Predigten – von Pastorin Julia Atze 2. Sonntag nach

Predigten – von Pastorin Julia Atze
2. Sonntag nach dem Christfest
3. Januar 2016
1. Johannes 5,11-13
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Liebe Gemeinde,
kennen Sie die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“? Mein achtjähriger
Sohn und ich haben im letzten Jahr mitgemacht. Man packt in den Wochen
vor der Adventszeit einen Schuhkarton mit kleinen Geschenken und
Leckereien für ein Kind, das sonst keine Weihnachtsgeschenke bekommt, zum
Beispiel ein Kind in einer der vielen Flüchtlingsunterkünften. Und ich kann
Ihnen sagen: Man muss sich ziemlich gut überlegen, was man alles
hineinpackt, denn so ein Schuhkarton ist nicht so groß und man möchte den
Platz ja sinnvoll nutzen. Wir mussten ganz schön tüfteln und puzzeln bis alles
gut passte.
Heute, am zweiten Sonntag nach Weihnachten, an dem das Weihnachtsfest
mit seinem Glanz und allem Jubel und Trubel schon einige Tage zurück liegt,
wir schon die ersten Tage des neuen Jahres hinter uns gebracht haben,
vielleicht zuhause schon den Weihnachtsbaum wieder abgeschmückt und
rausgeworfen haben, möchte ich am liebsten auch so einen Schuhkarton voll
Weihnachten haben, den ich mir unter den Arm klemmen und mitnehmen
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kann in den Alltag, der ab morgen nun wirklich wieder unweigerlich beginnen
wird.
In den Tagen „zwischen den Jahren“ scheinen die Uhren doch immer
irgendwie anders zu ticken, viele Menschen haben frei, die Kinder haben
Ferien, das Leben hat einen anderen Rhythmus „zwischen den Jahren“, vieles
geht ruhiger und entspannter zu – selbst für viele, die arbeiten müssen.
Weihnachten ist noch überall gegenwärtig.
Aber morgen geht es wieder richtig los, Schulen und Kitas öffnen wieder ihre
Türen, die Geschäfte und Restaurants haben wieder reguläre Öffnungszeiten
und der normale Alltagsrythmus beginnt.
Darum, liebe Gemeinde, sollten wir heute unseren Weihnachtsschuhkarton
packen, damit wir Weihnachten nicht einfach hinter uns lassen, nur noch
einmal auf den wunderschönen Baum gucken und in die Krippe, und dann den
Blick wieder anderem zuwenden, sondern damit Weihnachten uns vor Augen
und Herzen bleibt.
Allerdings ist mit dem heutigen Predigttext nicht ganz so einfach einen
imaginären Schuhkarton zu packen und unter dem Arm nach Hause zu tragen:
Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und
dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den
Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben,
damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen
des Sohnes Gottes.
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Knapp und deutlich wird auf den Punkt gebracht, worum es geht: Gott, den
Sohn und das ewige Leben. Und dafür braucht es nicht viele Worte und auch
keine Bilder. Eigentlich würde auch ein einziger Satz reichen:
Wer den Sohn hat, der hat das Leben, wer den Sohn nicht hat, der hat das
Leben nicht.
So einfach ist das, liebe Gemeinde, wer hat, der hat, wer nicht hat, hat eben
nicht. Basta! Möchte man fast anfügen. Ganz schön sperrig für einen
Weihnachtsschuhkarton…
Solche klaren und einfachen Unterteilungen wie hier in Haben und NichtHaben bergen ja immer die Gefahr, dass man in ein allzu einfaches SchwarzWeiß-Denken verfällt: das ist richtig, das ist falsch, das ist gut, das ist böse.
Natürlich gibt es im Leben immer wieder Situationen in denen man sich
eindeutig entscheiden und klar positionieren muss, keine Frage. Aber gerade
in Glaubensfragen ist die Einteilung in richtig oder falsch oder haben oder
nicht haben doch schwierig – geht es hier ja eben genau nicht um Wissen, was
richtig oder falsch ist, sondern um den Glauben. Und der hat – genau wie das
Leben – doch sehr viel mehr Schattierungen als Schwarz und Weiß.
Daher fällt es mir äußerst schwer, mich auf die Seite derer zu stellen, die auf
der richtigen und guten Seite stehen, die – um bei den Worten des 1.
Johannesbriefes zu bleiben – den Sohn haben. Denn was heißt das überhaupt:
den Sohn haben? Und was ist das für ein Leben, von dem hier gesprochen
wird, das ewige Leben?
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Gottes Sohn haben – heißt das: Gottes Sohn besitzen? Wohl kaum…
Oder ihn „in sich haben“?
Also leben wie er, lieben wie er sterben wie er?
Kann ich das wirklich von mir behaupten? Nicht wirklich.
Werde ich meine Freunde und vor allem meine Feinde lieben wie Jesus von
Nazareth? Nein.
Aber ist mein Leben deshalb weniger wert? Habe ich deshalb das Leben nicht?
Nein! muss ich doch auch da antworten. So einfach kann die Alternative doch
nicht sein.
Besonders, wenn ich im 1. Johannesbrief nur wenige Verse zurückblicke, wo es
heißt:
Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns
geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
Diese Liebe Gottes, die mich zuerst geliebt hat, die gilt mir doch immer – egal,
ob ich den Sohn habe oder nicht, egal wo ich stehe und was ich tue, egal wer
ich bin. Jedem neugeborenen Kind, jedem Menschen, der neu seinen Weg
sucht, seine Fährte durch den Wirrwarr eines Menschenlebens, jedem
Geschöpf gilt immer wieder neu und unvermindert diese Liebe Gottes.
Also nochmal: was heißt dann den Sohn haben und das Leben haben?
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Eine eindeutige und klare Trennung in die Guten, die den Sohn haben und die
Bösen oder Schlechten, die ihn nicht haben, funktioniert ganz offensichtlich
nicht.
Das Haben des Sohnes und das Haben des ewigen Lebens kann ich doch nur
als Teilhaben an Gott und seinem Sohn verstehen. Und ewiges Leben ist dann
solches Leben, das teilhat und teilnimmt an allem, was zum Leben dazu
gehört. Ein Leben, das nicht am Tod vorbei geht, das den Tod nicht leugnet
oder verdrängt, sondern ihn ins Leben integriert – trotz Angst und Schmerz –
und genau dadurch den Tod überwindet. Ewiges Leben bedeutet dann, dass
der Tod das Leben nicht aufhebt, sondern dass das Leben und nicht der Tod
das letzte Wort hat.
Also nehme ich doch in meinen Weihnachtsschuhkarton dies alles mit hinein –
Gott, den Sohn und das Leben:
Das neugeborene Kind und das Strahlen und die Kraft, die von ihm ausgeht.
Und den widerständigen Teenager, der seinen ganz eigenen Weg geht, einen
Weg des Friedens und der Nächstenliebe. Einen Weg, der ihn ans Kreuz und in
den Tod bringt.
Und den Mann, der, weil er den Tod nicht ausgeblendet, sondern
angenommen hat, diesen überwunden hat und der in jedem Menschen das
Antlitz Gottes sieht – auch in mir und auch in dir!
Und der mich immer wieder stärkt, Tag für Tag, zu versuchen, den Menschen
ebenso zu begegnen wie er es tat.
Und sein Friede, der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.