Übung im Strafrecht für Anfänger 2. Klausur: 26.06.2015 T befindet

Juristische
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Übung im Strafrecht
für Anfänger
Prof. Dr. Frank Saliger
Lehrstuhl für Strafrecht,
Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie
2. Klausur: 26.06.2015
T befindet sich in einer – aus seiner Sicht – prekären finanziellen Lage. Um sein bisheriges
Luxusleben noch steigern zu können, ohne seine Villa verkaufen zu müssen, will T an das
Erbe seines Onkels O kommen, dessen testamentarischer Alleinerbe er ist. Er bittet daher
seine Cousine Z, den O zu erschießen. Z hat zwar keinerlei eigenes Interesse am Tod des O
und weiß auch nicht, warum der T den O tot sehen will. Sie möchte T aber einen Gefallen tun,
weil sie schon immer zu ihm aufgeschaut hat. Z tritt dem O vor der Einfahrt zu dessen Haus
mit einer Pistole entgegen. Obwohl O die Schusswaffe sieht und von einem Raubüberfall
ausgeht – er ist sich dabei der Möglichkeit seiner Verletzung durchaus bewusst – tritt er der Z
entgegen, weil er eine Flucht als Zeichen unerträglicher Feigheit angesehen hätte. Z ist es so
ein Leichtes, den O mit einem gezielten Schuss in die Stirn zu erschießen.
Im Anschluss setzt Z sich in ihren VW Polo und fährt davon. Weil die ganze Angelegenheit für
sie sehr aufregend gewesen ist, drückt sie tief aufs Gaspedal und rast mit 150 km/h über die
Landstraße. Dadurch kann sie nicht mehr rechtzeitig reagieren, als vor ihr die Ampel an einer
Ortseinfahrt auf Rot springt, und überfährt diese rote Ampel. Erschrocken bremst sie auf 45
km/h runter und fährt mit dieser Geschwindigkeit weiter in Richtung Ortsausgang. Dort erfasst
sie den Fußgänger F, der in Gedanken versunken und ohne auf den Verkehr zu achten auf
die Fahrbahn getreten ist. Wäre Z nicht so schnell gefahren und hätte sie die rote Ampel nicht
überfahren, wäre sie erst einige Minuten später am Ortsausgang angekommen, so dass F die
Straße schon überquert hätte und nicht angefahren worden wäre.
Als sie anhält, sieht Z, dass es sich bei dem bewusstlosen F nicht um einen beliebigen Fremden handelt, sondern um ihren Ehemann. Sie erkennt, dass F lebensgefährlich verletzt ist und
sieht die Gelegenheit gekommen, nie wieder von Fs lautem Schnarchen beim Schlafen gestört zu werden. Da sie so langsam gefahren war, ist Z ohnehin der Ansicht, dass F nun wirklich selbst schuld an seiner Misere ist. Sie fährt weiter. F stirbt wenige Zeit später an seinen
Verletzungen. Z war sich sicher, dass F in ein Krankenhaus gebracht und gerettet worden
wäre, wenn sie mit ihrem Handy einen Notarzt verständigt hätte. Der Sachverständige stellt
allerdings fest, dass F nicht mehr hätte gerettet werden können.
Wie haben sich T und Z nach dem StGB strafbar gemacht? §§ 223 ff., 142 und die
Mordmerkmale der Verdeckungsabsicht und der sonstigen niedrigen Beweggründe
sind nicht zu prüfen.
§ 3 StVO
(3) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt
auch unter günstigsten Umständen
1. innerhalb geschlossener Ortschaften für alle
Kraftfahrzeuge, 50 km/h
2. außerhalb geschlossener Ortschaften
[…]
c) für Personenkraftwagen sowie für andere
Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 3,5 t, 100 km/h.
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§ 37 StVO
(2) Wechsellichtzeichen haben die Farbfolge
Grün – Gelb – Rot – Rot und Gelb (gleichzeitig)
– Grün. Rot ist oben, Gelb in der Mitte und Grün
unten.
