Neujahrsansprache 2016 10. Januar, Festhalle Erwitte Wir könnten daher umso leichter mit den neuen Mitbewohnern in Frieden leben. Liebe Bürgerinnen und Bürger, Es ist mir ein großes persönliches Anliegen, den zahlreichen ehrenamtlichen Kräften für ihren großartigen Einsatz zu danken. Egal, in welchem Ortsteil sie sich einsetzen – oder was sie ehrenamtlich tun, jede Hand wird gebraucht und jede helfende Hand ist ein Segen! die Umstände des Neujahrsempfangs 2016 sind ungewohnt. Die Ereignisse 2015 hat es in den deutschen Städten seit der Nachkriegszeit nicht mehr gegeben. In kaum fassbarem Ausmaß sind die Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen und Verfolgungen nicht nur in Erwitte, sondern im ganzen Land und damit in jeder Stadt zu sehen. Kriegsflüchtlinge und Verfolgte hoffen auf Asyl in Deutschland. Als im Dritten Reich in Deutschland die Nazis gewütet und die Menschenrechte in den Dreck gezerrt haben, überlebten zahllose Menschen nur deshalb, weil sie in anderen Ländern Asyl vor der braunen Barbarei bekamen. Dieses Grundrecht muss deshalb für uns Deutsche ein hohes Gut bleiben, auch, wenn wir jetzt dieses Grundrecht gewähren müssen. Aber, auch das gehört zur Wahrheit, Armut ist kein Asylgrund. 2014 sind 47 Flüchtlinge gekommen, 2015 waren es 360, fast achtmal so viel! Eine Verwaltung kann nur beschränkt so etwas leisten wie Menschlichkeit und persönliche Zuwendung. Die Stadt muss zunächst die Unterbringung und Versorgung lösen, weil wir die Menschen vor Obdachlosigkeit und Not bewahren müssen. Hier hilft das Ehrenamt durch menschliche Zuwendung und zahlreiche Hilfestellungen und Angebote. Wir sind sehr dankbar für diese Leistungen! Sie helfen den Flüchtlingen, sie helfen ebenso den Einheimischen. Wir haben gelernt, dass man gut miteinander auskommen kann, wenn auf beiden Seiten guter Wille herrscht. Unsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sprechen mit den Flüchtlingen, das schafft gegenseitiges Vertrauen, das Ehrenamt ist das beste Beispiel von Integration und wirkt als Multiplikator für Menschlichkeit, die Helferinnen und Helfer packen an und meckern nicht über Verhältnisse, die es teilweise noch gar nicht gibt. Die Hunderttausende Flüchtlinge sind überwiegend aus Kriegsgebieten geflohen. Die Älteren werden sich noch erinnern, wie das nach dem Ende des 2. Weltkriegs war mit Millionen von Toten, Verwundeten, Vertriebenen. Am Mittwoch wurde ich bei der Bürgerversammlung in Schmerlecke nach dem Erwitter Sicherheitskonzept für die Flüchtlingsproblematik gefragt, also im Klartext: „Wie ist die Risikoeinschätzung des Bürgermeisters und welche Abwehrmechanismen sind vorbereitet?“ Auch damals wurden in Erwitte Flüchtlinge untergebracht, die britische Besatzungsmacht war nicht zimperlich und befahl Zwangseinweisungen, Flüchtlinge wurden durch Befehl zu Familien gesteckt – und man musste sich mit Fremden vertragen. Das gibt es heute nicht. Ich habe erklärt, dass wir kein Sicherheitskonzept haben und auch nicht brauchen, denn es besteht kein Aggressionsrisiko, weder Deutsche gegen Flüchtlinge, noch Flüchtlinge gegen Deutsche. Es gibt eine große Dankbarkeit bei den Menschen, weil sie ordentlich behandelt und nicht angepöbelt werden. Und unsere Bürgerinnen und Bür- ger können ebenso sicher sein. Es liegt an uns allen, dass das so bleibt! Liebe Gäste, wir erleben täglich Stimmen in den Medien, das Asylrecht in