Vorlage Titelblatt DIN A4 mit Siegel

TUTORIUM ZUR VOR GERÜ C KTENÜBUN G IM STRAFR ECHT
WINTERSEMESTER 2015/ 2016
DR. VICTORIA IBOLD
Einheit 10: AT-Probleme: Rücktritt, Akzessorietätslockerung, gekreuzte
Mordmerkmale
Lösungsvorschlag:
TUTORIUM ZUR VOR GERÜ C K TENÜBUNG IM STRAFR ECHT
Fall 1:
WINTERSEMESTER 2015/ 2016
Strafbarkeit des A
SEBASTIAN WACHSMANN, DR. VICTORIA I BOLD
A. §§ 212 I, 211 I, II 1. Gr. Var. 4, 2. Gr. Var. 1, Var. 2, 22, 23 I
A könnte sich durch den Schuss in die Schulter des B gem. §§ 212 I, 211 I, II 1. Gr. Var. 4, 2. Gr.
Var.1, Var. 2, 22 strafbar gemacht haben.
I.
Vorprüfung
1. Nichtvollendung
Der Taterfolg ist ausgeblieben, B lebt.
2. Versuchsstrafbarkeit
Versuchter Mord ist gem. §§ 23 I Alt. 1, 12 I strafbar.
II.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Tatentschluss
Anmerkung:
Es ist absolut üblich und empfehlenswert, den subjektiven Teil des Versuchstatbestands nicht als solchen zu
bezeichnen, sondern mit dem Fachbegriff „Tatentschluss“.
Im Tatentschluss sind alle Prüfungspunkte abzuarbeiten, die bei Deliktsvollendung im subjektiven Tatbestand
zu prüfen wären. Geprüft werden muss also:
1. Vorsatz bezüglich der Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale
2. Sonstige, subjektive Merkmale (die bei Vollendung im subj. Tatbestand geprüft würden), z.B. subjektive
Mordmerkmale bei § 211, Zueignungsabsicht bei § 242.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 2 VON 23
Wichtig ist beim Tatentschluss generell, dass auf die (subjektive) Vorstellung des Täters abgestellt werden
muss. Beim Prüfungspunkt „Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung aller objektiver Tatbestandsmerkmale“
kann dies durch entsprechende Formulierungen wie etwa „A wollte“, „A handelte mit Vorsatz hinsichtlich“,
„A war dazu entschlossen“, „Der Tatentschluss des A umfasste“ zum Ausdruck gebracht werden.
Bei sonstigen subjektiven Merkmalen ist auf derartige Formulierungen zu verzichten, da diese Merkmale
bereits von subjektiver Natur sind und die Prüfung eines „Vorsatzes bezüglich Habgier“ daher falsch wäre.
A müsste zur Tat entschlossen gewesen sein. Tatentschluss umfasst den Vorsatz i.S.v. § 15 bzgl.
der Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie das Vorliegen besonderer sonstiger subjektiven Merkmale.
a. Grundtatbestand des § 212 I
A hatte die Absicht, B kausal und objektiv zurechenbar zu töten.
b. Tatbezogene Mordmerkmale
aa. Heimtücke
Sein Tatentschluss könnte auch die Verwirklichung des objektiven Mordmerkmals der Heimtücke
umfasst haben.
Anmerkung:
Es ist ein beliebter, aber schwerer Fehler, objektive Mordmerkma le beim Versuch im objektiven
Teil des Versuchstatbestands, dem unmittelbaren Ansetzen gem. § 22, zu prüfen. Sämtliche Mordmerkmale gehören wie alle Tatbestandsmerkmale in den Tatentschluss.
Die Heimtücke setzt voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tatbegehung ausnutzen will.
A müsste sich also vorgestellt haben, dass B arglos gewesen sei. Arglos ist, wer sich zum Tatzeitpunkt keines
tätlichen Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht. A wollte B hinterrücks erschießen, also in einem Zeitpunkt, in welchem sich B keines Angriffs versah, also arglos war.
Wehrlos ist, wer auf Grund seiner Arglosigkeit in der Abwehrfähigkeit eingeschränkt ist. A wollte, dass B auf
Grund seiner Arglosigkeit – er sah A nicht kommen – keine Gegenwehr gegen die Tötungshandlung leisten
konnte. B sollte wehrlos sein.
Dies wollte A auch bewusst zur Tötung ausnutzen. Er wollte auch nicht zum vermeintlich Besten des B handeln, sondern vielmehr in feindlicher Willensrichtung.
Mit Blick auf die absolute Strafandrohung des § 211 und auf das Verhältnismäßigkeits- und Schuldprinzip ist
§ 211 besonders restriktiv auszulegen. Auf einer zweiten Prüfungsstufe werden daher teilweise weitere Einschränkungen des Mordmerkmals gefordert.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN

SEITE 3 VON 23
Nach e.A. ist ein besonders verwerflicher Vertrauensbruch zu fordern, einen solchen hat sich A jedoch
nicht vorgestellt, da sich Täter und Opfer gar nicht kannten.

Nach a.A. muss der Heimtückemörder tückisch-verschlagen, also listig, hinterhältig gehandelt haben.
Zwar suchte A den B gezielt in einer schutzlosen Situation auf, es ist aber nicht ersichtlich, dass A dabei
eine List anwenden wollte.