1. An Kreuzungen bedeuten: […]
Rot ordnet an: „Halt vor der Kreuzung“. […]
2. An anderen Straßenstellen, wie an Einmündungen und an Markierungen für den Fußgängerverkehr, haben die Lichtzeichen entsprechende Bedeutung.
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Lösungsskizze
Korrekturhinweis: Die vorliegende Klausur weist einen mittleren bis hohen Schwierigkeitsgrad auf und stellt auch angesichts der Länge eine Herausforderung für die Teilnehmer der
Anfängerübung dar. Dies soll bei der Bewertung berücksichtigt werden. Die Klausur weist drei
Problemschwerpunkte auf: Akzessorietätslockerung gem. § 28 II, Fahrlässigkeit und Unterlassungsdelikte. Der erste Tatkomplex ist den Bearbeitern in einer Variante aus der Übung bekannt und dürfte insofern gut zugänglich sein. Trotzdem sind die Schwierigkeiten in Aufbau
und Stil zu diesem Ausbildungsstand nicht zu unterschätzen. Die Prüfung der fahrlässigen
Tötung knüpft an einen Fall aus der Fallbesprechung im ersten Semester an. Die Prüfung des
(versuchten) Unterlassens ist hauptsächlich Subsumtion, wichtig ist hier die saubere Bearbeitung. Zudem war zu erkennen, dass eine Versuchsprüfung auch dann in Betracht kommen
kann, wenn der Erfolg eingetreten ist.
1. Tatkomplex: Der Tod des O
A.
Strafbarkeit de r Z gem. § 212 I StGB 1
Z könnte sich wegen Totschlags gem. §§ 212 I strafbar gemacht haben, indem sie den O mit
einer Pistole erschoss.
I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
Der Erfolg, der Tod des O, ist eingetreten. Hätte Z ihm nicht mit der Pistole in die Stirn geschossen, wäre O nicht gestorben. Die Handlung der Z war daher im Sinne der conditio-sinequa-non-Formel kausal für den Eintritt des Erfolgs. Durch den Schuss schuf Z weiterhin ein
rechtlich missbilligtes Risiko, das sich im Tod des O verwirklichte. Der Tod des O ist der Z
daher auch objektiv zurechenbar.
2.
Subjektiver Tatbestand
Die Z muss vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung des Tatbestands in Kenntnis aller objektiven Tatumstände. Z kam es gerade darauf an, den O zu töten.
Sie handelte insofern sogar absichtlich.
II.
Rechtsw idrigkeit
Es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Z handelte daher rechtswidrig.
III.
Schul d
Sie handelte auch schuldhaft.
IV.
Ergebnis
Z hat sich wegen Totschlags an O strafbar gemacht.
1
§§ ohne Gesetzesangaben sind im Folgenden solche des StGB.
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Strafbarkeit de r Z gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1 Var. 3, Gr. 2 Var. 1
Z könnte sich durch dieselbe Handlung sogar wegen Mordes gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1
Var. 3, Gr. 2 Var. 1 strafbar gemacht haben.
I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung liegen vor.
Weiterhin muss ein Mordmerkmal vorliegen. Z könnte heimtückisch gehandelt haben. Dafür
hätte sie die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des O ausnutzen müssen. Arglos ist,
wer sich keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit bewusst ist. O
sah die Schusswaffe der Z und rechnete damit, dass er ggf. im Rahmen des von ihm vermuteten Raubüberfalls verletzt werden würde. Er entschied sich trotzdem, der Z entgegen zu treten. Er war sich daher des Angriffs bewusst und mithin nicht arglos. Z handelte nicht heimtückisch.
Hinweis: Es ist im Sachverhalt sehr klar dargestellt, dass O nicht mehr arglos war. Es ist daher nicht als negativ zu bewerten, wenn auf das Mordmerkmal der Heimtücke nicht eingegangen wurde.
2.
Subjektiver Tatbestand
Z handelte vorsätzlich.
Sie müsste auch aus Habgier gehandelt, also ein subjektives Mordmerkmal erfüllt haben.
