MERICS Web Spezial (Juni 2015) Wie Phönix aus der Asche: Reformen sollen Chinas Staatsunternehmen den Rücken stärken von Mirjam Meissner, Lea Shih, Luisa Kinzius, Sandra Heep Teil 1: Keine Privatisierung trotz stärkerer Beteiligung privaten Kapitals .......................... 3 Teil 2: Umstrukturierung durch Holdinggesellschaften ........................................................... 6 Teil 3: Mega-Fusionen statt Zerschlagung von Monopolen .................................................... 7 Konsequenzen der Reform für ausländische Unternehmen................................................. 11 Chinesische Staatsunternehmen sind längst Teil der sozialistischen Vergangenheit, mag manch einer denken. Tatsächlich gab es bereits in den 1990er Jahren eine erste große Privatisierungswelle. Doch noch immer spielen Staatsbetriebe eine zentrale Rolle in Chinas Wirtschaftsgeschehen. Allerdings besteht dringender Reformbedarf, denn viele Staatsunternehmen sind nicht nur hoch verschuldet, sondern trotz großzügiger Subventionen auch deutlich weniger profitabel als Chinas Privatunternehmen. Die chinesische Führung hat dies erkannt. Partei- und Staatschef Xi Jinping gab im März 2014 die Richtung vor: „Staatsunternehmen sollen gestärkt, nicht geschwächt werden. Die Stärkung soll im Zuge der Reform aus den Unternehmen selbst heraus kommen, sie sollen wie ein Phoenix aus der Asche auferstehen […].“ Chinas Staatsunternehmen sollen also auf absehbare Zeit weder abgeschafft noch in großem Stil privatisiert werden. Auch soll der staatliche Einfluss nicht zurückgedrängt werden. Stattdessen will die Regierung MegaFusionen vorantreiben und Staatsunternehmen unter dem Dach von Holdinggesellschaften zusammenführen. Auf diese Weise will sie es staatlichen Konzernen ermöglichen, in Zukunft effizienter zu wirtschaften und als international erfolgreiche „nationale Champions“ aufzutreten. Von einer Zerschlagung staatlicher Monopole ist dagegen nicht mehr die Rede. 1 Reform der Staatsunternehmen wieder auf der politischen Agenda Seit den Reformbeschlüssen des 3. ZK-Plenums der KPC vom November 2013 steht die Staatsunternehmensreform erneut ganz oben auf der politischen Agenda Chinas. Die im Mai 2015 vom Staatsrat veröffentlichten „Schwerpunkte der Reform des Wirtschaftssystems für das Jahr 2015“ stellen die Verabschiedung der „Richtlinie zur Vertiefung der Reformen von Staatsunternehmen“– das staatliche Grundlagen-Dokument zur Durchführung der Reform – noch für dieses Jahr in Aussicht. Schon lange spekulieren Beobachter über eine baldige Verabschiedung dieses Dokuments. Interessenskonflikte zwischen den beteiligten Ministerien und Behörden, bei denen es um die konkrete Ausgestaltung der Reform geht, führen jedoch immer wieder zu Verzögerungen. Besonders zwischen der Kommission des Staatsrats zur Aufsicht und Verwaltung von Staatsvermögen (SASAC) und dem Finanzministerium (MOF) verlaufen tiefe Gräben. Teilweise stehen auch die Interessen einflussreicher Staatsunternehmen und ihrer Manager den geplanten Reformen im Weg. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind sie ins Visier der AntiKorruptionskampagne Xi Jinpings geraten, die unter anderem darauf abzielt, die Widerstände von Seiten der Unternehmen zu durchbrechen und so den Weg für die Reformen zu ebnen. Zwar hat die chinesische Regierung die staatliche Richtlinie für die Reformen noch nicht verabschiedet (Stand Juni 2015). Beschlossen hat sie bislang lediglich eine Reform der Gehälter von Führungskräften in Staatsunternehmen, die nicht nur eine drastische Gehaltskürzung, sondern auch eine Einführung