Hauswirth, Johann-Jakob, Blumenbouquet mit Vögeln und Herzen

Hauswirth, Johann-Jakob,
Blumenbouquet mit Vögeln und
Herzen, Bunter Scherenschnitt und
Collage, 18 x 23 cm
Bearbeitungstiefe
Name
Hauswirth, Johann-Jakob
Namensvariante/n
Le Grand des Marques
Le Vieux des Marques
Trébocons
Lebensdaten
* 7.1809 Saanen, † 29.3.1871 L'Etivaz
Bürgerort
Saanen (BE)
Staatszugehörigkeit CH
Vitazeile
Scherenschneider. Szenen aus dem Landleben und
Blumenarrangements. Verbreitung der Arbeiten vor allem in der Gegend
von Château-d'Oex
Lexikonartikel
Der Poet der Schweizer Volkskunst ist zweifellos der schon zu Lebzeiten
legendäre Holzfäller und Köhler Johann-Jakob Hauswirth, der sein
Leben im waadtländischen Pays d’Enhaut, der Gegend um Châteaud’Œx, verbrachte. Man weiss wenig vom gutmütigen Riesen mit dem
Passgang, der ihm von den ihm in den Dörfern hinterherlaufenden
Kindern den Spitznamen «Trébocons», was übersetzt etwa «dreiteilig»
heisst, eingebracht hatte. Bekannt ist nur, dass er im bernischen Saanen
geboren wurde und im letzten Drittel seines Lebens in grösster
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Einsamkeit in einer selbstgezimmerten Hütte in der wilden Schlucht von
Etivaz hauste. Seine ersten knapp 40 Lebensjahre, in denen noch keine
Scherenschnitte entstanden waren, liegen im Dunkeln.
Die Entwicklung seines Werkes führt vom schwarzweissen Faltschnitt
zum bunten Falt- und Klebeschnitt, wobei der erste bekannte farbige
Scherenschnitt aus dem Jahre 1847 stammt. Von nun an tauchte
Hauswirth immer wieder bald hier, bald dort auf und zog mit seinem
grossen Rückenkorb von Hof zu Hof. Er verkaufte den Leuten gegen
Nahrungsmittel oder eine geringe Entlöhnung kleinere oder grössere,
schwarzweisse oder bunte, zum Teil gerahmte Scherenschnitte, die er
abends und vor allem während des langen Winters in seiner Hütte
anfertigte. Er hatte so ungeschlachte Hände, dass er sich genötigt sah,
zusätzliche Drahtringe an seinen Scheren anzubringen, um das
Schneidinstrument mit seinen dicken Fingern besser führen zu können.
Seiner Bedeutung nicht bewusst, später oft nachgeahmt und nie erreicht,
starb Hauswirth vereinsamt und verkannt keine zwanzig Kilometer von
seinem Geburtsort entfernt.
Der sich von der Aussenwelt abschliessende Hauswirth trachtete – im
Gegensatz zum einheimischen Louis David Saugy, seinem Nachahmer
und auch grössten Kritiker – in seinen Werken nie nach einer
naturgetreuen Wiedergabe. Er schöpfte aus den Szenen des täglichen
Lebens und bediente sich der Natur, die er zeichenhaft vereinfachte, um
das Bild einer imaginären Welt ohne Probleme zu schaffen. Die
festlichen, grossen Blumensträusse, die Hauswirth in seinen letzten
Lebensjahren geschaffen hat, wirken wie ein Vermächtnis, eine
Versöhnung mit der diesseitigen vergänglichen Welt.
Die kleineren, ungerahmten Schnitte mit Darstellungen von Reitern,
Paaren oder Blumenarrangements waren bei den Bauern als
Buchzeichen oder Marken für die Hausbibel begehrt, weshalb man
Hauswirth auch «Le Grand des marques» nannte. Für die grösseren,
bunten Scherenschnitte mit Szenen aus dem Landleben wie Taufen,
Volksfeste, Jagden oder Alpfahrten suchte er in den Dörfern nach
weggeworfenen farbigen Abfallpapieren. Seine Alpfahrten folgen häufig
demselben Bildaufbau: Ausgehend vom Bauernhaus am unteren
Bildrand windet sich der Zug hinauf zur Alphütte, die meistens mit
Utensilien für die Käseherstellung ausgestattet ist.
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Besonderen Reichtum entwickelte Hauswirth in der Gestaltung der
Bäume, für die er zahllose Stilisierungsvarianten erfand. Das
geschlossene Gartentor, das auf vielen Schnitten anzutreffen ist, lässt
sich wohl als Symbol für seine Zurückgezogenheit deuten. Die meisten
Scherenschnitte sind datiert und oft – als eine Art Signatur Hauswirths –
mit dem Berner Mutz auf einem Wappen ausgeschmückt.
Die von Hauswirth entwickelte Technik der grösseren Kompositionen
entspricht einer zum Teil mehrschichtig übereinander aufgeklebten
Schnittcollage, in welcher er eine heiter ausgelassene, bodenständige,
sorglose und idyllisch zarte Welt entwarf, in die sich dieser Rübezahl zu
versetzen vermochte, um seinem armseligen Dasein zu entfliehen.
Werke: Château-d’Œx, Musée du Vieux Pays d’Enhaut.
Guy Filippa, 1998
Literaturauswahl
- Enigma Helvetia. Arti, riti e miti della Svizzera moderna, Ausst.-Kat.
Museo cantonale d'arte, Lugano; Museo d'Arte della Città di Lugano,
27.4.–17.8.2008.
- Guy Filippa: Blick in eine Idylle. Schweizer Volkskunst und naive
Malerei aus vier Jahrhunderten. Bern: Benteli, 1983
- Charles Apothéloz: Meisterwerke des Scherenschnitts. J. J. Hauswirth, L.
Saugy. Vorwort: Christoph Bernoulli; Ikonografie: René Creux.
Frauenfeld: Huber, 1978
Nachschlagewerke
- Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst. Dictionnaire biographique
de l'art suisse. Dizionario biografico dell'arte svizzera. Hrsg.:
Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich und Lausanne;
Leitung: Karl Jost. Zürich: Neue Zürcher Zeitung, 1998, 2 Bde.
- The Dictionary of Art. Edited by Jane Turner. 34 volumes. London:
Macmillan; New York: Grove, 1996
- Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur
Gegenwart. Unter Mitwirkung von Fachgelehrten des In- und Auslandes
herausgegeben von Ulrich Thieme und Felix Becker. 37 Bände. Leipzig:
Seemann, 1907-1950 [Taschenbuchausgabe: München: DTV, 1992]
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Letzte Änderung
23.04.2015
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Empfohlene Zitierweise
AutorIn: Titel [Datum der Publikation], Quellenangabe, <URL>, Datum
des Zugriffs. Beispiel: Oskar Bätschmann: Hodler, Ferdinand [2008,
2011], in: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz,
http://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000055, Zugriff vom
13.9.2012.
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