Anders als der T hatte Z aber gerade kein eigenes (finanzielles) Interesse am Tod des O,
sondern wollte lediglich dem T einen Gefallen tun. Z wusste nicht einmal davon, dass es dem
T um den Erhalt seines Erbes ging. Z handelte daher auf keinen Fall habgierig.
Hinweis: Es finden sich im Sachverhalt keine Anzeichen dafür, dass Z aus Habgier gehandelt
hätte, die Prüfung dient eher im Hinblick auf die spätere Prüfung des § 28 II zur Klarstellung,
dass bei ihr keine subjektiven Mordmerkmale vorliegen. Es ist jedoch nicht als negativ zu bewerten, wenn auf die Prüfung der Habgier verzichtet wurde.
II.
Ergebnis
Z hat sich daher nicht wegen Mordes strafbar gemacht.
C.
Strafbarkeit des T gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1 Var. 3, 26
T könnte sich wegen Anstiftung zum Mord gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 3, 26 strafbar
gemacht haben, indem er die Z dazu aufforderte, den O zu erschießen.
I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
a.
Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat
Der Totschlag der Z an O stellt eine taugliche vorsätzliche rechtswidrige Haupttat dar.
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Bestimmen
T muss die Z auch zu dieser Tat bestimmt haben. Bestimmen ist das Hervorrufen des Tatentschlusses beim Haupttäter durch kommunikatives Einwirken. T bittet die Z, den O zu erschießen. Z beging den Totschlag nur, um dem T einen Gefallen zu tun. Es ist daher davon auszugehen, dass sie den Tatentschluss gerade durch die Aufforderung des T gefasst hat. Das Bestimmen ist daher zu bejahen.
2.
Subjektiver Tatbestand
T wusste von dem Totschlag der Z an O und wollte diese auch zu der Begehung bestimmen.
3.
Akzessorietätslockerung
P1: Anwendbarkeit des § 28 II auf subjektive Mordmerkmale
T könnte nicht nur wegen Anstiftung zum Totschlag, sondern gem. § 28 II sogar wegen Anstiftung zum Mord strafbar sein. Dafür muss er zunächst ein subjektives Mordmerkmal aufgewiesen haben. Zudem muss § 28 II anwendbar sein.
a.
Subjektives Mordmerkmal
T könnte aus Habgier gehandelt haben. Habgier ist das übersteigerte, verwerfliche Gewinnstreben um jeden Preis, auch den eines Menschenlebens. T wollte an das Erbe des O kommen und strebte insofern einen Gewinn an. Dies tat er, um sein luxuriöses Leben noch steigern zu können. Diesem Ziel ordnete er das Leben des O unter. Er handelte daher habgierig.
b.
Anwendbarkeit des § 28 II
Daneben muss der § 28 II anwendbar sein. Dies ist nur der Fall, wenn die Habgier, das subjektive Mordmerkmal, das T verwirklicht hat, als strafschärfendes besonderes persönliches
Merkmal eingeordnet wird. Das subjektive Mordmerkmal macht einen Teil des Unrechts der
Tat aus und stellt insofern ein besonderes persönliches Mordmerkmal und nicht nur ein
Merkmal der Schuld i.S.d. § 29 dar. Es ist aber nur dann als strafschärfend und nicht als strafbegründend gem. § 28 I – mit der Folge der Annahme lediglich einer Anstiftung zum Totschlag (so die Rechtsprechung) – einzustufen, wenn § 211 als Qualifikation zum Totschlag
und nicht als ein eigenständiger Tatbestand gesehen wird. Für die Eigenständigkeit der Tatbestände könnte man zunächst den Wortlaut anführen. So spricht § 212 I vom „Totschläger“
und § 211 vom „Mörder“. Zudem ist es systematisch gesehen ungewöhnlich, dass die Qualifikation vor dem Grundtatbestand steht. Allerdings wird dieses Argument bei der Erörterung
des Verhältnisses zwischen dem Raub und der räuberischen Erpressung auch nicht als zwingend angesehen und ist es denkbar, dass der Mord als schwerstes, mit zwingender lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafendes Delikt aus symbolischen Gründen an erster Stelle steht.