Streitentscheid: Grundsätzlich sollte im Hinblick auf die absolute Strafandrohung des § 211 eine restriktive Auslegung des Tatbestands der Heimtücke gefunden werden; das nach h.M. erforderliche Merkmal
der feindlichen Willensrichtung reicht hier nicht aus. Ob man dabei einen verwerflichen Vertrauensbruch
oder ein tückisch-verschlagenes Verhalten fordert, kann an dieser Stelle dahin stehen, da beide Ansichten
zum selben Ergebnis führen.
Der Tatentschluss des A bezieht sich nicht auf das Mordmerkmal der Heimtücke.
bb. Mordmerkmal grausam
A könnte mit Vorsatz hinsichtlich einer grausamen Tötung gehandelt haben.
Grausam handelt, wer dem Opfer im Rahmen der Tötungshandlung aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung durch Dauer, Stärke oder Wiederholung der Schmerzverursachung besonders
schwere Qualen körperlicher oder seelischer Art bereitet.
Hier sollten die Qualen des B nach der Vorstellung des A nicht signifikant über das zur Tötung
erforderliche Maß hinausgehen, sodass eine grausame Tötung nicht vorliegt. Für eine gewollte,
seelische Qual des B dadurch, dass F seinen T od mit ansehen sollte, bestehen nicht genügend
Anhaltspunkte. Etwaiges Leid von Zeugen und Angehörigen wie der F wird von § 211 II 2. Gr.
Var. 2 nicht erfasst.
Anmerkung:
Das Merkmal grausam kann auch weggelassen werden. Erfahrungsgemäß wird es von Bearbeitern
zu oft (da fernliegend) und nicht zu selten geprüft.
c. Täterbezogenes Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe
Es könnte das subjektive Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe vorliegen.
Beweggründe sind niedrig, die nach allgemein sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und
die von hemmungsloser, triebhafter Eigensucht geprägt und deswegen verachtenswert sind.
A`s Eifersucht ist als normalpsychologischer Affekt nicht per se als ein niedriger Beweggrund
einzustufen. Vielmehr kommt es darauf an, ob sie ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruht.
Hier wollte A den B töten, um die F für sich alleine zu haben und sie quasi zu besitzen. Die
Anmeldung eines Besitzrechts an einer Person ist Ausdruck einer hem mungslosen Eigensucht,
sodass A aus einem niedrigen Beweggrund handelte.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 4 VON 23
2. Unmittelbares Ansetzen, § 22
Gem. § 22 setzt der Täter unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“
überschreitet und objektiv aus seiner Sicht keine weiter en wesentlichen Zwischenakte zur Deliktsverwirklichung nötig sind und damit das Rechtsgut gefährdet erscheint.
Anmerkung:
Das unmittelbare Ansetzen sollte auch in unproblematischen Fällen kurz definiert und § 22 zitiert
werden.
Zudem ist zu beachten, dass im unmittelbaren Ansetzen nur die Abgrenzung von strafloser Vorbereitungshandlung und Versuchsbeginn anhand der gängigen Theorien erfolgt. Insofern ist das
unmittelbare Ansetzen zwar auch ein objektiver Prüfungspunkt, Tatbestandsmerkmale sind hier
aber nicht zu prüfen! Diese arbeitet man im Tatentschluss ab.
A hat eine Kugel auf B abgefeuert und damit aus seiner Sicht die Schwelle zum Jetzt-geht’s-Los
überschritten und das Rechtsgut Leben des B unmittelbar gefährdet.
III.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.
IV.
Persönlicher Strafaufhebungsgrund Rücktritt § 24 I 1 Alt. 1
A könnte strafbefreiend zurückgetreten sein gem. § 24 I 1 Alt. 1, indem er keine weiteren Schüsse
auf B abgab.
Anmerkung:
Auch beim Rücktritt ist es ratsam, einen kompletten Obersatz zu bilden. Zu nennen ist das mögliche Rücktrittsverhalten (hier: Aufgeben der Tat) und § 24 genau zu zitieren.
1. Kein Fehlschlag
Der Versuch darf nicht fehlgeschlagen sein.
Ein subjektiv fehlgeschlagener Versuch liegt dann vor, wenn der Täter aus seiner Sicht die Tat
nicht mehr mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne zeitliche Zäsur vollenden zu
können glaubt.
Umstritten ist dabei jedoch der Tatbegriff.

Die Einzelaktstheorie versteht unter jedem vom Täter vor der Ausführung als für den Erfolg
hinreichend erachteten Akt eine Tat.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 5 VON 23
A hielt den ersten Schuss für erfolgsgeeignet. Aus seiner Sicht war dieser Tötungsversuch
subjektiv fehlgeschlagen, als er erkannte, dass B entgegen seiner ursprünglichen Annahme
nicht tödlich verletzt war. A könnte nicht mehr zurücktreten.

Nach ganz überwiegender Ansicht ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Die Tat ist ein
einheitliches, zusammengehöriges Geschehen, das von einem räumliche -zeitlichen Zusammenhang und einem verbindenden Vorsatz definiert wird. Maßgeblich ist dabei die Täterperspektive des Rücktrittshorizonts.
A erkannte seinen Irrtum in unmittelbarem räumlich -zeitlichen Zusammenhang und war mit
einem einheitlichen Tatentschluss zu weiteren Ausführungsakten sogar mit dem gleichen Tatmittel entschlossen. Mit einer Gesamtbetrachtung lag zum Zeitpunkt des möglichen Rücktrittsverhaltens kein Fehlschlag vor, da A glaubte, den Taterfolg mit einem weiteren Schuss herbeiführen zu können.

Streitentscheid: Die Einzelaktslehre ist abzulehnen, da sie natürliches Geschehen auseinanderreißt und die Rücktrittsmöglichkeiten zu Lasten des Opferschutzes stark verkürzen.
Anmerkung:
Fehlschlag ist bei § 24 (auch bei Abs. 2) immer der erste Prüfungspunkt und sollte definiert werden. Ausführungen zur Einzelaktslehre sind in der Regel nicht zwingend und sollten knapp formuliert werden. Ebenso ist eine Abgrenzung Rücktrittshorizont – Tatplanlehre meist nicht erforderlich, jedoch könnte man das Schlagwort „Rü cktrittshorizont“ kurz fallen lassen. Hier unterlag
der Täter aber einem Irrtum, so dass ein paar Ausführungen erforderlich waren.
Wichtig: Es kommt bei Versuch und Rücktritt auf die Tätersicht an. Das muss auch entsprechend
formuliert werden.
Der Fehlschlag muss sauber von den Begriffen „beendeter/unbeendeter Versuch“ abgegrenzt werden. Umformuliert lautet die Faustformel für den Fehlschlag „Ich kann nicht, selbst wenn ich
wollte“. Diese Formel entspricht der sog. Frank'schen Formel, die eine Mindermeinun g zur Beurteilung der Freiwilligkeit des Rücktrittsverhaltens heranzieht. Insofern ist diese Mindermeinung
auch nicht überzeugend, da bei einem „unfreiwilligen“ Rücktritt i.S.d. Frank'schen Formel nach
der herrschenden Gesamtbetrachtungslehre immer bereits ein subjektiver Fehlschlag gegeben ist.
Man könnte jedoch einen Fehlschlag annehmen, wenn man darauf abstellt, dass A im maßgeblichen Zeitpunkt sein außertatbestandliches Ziel, die F ganz für sich zurückzugewinnen, bereits
erreicht hatte und für ihn kein Anlass bestand, weiter zu handeln.

