Ich brauche täglich Bewegung

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Sport
Zürichsee-Zeitung
Freitag, 20. November 2015
Auf EinEn CAppuCCino Mit KunstrAdfAhrEr YAnniCK MArtEns, VMC hoMbrEChtiKon
«Ich brauche täglich Bewegung»
obwohl er Kunstradfahren
einst uncool fand, trat
Yannick Martens (24) in die
fussstapfen seiner Vorfahren.
Ab heute steht der mehrfache
Landesmeister und schweizer
rekordhalter an der WM
in Malaysia im Einsatz.
Sie haben eben einen Cappuc­
cino bestellt. Was mögen Sie
daran?
Yannick Martens: Für mich hat
er die genau richtige Mischung
zwischen Kaffee und Milch.
Ist das auch Ihr Lieblings­
getränk?
Ich trinke täglich Kaffee, aber am
liebsten mag ich Vivi Kola, das vor
einigen Jahren neu lancierte, legendäre Schweizer Kola – und
zwar nicht nur, weil ich die Firma
aus Eglisau zu meinen Sponsoren
zählen darf. (schmunzelt) Meist
trinke ich jedoch Wasser.
Bleiben wir noch beim Kulina­
rischen. Was essen Sie gerne?
Fleisch, beispielsweise ein saftiges Cordon bleu. Bei Pizzas muss
ich Mass halten.
Können Sie es auch selbst
zubereiten?
Ich kann kochen, ja, bereite mir
ab und zu selber das Mittagessen
zu. Nächstes Jahr werde ich dann
häufiger am Herd stehen, weil ich
für einige Monate in Tschechien
leben werde – wegen der Sprache,
der Trainingsbedingungen und
der Freundin, die von dort kommt.
Inwiefern achten Sie als
Sportler auf die Ernährung?
Ich schaue vor allem, dass ich
mich ausgewogen ernähre. Ab
und zu liegt auch ein Stück Schokolade oder Kuchen drin, ich sollte einfach das Gewicht zwischen
66 und 67 kg halten.
Gibt es sonst noch Einschrän­
kungen?
In den Ausgang gehe ich selten.
Und Zeit, um mit Kollegen etwas
zu unternehmen, bleibt ebenfalls
wenig. Aber ich denke immer:
Sportler bist du vielleicht bis 30.
Es bleibt mir also noch genügend
Zeit, um Verpasstes nachzuholen.
Womit bestreiten Sie Ihren
Lebensunterhalt?
Ich arbeite in einem 50-ProzentPensum bei der Firma Swan in
Hinwil. Grosse Hilfe erhalte ich
natürlich auch von meinem Vater
– wofür ich im Gegenzug bei Be-
darf in seinem Geschäft in Stäfa
anpacke. Zudem darf ich auf die
Unterstützung einiger treuer
Sponsoren zählen.
Welchen Beruf haben Sie
gelernt?
Zweiradmechaniker, im Betrieb
meines Vaters. Eigentlich wurde mir zuerst eine Lehrstelle als
Multimedia-Elektroniker zugesagt, doch dann machte der Lehrbetrieb einen Rückzieher.
Weshalb nehmen Sie das alles
auf sich?
Aus Liebe zum Sport.
Welchen sportlichen Gross­
anlass haben Sie als ersten
bewusst wahrgenommen?
Die Fussball-WM 2002 in Japan
und Südkorea. Ich war oder bin
ein riesiger Fan von Oliver Kahn.
Leider verlor er mit Deutschland
den Final 0:2 gegen Brasilien.
Wie sind Sie zum Kunstrad­
fahren gekommen?
Es ist quasi eine Familientradition. Mein Vater war aktiv, meine
Grossmutter ebenso. Sie war es,
die mich dazu motivierte, ebenfalls aufs Rad zu steigen. Da war
ich etwa 5-jährig. So richtig gepackt hat es mich aber erst mit
14. Zunächst war meine Hauptsportart das Kunstturnen, ab circa 10 spielte ich dann intensiv
Fussball – was auch bei meinen
Kollegen viel besser ankam als
Kunstradfahren. Meine Haltung
änderte sich, als Petra Ackermann meine Trainerin wurde und
mir viele tolle Sachen auf dem
Velo beibrachte. Fortan setzte ich
dann voll aufs Kunstrad.