Der Wortlaut ist zudem ein Relikt aus der Zeit des Täterstrafrechts, das nicht mehr dem
heutigen rechtsstaatlichen Strafverständnis eines Tatstrafrechts entspricht. Es gibt nicht den
„Mörder“ oder „Totschläger“, sondern nur eine Person, die gewisse Tatbestandsmerkmale
verwirklicht, die zu einer Bestrafung wegen Mordes oder Totschlags führen. Die Tatbestandsmerkmale des Totschlags, die Verursachung des Todes eines Menschen, sind zudem
vollständig in denen des Mordes enthalten und werden nur durch zusätzliche Merkmale, die
Mordmerkmale, ergänzt. Dies stellt aber die typische Struktur einer Qualifikation – eine
Qualifikation fordert alle Merkmale des Grundtatbestandes plus mindestens ein zusätzliches
Merkmal – dar. Zudem ermöglicht die Anwendung des § 28 II – anders als die Rechtsprechung – in allen Konstellationen eine dogmatisch klare und angemessene Lösung, ohne aus
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Billigkeitsgründen auf Hilfskonstruktionen wie die der gekreuzten Mordmerkmale zurückgreifen zu müssen. Dies ist besonders in dem vorliegenden Fall wichtig, in dem der Haupttäter Z
nicht etwa ein anderes subjektives Mordmerkmal verwirklichte, sondern gar keines, und in
dem insofern nicht einmal auf die Konstruktion der gekreuzten Mordmerkmale zurück gegriffen werden kann, um eine Bestrafung des T wegen Anstiftung zum Mord zu erreichen. Dies
hätte zur Konsequenz, dass das Handeln aus Habgier für die Strafbarkeit des T allenfalls im
Rahmen der Strafzumessung eine Bedeutung erlangen würde. Dies würde der Bedeutung
dem besonderen Unrechtsgehalt jedoch nicht gerecht. Insofern ist es vorzugswürdig, den
Mord als Qualifikation des Totschlags zu sehen und somit die subjektiven Mordmerkmale als
strafschärfend i.S.d. § 28 II einzustufen. § 28 II ist daher anwendbar und T wegen Beihilfe
zum Mord gem. § 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 4, 26 zu bestrafen.
Hinweis: Die a.A. ist mit entsprechender Argumentation auch vertretbar. Dann wäre T wegen
Anstiftung zum Totschlag strafbar.
II.
Rechtsw idrigkeit und Schuld
T handelte rechtswidrig und schuldhaft.
III.
Ergebnis
T hat sich daher wegen Anstiftung zum Mord gem. § 212 I, 211 I, II Gr. 1, Var. 3, 26 strafbar
gemacht.
2. Tatkomplex: Der Tod des F
A.
Strafbarkeit de r Z gem. § 222
Z könnte sich wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben, indem sie auf der Landstraße 150 km/h fuhr, eine rote Ampel missachtete und den F anfuhr.
I.
Tatbest and
1.
Erfolg
Der F ist verstorben. Der Erfolg, der Tod eines Menschen, ist eingetreten.
2.
Handlung und Kausalität
Der Erfolg ist dadurch eingetreten, dass F von dem Auto der Z erfasst wurde. Ihr Fahren kann
daher nicht hinweg gedacht werden, ohne dass der Tod des F entfiele. Die Handlung der Z
war daher für den Eintritt des Erfolgs kausal.
3.
Objektive Sorgfaltswidrigkeit
Weiterhin muss die Z objektiv sorgfaltswidrig gehandelt haben. Objektiv sorgfaltswidrig handelt, wer die Sorgfalt eines durchschnittlichen Teilnehmers des eigenen Verkehrskreises
missachtet. Indem Z auf der Landstraße mit ihrem Pkw 150 km/h fuhr, verstieß sie gegen § 3
III Nr. 2 lit. c) StVO und missachtete daher die Anforderungen an einen typischen Autofahrer.
Weiterhin überfuhr sie am Ortseingang unter Verstoß gegen § 37 II Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 StVO
eine rote Ampel. Sie handelte damit sorgfaltswidrig.