leistungsabhängiger Bezüge vorsieht, die Anreize für ein effizienteres Wirtschaften schaffen sollen. Dennoch liefern laufende Pilotprojekte, aktuelle Regierungsdokumente sowie Stellungnahmen der am Entscheidungsprozess beteiligten Politiker bereits zum jetzigen Zeitpunkt klare Anhaltspunkte dafür, welche Richtung die Reformen einschlagen werden. Insbesondere für zentralstaatliche Staatsunternehmen stehen dabei die folgenden Maßnahmen im Zentrum: 1. Keine Privatisierung trotz stärkerer Beteiligung privaten Kapitals Eine stärkere Beteiligung privater Anteilseigner im Staatssektor ( 混合所有制 ) ist einer der Eckpfeiler der Reformen. Zwar sollen staatliche Anteile reduziert werden, eine Aufgabe von Mehrheitsanteilen an den Mutterkonzernen staatseigener Unternehmen ist jedoch nicht vorgesehen. 2. Umstrukturierung durch Gründung von Holdinggesellschaften Die Einrichtung von Holdinggesellschaften soll es dem Staat ermöglichen, als Kapitalmanager aufzutreten, der eine langfristige Wertmaximierung seiner Unternehmen verfolgt. Auf diese Weise soll sich der Staat weiter aus unternehmerischen Entscheidungen zurückziehen, ohne seinen Einfluss auf die strategische Grundausrichtung der Unternehmen aufzugeben. 3. Größere Staatskonzerne durch Fusionen statt Zerschlagung von Monopolen Seit der Veröffentlichung der Reformbeschlüsse des 3. ZK-Plenum der KPC haben vor allem ausländische Beobachter über eine Zerschlagung von Monopolen spekuliert. Die aktuellen Entwicklungen zeigen jedoch, dass China nicht mehr Wettbewerb zulässt, sondern die Marktmacht von Staatsunternehmen durch Mega-Fusionen verstärkt. Die gängige ausländische Interpretation der Reformbeschlüsse muss daher grundlegend korrigiert werden.↑ 2 Infokasten: Privatunternehmen sind rentabler als Staatsunternehmen Viele Staatsunternehmen sind nicht nur hoch verschuldet, sondern trotz großzügiger Subventionen auch deutlich weniger profitabel als Chinas Privatunternehmen. Angesichts des rapide sinkenden Wirtschaftswachstums ist eine Reform dringend notwendig, um der Ressourcenverschwendung durch Staatskonzerne ein Ende zu bereiten. Die aktuellen Pläne sind jedoch nur sehr begrenzt dazu geeignet, ihre Effizienz tatsächlich zu erhöhen.↑ 16% Vermögensrendite 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Staatsunternehmen Privatunternehmen Teil 1: Keine Privatisierung trotz stärkerer Beteiligung privaten Kapitals Der im November 2013 verabschiedete Reformplan stellt die weitere Öffnung von Staatsunternehmen für private Anteilseigner in Aussicht. Der Grundsatz lautet: „Förderung der Mischform des Eigentumsrechts“ ( 混 合 所 有 制 ). Ziel ist es, die Effizienz der Staatsunternehmen durch Diversifizierung der Anteilseigner zu verbessern und so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Mit einer Privatisierung von Staatsunternehmen ist dieser Reformaspekt nicht gleichzusetzen. Es handelt sich vielmehr um einzelne Maßnahmen, die den Spielraum für die Beteiligung privaten Kapitals an Staatsunternehmen erweitern, ohne privaten Investoren den Erwerb von Mehrheitsanteilen zu ermöglichen. ↑ Die Reformen tasten die sozialistische Wirtschaftsordnung nicht an China bekennt sich auch unter der Führung Xi Jinpings zu einer sozialistischen Wirtschaftsordnung. Die Existenz von Staatsunternehmen gehört damit aus chinesischer Sicht unumstößlich zum chinesischen Wirtschaftssystem. Bisher dürfen Staatskonzerne lediglich Aktien ihrer Tochtergesellschaften an private Investoren verkaufen. Mehrheitsanteile an den 3 Tochtergesellschaften staatlicher Unternehmen können private Investoren nur in Sektoren erwerben, die die chinesische