Welches war Ihr schönster
Moment im Sport?
Den erlebte ich 2012 an der WM
im deutschen Aschaffenburg.
Ist man nach seiner Darbietung
unter den Top 3, darf man auf
dem Leadersofa Platz nehmen.
So sass ich dann dort, hoffte,
bangte – und irgendwann war mir
die Bronzemedaille sicher. Dieser
Moment war unbeschreiblich.
Und welches war die grösste
Enttäuschung?
Dass ich dieses Jahr aufgrund
einer völlig unverhältnismässigen Sperre nicht an den Schweizer Meisterschaften teilnehmen
konnte (siehe Kasten). Überhaupt
dieser ganze Fall und die Reaktion
des Verbandes. Sportlich gesehen
die grösste Enttäuschung war,
Yannick Martens ist ein aufgestellter Typ, die Vorkommnisse der letzten Wochen (siehe Kasten) haben ihm aber ziemlich zugesetzt.
dass ich 2013 an der WM in Basel die Medaille nicht verteidigen
konnte. Ich hatte mich nicht optimal vorbereit, und prompt unterlief mir ein gröberer Fehler.
Mit welchen Erwartungen star­
ten Sie an der diesjährigen WM?
Die Vorbereitung war natürlich
WoruM GEhts?
WM-Teilnahme vor Gericht erkämpft
Yannick Martens musste sich
die Teilnahme an den Hallenradsport-Weltmeisterschaften, die von heute Freitag bis
Sonntag im malaysischen Johor
ausgetragen werden, härter
erkämpfen denn je. Aber nicht
in der Sporthalle, sondern vor
Gericht. Der Fall ist kompliziert
und der Sachverhalt nicht genau
geklärt. Zurück geht das Ganze
auf einen Vorfall am 22. August am internationalen Wettkampf in Hohenems (Ö). Martens sah sich ungerecht bewertet («Ein Element wurde einfach
ignoriert.») und wurde ausfällig.
Mit welcher Wortwahl und gegenüber wem, darüber gehen
die Meinungen weit auseinander, es konnte nicht eindeutig
rekonstruiert werden. Dies war
mit ein Grund, weshalb das Verbandsschiedsgericht dem mehrfachen Schweizer Meister und
aktuellen Schweizer Rekord-
halter im Kunstradfahren am
Montag, kurz vor seiner Abreise,
die er aufgrund der Verhandlung von Freitag auf Montagabend verlegt hatte, grünes
Licht für einen WM-Start gab.
Es tat dies, indem es die zuvor
von der Fachkommission Hallenradsport Schweiz verhängte
und von der zuständigen Disziplinarkommission von Swiss
Cycling nach einem Rekurs seitens des Sportlers bestätigte bis
Ende 2015 gültige Sperre auf
einen Monat verkürzte. Zudem
wurde der Beginn der Laufzeit
auf den 11. September angesetzt – womit die Sperre bereits
verbüsst ist. Das Verbandsschiedsgericht verknurrte Swiss
Cycling des weiteren dazu,
Martens dessen Partei- sprich
Anwaltskosten (5000 Franken)
zu vergüten sowie drei Viertel
der Gerichtskosten zu berappen.
Warum das Verbandsschiedsge-
richt so entschied, wird erst die
schriftliche Urteilsbegründung
offenbaren, die Anfang nächster
Woche erwartet wird. Aufgrund
der Dringlichkeit war das Urteil
am Montag nur mündlich eröffnet worden.
Beigelegt ist der Konflikt zwischen dem besten Schweizer
Kunstradfahrer und Swiss Cycling damit aber nicht. Gemäss
Martens’ Anwalt Thomas Meier
sind zwei weitere Verfahren
hängig. Das eine befasst sich
damit, ob Yannick Martens während der von der Fachkommission verhängten Sperre dennoch
Wettkämpfe bestritt und wenn
ja, ob dies rechtens war. Im
anderen geht es um Hermann
Martens, Yannicks Vater, der
vom Verband aufgrund desselben Vorfalls eine 2-jährige Hallensperre für sämtliche Kunstradwettkämpfe aufgebrummt
erhielt. Fortsetzung folgt. su
alles andere als optimal. Ich werde dennoch versuchen, mit Freude in den Wettkampf zu gehen
und mein Potenzial abzurufen.