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Objektive Vorhersehbarkeit
Zudem muss der Erfolgseintritt vorhersehbar gewesen sein. Dies ist der Fall, wenn ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer mit ihm unter den gegebenen Umständen rechnen musste.
Es ist nie auszuschließen, dass ein Fußgänger grundlos und ohne den Verkehr zu überblicken auf die Straße tritt. Dabei ist es naheliegend, dass der Fußgänger dabei erfasst wird und
zu Tode kommt. Die Vorhersehbarkeit liegt daher vor.
Hinweis: Sollte ein Bearbeiter darauf abstellen, dass der Erfolgseintritt auch für die Z individuell sorgfaltswidrig und vorhersehbar war, ist dies vertretbar. Weiterhin kommt auch die Einordnung dieses Prüfungspunkts unter der Objektiven Zurechnung in Frage.
5.
Objektive Zurechnung
a.
Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Weiterhin muss der Pflichtwidrigkeitszusammenhang vorliegen, der Erfolgseintritt also bei
pflichtgemäßem Handeln der Z mit Sicherheit ausgeblieben sein. Wäre Z nicht zu schnell gefahren und hätte sie an der Ampel gehalten, wäre sie zu dem Zeitpunkt, an dem F auf die
Straße trat, noch nicht am Ortsausgang angekommen gewesen und hätte den F daher nicht
erfassen und töten können. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist gegeben.
b.
Schutzzweckzusammenhang
P2: Schutzzweckzusammenhang beim Fahrlässigkeitsdelikt
Schließlich muss der Schutzzweckzusammenhang vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn sich
im Erfolg gerade die Gefahr realisiert, die durch die Sorgfaltsnorm vermieden werden soll.
Sinn des § 3 III Nr. 2 lit. c) StVO ist die Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit
außerhalb von Ortschaften, um gerade im konkreten Fall, also während der Geschwindigkeitsübertretung, Unfälle zu vermeiden, die durch rechtzeitiges Bremsen bei geringerer Geschwindigkeit hätten vermieden werden können. Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte Z allerdings
schon auf unter 50 km/h abgebremst und hielt somit die gem. § 3 III Nr. 1 StVO in geschlossenen Ortschaften zulässige Höchstgeschwindigkeit ein. Die einzige Folge ihres vorhergehenden Sorgfaltsverstoßes war es, dass sie sich an einem anderen Ort befand. Dies zu verhindern ist allerdings nicht Zweck des § 3 III Nr. 2 lit. c) StVO. Entsprechendes gilt auch für
das Gebot, vor roten Ampeln zu halten. Dieses dient dazu, die Verkehrsteilnehmer im Kreuzungsbereich bzw. hier bei der Ortseinfahrt zu schützen und nicht dafür zu sorgen, dass die
Verkehrsteilnehmer zu einem späteren Zeitpunkt am anderen Ende des Ortes ankommen.
Der Schutzzweckzusammenhang ist daher nicht gegeben.
II.
Ergebnis
Z hat sich nicht wegen fahrlässiger Tötung des F gem. § 222 strafbar gemacht.
B.
Strafbarkeit der Z gem. § 315c I Nr. 2a, iVm. III Nr. 2
Auch eine Strafbarkeit der Z wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs scheitert
spätestens am mangelnden Schutzzweckzusammenhang.
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Hinweis: Angesichts der klar mangelnden objektiven Zurechnung war hier eine ausführliche
Prüfung nicht erforderlich.
C.
Strafbarkeit der Z gem. §§ 212 I, 13 I
Z könnte sich allerdings wegen Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212 I, 13 I strafbar gemacht haben, indem sie den lebensgefährlich verletzten F liegen ließ.
I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
a.
Erfolg
Der Erfolg, der Tod des F, ist eingetreten.
b.
Nichtvornahme der gebotenen Rettungshandlung
Z hätte problemlos mit dem Handy einen Notarzt verständigen können, tat dies jedoch nicht.
Sie unterließ insofern die gebotene Rettungsmaßnahme.
c.
