und erst dann besitzen sie die Legitimität, dies selbst immer wieder einzufordern. Dies ist schwerer, als es sich zunächst liest. Wie schwierig die Übernahme von Verantwortung sein kann, erleben die Autoren selbst immer wieder in Führungscurricula. In so genannten „offenen Programmen“ erhalten die Teilnehmer einen hohen Bestimmungsfreiraum, was die inhaltliche und methodische Gestaltung der Führungsseminare betrifft. So können die Teilnehmer unter anderem über Themen, Zeiten und Formate frei entscheiden. Häufig führt dieser Freiraum – und Mangel an vorgegebener Struktur– zu großer Irritation, da die Teilnehmer keine Routine darin haben, aus sich heraus und in diesem Umfang Entscheidungen zu treffen. Es wird deutlich, dass auch von HR ein Beitrag notwendig wird: angefangen bei der Rekrutierung neuer Führungskräfte bis hin zu Leistungsbewertung und Weiterentwicklung – Eigenverantwortlichkeit und Verantwortungsübernahme sollten wesentlich stärker gewichtet werden, als dies in vielen Unternehmen aktuell der Fall ist. 6 Beziehung, Dialog und Vertrauen Begriffe wie „Führung“ und „Führungskraft“ werden gemeinhin mit Stärke, Durchsetzungsfähigkeit, und Macht in Verbindung gebracht. Dementsprechend werden Ikonen des Managements in der Regel nicht dafür gepriesen, dass sie besonders gut in der Beziehungsgestaltung und dem Aufbau von Vertrauen seien. Dabei gilt: Entscheidungs- und Handlungsspielräume, die formal durch flache Hierarchien und Dezentralisierung geschaffen werden, können nur dann im täglichen Handeln eigenverantwortlich ausgefüllt werden, wenn Vertrauen zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern vorhanden ist. Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern nicht vertrauen, können nur schlecht Kontrolle abgeben und sie somit nicht in eigenverantwortliches Handeln entlassen. Gleichzeitigt werden auch Mitarbeiter Freiräume und damit Verantwortung nicht ergreifen, wenn sie nicht darauf vertrauen, dass ihre Führungskraft konstruktiv mit Fehlern umgehen wird. Die grundlegende Funktion von Vertrauen liegt hierbei in der Komplexitätsreduktion (Sjurts, 1998), da das Vertrauen die Handlungen des jeweils anderen antizipierbar und berechenbar macht. Doch was bedeutet das genau, wenn Vertrauen in den Mittelpunkt des Führungskonzepts rückt? Um diese Frage zu beantworten, muss man einen genaueren Blick auf das Konstrukt „Vertrauen“ werfen. Für das Entstehen von interpersonalem Vertrauen sind immer mindestens zwei Personen bzw. Parteien notwendig – das Vertrauenssubjekt („der, der vertraut“) und das Vertrauensobjekt („der, dem Vertrauen entgegengebracht wird“). Charakteristisch für die Vertrauensbeziehung ist, dass das Vertrauenssubjekt sich entscheidet, an das Objekt Kontrolle abzugeben bzw. sich angreifbar zu machen, und dabei davon ausgeht, dass das Objekt diesen Vorteil nicht zu Ungunsten des Subjekts ausnutzen wird. Luhmann (2000) bezeichnet Vertrauen demensprechend als „riskante Vorleistung“. Hauser (2011) schlägt ein praxisorientiertes Modell der Vertrauensbildung vor, das es ermöglicht, den schwer greifbaren Begriff „Vertrauen“ zu operationalisieren und einer zielgerichteten Entwicklung zugänglich zu machen. Vertrauen entsteht demnach dann, wenn folgende Voraussetzungen ganz oder teilweise erfüllt werden können: 1. Positionssicherheit 2. Handlungssicherheit 3. Wertschätzung und Respekt 4. Gemeinsame Werte 7 Gemäß dem Modell kann Vertrauen in Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden, wenn die beteiligten Akteure alle vier Ebenen als gegeben erleben. Umgekehrt ist bei fehlendem Vertrauen mindestens eine der obigen Voraussetzungen nicht erfüllt, meist sind mehrere Ebenen fragil oder nicht