Regierung als „kompetitiv“ (竞争性行业) definiert und damit nicht als strategisch oder sicherheitspolitisch relevant ansieht. Auch im Zuge der anstehenden Reformen wird China von diesem Grundsatz nicht abweichen. Es zeichnet sich zwar ab, dass private Beteiligungen an Tochtergesellschaften der zweiten Ebene und darunter vor allem in kompetitiven Sektoren erleichtert werden. So ist etwa mit dem teilweisen Verkauf von bisher im Eigentum der Mutterkonzerne befindlichen Aktien an private Investoren sowie mit weiteren Börsengängen und der Ausgabe junger Aktien zu rechnen, d.h. von zusätzlichen Aktien, die bei einer Kapitalerhöhung ausgegeben werden. Mehrheitsanteile an Muttergesellschaften staatlicher Unternehmen werden jedoch insbesondere in strategisch wichtigen Industrien weiter in staatlicher Hand bleiben. Fallbeispiele des vergangenen Jahres legen nahe, dass die Erhöhung von Anteilsrechten privater Investoren nicht so signifikant sein dürfte, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmensführung haben wird. Der prominenteste Fall einer „Mischform des Eigentumsrechts“ betraf 2014 das staatliche Ölunternehmen SINOPEC. Der Konzern veräußerte rund 30 Prozent seiner Vertriebsgesellschaft für mehr als 100 Mrd. CNY (rund 13 Mrd. Euro) an in- und ausländische Investoren. Private Geldgeber erwarben allerdings nur knapp zehn Prozent. Die restlichen 20 Prozent gingen an andere Staatsunternehmen, bzw. staatlich kontrollierte Finanzinstitute. Nichtstaatliche Investoren haben daher kaum Chancen auf Mitsprache. Auch der staatliche Mischkonzern CITIC nahm im August 2014 eine Umstrukturierung vor, die Privatinvestoren keine nennenswerte Beteiligungsmöglichkeit bot. CITIC übertrug das gesamte Vermögen seiner neu gegründeten Tochter CITIC Limited auf seine an der Hongkonger Börse notierte Tochter CITIC Pacific. Im Gegenzug transferierte CITIC Pacific die Mehrzahl seiner neu ausgegebenen Aktien an die Muttergesellschaft, die dadurch die vollständige Kontrolle über ihre Tochter aufrechterhalten konnte. Gleichzeitig verkaufte das Unternehmen einen kleineren Anteil an private Investoren, um die Anforderungen der Hongkonger Börse zu erfüllen. Diese sieht einen Mindestanteil von 15 Prozent der Aktien an einem Unternehmen im Streubesitz vor. SINOPEC und CITIC sind zwar keine offiziellen Pilotprojekte. Doch ist zumindest im Falle von SINOPEC bekannt, dass die Nationale Kommission für Entwicklung und Reform (NDRC) und das Handelsministerium (MOFCOM) den Verkauf der Anteilsrechte genehmigten. Da die NDRC für die Ausarbeitung der Reformmaßnahmen zur „Förderung der Mischform“ verantwortlich ist, liegt die Vermutung nahe, dass SINOPEC als Modellversuch für die Öffnung von Staatsunternehmen für private Investoren einzustufen ist. Bezüglich des Falls von CITIC verweisen Kommentatoren hingegen darauf, dass dieser nicht ohne weiteres auf andere Staatskonzerne übertragbar sei. Ob es sich auch in diesem Fall um ein offizielles Reformmodell für die Öffnung von Staatsunternehmen für private Investoren handelt oder ob das Unternehmen an staatlichen Stellen vorbei handelte, wird sich daher erst im Verlauf der weiteren Reformen zeigen. ↑ 4 Anteilsrechte für Mitarbeiter und Public-Private-Partnerships Fest steht hingegen, dass die Ausweitung des Verkaufs von Anteilsrechten an Mitarbeiter – insbesondere an das Management sowie an Personal aus Forschung und Entwicklung – ein Bestandteil der Reformen zur „Förderung der Mischform des Eigentumsrechts“ börsennotierter Staatsunternehmen sein wird. Die von der staatlichen Aufsichtsbehörde SASAC benannten offiziellen Pilotprojekte – der