Nach alter Rspr. war ein Aufgeben der Tat i.S.d. § 24 nicht mehr möglich, wenn der Täter sein
Primärziel erreicht hatte. Das Herbeiführen des Erfolgs ist für den Täter sinnlos geworden.
Das erreichte Ziel, der Primärerfolg, steht so als Spiegelbild der erk annten Zielverfehlung
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 6 VON 23
gleich, der Versuch ist fehlgeschlagen. Die Strafwürdigkeit ergäbe sich aus dem Mangel einer
honorierbaren Verzichtsleistung.

Richtigerweise kann es auf die außertatbestandliche Zielerreichung nicht ankommen, da sich
der Begriff „Tat“ in § 24 allein auf den gesetzlichen Tatbestand bezieht und nicht auf außertatbestandliche Ziele. Nur hierauf muss sich auch der Tatentschluss des Täters beziehen. Aufgeben muss der Täter allein die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands.
Mit der Gegenansicht käme man auch zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des Täters
mit direktem Vorsatz gegenüber dem Täter mit Eventualvorsatz mit außertatbestandlicher Zielerreichung. V.a. auch der Aspekt des Opferschutzes gebietet dieses Ergebnis, der Täter muss
durch das Rücktrittsprivileg motiviert werden, von der Rechtsgutsverletzung Abstand zu nehmen. Der große Strafsenat hat sich dieser Meinung angeschlossen.
Der Versuch ist nicht fehlgeschlagen.
Anmerkung:
Das Problem „außertatbestandliche Zielerreic hung“, auch bekannt als „Denkzettel-Fälle“, wird
üblicherweise bei „beendeter Versuch“ und/oder „Freiwilligkeit“ eingeordnet und nicht beim
Fehlschlag. Das Problem wurde früher jedoch vom 2. Senat des BGH beim Fehlschlag verortet 1.
Der 2. Senat nahm in diesen Fällen einen fehlgeschlagenen Versuch und damit die Strafbarkeit
an. Am besten, man spricht das Problem auf allen drei Ebenen des Rücktritts an.
2. Unbeendeter Versuch § 24 I 1 Alt. 1
Der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter nach der letzten Ausführun gshandlung, Rücktrittshorizont, noch nicht alles Erforderliche getan zu haben glaubt, um den Erfolg herbeizuführen. Anzuknüpfen ist wieder an den tatbestandlichen Erfolg und nicht an außertatbestandliche Ziele.
Die letzte Ausführungshandlung war erste Schus s und A glaubte im Anschluss, dieser sei ausreichend, den Todeserfolg herbeizuführen. Es scheint also ein beendeter Versuch vorzuliegen.
Jedoch muss mit der Gesamtbetrachtungslehre auch die korrigierte Vorstellung des Täters abgestellt werden, wenn der Irrtum in unmittelbaren zeitlich-räumlichen Zusammenhang, sogenannte
Handlungseinheit, mit der letzten tatbestandlichen Ausführungshandlung berichtigt wird, sogenannter korrigierter Rücktrittshorizont. Das natürliche Geschehen darf nicht auseinandergerissen werden.
1
BGH NJW 1990, 522.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 7 VON 23
A korrigierte seine Fehlvorstellung zeitlich und räumlich unmittelbar nach dem Schuss, also innerhalb der Handlungseinheit. Aus seiner Sicht waren nach der Korrektur weitere Ausführungshandlungen notwendig, um den B zu töten. Es lag also ein unbee ndeter Versuch vor.
Anmerkung zum korrigierten Rücktrittshorizont:
Ein Problem mit hoher Examensrelevanz; der BGH hat hierüber in jüngster Zeit öfters geurteilt,
eine wichtige Entscheidung finden Sie bspw. aufbereitet in JuS 2014, 1041.
Erläuterungen sind im Fall natürlich nur dann zu machen, wenn der Täter einen Irrtum bzgl. der
Tauglichkeit seiner Ausführungshandlung korrigiert.
3. Aufgabe der Tat
Beim unbeendeten Versuch genügt das Aufgeben der Tat. Der Tatbegriff ist hierbei wieder unabhängig von außertatbestandlichen Zielsetzungen zu beurteilen, allein der gesetzliche Tatbestand
ist insoweit maßgeblich. A ließ bewusst davon ab, weiter auf B zu schießen und ihn zu töten.
Folglich gab er die Erfüllung des Tatbestandes auf.
4. Freiwilligkeit
Die Tat muss freiwillig aufgegeben worden sein, also aus autonomen und nicht aus heteronomen
Motiven heraus.
Zwar riefen erst die Bitten der F den Rücktrittsentschluss des A hervor, dieser Entschluss war
aber letztlich frei und nicht aus einer Zwangslage heraus.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass A sein außertatbestandliches Ziel erreichte und ein
Fortsetzen der Tat aus Sicht des A nicht sinnvoll war.
Die Lehre von der Verbrechervernunft ist abzulehnen, da die Forderung, unvernünftig handeln zu
müssen, zu weit geht und zu Lasten des Opferschutzes die Rücktrittsmöglichkeiten zu stark einengt.
Anmerkung:
Die Kriterien „autonom/heteronom“ haben sich auf Ebene der Freiwilligkeit durchgesetzt und
müssen nicht in Zweifel gezogen werden. Ist der Rücktritt Schwerpunkt u nd bringt die Lehre von
der Verbrechervernunft ein abweichendes Ergebnis, kann sie noch gebracht werden.
Auf jeder Ebene des Rücktritts kann der Aspekt „außertatbestandliche Zielerreichung/Denkzettel“
sinnvoll angesprochen werden.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 8 VON 23
5. Zwischenergebnis:
A ist strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten.
V.
Ergebnis
A hat sich nicht gem. §§ 211 I, II, 212 I, 22 strafbar gemacht.
B. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 1, Nr. 3, Nr. 5
Durch dieselbe Handlung könnte sich A gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 1, Nr. 3, Nr. 5 strafbar
gemacht haben.
I.
Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Grunddelikt § 223 I
Der Schuss stellt eine üble, unangemessene Behandlung dar, die als Folge das körperliche Wohlbefinden des B nicht unerheblich beeinträchtigt hat, körperliche Misshandlung.
Außerdem wurde B an seiner Gesundheit geschädigt, da er eine Wunde in der Schulter davon
trug, was einen pathologischen Zustand darstellt.
b. Qualifikation § 224 I
aa. § 224 I Nr. 2 Var. 1
Es könnte die Qualifikation § 224 I Nr. 2 Var. 1 erfüllt sein.
Eine Pistole ist eine Waffe im technischen Sinne, da er nach der Art seiner Anfertigung nicht nur
dazu geeignet, sondern allgemein dazu bestimmt ist, Menschen erhebliche Verletz ungen zu-zufügen. Die Körperverletzung wurde auch mittels der Pistole herbeigeführt, die Qualifikation ist erfüllt.
bb. § 224 I Nr. 3
Es könnte ein hinterlistiger Überfall gem. § 224 I Nr. 3 gegeben sein.
Ein Überfall ist ein plötzlicher, unerwarteter Angriff auf einen Ahnungslosen. B versah sich keines
Angriffs, dieser war auch plötzlich, ein Überfall liegt vor.
Hinterlistig ist der Überfall, wenn der Täter seine wahren Absichten planmäßig -berechnend verdeckt, um dem Angegriffenen die Abwehr zu erschwere n.
Hier wirkte der Täter in keiner Weise auf sein Opfer täuschend ein, er lockte es auch nicht in
einen Hinterhalt, das bloße Ausnutzen einer günstigen Situation ist nicht hinterlistig.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 9 VON 23
cc. § 224 I Nr. 5
Der Schuss könnte eine lebensgefährliche Behandlung darstellen.
Zu fordern ist eine Lebensgefahr, strittig ist allerdings deren Grad.