vorhanden. Positionssicherheit besteht, wenn sich die Akteure in ihren organisationalen Positionen sicher fühlen und davon ausgehen, dass ihre Position nicht in Frage gestellt wird. Damit geht einher, dass die Beteiligten gegenseitig die Position ihrer Mitspieler respektieren. Handlungssicherheit ist vorhanden, wenn die Beteiligten wissen, was auf sie zukommt bzw. wie der andere handeln wird, sich alle Beteiligten gegenseitig ihre Gedanken mitteilen und sich auf gemeinsame, klare Spielregeln einigen. Wertschätzung und Respekt besteht, wenn sich die Beteiligten für einander Zeit nehmen, sich explizit gegenseitig Wertschätzung zeigen, sich einfühlsames, kritisches Feedback geben und sich dadurch immer besser kennenlernen. Gemeinsame Werte fördern Vertrauen, wenn die Beteiligten ihre eigenen und die grundlegenden Werte der Mitspieler kennen, sich darüber austauschen und genügend Gemeinsamkeiten finden – aber auch wissen, was ihnen Unterschiedlichkeit nützt. Der Begriff des „Vertrauensaufbaus“ impliziert es schon – Vertrauen lässt sich nicht per ad hoc Entscheidung oder Anordnung erzeugen. Es ist vielmehr das Resultat eines fragilen, iterativen Prozesses, in dem das gegenseitige Schenken von Vertrauen („sich angreifbar machen“) und das Bestätigen der Vertrauenserwartung („angemessen mit dem Vertrauensvorschuss umgehen“) zirkulär und sich selbst verstärkend stattfinden. Die Zerstörung von Vertrauen hingegen geschieht oft schnell und dauerhaft – eine einzige unfaire, nicht integere Handlung reicht aus, um ein Vertrauensverhältnis langfristig zu schädigen. Für Führungskräfte bedeutet dies: Vertrauenswürdigkeit muss ein authentischer Charakterzug sein und kann nicht als „Führungstool“ instrumentell und nach Gutdünken ein- oder ausgesetzt werden. Schaffen es Führungskräfte in einer Organisation, flächendeckend eine von Vertrauen geprägten Umgang mit ihren Kollegen und Mitarbeitern zur Routine werden zu lassen, ist von „High Trust Organizations“ die Rede (Six & Sorge, 2008). High Trust Organizations zeichnen sich aus durch partizipative Führung, einen hohen Grad an Selbstorganisation, große Handlungs- und Entscheidungsspielräume sowie einen konstruktiven und positiven Umgang mit Fehlern. 8 Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern Freiräume einräumen, Mitarbeiter, die die angebotene Verantwortung auch übernehmen und Führungsbeziehungen, die durch gegenseitiges Vertrauen geprägt sind – Unternehmen, die darüber verfügen, haben schon viel geschafft. Eine weitere Komponente darf jedoch nicht fehlen – die häufige Auseinandersetzung mit unbekannten, neuen und mehrdeutigen Situationen erfordert auch die starke Erwartung, den Herausforderungen gewachsen zu sein. Albert Bandura hat hierzu den Begriff der „Selbstwirksamkeitserwartung“ geprägt (Bandura, 1977). Das Konstrukt bezeichnet die Stärke der eigenen Erwartung oder Überzeugung, ob und wie sehr man dazu in der Lage ist, eine Aufgabe zu vollenden oder ein Ziel zu erreichen. Eine hohe oder niedrige Selbstwirksamkeitserwartung beeinflusst somit, ob jemand eine herausfordernde Aufgabe annehmen und bearbeiten oder sie als zu schwierig ablehnen wird. Dabei liegt ein optimales Niveau leicht über dem der tatsächlichen individuellen Fähigkeiten, da Menschen hier bereit sind, herausfordernde Aufgaben zu übernehmen und sich durch neue Erfahrungen weiterzuentwickeln. Faktoren, die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person beeinflussen, sind nach Bandura (1977): Die eigene Erfahrung, etwas wirklich gut zu können („mastery“) Die Beobachtung von anderen dabei, wie sie etwas kompetent bewältigen („modeling“) Die Ermutigung durch andere Menschen während der Bewältigung einer Aufgabe („persuasion“) Ein vierter Faktor, der hier eine Rolle spielt, ist emotionale Erregung (physische Stress-Symptome). Menschen mit einer ohnehin schon niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung interpretieren derartige körperliche Symptome schnell als weiteren Beleg ihrer Inkompetenz. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung hingegen stellen keinen Bezug der körperlichen Stress-Symptome zur eigenen Befähigung her. 9 Für Führungskräfte lassen sich hier Implikationen in Bezug auf Mitarbeiterentwicklung sowie Mitarbeiterrecruiting und –auswahl ableiten. Als Mitarbeiterentwickler sollten Führungskräfte auf folgende Dinge Acht geben: Zu aller erst Aufgaben des „Learning and Development“ als Kernaufgabe ihrer Managementtätigkeit betrachten, statt sie an die Personalentwicklungsabteilung zu delegieren. Ihren Mitarbeitern Aufgaben und Gelegenheiten geben, bei denen sie ein Erfolg und Kompetenz erfahren und im besten Fall gleichzeitig herausgefordert sind. Ihren Mitarbeitern ermöglichen, anderen Menschen (eventuell auch die Führungskraft selbst) bei hochgradig kompetenter Performance zu beobachten. Dies wäre beispielsweise systematisch förderbar durch Shadowing-Programme, Rotation oder „Weiterbildungsbesuche“. Führungskräfte sollten durch eigenes Vorbildverhalten eine Kultur prägen, in der positives Feedback und Ermutigung zum Tagesgeschäft gehören. Als Personalverantwortliche sollten Führungskräfte ihre Bewertungskriterien und ihren Beobachtungsfokus bei der Selektion neuer Mitarbeiter darauf ausrichten, dass Kandidaten eine möglichst hohe Selbstwirksamkeitserwartung aufweisen. Dies kann bedeuten, dass Führungskräfte ihre persönliche Theorie darüber, was einen erfolgreichen Mitarbeiter ausmacht, anpassen müssen. Gestaltung der Organisationskultur Je stärker formale Kontroll- und Regelungsmechanismen in einer Organisation in den Hintergrund rücken und Autonomie, Selbstorganisation und Beziehungen in den Vordergrund treten, desto relevanter wird das Konstrukt der Organisationskultur als Instrument der Verhaltenssteuerung. Der Begriff der Organisationskultur zielt darauf ab, Eigenschaften einer Organisation in seiner Gesamtheit zu beschreiben. Eine der am häufigsten bemühten Definition ist jene des Organisationsforschers Edgar H. Schein (2010): „The culture of a group can now be defined as a pattern of shared basic assumptions learned by a group as it solved its problems of external adaption and internal integration, which has worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems." 10 Organisationskultur ist deshalb in de-regulierten Organisationen so wichtig, weil sie, wenn sie internalisiert worden ist, Menschen von innen heraus steuert. Bei der Analyse von Organisationskulturen kann zwischen „patterns for behavior“ und „patterns of behavior“ unterschieden werden. Der Begriff „Patterns for behavior“ meint mentale Strukturen, die sich kollektiv „in den Köpfen“ der Mitarbeiter befinden und sich auf deren Wahrnehmung und Verhalten auswirken. Diese Ebene umfasst unter anderem Basisannahmen, Werte und informelle und implizite Normen. „Patterns of behavior“ sind die beobachtbaren Muster, die sich in Form von typischen Verhaltensweisen, Ereignissen und Artefakten manifestieren. Beide Ebenen sind dialogisch stark verknüpft. Zum einen beeinflussen sie sich gegenseitig: die mentale Struktur prägt beobachtbares Verhalten und dessen Resultate – die wiederum als gegebene Fakten die mentalen Strukturen beeinflussen. Zum anderen kann man die Oberfläche nur verstehen, wenn man die zugrundeliegende Tiefenstruktur kennt (Neuberger & Kompa, 1993, in Bezug auf Keesing, 1974). Führungskräfte