Zementkonzern China National Building Material Company (CNBM) und der Pharmakonzern Sinopharm – konzentrieren sich auf genau diesen Aspekt. Darüber hinaus sehen die Reformen eine stärkere Einbindung von privaten Investoren auf Projektbasis vor. Im Mai 2015 schrieb die NDRC hierfür mehr als 1.000 Projekte im Infrastrukturbereich auf Provinz-, Großstadt- und Kommunalebene mit einem Investitionsvolumen von rund zwei Billionen CNY (knapp 300 Mrd. Euro) aus. Diese PublicPrivate-Partnership-Projekte sollen nicht nur neue Investitionsmöglichkeiten für Privatkapital eröffnen, sondern vor dem Hintergrund hoch verschuldeter subnationaler Regierungen auch zur Entlastung der Staatskasse beitragen. Infokasten: Reformpläne auf Provinzebene Nicht nur die Zentralregierung, sondern auch Provinz- und Großstadtregierungen arbeiten Pläne zur Reform von Staatsunternehmen aus. Denn die Mehrzahl der chinesischen Staatsunternehmen wird nicht von der Zentralregierung, sondern von subnationalen Regierungen kontrolliert. Die Reformpläne der Provinzen setzen teils unterschiedliche Akzente, doch die grundsätzliche Stoßrichtung stimmt mit den Tendenzen überein, die sich auf zentralstaatlicher Ebene abzeichnen: Insbesondere in strategischen Sektoren sollen sich Staatsunternehmen durch Fusionen zu lokalen bzw. globalen Champions entwickeln, während vor allem in kompetitiven Bereichen die Beteiligung privaten Kapitals zu einer erhöhten Effizienz führen soll. Shanghai hatte seine Reformpläne bereits Ende 2013 ausgearbeitet. Seitdem hat eine Reihe von Private-Equity-Firmen Minderheitsanteile an örtlichen Staatsunternehmen erworben. Unter anderem verkaufte eine der größten Hotelketten Chinas – Shanghai Jin Jiang International Hotels – einen Anteil von 12,4 Prozent an die chinesische Private-Equity-Firma Hony Capital. Besonders ambitioniert erscheint auch die Agenda der Provinz Guangdong, die in Wirtschaftsreformen traditionell eine Vorreiterrolle innehat: Bis 2017 möchte sie privaten Investoren eine Beteiligung an mehr als 70 Prozent der Unternehmen unter ihrer Kontrolle ermöglichen. Aufsehen erregten auch die Reformen in der Provinz Shandong, die Anteile an örtlichen Staatsunternehmen an den Sozialversicherungsfonds der Provinz übertrug. Dieser hält nun Anteile von jeweils 30 Prozent an den Firmen Shandong Energy Group, Shandong Airport und Shandong Salt, die sich auf einen Gesamtwert von 3,3 Milliarden CNY (470 Millionen Euro) belaufen. Shandong plant, dem Sozialversicherungsfonds im Laufe der nächsten Jahre Anteile an sämtlichen örtlichen Staatsunternehmen zu übertragen. Auf diese Weise sollen nicht nur die wachsenden Löcher im Sozialversicherungssystem gestopft werden. Die Einbindung des Sozialversicherungsfonds als Kapitalmanager, der auf hohe Renditen fokussiert ist, soll auch die Effizienz der 5 Unternehmen steigern. Sollte sich dieses Modell in Shandong bewähren, ist davon auszugehen, dass es auch im Rest des Landes Anwendung finden wird. ↑ Teil 2: Umstrukturierung durch Holdinggesellschaften Ein zentrales Element der Reformen ist die Gründung staatlicher Holdinggesellschaften(国有 资本投资/运营公司). Diese sollen als Kapitalmanager auftreten und sich auf die langfristige Wertmaximierung ihrer Unternehmen konzentrieren. Auf diese Weise will der Parteistaat den Unternehmen ein unabhängigeres Wirtschaften ermöglichen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Seine Kontrolle über ihre strategische Ausrichtung wird er allerdings nicht aufgeben. Kompromiss verhindert weitreichende Veränderungen Die konkrete Umsetzung der Holding-Reform ist politisch sehr umstritten. Das Finanzministerium