Wenn mir dies gelingt, liegt eine
Medaille in Reichweite. Vom Ausgangswert her bin ich die Nummer 3 hinter den beiden Deutschen Michael Niedermeier und
Simon Puls. Knapp dahinter liegt
der Chinese Chin To Wong.
Wie lange brauchen Sie
morgens vor dem Spiegel?
Inklusive Zähneputzen? Fünf Minuten oder so. Am meisten Wert
lege ich auf die Frisur.
Mit welcher Person würden
Sie gerne einmal für einen Tag
tauschen?
Mit Roger Federer. Ich würde gerne erfahren, wie es in ihm
aussieht vor, während und nach
einem wichtigen Spiel wie dem
Wimbledon-Final.
Welche Person bewundern Sie?
Lara Gut. Sie geht ihren eigenen
Weg und hat gezeigt, dass man
auch ohne Verband an die Spitze
kommen kann (so wie Martens,
der beispielsweise darauf verzichtet, Mitglied des Nationalkaders
zu sein, weil er die damit verbundenen Pflichttermine nicht wahrnehmen will; Red.). Ganz speziell
gefällt mir an ihr, dass sie so oft
lacht, ihre Freude so offen zeigt.
Die Freude geht im Sport leider
oft vergessen.
Wie sieht für Sie ein perfektes
Wochenende aus?
Dazu gehört sicher ein gutes
Training, das viel Spass bereitet.
Dann leckeres Essen, ein schöner Abend mit der Freundin und,
wenn die Zeit reicht, noch ein
Ausflug in die Natur, in die Berge.
Wo und mit wem verbringen
Sie Ihre nächsten Ferien?
Im Anschluss an die WM fliege ich
zusammen mit meiner Schwester
Jeannine für eine knappe Woche
nach New York. Darauf freue ich
mich sehr. Ich war noch nie dort.
«Die Freude geht
im Sport leider
oft vergessen.»
Yannick Martens
Ihr Lieblingssong?
«Levels» von Avicii. Das Lied ist
schon älter (es erschien Ende 2011;
Red.) und ich habe es bestimmt
schon 1000-mal gehört. Aber bisher ist es mir nie verleidet.
Ihr Lieblingsfilm?
Ich bin ein grosser James-BondFan – wobei mir die alten Streifen
besser gefallen als die neuen. Sie
sind stilvoller, humorvoller.
Ihr Lieblingsbuch?
Da fällt mir keines ein. Ich glaube, ich habe seit der Schulzeit kein
Buch mehr gelesen.
Silvano Umberg
Ihr Lebensmotto?
Gib niemals auf.
Was ist Ihr grösstes Laster?
Der Sport. Betätige ich mich einmal zwei, drei Tage nicht, kann
ich ziemlich nervig werden. Ich
brauche täglich Bewegung – in
welcher Form auch immer.
Und welches ist Ihre beste
Eigenschaft?
Das müssten eigentlich andere
beurteilen … (überlegt lange) Ich
denke, ich bin ein aufgestellter
Typ. Ich lache gerne, habe es gerne lustig und mache gerne Spässe
– um die Stimmung aufzulockern.
Was macht Sie glücklich?
Wenn es den Menschen, die ich
gern habe, gut geht.
Was ärgert Sie?
Wenn man ungerecht behandelt
wird. Und wenn man seine Meinung nicht äussern darf.
Was ist Ihnen wichtig im Leben?
Kurz gesagt: Gesundheit, Glück
und Liebe.
Was machen Sie in zehn Jahren?
Ich hoffe, dass ich einen Beruf haben werde, der mir Spass macht –
dies könnte im Bereich Velo sein
oder vielleicht im Bereich Sicherheitspolizei. Und ich könnte mir
gut vorstellen, dass ich dann verheiratet bin.
Interview: Silvano Umberg