Quasi-Kausalität
Hätte Z einen Notarzt gerufen, wäre F zwar möglicherweise noch in ein Krankenhaus gebracht worden. Nach der Aussage des Sachverständigen hätte er allerdings nicht mehr gerettet werden können. Der Erfolg wäre daher bei Hinzudenken der Rettungshandlung nicht entfallen. Das Unterlassen der F war daher nicht quasikausal.
II.
Ergebnis
Z hat sich daher nicht wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
D.
Strafbarkeit der Z gem. §§ 212 I, 13 I, 22, 23 I
Z könnte sich jedoch wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212 I, 13 I, 22,
23 I strafbar gemacht haben, indem sie den F liegen ließ.
Vorprüf ung
Mangels Quasi-Kausalität ist der Totschlag durch Unterlassen nicht vollendet. Der Versuch
des Totschlags ist als Versuch eines Verbrechens, vgl. § 12 I, gem. § 23 I strafbar.
Hinweis: Sollte ein Bearbeiter kurz auf die Strafbarkeit des untauglichen Unterlassensversuchs eingehen, ist dies besonders zu honorieren. Es ist jedoch nicht als negativ zu bewerten,
wenn auf diese Frage nicht eingegangen wird, da die Strafbarkeit mittlerweile der ganz herrschenden Meinung entspricht und das Problem in der Anfängerübung noch nicht bekannt sein
muss.
I.
Tatentschluss
Z muss Tatentschluss gehabt haben. Der Tatentschluss entspricht dem Vorsatz bezüglich
aller objektiven Tatbestandsmerkmale.
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Bzgl. des Erfolg
Z erkannte, dass F lebensgefährlich verletzt war und billigte seinen Tod, um seinem Schnarchen zu entkommen.
2.
Bzgl. der Nichtvornahme der gebotenen Rettungshandlung
Z war sich sicher, dass sie den F durch Verständigen eines Notarztes retten konnte und wusste, dass es ihr leicht möglich gewesen wäre, mit ihrem Handy einen Anruf zu tätigen. In der
Realität und insofern – allein relevant – auch in ihrer der Realität entsprechenden Vorstellung
verzichtete sie allerdings darauf, diesen Anruf zu machen. Sie hatte daher Tatentschluss in
Bezug auf die Nichtvornahme der gebotenen Rettungshandlung.
3.
Bzgl. der Quasi-Kausalität
Wie gesagt war sich Z sicher, den F durch das Verständigen des Notarztes retten zu können.
In ihrer Vorstellung konnte daher der Anruf nicht hinzugedacht werden, ohne dass der Erfolg
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre. Sie hatte daher auch Tatentschluss bezüglich der Quasi-Kausalität.
4.
Bzgl. der objektiven Zurechnung
Z wusste, dass das Liegenlassen des F ein rechtlich relevantes Risiko für dessen Leben begründen würde und stellte sich auch vor, dass es sich in seinem Tod realisieren würde. Sie
hatte daher Tatentschluss bezüglich der objektiven Zurechnung.
5.
Bzgl. der Garantenstellung
Weiterhin muss sie Tatentschluss in Bezug auf das Vorliegen einer Garantenstellung gehabt
haben. Hier kommt zunächst eine Garantenstellung aus Ingerenz in Betracht, weil Z die Verletzungen des F durch das Anfahren selbst verursacht hat. Wie oben festgestellt, hat sie zwar
ursprünglich pflichtwidrig gehandelt, sich jedoch mangels des Schutzzweckzusammenhangs
nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht. Zum exakten Zeitpunkt des Unfalls handelte sie auch nicht mehr pflichtwidrig. Wenn man aber jedes beliebige Vorverhalten für die
Begründung einer Garantenstellung ausreichen ließe – mit der Folge einer potentiell lebenslangen Haftstrafe statt bis zu fünf Jahren gem. § 323c – würde man erhebliche Folgen an die
bloße Kausalität knüpfen. Dies ginge zu weit. Allerdings war Z die Ehefrau des F und lebte
auch mit diesem in ehelicher Gemeinschaft – sonst müsste sie sein nächtliches Schnarchen
nicht aushalten. Ehegatten haben gem. § 1353 BGB eine Garantenstellung füreinander. Z
erkannte, dass es sich bei F um ihren Ehemann handelte, und hatte daher Tatentschluss in
Bezug auf das Bestehen einer Garantenstellung.