orientiert sich in seinem Vorschlag implizit am Vorbild der staatlichen singapurischen Investitionsgesellschaft Temasek. Demnach sollen die Holdinggesellschaften direkt dem Finanzministerium unterstehen, sodass die Dividenden der Unternehmen unmittelbar in die Staatskasse fließen. Zurzeit sieht es jedoch nicht so aus, als könnte sich dieser Vorschlag durchsetzen. Insbesondere die Aufsichtsbehörde SASAC versucht dies zu verhindern, da sie auf diese Weise weitgehend entmachtet würde. Sie plädiert daher dafür, die Holdinggesellschaften unter ihre Aufsicht zu stellen. Aktuell zeichnet sich ein Kompromiss ab, der auf die Eingliederung von Holdinggesellschaften zwischen SASAC und Unternehmen hinausläuft. Eine konsequente Trennung von politischer Aufsicht und wirtschaftlichem Handeln würde dies nicht mit sich bringen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die SASAC die Aktivitäten der Holdings und ihrer Unternehmen weiterhin entsprechend staatlicher Prioritäten zu steuern versuchen würde. Marktorientiertes Handeln nur bei unabhängigem Management Inwieweit die Einführung von Holdings zu einem unabhängigeren Wirtschaften der Staatsunternehmen führen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Organisationsabteilung der Partei das Recht zur Ernennung des Managements an die Holdings abgeben wird. Bislang ist diese Frage nicht geklärt. Allerdings wurden mit dem Zementnehmen China National Building Material Group und dem Pharmaunternehmen Sinopharm bereits zwei Staatsunternehmen ausgewählt, die mit einem gestärkten Management experimentieren sollen. Holdinggesellschaften bauen auf bestehenden Strukturen auf Die bisherigen Pilotprojekte zeigen, dass Holdings durch die Zusammenführung bestehender Konzerne (siehe auch Teil 3: Fusionen) sowie die Umwandlung von Mischkonzernen 6 entstehen. So kauft beispielsweise der Agrarkonzern COFCO weitere Staatsunternehmen auf und verlagert sein Kerngeschäft zunehmend in Tochtergesellschaften. COFCO selbst tritt gleichzeitig verstärkt im Stil einer Holdinggesellschaft als Investor auf (siehe Box). Der Zusammenschluss der beiden Zughersteller CNR und CSR ist hingegen ein Beispiel dafür, wie Fusionen von Staatskonzernen mit der Gründung branchenspezifischer Holdinggesellschaften einhergehen (siehe Teil3). Zudem erweitern auch bestehende staatliche Investmentgesellschaften, die bereits die Unternehmensstruktur einer Holding aufweisen, ihr Portfolio durch Zukäufe von Staatsunternehmen und agieren auf diese Weise als branchenübergreifende Holdinggesellschaften. Ein Beispiel hierfür ist die State Development & Investment Corporation (SDIC), die von der Aufsichtsbehörde SASAC zum Pilotunternehmen bestimmt wurde Fallbeispiel Der Agrarkonzern China National Cereals, Oils and Foodstuffs Corporation (COFCO) ist eines der Pilotprojekte der Aufsichtsbehörde SASAC für die Gründung einer Holdinggesellschaft. Auch in diesem Fall geht es um die Internationalisierungsstrategie der chinesischen Führung: China will den sogenannten ABCD-Konzernen aus den USA und Frankreich (ADM, Bunge, Cargill und Dreyfus) die Stirn bieten, die den Weltmarkt für Getreide dominieren. Deswegen fusionierte COFCO mit dem staatlichen Getreidehändler China Grain & Logistics Corporation sowie mit dem auf Handel und Reserven von Zucker, Fleisch und Wein spezialisierten Staatsunternehmen Huafu Group. Zudem erwarb das Unternehmen Mehrheitsanteile am holländischen Agrarkonzern Nidera und am Agribusiness der Hongkonger Noble Group. COFCO selbst agierte in diesen Fällen als Investor im Stil einer Holdinggesellschaft. Sein Kerngeschäft hat das