spielen als „Menschen im Rampenlicht der Organisation“ eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Organisationskultur. Dabei können Sie auf verschiedenen Ebenen ansetzen: Artefakte (z. B. Gebäude, Büros) so gestalten, dass sie gewünschte Werte widerspiegeln und zu erwünschten Verhaltensweisen einladen Wertkonformes Verhalten vorleben und gleichzeitig abweichendes Verhalten kritisch ansprechen Normen, Werte und offizielle Statements hinterfragen, in einen (möglicherweise anderen) Kontext einbetten oder sie neu bewerten Menschen rekrutieren, einstellen und fördern, die die gewünschten Werte und Basisannahmen vertreten und durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringen Für Führungskräfte in sehr flachen Organisationen bedeutet dies, dass sie Organisationskulturen entwickeln sollten, die Autonomie und Selbstverantwortung, Dialog und Vertrauen sowie die Förderung von Selbstwirksamkeitserwartungen nicht nur ermöglichen, sondern gar fördern. Diese Funktion als Kulturschaffende ist insofern für Führungskräfte nicht alltäglich, als dass „softe“ Themen wie Organisationskultur traditionell den Experten aus der HR-Abteilung überlassen worden sind. Für zukünftige Führungskräfte gehört dies jedoch mit zum Kern ihres Aufgabenspektrums. 11 Zusammenfassung und Ausblick In einer VUCA- Umwelt verändert sich die Wahrnehmung, was gute Führungskräfte ausmacht. Während früher der „starke Mann“ als Führungsideal galt, zählen heute andere Qualitäten. Nach Meinung der Autoren geht es konkret darum, dass Führungskräfte: Autonomie und Selbstverantwortung vorleben, diese bei ihren Mitarbeitern fördern und einfordern. Beziehungen aufbauen und Dialog leben, um das dringend notwendige Vertrauen aufzubauen. die Selbstwirksamkeitserwartung ihrer Mitarbeiter aktiv und präzise verbessern, um mutige Mitstreiter für komplexe Herausforderungen zu haben. die Gestaltung der Organisationskultur – die die obenstehenden drei Punkte realisiert - als ihre höchst eigene Aufgabe verstehen und nicht als „HR-Thema“. Die Führungskraft „alter Schule“, die ihre Mitarbeiter mit einem hohen Maß an Kontrolle, starkem Einsatz formaler Macht, wenig Beziehungsorientierung und Wertschätzung und ohne Rücksicht auf persönliche Entwicklung führt, wird es immer noch geben. Aber sie wird es zunehmend schwerer haben, je flacher, schneller und flexibler ihre Organisationen werden. 12 Literaturverzeichnis Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84(2), 191-215. Hauser, E. (2011). Lässt sich Vertrauen operationalisieren? In Leeb, W. A., Trenkle, B. & Weckenmann, M. F. (Hrsg.). Der Realitätenkellner. Hypnosystemische Konzepte in Beratung, Coaching und Supervision. Heidelberg: Carl-Auer. Keesing, R. M. (1974). Theories of culture. Annual Review of Anthropology. 3, 7397. Luhmann, N. (2000). Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. UTB. 4. Auflage. Stuttgart: Lucius und Lucius. Neuberger, O. & Kompa, A. (1993). Wir, die Firma : der Kult um die Unternehmenskultur. Ungekürzte Taschenbuchausgabe. München, Heyne. Schein, E. H. (2010). Organizational Culture and Leadership (4. Auflage). John Wiley & Sons. Six, F. & Sorge, A. (2008). Creating a High-Trust Organization: An Exploration into Organizational Policies that Stimulate Interpersonal Trust Building. Journal of Management Studies, 45(5), 857-884. Sjurts, I. (1998). Kontrolle ist gut, ist Vertrauen besser? : Ökonomische Analysen zur Selbstorganisation als Leitidee neuer Organisationskonzepte. Die Betriebswirtschaft: DBW, 58(3), 283-298. Wunderer, R. & Grunwald, W. (1980). Führungslehre, Band I: Grundlagen. Berlin/New York: De Gruyter. 13
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