Hinweis: Wichtig war hier, dass die Bearbeiter erkannten, dass das Vorverhalten der Z nicht
pflichtwidrig war. Es ist im Anschluss daran bei Handeln im Straßenverkehr zwar umstritten,
ob nicht trotzdem eine Garantenstellung aus Ingerenz anzunehmen ist, dies musste den Bearbeitern jedoch nicht bekannt sein. Sollte jemand jedoch auf dieses Problem eingegangen
sein, ist dies besonders zu honorieren. Die Argumentation könnte in etwa wie folgt aussehen:
Allerdings könnte man die Situation bei Unfällen im Straßenverkehr auch anders bewerten.
Schließlich ist es allgemein bekannt und durch die Fahrerhaftung gem. § 7 I StVG auch durch
den Gesetzgeber anerkannt, dass das Autofahren stets mit einem Risiko für Leib und Leben
für (andere) Verkehrsteilnehmer einhergeht. Insofern könnte man es als gerechtfertigt ansehen, dem Fahrer gewissermaßen als Gegenleistung bzw. Kehrseite für das ihm erlaubte Ri-
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siko, aus dem er selbst Vorteile zieht, auch besondere Pflichten aufzuerlegen. Auf eine Entscheidung dieser Frage kommt es jedoch nicht an, wenn Z schon aus anderen Gründen Tatentschluss in Bezug auf das Vorliegen einer Garantenstellung gehabt hätte.
6.
Bzgl. der Entsprechungsklausel
Bei dem Totschlag handelt es sich um ein Erfolgsdelikt, bei dem das Unrecht durch Unterlassen dem des Unrechts des Begehungsdelikts grundsätzlich entspricht. Z stellte sich insofern
auch nichts Abweichendes vor.
II.
Unmittelbares Ansetzen
Weiterhin muss Z unmittelbar zur Tatbestandsausführung angesetzt haben. Dies ist der Fall,
wenn sie subjektiv die Schwelle des „Jetzt geht’s los“ überschritten hat und ihr Vorgehen ohne
wesentliche Zwischenschritte in die Tatbestandsausführung münden soll. Wann dies beim
Unterlassungsdelikt der Fall ist, kann unterschiedlich bestimmt werden. Relevanter Zeitpunkt
können das Verstreichenlassen der ersten Rettungsmöglichkeit, das Verstreichenlassen der
letzten Rettungsmöglichkeit oder der Zeitpunkt sein, indem eine echte Gefahr für das Rechtsgut des Opfers eintritt oder der Täter seinen Einfluss auf das Geschehen aufgibt. Hier verließ
F den Tatort, ohne jemals zurückzukehren oder zurückkehren zu wollen. Das unmittelbare
Ansetzen ist daher nach allen Ansichten zu bejahen.
Hinweis: Eine ausführliche problemartige Darstellung und Prüfung der unterschiedlichen Ansichten zum unmittelbaren Ansetzen beim Unterlassungsversuch war hier nicht angebracht.
III.
Rechtsw idrigkeit
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
IV.
Schul d
Auch die Schuld liegt vor. Insbesondere war es der Z auch zuzumuten, ihren Mann zu retten.
V.
Rücktritt
Anzeichen für einen Rücktritt sind nicht gegeben.
VI.
Ergebnis
Z hat sich wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
Gesamtergebnis
T hat sich im ersten Tatkomplex wegen Anstiftung zum Mord gem. §§ 212 I, 211 I, II Gr. 1
Var. 3, 26 strafbar gemacht. Im zweiten Tatkomplex ist er straflos.
Z hat sich im ersten Tatkomplex wegen Totschlags gem. § 212 I, im zweiten Tatkomplex wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht. Die Taten in den unterschiedlichen Tatkomplexen stehen zueinander in Tatmehrheit, § 53.
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