Eine Meinung fordert den Eintritt einer konkreten Lebensgefahr, also einen Grad der Gefährdung, bei der es nur noch vom Zufall abhängt, ob sich der Schaden realisiert oder nicht. Die
Beurteilung findet aus ex post Sicht statt, wobei der tatsächlich eingetretene Verletzungserfolg
berücksichtigt wird.
B erlitt keine lebensgefährlichen Verletzungen, A wäre also insoweit straflos.

Die h.M. lässt eine Behandlung genügen, die aus ex-ante-Sicht den konkreten Umständen nach
abstrakt geeignet ist, den Todeserfolg herbeizuführen.
Ein gezielter Schuss auf den Körper aus kurzer Distanz birgt für das Opfer die Gefahr zu verbluten. Ein tödlicher Ausgang war zwar nicht überwiegend aber jedoch hinreichend wahrscheinlich. A wäre also nach dieser Auffassung gem. § 224 I Nr. 5 strafbar.

Die Meinungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, ein Streitentscheid ist daher er forderlich:
o
Gegen die Forderung einer konkreten Lebensgefahr spricht die systematische Erwägung,
dass sich der Qualifikationstatbestand § 224 I Nr. 5 mit dieser Auslegung zu stark an §§
212 I, 22 annähern und sich vom Unrechtsgehalt der anderen Varianten Nr. 1 - 4 entfernen
würde.
o
Zudem bezieht sich die erforderliche Lebensgefährlichkeit auch nach dem Wortlaut nur auf
die Behandlung, also die Tathandlung unter den konkreten Umständen des Einzelfalles,
nicht hingegen auf den Verletzungserfolg an sich. Der h.M. ist daher zu folge n. § 224 I Nr.
5 ist erfüllt.
2. Subjektiver Tatbestand
A handelte sowohl bzgl. des Grunddelikts § 223 I als auch hinsicht lich der Qualifikationen nach
§ 224 I Nr. 2 und Nr. 5 vorsätzlich, insbesondere beabsichtigte er sogar die Lebensgefährlichkeit
der Handlung.
II.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben.
Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt kommt nicht in Betracht.
III.
Ergebnis
A hat sich gem. §§ 223 I, 224 I strafbar gemacht.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 10 VON 23
C. § 240 I
A hat sich dadurch, dass er F dazu brachte, das Geschehen mitanzusehen, nicht gem. § 240 I
strafbar gemacht, da er ihr gegenüber keine Gewalt oder Drohung einsetzte.
D. § 123 (-)
A hat sich nicht durch das Betreten des Lokals gem. § 123 I strafbar gemacht. A war der Zutritt
erlaubt, es liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Inhabers vor, da A´s deliktische Absichten nicht erkennbar waren.
E. Gesamtergebnis:
A ist strafbar gem. § 224 I Nr. 2 Alt. 1, 5.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 11 VON 23
Fall 2 (Abwandlung von Fall 1):
Strafbarkeit des A
A. §§ 212 I, 211 I, II 1. Gr. Var. 4, 2. Gr. Var. 1, 22
Bis zum Rücktritt wie Fall 1
(...)
IV. Strafbefreiender Rücktritt gem. § 24
A könnte strafbefreiend zurückgetreten sein gem. § 24, indem er nicht mehr auf B schoss.
Fraglich ist, ob A hier als Einzeltäter zu behandeln ist und damit § 24 I zur Anwendung kommt
oder ob angesichts der Mitwirkung des X nach § 24 II vorzugehen ist.
X als in Betracht kommender Anstifter wäre Beteiligter gem. § 28 II. An der Tat wären damit
mehrere beteiligt und hinsichtlich A wäre an sich § 24 II anzuwenden.
Beim Rücktritt muss es jedoch darauf ankommen, wer das Tatgeschehen in den Händen hält,
Tatherrschaft. Nach h.M. ist also Einzeltäter i.S.v. § 24 I derjenige, der als Zentralgestalt die
Tatbestandsverwirklichung in den Händen hält. Dies ist hinsichtlich des Ges chehens im Lokal
allein der A, X hat keinerlei Einfluss . Die Teilnahmeform des X kann also offen bleiben. § 24 I ist
anwendbar.
Anmerkung:
Der Rest läuft hinsichtlich A wie bei Fall 1.
Bei § 224 I kann noch Nr. 4 angeprüft und schnell abgelehnt werden, da X nicht am Tatort war.
Sind mehrere an der Tat beteiligt, stellt sich das Aufbauproblem § 24 II. Man beginnt die Prüfung
grundsätzlich mit dem Tatnächsten, hier A, und hat die Beteiligungsform des X naturgemäß noch
nicht klären können. Folgt man wie h ier der h.M., ist das Problem schnell erledigt, Stichwort
„Tatherrschaft“: § 24 I ist entsprechend anwendbar. Dies gilt nur, soweit Teilnehmer (Anstifter
und Gehilfen) beteiligt sind.
Mittäterschaft: Komplizierter wird es bei der Mittäterschaft. Hier soll te man sicherheitshalber
immer mit § 24 II arbeiten, auch wenn letztlich nur noch ein Mittäter Tatherrschaft innehat, weil
z.B. der andere Mittäter schon geflohen ist. Man kann aber auch obiges Kriterium „Tatherrschaft“
konsequent anwenden und den übrig gebliebenen Mittäter dann als Einzeltäter ansehen, § 24 I.
Man geht also beim Mittäter nach § 24 II vor. Die Mittäterschaft sollte jedenfalls bereits vor dem
Rücktritt geprüft sein (objektiver Tatbestand, § 25 II), um Inzidentprüfungen zu vermeiden.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 12 VON 23
Hilfsweise kann man die Beteiligungsform des noch nicht geprüften Mittäters offen lassen, sowohl
§ 24 I als auch § 24 II durchprüfen und feststellen, dass die Ergebnisse identisch sind.
Der Rücktritt ist für jeden Mittäter zwingend gesondert zu prüfen, da es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund handelt. Dies schließt nicht aus, dass man mit einer gemeinsamen
Prüfung der Mittäter gem. § 25 II beginnt und beim Rücktritt sauber bereits in der Überschrift
nach den Mittätern aufteilt.
Strafbarkeit des X
A. §§ 212 I, 211 I, II 1. Gr. Var. 4, 22, 26
X könnte sich dadurch, dass er dem A vorschlug, den B zu erschlagen gem. §§ 212 I, 211 I, II 1.
Gr. Var. 4, 2. Gr. Var. 1, 22, 26 strafbar gemacht haben.
Anmerkung:
Unterscheiden Sie „versuchte Anstiftung = §§ …, 30 I“ und „Anstiftung zum Versuch = §§ …,22,
26“:
Bei der versuchten Anstiftung gem. § 30 I wird beim Haupttäter kein Tatentschluss hervorgerufen
oder seine Bemühungen erreichen das Versuchsstadium nicht und bleiben in der Vorbereitung
stecken. Es fehlt dann die teilnahmefähige Haupttat. Die versuchte Anstiftung wird im Versuchsaufbau geprüft (Vorprüfung, Tatentschluss etc.), sie ist grundsätzlich nur strafbar einer versuchten Anstiftung zu einem Verbrechen!!
Die Anstiftung zum Versuch §§…, 22, 26 is t dagegen eine vollendete Anstiftung (Tatentschluss
des Haupttäters wurde hervorgerufen) und unterscheidet sich nicht von der vollendeten Anstiftung zum vollendeten Delikt (objektiver und subjektiver Tatbestand). Man fordert nur, dass sich
der Anstifter vorstellte, dass die Haupttat vollendet wird. Ob dies klappt, spielt für die Anstiftung
keine Rolle.
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a. Teilnahmefähige Haupttat
Der Mordversuch des A ist eine vorsätzliche, rechtswi drige und damit teilnahmefähige Haupttat.
Die Tat muss nicht vollendet sein, der Versuch eines Deliktes ist eine Tat.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 13 VON 23