Unternehmen mittlerweile weitgehend auf die Tochtergesellschaften verlagert. Das Fallbeispiel zeigt, dass die neuen Holdinggesellschaften in Zukunft strategische Investitionen in ausländische Unternehmen durchführen und damit auch in Europa und den USA zunehmend präsent werden dürften. ↑ Teil 3: Mega-Fusionen statt Zerschlagung von Monopolen Bereits im März 2014 legte der Staatsrat eine neue Richtlinie zur Förderung von Fusionen vor und verstärkte damit einen seit 2008 sichtbaren Trend: Während zu Anfang des Jahrtausends – beispielsweise im Stromsektor – Aufspaltungen von Staatsunternehmen stattfanden, um den Wettbewerb zwischen Staatsunternehmen zu stärken, zielt die neue staatliche Vorgabe auf Fusionen von Staatsunternehmen. Für die Umsetzung ist eine ministeriale Koordinationsgruppe (企业兼并重组工作部际协调小组) verantwortlich, an der sich 16 Ministerien und Behörden beteiligen, darunter neben der SASAC und dem Finanzministerium (MOF) auch die Nationale Kommission für Entwicklung und Reform (NDRC) und die Zentralbank (PBOC). 7 Die deutliche Zunahme der Fusionen staatlicher Unternehmen innerhalb der vergangenen zwei Jahre zeigt bereits die ersten Ergebnisse dieser strategischen Neuausrichtung. So fusionierten 2014 insgesamt 481 Staatsunternehmen. Dies ist eine deutliche Steigerung gegenüber 2012, dem letzten Regierungsjahr der Administration von Hu Jintao und Wen Jiabao. Damals fusionierten lediglich 275 Staatsunternehmen. Fusionen staatlicher Unternehmen 2008 - 2014 600 500 400 300 200 100 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Quelle: Zero2IPO Research 2015 Ein Beispiel für eine solche Fusion ist der Zusammenschluss der beiden chinesischen Zughersteller China North (CNR) und China South Locomotive and Rolling Stock Corporation (CSR). Das neu entstandene Super-Unternehmen soll in Zukunft die chinesischen Ambitionen für den Export der chinesischen Hochgeschwindigkeits-Züge realisieren. Ein weiteres Beispiel sind die Atomkraft-Unternehmen State Nuclear Power Technology Corporation und China Power Investment Corporation. Die Übernahme des Lebensmittel-Konzerns Huafu-Group durch den Agrarhandels-Konzern COFCO soll die globale Wettbewerbsfähigkeit von COFCO erhöhen (siehe Teil 2). Fusionen dienen der Internationalisierung Durch Zusammenschlüsse von Staatsunternehmen befördert die Reform die Bildung von Oligopolen oder gar Monopolen innerhalb Chinas, statt diesen entgegenzuwirken. Betroffen sind davon insbesondere jene strategisch wichtigen Sektoren, die in Planung und Bau von Infrastruktur aktiv sind und die Chinas Führung als Grundpfeiler der Seidenstraßeninitiative betrachtet. Die Zusammenführung großer Unternehmen in diesen Branchen soll die betreffenden Staatskonzerne für ihr internationales Engagement rüsten und aus ihnen „nationale Champions“ machen, die im globalen Wettbewerb bestehen können. Dies dient aus Sicht der chinesischen Regierung nicht zuletzt auch dem Abbau von Überkapazitäten im Staatssektor. Auf dieser Grundlage scheint es plausibel, dass weitere Fusionen unter anderem in den Bereichen Telekommunikation (z.B. 4G-Netzinfrastruktur), Stromnetze, Petrochemie und Schifffahrt stattfinden. Betroffen wären aber auch Unternehmen der Stahl- und Zementindustrie, die insbesondere im Anlagenbau ihr internationales Engagement ausweiten. Eine abrupte Fusionswelle in all den oben genannten Bereichen ist dennoch nicht zu erwarten. Vielmehr werden sich weitere Fusionen über mehrere Jahre erstrecken. Das liegt zum einen 8 daran, dass die chinesische Führung in einigen dieser Sektoren den Wettbewerb auf dem heimischen Markt derzeit durchaus noch als wichtig und notwendig ansieht. