Interview mit Martin Wehrle Herr Wehrle, Sie haben Ihrem Buch ein Zitat von George Bernard Shaw vorangestellt: „Es ist besser, für das, was man ist, gehasst, als für das, was man nicht ist, geliebt zu werden.“ Wie kam es zu dieser Wahl? Viele Menschen verbiegen sich, um geliebt zu werden – aber sie erreichen das Gegenteil, verlieren den Respekt der anderen. Die allzu nette Verkäuferin wird von ihren Kunden mit Rabattwünschen überfordert. Die allzu nette Lehrerin wird von ihren Schülern vorgeführt. Und der allzu nette Politiker steht ein Leben lang unter einem Parteischirm in der Fußgängerzone, um anderen zum Erfolg zu verhelfen. Ich zeige an vielen Beispielen: Wenn Sie echt sind, öfter Nein sagen und Ihren Werten folgen – dann werden Sie am Ende eben doch nicht gehasst. Sondern öfter respektiert. Und geliebt. Bislang sind Sie für Wirtschafts-Bestseller bekannt, zum Beispiel „Ich arbeite in einem Irrenhaus“ oder „Bin ich hier der Depp?!“ Warum gehen Sie mit diesem Buch einen Schritt weiter und regen die Leser an, auch im Privatleben mehr Selbstbestimmung zu wagen? Wir leben nicht im Zeitalter der Individualität, wie immer behauptet wird, sondern im Zeitalter der Gleichschaltung – gerade im Privatleben! Millionen Menschen werden mit derselben Denk-Soße überschüttet, durch Internet, Globalisierung und Massenmedien. Sie gehorchen Idealen, die nicht ihre eigenen sind – klotzen Überstunden, weil der Chef es will; kaufen Produkte, weil die Werbung es will; lassen ihr Handy an, weil der Anstand es will. Dabei lautet die wichtigste Frage: Was will ich eigentlich selbst? Es ist ein Hohn, dass wir unsere Zimmerpflanzen jeden Tag gießen, aber unsere Sehnsüchte verkommen lassen. Das klingt, als würde Ihr Buch eine große Zahl von Menschen ansprechen. Wen genau? Alle, die raus aus der Fremdbestimmung wollen. Die Sensiblen, die Ja sagen, obwohl sie Nein meinen. Die Netten, die ausgenutzt werden, nur weil sie hilfsbereit sind. Und die Perfektionisten, die als Kinder überfordert wurden und sich heute selbst überfordern – was zu Burnout und Depression führen kann. Viele Beispiele stammen aus Beratungen, unter anderem von Single-Frauen, Müttern, Vätern, Managern, Rentnern und Karrierefrauen. Der Leser lernt, in seinem Lebensfilm endlich selbst die Regie zu übernehmen. Ihr Buch bietet Coaching-Übungen an, lädt zu einem großen Life-Test ein und schildert viele Fallbeispiele. Zusätzlich zitieren Sie Studien und vermitteln Erkenntnisse großer Psychologen und Philosophen. Warum diese ungewöhnliche Mischung? Ich wollte kein Lesebuch schreiben, das man sich kopfnickend zu Gemüte führt, sondern ein Lebensbuch, das zu Veränderungen animiert. Die Übungen regen die Fantasie des Lesers an, bringen ihn zum Grübeln und zum Handeln. Die realen Beispiele zeigen, wie mehr Selbstbestimmung gelingen kann – das motiviert! Und die wissenschaftlichen Studien weisen Wege, wie man seine Gefühle und Gedanken steuert. Nur so lässt sich der Teufelskreis schlechter Gewohnheiten durchbrechen. Meine Testleser haben es schon in den ersten Wochen geschafft, öfter Nein zu sagen und auf ihre innere Stimme zu hören. Das ist das größte Kompliment, das ich mir als Autor wünschen kann. Am Ende jedes Kapitels steht die Rubrik „Der kleine Lebensretter“. Dort fassen Sie Erkenntnisse humorvoll zusammen. Können Sie ein Beispiel geben? Ein Kapitel handelt davon, dass wir oft sagen: „Ich muss …“ Angeblich „müssen“ wir Freunden beim Umzug helfen, „müssen“ Überstunden machen, Diäten halten, Sport treiben … Aber müssen wir wirklich? Nein, wir haben jedes Mal die Wahl, wir können auch Nein sagen! Deshalb kommt „Der kleine Lebensretter“ zu der Erkenntnis: „Für ‚Ich muss‘ gibt es Übersetzungen in alle Weltsprachen, am interessantesten ist die ins Deutsche: ‚Ich weigere mich, selbst zu entscheiden!‘“ Ich glaube, dieser kritische Humor macht Veränderungen leichter – deshalb gibt es in dem Buch auch viel zu schmunzeln. MARTIN W EHRLE Sei einzig, nicht artig! ISBN 978-3-442-39283-4 9<HTOEPC=djcide> © Verlagsgruppe Random House
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