Der persönliche Strafaufhebungsgrund des Rücktritts ändert nichts daran, dass eine teilnahmefähige, da vorsätzlich und rechtswidrig begangene, Haupttat vorliegt, limiti erte Akzessorietät.
Anmerkung:
Beliebter Fehler, hier keine teilnahmefähige Haupttat anzunehmen. Das gibt massive Punktabzüge
und es gehen viele Folgepunkte verloren!
b. Bestimmen
X hat mit seiner Aussage „Es kann nur einen geben, Dich oder ihn! Schlag ihn tot!“ den A zur Tat
bewogen und damit dessen Tatentschluss hervorgerufen. X hat A zur Tat bestimmt.
2. Subjektiver Tatbestand
X müsste sog. doppelten Anstiftervorsatz gehabt haben.
Anmerkung:
Das Schlagwort sollte immer fallen.
a. Vorsatz hinsichtlich der Haupttat
X hat mit Wissen und Wollen hinsichtlich der Vollendung des Totschlags durch A gehandelt. Die
Fehlvorstellung, B solle erschlagen und nicht erschossen werden, stellt einen für § 212 I unbeachtlichen Irrtum über den Kausalverlauf dar.
X wusste auch um die Verwirklichung des Merkmals der niedrigen Beweggründe durch A.
Anmerkung:
Der Vorsatz des Anstifters bzgl. der Haupttat muss sich auch auf die Mordmerkmale des Haupttäters beziehen. Das sollte in der Klausur auch so formuliert werden. Fehlt ein diesbezüglicher
Vorsatz, so greift § 16 I und der Anstifter ist zunächst nur wegen §§ 212 I, (22,23 I) 26 strafbar.
Erfüllt der Teilnehmer jedoch in eigener Person täterbezogene Mordmerkmale, so werden ihm
diese im Prüfungspunkt „Tatbestandsverschiebung gem. § 28 II“ unabhängig vom Haupttäter hinzugerechnet, sodass man wieder zu §§ 212 I, 211 I, II, (22,) 26, 28 II kommen kann.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 14 VON 23
Hinsichtlich des Vorsatzes, v.a. hinsichtlich der Heimtücke, muss dem Anstifter die Tat in wesentlichen Grundzügen ohne Einzelheiten bekannt sein. Der Anstifter überlässt die Ausführung bewusst dem Täter und gesteht ihm damit einen großen Spielraum hinsichtlich Zeit, Ort, Modalitäten
zu. Hier ist vieles streitig, z.B., ob das Mordopfer individualisiert sein muss.
b. Vorsatz hinsichtlich des Bestimmens
X war sich auch bewusst, den A zur Tat zu bestimmen und wollte dies auch.
3. Tatbestandsverschiebung gem. § 28 II
Da X nicht aus niedrigen Beweggründen heraus handelte, könnte es zu einer Tatbestandsverschiebung zu Gunsten des Teilnehmers X gem. § 28 II kommen, mit der Rechtsfolge, dass X nur wegen
Anstiftung zum Totschlag zu bestrafen wäre.
Aufbau:
Da die Rechtsfolge nach h.L. eine Verschiebung des Tatbestands ist, sollte § 28 II auch im Tatbestand abgehandelt werden, am besten nach dem subjektiven Tatbestand als eigener Prüfungspunkt.
Das Problem § 28 II muss auch erörtert werden, wenn der Vorsatz des Teilnehmers hinsichtlich
eines tatbezogenen Mordmerkmals wie Heimtücke bejaht wurde. Dann steht zwar nach allen Meinungen fest, dass der Teilnehmer wegen Anstiftung zum (versuchten) Mord gem. §§ 212 I, 211 I,
II, (22,) 26 zu bestrafen ist (Akzessorietät), da bei tatbezogenen Mordmerkmalen die Akzessorietät
nicht gem. § 28 gelockert werden kann und Vorsatz ausreicht. Das bedeutet aber nicht, dass man
täterbezogene Mordmerkmale nicht mehr zu untersuchen hätte: Gutachten. Man muss also prüfen,
ob man subjektive Mordmerkmale des Haupttäters streicht und/oder eigene subjektive Mordmerkmale des Teilnehmers hinzurechnen muss. Beim Haupttät er prüft man ja auch noch subjektive
Mordmerkmale, wenn man bereits ein objektives Mordmerkmalwie Heimtücke festgestellt hat.
a. Anwendungsbereich des § 28
Dazu ist zunächst erforderlich, dass der Anwendungsbereich des § 28 eröffnet ist. Dies ist dann
der Fall, wenn es sich bei dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe um ein besonderes
persönliches Merkmal i.S.v. § 28 handelt. Es besteht weitgehende Einigkeit, dass es sich bei
Mordmerkmalen der ersten Gruppe um täterbezogene Merkmale und um besondere persönli che
Merkmale handelt. Der Anwendungsbereich von § 28 ist eröffnet.
Anmerkung:
Subjektive Mordmerkmale sind die bekanntesten Beispiele für besondere persönliche Merkmale,
aber nicht die einzigen klausurrelevanten. Das Problem Akzessorietätslockerung gem. § 28 stellt
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 15 VON 23
sich auch bei der Untreue gem. § 266 (Vermögensbetreuungspflicht = persönliche Vertrauensstellung), veruntreuenden Unterschlagung gem. § 246 II, echten (dann § 28 I) und unechten (dann
§ 28 II) Amtsdelikten (Amtsstellung = bes. pers. Merkmal). N ach h.M. sind von § 28 erfasst auch
die Mitleidsmotivation bei § 216 I (z.B. Gehilfe wird nicht vom Verlangen des Opfers motiviert:
§§ 212, 26, 28 II) und die Rücksichtslosigkeit bei § 315c I Nr. 2.
Die Gleichstellung „besonderes, persönliches Merkmal = t äterbezogenes Merkmal“ ist anerkannt.
Abgegrenzt werden die Begriffe täterbezogen und tatbezogen. Die Kriterien und Ergebnisse sind
umstritten. Es geht im Kern um Höchstpersönlichkeit vs Rechtsgutsverletzung.
Umstritten (beides gleichermaßen vertretbar) sind v.a. Bandenmitgliedschaft, Gewerbsmäßigkeit
und Garantenstellung.
Nach ganz h.M. keine bes. pers. Merkmale sind Zueignungs- und Bereicherungsabsicht bei den
§§ 242, 253, 259, 263. Sie sind tatbezogen und nicht höchstpersönlich. Es wurde vom Gesetzgebe r
nur auf die Voraussetzung verzichtet, dass der angestrebte Erfolg auch tatsächlich eintritt.
b. Anwendung von § 28 I oder § 28 II
Ob § 28 II oder § 28 I zur Anwendung kommt, richtet sich danach, ob subjektive Mordmerkmale
als strafbegründende, dann § 28 I, oder als strafschärfende Merkmale, dann § 28 II, anzusehen
sind.
Dies hängt davon ab, ob die § 211 und § 212 als selbstständige Tatbestände oder im Verhältnis
von Grundtatbestand und Qualifikation verstanden werden müssen. Im ersten Fall begründet die
Verwirklichung eines Mordmerkmals die Strafe des § 211, im zweiten schärft sie die Strafe des
§ 212.
Die Einordnung ist umstritten.
Anmerkung:
Es kommt jetzt auf den Streit „§ 211 = Sondertatbestand oder Qualifikation?“ an. Zu diesem Streit
muss jedoch sauber hingeführt werden, damit überhaupt klar wird, warum er bei einer Anstiftung
zum Mordversuch genau an diesem Prüfungsort relevant wird. Viele Bearbeiter steigen in diesen
Streit einfach „ohne Vorwarnung“ ein oder schieben den Streit irgendwann später nach.
Wichtig:
Das Problem der Anwendung von § 28 stellt sich bei § 211 nur bei subjektiven Mordmerkmalen.
Objektive Mordmerkmale wie Heimtücke sind tatbezogen und keine persön lichen Merkmale i.S.v.
§§ 28. Eine dahingehende Erörterung wäre ein schwerer Fehler. Es handelt sich um ein reines
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 16 VON 23
Vorsatzproblem § 16 I. Man kann allenfalls klarstellen, das objektive Mordmerkmale nicht unter
§ 28 fallen.