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass die betroffenen Konzerne sich in vielen Fällen zunächst grundlegend umstrukturieren müssen, bevor Fusionen möglich sind. Geschäftsfelder, die nicht als strategisch relevant gelten, könnten dabei weiter für private Investoren geöffnet oder gar verkauft werden, bevor Unternehmen in strategisch und sicherheitspolitisch relevanten Geschäftsfeldern fusionieren. So ist etwa im Strom- sowie im Öl- und Gassektor eine der möglichen Reform-Optionen, dass sich aus den bestehenden Staatsunternehmen nach Abspaltungen und Fusionen jeweils eine nationale Netz-Betreibergesellschaft bildet. Dieser stark umstrittene Schritt wird jedoch noch mehrere Jahre dauern, da jeweils zwischen sehr unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen vermittelt werden muss. Widerspruch zu marktwirtschaftlichen Prinzipien Mit den in Europa und den USA gängigen Vorstellungen von effizienten Wirtschaftsstrukturen sind die angestrebten strategischen Fusionen kaum zu vereinbaren. Denn die Regierung will nicht etwa durch mehr, sondern durch weniger nationalen Wettbewerb ein effizienteres Wirtschaften der international tätigen Staatskonzerne befördern. Zudem sollen die Fusionen einen „schädlichen“ Preiskampf unter chinesischen Staatskonzernen vermeiden, die auf internationalen Märkten tätig sind. Auf diese Weise sollen die Unternehmen durch höhere Gewinne mehr Spielraum für Investitionen in technologische Innovationen erhalten. Dies steht im starken Widerspruch zu marktwirtschaftlichen Prinzipien. Auch mit Blick auf den AntiKorruptionskampf sowie den von Ministerpräsident Li Keqiang angekündigten Abbau von Überkapazitäten sind Fusionen aus marktwirtschaftlicher Sicht eine fragwürdige Strategie. Es besteht die Gefahr, dass Staatskonzerne nicht weniger, sondern mehr politische Macht erhalten und Korruption ebenso wie ineffizientes Wirtschaften dadurch eher befördert als verhindert wird. Dennoch scheint die chinesische Führung fest davon überzeugt, dass Fusionen der richtige Weg sind, um chinesische Konzerne für ein globales Engagement fit zu machen. Als Argumente verweisen chinesische Kommentatoren dabei unter anderem auf die Erfahrungen westlicher Marktwirtschaften. Global starke Konzerne wie etwa die Zughersteller Bombardier (Kanada) und Siemens (Deutschland) oder auch der europäische Flugzeughersteller Airbus hätten eines gemeinsam: es gibt jeweils nur einen ihrer Art auf dem heimischen Markt. ↑ 9 Fallbeispiel CNR und CSR Ende 2014 sorgte die Ankündigung der Fusion der beiden börsennotierten staatlichen Zughersteller CNR und CSR für Furore. Die Fusion wurde im Juni 2015 abgeschlossen und fand damit in einem bislang nicht dagewesenen Tempo statt. Dies zeigt, welch hoher politischer Stellenwert dem Fall zukommt. Die Fusion von CNR und CSR gilt als Modellversuch für andere Staatsunternehmen, die in Zukunft ihr internationales Engagement ausweiten sollen. Zudem ist der Zusammenschluss auch ein Vorbild für die Gründung einer Holdinggesellschaft. Die beiden Konzerne treten seit der Fusion unter dem Namen China Railway Rolling Stock Corporation auf (CRRC). In einem zweiten Schritt steht die Fusion der beiden staatlichen Muttergesellschaften CSR und CNR Group an, die sich zur ersten staatlichen Holdinggesellschaft unter der Aufsichtsbehörde SASAC zusammenschließen sollen. Diese Holding wird die Mehrheitsanteile an der CCR halten und zudem alle lokalen chinesischen Zughersteller unter sich vereinen. Den Einfluss des Staates auf das in Zukunft verstärkt international agierende Unternehmen CRRC wird diese neue Struktur kaum reduzieren. Vielmehr dienen die Fusion und die Gründung einer Holding dazu, die staatliche Durchsetzungskraft zu erhöhen, um CRRC gezielt für wirtschaftspolitische Ziele im Ausland einsetzen zu können.