Geld – Jenseits von Gut und Böse

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HORIZONTE Streiflicht
Geld – Jenseits von Gut und Böse
Erhard Taverna
stäbe. So auch dieses Jahr im Zeughaus Lenzburg zum
die geplanten neuen Schweizer Banknoten bewundern
Thema «Geld – Jenseits von Gut und Böse», noch zu
oder wie in einem Beichtstuhl hinter einem Vorhang
sehen bis 29. November 2015. Der Rundgang beginnt
vier Menschen zuhören, was sie für Geld getan haben.
über eine Aussentreppe im Dachstock. Ein gewundener
Ein Animationsfilm zeigt, wie aus dem Tauschhandel
Geldfluss mäandert um notenbehangene Bäume, Berge
ein hochkomplexes Finanzsystem wurde. Anschlies
funkeln goldig und viele Esel entleeren fleissig ihre
send diskutiert eine Professorenrunde aus Kritikern
Dukaten. Der Holzsteg führt zu Hörstationen, wo auch
und Befürwortern über das grenzenlose Wachstum der
Goethes faustisches «Es werde Geld» die passende
Wirtschaft. Wie zuvor bei den Philosophen gehen die
Atmosphäre schafft. Die Türe öffnet sich zur Philoso-
Meinungen weit auseinander. Alles in allem ein klug
phenrunde, die von Aristoteles bis Adam Smith, sekun-
angelegter Crash-Kurs in Geldökonomie, fantasievoll
diert von John Maynard Keynes und Milton Fried-
inszeniert, abwechslungsreich und informativ.
mann, über Gott, Geiz und Gier diskutiert.
Am Ende wartet im Halbdunkel die «Offenbarung»,
Anschliessend können Besuchende an Befragungsauto-
eine Meditation auf dem Boden von vier Millionen glit-
maten ihren persönlichen Umgang mit Geld offenle-
zernden Fünfräpplern. «Stell dir vor, das Geld gehört
gen. Infografiken addieren fortlaufend die Ergebnisse.
dir, was machst du damit?» Was zählt, Unabhängigkeit,
Gesundheit nimmt an Wichtigkeit den ersten Platz ein.
Macht, Erfolg oder Sicherheit? Sind es Geschenke, Pres-
Was ist überhaupt Geld und wie viel ist genug? Moder-
tige oder Projekte? Geld verändert uns im Guten und
nes Papiergeld ist ein unsicheres Versprechen, 90% des
im Schlechten. Geld ist vielleicht das letzte soziale Band
Geldumlaufs bestehen aus virtuellen Kontozahlen. Ein
in einer individualisierten Konsumgesellschaft. Vor
Tauschmittel, ein System von Guthaben und Schulden,
dem Ausgang bekommen alle eine goldig schimmernde
eine soziale Technik übertragbarer Kredite, ein Algo-
Metallmünze geschenkt. Auf der einen Seite ist GUT auf
rithmus für Finanzprodukte. Genügt es im realen
der anderen BÖSE geprägt. Bezahlt wird nach eigenem
Leben, so viel davon zu haben, dass man nicht daran
Gutdünken am Schluss des Parcours.
denken muss, oder ist mehr immer besser? Die Geldge-
Das Handbuch mit schwarzem Einband und Goldprä-
sellschaft verwandelt alles in eine Ware, in einen Preis.
gung erinnert nicht zufällig an eine Bibel. Wie immer
Eine Louis-Vuitton-Tasche, eine gefälschte Rolex, ein
ist die Lektüre lesenswert. Die Beiträge vertiefen das
Herzschrittmacher, eine Flasche Château Latour, ein
Gesehene und Gehörte, sie stellen neue Fragen und er-
Kilo Sand und viele weitere Gegenstände sollen Preise
weitern die Perspektiven. Mehrere Plakate haben unter
und Werte in eine Beziehung bringen. Was kostet eine
anderem auf die Verteilungsgerechtigkeit und die
Spenderniere, wie viel ein Blowjob, wie viel ein Auf-
sichtbare Hand des Staates hingewiesen, der dort ein-
tragskiller? Ein Beitrag im Handbuch zur Ausstellung
greifen soll, wo der Markt nicht genügt. In einem Land,
lässt die moderne Geldwirtschaft mit dem Fegefeuer be-
dessen Banken regelmässig für negative Schlagzeilen
ginnen. Eine Konversion, die allen Parteien einen Nut-
sorgen, hätte man gerne etwas mehr darüber erfahren.
zen bescherte, erfolgreicher und gewinnträchtiger als
Dass die extrem ungleiche Vermögensverteilung zu
spirituelle Bekehrungen. So nebenbei erfährt man, wo-
einer Re-Feudalisierung unserer Gesellschaft geführt
her das Wort «Salär» stammt, was es bedeutet, «etwas
hat, und der Staat im globalen Wettbewerb massiv an
auf dem Kerbholz» zu haben, wie Charonsmünzen,
Einfluss verliert, hätte auch noch interessiert. Doch das
Waldviertler, Kreditkarten und Bitcoins das Geschäft
ist kein Vorwurf an die Regie. Das Stapferhaus liefert
aufmischen. Die Fülle an Informationen ist beträcht-
das Rüstzeug für die Arena der Politik. Dafür ist hier
lich, Konzentration unabdingbar. Stundenlöhne wach-
reichlich Material vorhanden, inklusive Rahmenpro-
sen im Säulenvergleich vom Pizzakurier bis zum CEO
gramm mit Vorträgen, Veranstaltungen und einem
der Novartis wie Stalagmiten Richtung Decke. Staats-
Angebot für Schulklassen und Lehrpersonen.
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ausgaben, -einnahmen und -schulden, Haushaltspesen
Wachstum ist alles. Die zentrale Kennzahl der Wirtschaft ist das Bruttoinlandprodukt BIP. Soll ein Glücks­
erhard.taverna[at]saez.ch
Ausstellung bis 29. November 2015. Geöffnet Dienstag bis Sonntag
10–17 Uhr, Donnerstag 10–20 Uhr, Montag geschlossen.
www.stapferhaus.ch
SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI
einst und heute, Lohntabellen und Steuervergleiche.
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barometer das Wohlstandsmass ergänzen? Man kann
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Die Ausstellungsmacher vom Stapferhaus setzen Mass-
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© Stapferhaus, Fotografin: Anita Affentranger
Dr. med., Mitglied der Redaktion
2015;96(20–21):751