Rechtsprechung: § 211 und § 212 sind zwei selbstständige, voneinander unabhängige Sondertatbestände, die in einem Exklusivitätsverhältnis stehen. Damit sind subjektive Mordmerkmale für § 211 strafbegründend, § 28 I ist anwendbar.
Der Fall wäre auf Strafzumessungsebene zu lösen, die Strafe nach §§ 211, 22, 26 wäre gem.
§§ 28 I, 49 I zu mildern.
Begründung der Rspr.:

o
Systematik. § 211 vor § 212
o
Wortlaut: „Ohne Mörder zu sein“
o
auch § 249 I umfasst § 242 I vollständig, bildet aber dennoch einen selbstständigen Tatbestand
herrschende Lehre: § 211 ist Qualifikation von § 212. Mordmerkmale sind damit strafschärfend. Folglich ist § 28 II anwendbar. Es kommt zu einer Tatbestandsverschiebung.
Begründung der Lehre:
o
§ 212 ist voll in § 211 enthalten
o
Hinzutreten von Mordmerkmalen ist der klassische Fall der Qualifikation
o
Gesetzessystematik lässt sich mit überragender Strafandrohung erklären
o
Subjektive Mordmerkmale des Anstifters können auch dann strafschärfend berücksichtigt werden,
wenn der Haupttäter selbst nur einen Totschlag verwirklicht