↑ Fallbeispiel Dongfeng und FAW Auch Sektoren wie die Automobilindustrie, die aus Sicht der Regierung zu den Grundpfeilern der chinesischen Wirtschaft zählen, werden Schwerpunkte der Staatsunternehmens-Reform sein. Das Vorgehen gegen Spitzen-Manager der staatlichen Automobilkonzerne Dongfeng und FAW im Zuge der AntiKorruptionskampagne führte dabei zunächst zu Gerüchten, dass diese wie die beiden Zughersteller fusionieren würden. Beide Unternehmen dementierten dies. Wahrscheinlicher als eine Fusion der beiden staatlichen Automobilkonzerne erscheint derzeit eine strukturelle Neuaufstellung durch Fusionen oder auch Abspaltungen von Tochterunternehmen. Insbesondere die FAW Group mit ihren beiden börsennotierten Töchtern FAW Car und Tianjin FAW Xiali dürfte davon betroffen sein. Für die FAW Group ist im Zuge der Reformen zudem mit dem schon lange geplanten Börsengang zu rechnen. Was hingegen auch im Automobilsektor nicht zur Debatte steht, ist eine Privatisierung großer staatlicher Konzerne. Die jüngsten Regierungsdokumente machen ganz im Gegenteil deutlich, dass China den Automobilsektor als einen wichtigen strategischen Sektor betrachtet und diesem auch im Zuge der Internationalisierungsstrategie von Produktion und Infrastruktur eine wachsende strategische Relevanz einräumt. Daher dürfte der generelle Trend auch in diesem Sektor hin zu einigen wenigen, besonders großen Staatsunternehmen unter einer von der SASAC beaufsichtigten Holdinggesellschaft gehen.↑ 10 Konsequenzen der Reform für ausländische Unternehmen Staatsunternehmen bleiben zentrale Kraft auf dem chinesischen Markt Das gilt in besonderem Maße für Industriezweige, in denen China verstärkt internationale Aktivitäten anstrebt und die es als strategische Industrien beziehungsweise als „Hauptschlagadern“ der heimischen Wirtschaft betrachtet (u.a. Infrastrukturausbau, Rohstoffe, Agrargüter, aber u.a. auch die Automobilindustrie). Ein „level playing field“, auf dem ausländische, private und staatliche Konzerne gleiche Marktchancen haben, ist nicht zu erwarten.. Kein größerer Spielraum für ausländische Unternehmen auf dem chinesischen Markt Der Staat wird sich nicht konsequent aus dem Markt zurückziehen. Teilprivatisierungen von Staatsunternehmen und ihren Töchtern bieten zwar neue Investitionschancen für private Investoren, eine grundlegende Öffnung des chinesischen Marktes für privates und ausländisches Kapital ist jedoch nicht in Sicht. Die globale Präsenz chinesischer Staatsunternehmen nimmt zu Die Reformen zielen darauf ab, Staatsunternehmen, beziehungsweise die ihnen übergeordneten staatlichen Holdinggesellschaften, auf ein stärkeres internationales Engagement vorzubereiten. Die Regierung wird diese internationale Präsenz der staatlichen Holdings und Konzerne vehement unterstützen. Das Engagement von Holdings als Investoren im Ausland bedeutet eine neue Dimension der Internationalisierung chinesischer Konzerne. Chinas Staatsunternehmen werden zu stärkeren Konkurrenten Die staatlichen Konzerne und Holdinggesellschaften werden durch Fusionen und strukturelle Neuaufstellungen zu noch größeren Akteuren, die ihre Marktmacht weiter ausbauen werden. Ausländische Unternehmen sollten sich daher sowohl innerhalb als auch außerhalb Chinas auf eine wachsende Konkurrenz durch chinesische Staatsunternehmen einstellen. ↑ 11
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