751 HORIZONTE Streiflicht Geld – Jenseits von Gut und Böse Erhard Taverna stäbe. So auch dieses Jahr im Zeughaus Lenzburg zum die geplanten neuen Schweizer Banknoten bewundern Thema «Geld – Jenseits von Gut und Böse», noch zu oder wie in einem Beichtstuhl hinter einem Vorhang sehen bis 29. November 2015. Der Rundgang beginnt vier Menschen zuhören, was sie für Geld getan haben. über eine Aussentreppe im Dachstock. Ein gewundener Ein Animationsfilm zeigt, wie aus dem Tauschhandel Geldfluss mäandert um notenbehangene Bäume, Berge ein hochkomplexes Finanzsystem wurde. Anschlies funkeln goldig und viele Esel entleeren fleissig ihre send diskutiert eine Professorenrunde aus Kritikern Dukaten. Der Holzsteg führt zu Hörstationen, wo auch und Befürwortern über das grenzenlose Wachstum der Goethes faustisches «Es werde Geld» die passende Wirtschaft. Wie zuvor bei den Philosophen gehen die Atmosphäre schafft. Die Türe öffnet sich zur Philoso- Meinungen weit auseinander. Alles in allem ein klug phenrunde, die von Aristoteles bis Adam Smith, sekun- angelegter Crash-Kurs in Geldökonomie, fantasievoll diert von John Maynard Keynes und Milton Fried- inszeniert, abwechslungsreich und informativ. mann, über Gott, Geiz und Gier diskutiert. Am Ende wartet im Halbdunkel die «Offenbarung», Anschliessend können Besuchende an Befragungsauto- eine Meditation auf dem Boden von vier Millionen glit- maten ihren persönlichen Umgang mit Geld offenle- zernden Fünfräpplern. «Stell dir vor, das Geld gehört gen. Infografiken addieren fortlaufend die Ergebnisse. dir, was machst du damit?» Was zählt, Unabhängigkeit, Gesundheit nimmt an Wichtigkeit den ersten Platz ein. Macht, Erfolg oder Sicherheit? Sind es Geschenke, Pres- Was ist überhaupt Geld und wie viel ist genug? Moder- tige oder Projekte? Geld verändert uns im Guten und nes Papiergeld ist ein unsicheres Versprechen, 90% des im Schlechten. Geld ist vielleicht das letzte soziale Band Geldumlaufs bestehen aus virtuellen Kontozahlen. Ein in einer individualisierten Konsumgesellschaft. Vor Tauschmittel, ein System von Guthaben und Schulden, dem Ausgang bekommen alle eine goldig schimmernde eine soziale Technik übertragbarer Kredite, ein Algo- Metallmünze geschenkt. Auf der einen Seite ist GUT auf rithmus für Finanzprodukte. Genügt es im realen der anderen BÖSE geprägt. Bezahlt wird nach eigenem Leben, so viel davon zu haben, dass man nicht daran Gutdünken am Schluss des Parcours. denken muss, oder ist mehr immer besser? Die Geldge- Das Handbuch mit schwarzem Einband und Goldprä- sellschaft verwandelt alles in eine Ware, in einen Preis. gung erinnert nicht zufällig an eine Bibel. Wie immer Eine Louis-Vuitton-Tasche, eine gefälschte Rolex, ein ist die Lektüre lesenswert. Die Beiträge vertiefen das Herzschrittmacher, eine Flasche Château Latour, ein Gesehene und Gehörte, sie stellen neue Fragen und er- Kilo Sand und viele weitere Gegenstände sollen Preise weitern die Perspektiven. Mehrere Plakate haben unter und Werte in eine Beziehung bringen. Was kostet eine anderem auf die Verteilungsgerechtigkeit und die Spenderniere, wie viel ein Blowjob, wie viel ein Auf- sichtbare Hand des Staates hingewiesen, der dort ein- tragskiller? Ein Beitrag im Handbuch zur Ausstellung greifen soll, wo der Markt nicht genügt. In einem Land, lässt die moderne Geldwirtschaft mit dem Fegefeuer be- dessen Banken regelmässig für negative Schlagzeilen ginnen. Eine Konversion, die allen Parteien einen Nut- sorgen, hätte man gerne etwas mehr darüber erfahren. zen bescherte, erfolgreicher und gewinnträchtiger als Dass die extrem ungleiche Vermögensverteilung zu spirituelle Bekehrungen. So nebenbei erfährt man, wo- einer Re-Feudalisierung unserer Gesellschaft geführt her das Wort «Salär» stammt, was es bedeutet, «etwas hat, und der Staat im globalen Wettbewerb massiv an auf dem Kerbholz» zu haben, wie Charonsmünzen, Einfluss verliert, hätte auch noch interessiert. Doch das Waldviertler, Kreditkarten und Bitcoins das Geschäft ist kein Vorwurf an die Regie. Das Stapferhaus liefert aufmischen. Die Fülle an Informationen ist beträcht- das Rüstzeug für die Arena der Politik. Dafür ist hier lich, Konzentration unabdingbar. Stundenlöhne wach- reichlich Material vorhanden, inklusive Rahmenpro- sen im Säulenvergleich vom Pizzakurier bis zum CEO gramm mit Vorträgen, Veranstaltungen und einem der Novartis wie Stalagmiten Richtung Decke. Staats- Angebot für Schulklassen und Lehrpersonen. ausgaben, -einnahmen und -schulden, Haushaltspesen Wachstum ist alles. Die zentrale Kennzahl der Wirtschaft ist das Bruttoinlandprodukt BIP. Soll ein Glücks erhard.taverna[at]saez.ch Ausstellung bis 29. November 2015. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr, Donnerstag 10–20 Uhr, Montag geschlossen. www.stapferhaus.ch SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI einst und heute, Lohntabellen und Steuervergleiche. barometer das Wohlstandsmass ergänzen? Man kann Die Ausstellungsmacher vom Stapferhaus setzen Mass- © Stapferhaus, Fotografin: Anita Affentranger Dr. med., Mitglied der Redaktion 2015;96(20–21):751
© Copyright 2024 ExpyDoc