Streitentscheid: Die h.L. überzeugt dogmatisch hinsichtlich des Verständnisses der Qualifikation, vermeidet unbillige Ergebnisse der Milderung, § 49 I und ermöglicht auch das Hinzurechnen eigener subjektiver Mordmerkmale des Teilnehmers. Dieser Ansicht ist daher zu folgen.
Anmerkung:
Es ist generell in Klausuren unüblich und nicht ratsam, der Rspr. hinsichtlich der Einordnung von
§ 211 zu folgen. Inkonsequent wäre es, §§ 212 I, 211 I, II (= h.L.) zu zitieren und dann der Rspr.
(§ 211 als Sondertatbestand) zu folgen.
4. Zwischenergebnis:
Hinsichtlich der Strafbarkeit wegen Anstiftung zum Mord kommt es zu einer Akzessorietätslockerung gem. § 28 II, es ist nur der Tatbestand von §§ 212 I, 22, 26 I gegeben. Eigene subjektive
Mordmerkmale hat X außerdem nicht erfüllt.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
II.
III.
SEITE 17 VON 23
Rechtswidrigkeit und Schuld (+)
Rücktritt
Der Rücktritt des A als persönlicher Strafaufhebungsgrund wirkt sich für X nicht aus.
IV.
Ergebnis:
Strafbarkeit des X gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 26 (+)
B. §§ 223 I, 224 I, 26
X könnte sich durch dieselbe Handlung gem. §§ 223 I, 224 I, 26 strafbar gemacht haben.
I.
Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Teilnahmefähige Haupttat
Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat ist die von A begangene gefährliche Körperverletzung gem.
§ 224 I Nr. 2 Alt. 1, 5 des A.
b. Bestimmen
Die Aufforderung des X „Es kann nur einen geben, Dich oder ihn! Schlag ihn tot!“ ist auch eine
Aufforderung zur Begehung einer gefährlichen Körperverletzung als Durchgangsstadium zur Tötung. Insofern hat X auch den Tatentschluss des A hierzu hervorgerufen, den A also bestimmt.
2. Subjektiver Tatbestand
Der Vorsatz müsste sich auf die Verwirklichun g der Haupttat durch A beziehen wie auch auf das
Bestimmen zur Tat (sog. doppelter Anstiftervorsatz):

Bezüglich des Grunddelikts ist im Vorsatz, der auf die Begehung eines Totschlags gerichtet
ist, auch notwendigerweise die Körperverletzung mit enthalten, Einheitstheorie. Dieser Ansatz
greift auch für die Qualifikation der lebensgefährdenden Behandlung, § 224 I Nr. 5. Die von
X´s Vorstellung Schlagen abweichende Begehung durch A Schießen stellt insow eit einen unbeachtlichen Irrtum über den Kausalverlauf dar.
Bzgl. der Begehung der Tat mittels einer Waffe handelte X vorsatzlos § 16 I 1, er stellte sich
eine Körperverletzung mittels Fäusten vor.

X wollte A auch zur Tat bestimmen.
X handelte vorsätzlich.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
II.
SEITE 18 VON 23
Rechtswidrigkeit und Schuld
X handelte rechtswidrig und schuldhaft.
III.
Strafmilderung gem. § 28 I
Eine Strafmilderung gem. §§ 28 I, 49 I kommt nicht in Betracht, da der Anwendungsbereich des
§ 28 I nicht eröffnet ist (s.o.).
IV.
Ergebnis
X hat sich gem. §§ 223 I, 224 I, 26 strafbar gemacht.
C. Gesamtergebnis X:
Strafbarkeit gem. §§ 212, 22, 23 I, 26; 52; 224 I, 26.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 19 VON 23
Fall 3 (zur eigenständigen Bearbeitung)
Strafbarkeit des A
§§ 212 I, 211 I, II 1. Gr. Var. 3 (Habgier) (+)
Anmerkung:
Die Lösung prüft die Strafbarkeit des A nicht ausführlich, da der Schwerpunkt hier auf der Strafbarkeit des B liegt. In der Klausur hätten Sie einerseits im Sachverhalt mehr Angaben zu A und
müssten dann natürlich die Strafbarkeit ausführlich prüfen.
Strafbarkeit des B
A. §§ 212 I, 211 I, II 1. Gr. Var. 3, 3. Gr. Alt. 2, 27, 28 II
Durch Überlassen der Tatwaffe könnte sich B einer Beihilfe zum Mord gem. §§ 212 I, 211 I, II 1.
Gr. Var. 3, 3. Gr. Alt. 2, 27, 28 II schuldig gemacht haben.
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a. Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat
Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat ist der durch A begangene Mord aus Habgier.
b. Hilfeleisten
Zu dieser Haupttat müsste B Hilfe geleistet haben.
Hilfe leistet, wer die Haupttat ermöglicht oder erleichtert oder die vom Täter begangene Rechtsgutsverletzung verstärkt.
B hat dem A die Tatwaffe zur Verfügung gestellt, ihm somit die Begehung erleichtert und damit
Hilfe geleistet.
2. Subjektiver Tatbestand
B müsste auch mit doppeltem Gehilfenvorsatz gehandelt haben.
B wusste und wollte, dass A den M aus Habgier getötet hat. Er hat ihm zu dieser Tötung wissentlich und willentlich Beihilfe geleistet, indem er ihm die Tatwaffe überließ.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 20 VON 23
3. Tatbestandsverschiebung gem. § 28 II
Es könnte zu einer Tatbestandsverschiebung gem. § 28 II kom men, mit der Folge, dass dem B das
subjektive Mordmerkmal der Habgier des A nicht zuzurechnen ist. Auf der anderen Seite könnte
B eigene Mordmerkmale verwirklicht haben.
a. Anwendbarkeit von § 28
aa. Habgier als Merkmal der ersten Gruppe stellt ein täterbezo genes Mordmerkmal und damit ein
besonderes, persönliches Merkmal i.S.v. § 14 dar. Dieses Mordmerkmal hat B in seiner Person
nicht verwirklicht, sodass der Anwendungsbereich des § 28 eröffnet ist.
bb. Möglicherweise hat B auch in seiner Person ein täterbez ogenes Mordmerkmal verwirklicht.
In Betracht kommt das Merkmal der Verdeckungsabsicht.
Mit Verdeckungsabsicht handelt, wem es darauf ankommt, durch die Tötung die Aufdeckung der
Vortat oder die Aufdeckung einer Täterschaft zu verbergen. Die andere Straftat kann die des Täters oder eines Dritten sein.
B kam es darauf an, dass durch die Tötung M als einzigen Zeuge einer von seinem Schwager S
begangenen Straftat beseitigt wird. Er wollte damit die Aufdeckung der Täterschaft eines anderen,
des S, verhindern. B handelte also mit Verdeckungsabsicht.
Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht charakterisiert einen besonderen Umstand in der Person des B, auf Grund derer er die Tat begeht. Es handelt sich dabei also um ein täterbezogenes
Mordmerkmal. Auch bezüglich des in der Person des B verwirklichten Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht ist der Anwendungsbereich des § 28 eröffnet.
b. Anwendbarkeit von § 28 II
Fraglich ist, ob es sich bei den täterbezogenen Mordmerkmalen um strafbegründende oder strafschärfende Merkmale handelt.

