Der gebufldefle Körper ufld die vertikale Leere

Der gebundene Körper und die vertikale Leere
Der gebundene Körper und die vertikale Leere
Jan Martens’ „The Dog Days Are Over“ im Tanzquartier Wien
Veröffentlicht am 06.04.2016, von Gastautor
Wien - Von Christian Keller
Wenn man Jan Martens Choreografie von „The Dog Days Are Over“, die am 1ten und 2ten des Monats im Tanzquartier Wien
zu Besuch war, auf eine der Anstrengung verpflichtete Gesellschaftskritik oder die bloße technische Durchinstrumentalisierung der
Körper reduzieren wollte, hätte man mit Sicherheit den poetischen Bilderreichtum und den virtuosen Tanzgeist mit seinen
Anreicherungen von Komik außer Acht gelassen.
Martens stellt acht TänzerInnen auf die Bühne und lässt sie sich an der Mühsal eines siebzigminütigen Hüpfmarathons abarbeiten.
Zuerst ganz klar formiert und im Ausdruck starr beinahe maschinell bewegen sie sich auf und ab. Natürlich zeigt sich dabei gleich
dieser Fitnesswahn, der Glanzfetisch und die Attraktivitätssymbolik all der uns umgebenden Werbeplakate für das bessere Leben,
den besseren Partner, das bessere Selbst, ob gesund oder nicht. Auch ist die doppelpolige Massenabhängigkeit von ihren
Bedeutungen als Stütze oder Uniformierung für den Einzelnen sichtbar. Doch wenn die acht TänzerInnen auftreten und ihre
trainierten Körper, in den viel zu plastikfarbenen Retrolooks etwaiger Aerobicvideos, in den rhythmisierenden Einklang des sich in
Ewigkeiten erstreckenden Hüpfens Eingang finden und so auch das Spiel mit der lüsternen Attraktionssuche beginnt, lässt sich noch
etwas erblicken: die Sehnsucht nach der geistigen Erfüllung. Hierzu dient wie immer ein Besinnungsinstrument, das dem Menschen
unentwegt beiseite steht und so auch immer wieder an seine Grenzen getrieben wird. Es ist der Körper, der die Anstrengungen
von Diät und Askese auf sich zu nehmen hat und durch dies konzentrierte und fanatisierte Ertragen eine Leere und Besinnung
schaffen soll. Und so klinkt sich bei Martens das metronomisierte Hüpfen recht sinnreich ein, wenn es die Vertikalität und die
gravitative Ungebundenheit sucht und den Bestand der demnach minder gewerteten Menschlichkeit mit einem Akt der
psychophysischen Entleerung überwinden will. Hier ist kein Platz für die Lust. Hier wird sie zum Zweck gebündelt. Der Arbeitstakt
ist im akustischen Zählimpuls vorgegeben.
Aber Martens sucht mehr als den bloßen unendlichen Turnus des sich ewig bedingenden Auf und Ab. Er entlässt seine
Choreografiekörper schließlich auch in die Masken formationssuchender Varietéfensterpuppen, synchronisierter Spieluhrfiguren und
mechanisierter Laufbandakteure einer Filmwelt zwischen Metropolis und Busby-Berkely-Symmetrie. Ihre Blicke starren, selbst unter
der Anforderung des perfektionierten Takthaltens und der Folter der pausenlosen Ausdaueranforderung. Dies offenbart
unvermeidlich humoristische Züge, wenn der ausdruckslose und angestrengte Tänzerkörper plötzlich in den Modus des
schnipsenden, Beine hochschnellenden Revuetänzers ausbricht oder sich die TänzerInnen in der Formationsreihung mit dem
kantigen Gang eines Tetrisformats ablösen. Den Betrachter zieht es da in einen Zwiespalt von Schaulust und Mitleiden, aber auch
zu dem Punkt, wo er gespannt auf den Zusammenbruch des mechanisierten, ausdruckslosen Bewegungsapparates vor ihm wartet,
auf dass der Mensch hinter dieser Maske hervortrete – doch nur um sich wieder dabei zu ertappen, dass man mitfiebert und es
doch nicht zum Holpern, zum Versagen dieses zur Perfektion getriebenen Choreografiemotors kommen darf.
So springt dem Betrachter, bevor eine vollkommene Automatisierung ihre Gestalt annimmt, dieser Variationsreichtum der
maschinisierten Abläufe ins Auge und darauffolgend die ein oder andere überraschende Assoziationsevokation. Denn die
Unterhaltungskunst der Vorgeführten beschreibt im Fokus des Scheinwerferlichtes ein Anatomiesieren und regelrechtes
Animalisieren. Wenn Martens das Licht dämmen lässt, spanische Gitarrenmusik erklingt und die hüpfenden AkteurInnen im Raum
verteilt die Arme vor und zurück schwingen lassen mag man beinah das um einen Lichtpol versammelte Flügelschlagen eines
Insektenschwarms wahrnehmen; oder während jenes Momentes, da der horizontale Lichtstreifen die TänzerInnen abscannt und sie
zum Opfer des hinter der Lichtquelle Sitzenden werden. An diesen Stellen bricht dann das vorgefertigte Gedankenmodell der
politisierten Ästhetik und ein Hauch unvermuteter Poetik zieht über das Bühnengeschehen.
Zusammengefasst darf man sagen, dass es zwar ein Abend voll Anstrengung für den unruhigen Zuschauer- und den angestrengten
Tänzerkörper war, der sich aber umso verdienter in einem gebührend ausgiebigen Applaus entladen durfte.
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Der gebundene Körper und die vertikale Leere
"The Dog Days Are Over" von Jan Martens
© Piet Goethals
"The Dog Days Are Over" von Jan Martens
© Piet Goethals
"The Dog Days Are Over" von Jan Martens
© Piet Goethals
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