Die Rspr. ordnet täterbezogene Mordmerkmale als strafbe gründend ein und wendet daher § 28
I an (s.o.). Auf Ebene der Strafzumessung wäre hiernach festzustellen, dass das für den Haupttäter A strafbegründende, täterbezogene Mordmerkmal der Habgier in der Person des Anstifters B fehlt, da dieser selbst nicht habgierig handelte. Folglich wäre die Strafe für B an sich
gem. §§ 28 I, 49 I zu mildern.
Die Verwirklichung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht in der Person des B kann nach
dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät und dem Wortlaut von § 28 I nicht berücksichtigt
werden. Täterbezogene Mordmerkmale, die allein der Teilneh mer verwirklicht, können nach
§ 28 I nicht hinzugerechnet werden.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
SEITE 21 VON 23
Dieses Ergebnis kann jedoch nicht befriedigen angesichts der Tatsache, dass B mit der Verdeckungsabsicht ein anderes, in seiner Verwerflichkeit mit der Habgier vergleichbares Mordmerkmal verwirklicht hat. Der zufällige Umstand, dass der Anstifter ein anderes und nicht das
mit dem Haupttäter identische, täterbezogene Mordmerkmal erfüllt, sollte zu keiner Strafmilderung führen.
Daher wird dem Teilnehmer nach Ansicht der Rspr. die Strafmilderung des § 28 I versagt,
wenn er zwar nicht das subjektive Mordmerkmal des Täters in eigener Person verwirklicht,
jedoch ein anderes, sogenannte „gekreuzte Mordmerkmale“.

Mit der überzeugenden ((s.o.)) h.L. sind die Mordmerkmale als strafschärfend einzuordnen.
Folglich ist § 28 II anzuwenden, das Problem der gekreuzten Mordmerkmale stellt sich mit der
h.L. nicht, jeder Beteiligte wird gem. § 28 II nur hinsichtlich der in eigener Person verwirklichten Mordmerkmale bestraft.
Anmerkung:
Liegen gekreuzte Mordmerkmale vor, so sollte die Lösung der Rspr. auch zu Ende durchgespielt
und nicht zu früh als dogmatisch schwach abge lehnt werden. Sonst kommt man nicht zum Begriff
„gekreuzte Mordmerkmale“, der nur bei der Meinung der Rspr. relevant wird. Diesen Begriff will
der Korrektor aber sehen.
Natürlich nur, wenn auch wirklich gekreuzte Mordmerkmale vorliegen, also Täter und Tei lnehmer
unterschiedliche subjektive Mordmerkmale verwirklichen. In Fall 2 liegen keine gekreuzten Mordmerkmale vor.
Es sollte auch zum Ausdruck kommen, dass die Rspr. das Problem auf Strafzumessungsebene und
nicht auf Tatbestandsebene löst.
Kommt das Problem § 28 in der Klausur zum ersten Mal, so sollte der Meinungsstreit ausführlich
wie in Fall 2 dargestellt werden.
Gem. § 28 II kommt es also zu einer Tatbestandsverschiebung:
Das Mordmerkmal der Habgier ist dem B nicht zuzurechnen gem. § 28 II.
In seiner Person verwirklicht er jedoch das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht, was ihm zuzurechnen ist gem. § 28 II.
B hat folglich den Tatbestand des §§ 212 I, 211 I, II 3. Gr. Var. 2, 27, 28 II verwirklicht.
II.
Rechtswidrigkeit und Schuld
B handelte rechtswidrig und schuldhaft.
III.
Strafzumessung
Auch wenn die Rspr. § 28 I anwendet, kommt es zu keiner Strafmilderung, da ein Fall sog. gekreuzter Mordmerkmale vorliegt (s.o.).
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
IV.
SEITE 22 VON 23
Ergebnis:
B hat sich gem. §§ 212 I, 211 I, II 3. Gr. Var. 2, 27, 28 II strafbar gemacht.
Abwandlung:
Strafbarkeit des A
wie Ausgangsfall
Strafbarkeit des B
§§ 212 I, 211 I, II, 1. Gr. Var. 3, 3. Gr. Alt. 2, 27, 28 II
I.
Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
wie Ausgangsfall
2. Subjektiver Tatbestand
Vorsatz bzgl. Haupttat: nur hinsichtlich Tötung des M durch A (+), aber kein Wissen um Mordmerkmal Habgier. Also Tatbestandsirrtum, § 16 I.
Konsequenz:

Nach Ansicht Rspr.: keine Bestrafung wegen Beihilfe zum Mord mangels Vorsatz hinsichtlich
des Mordmerkmals möglich; keine Berücksichtigung eines evtl. bei B vorliegenden eigenen
Mordmerkmals möglich, da nur Anwendung von § 28 I. Es bleibt nur Beihilfe zum Totschlag.

Nach Ansicht h.L.: Mit der h.L. wird die Prüfung als Prüfung der Beihilfe zum Grunddelikt
des Totschlags gem. §§ 212 I, 27 fortgesetzt.
3. Tatbestandsverschiebung gem. § 28 II

H.L: wie Ausgangsfall: Verdeckungsabsicht des B = täterbezogenes Mordmerkmal = § 14, also
§ 28 II (+).
 Tatbestandsverschiebung gem. § 28 II von §§ 212 I, 27 hin zu §§ 212 I, 211 I, II 3. Gr. Alt.2,
27, 28 II, Beihilfe zum Mord.
LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN

SEITE 23 VON 23
Rspr.: Zum Problem der gekreuzten Mordmerkmale kommt man bei §§ 212 I, 27 nicht. Zwar
hat der Haupttäter ein Mordmerkmal verwirklicht, dem Teilnehmer fehlt aber der diesbezügliche Vorsatz, Akzessorietät. Man prüft ja bereits nur noch §§ 212, 27.
Eine Berücksichtigung des Mordmerkmals Verdeckungsabsicht ist über § 28 I nicht möglich,
da bei § 28 I nur das Fehlen von persönlichen Merkmalen erfasst ist, nicht das Hinzutreten. B
wäre also gem. §§ 212 I, 27 zu bestrafen, die Verdeckungsabsicht könnte nur als allgemeiner
Strafzumessungsaspekt gewürdigt werden.

II.
Streitentscheid zwischen h.L. und Rspr. mit Argumentation ist notwendig.
Rechtswidrigkeit und Schuld
B handelte rechtswidrig und schuldhaft.
III.
Ergebnis
Wie Ausgangsfall: B hat sich gem. §§ 212 I, 211 I, II 3. Gr. Alt. 2, 27, 28 II strafbar gemacht.
Anregungen bitte an: [email protected]