Deutschland werde missbraucht, angeblich suchten überwiegend Wirtschaftsflüchtlinge Unterschlupf. Natürlich gibt es bei einer Million Flüchtlingen auch den Missbrauch unseres Rechts, aber glauben Sie ernsthaft, dass Menschen Kopf und Kragen riskieren und sogar das Leben ihrer Kinder aufs Spiel setzen, nur um es etwas bequemer zu haben? Missbrauch gibt es auch in unserem deutschen Alltag, denken Sie an Steuererklärungen, an Beihilfe- und Subventionsanträge jeglicher Art, an Verkehrsregeln. Wir Deutschen kommen sicherlich alle in den Himmel, aber ich glaube, dass ich viele vorher im Fegefeuer treffen werde… - meine Damen und Herren, ich möchte damit nur sagen, dass Rechtsmissbrauch nicht von Flüchtlingen erfunden wurde. Natürlich muss der Staat dagegen konsequent einschreiten. Insbesondere die Straftaten der Silvesternacht wie in Köln müssen hart bestraft werden, und wenn wir die Täter ausweisen können, dann sollten wir das tun, das wirkt abschreckend. Aber hier in Erwitte war und ist alles ruhig und anständig, auf allen Seiten! Aus der rechten Ecke hört sich das anders an. Glauben Sie nicht den Schreiern, dass unser Land an Flüchtlingen zerbrechen wird, die schüren nur Angst und Hass. Übrigens habe ich bei meiner Vorbereitung recherchiert: In Dresden sind rund 3.500 Flüchtlinge bei etwa 541.000 EW, das ist ein Anteil von rund 0,6 %; in Erwitte sind fast 400 Flüchtlinge bei rund 16.600 EW, das ist ein Anteil von rund 2,4 %. Nach Dresdener Verhältnissen hätten wir also nur ein Viertel von 400, die Dresdener hätten nach Erwitter Quote die vierfache Menge, also etwa 14.000 Flüchtlinge zu versorgen. Diese Aussage richtet sich ausdrücklich nicht gegen Rat und Verwaltung der Stadt Dresden, die kämpfen genauso wie wir für die Lösung eines logistisch immensen Problems. Der Vergleich soll aber zeigen, was von großem Geschrei auf den Straßen zu halten ist. Diese kulturell so hochangesehene Stadt tut mir leid, Pegida schadet Dresden. Übrigens stelle ich mir schon lange die Frage, wann die Medien endlich eine konzertierte Aktion machen – und die Pegida-Demos schlichtweg totschweigen, vom Dresdener Anzeigenblatt bis zum Deutschen Fernsehen. Die Pressefreiheit hat in Deutschland Verfassungsrang, das ist gut, aber die Presse hat nicht die Pflicht, jeden Dreck zu berichten oder zu verbreiten, die schließen doch auch andere Themen aus, Pegida sollte keine Öffentlichkeitswirkung mehr bekommen. Und hier? Obdachlosigkeit eignet sich nicht für lange Diskussionen, da muss zügig entschieden werden, und das geschieht, dafür gibt es klare Zuständigkeiten nach geltendem Recht. Für unbequeme Entscheidungen nach einer Güterabwägung bitte ich Sie um Verständnis. Versetzen Sie sich bitte selbst in die Lage eines Flüchtlings, der mit seinen Habseligkeiten vor dem Rathaus steht und auf Hilfe hofft. Der kann nicht auf das Ende einer langen Debatte warten – das muss er auch nicht! Bisher ließen sich Fragen wie: Was machen wir mit den Menschen? Was bedeutet das für uns in Erwitte? leicht verdrängen, die wenigen Flüchtlinge fielen ja nicht sonderlich auf. Krieg hätten die Deutschen auch mit weniger Mitteln zurechtkommen müssen. Das hat sich geändert. In der Stadt sind neue Unterkünfte entstanden, weitere müssen und werden folgen, Einrichtungen wurden und werden umfunktioniert. Allmählich wird allen bewusst, dass wir teilweise unsere Lebensgewohnheiten ändern müssen, wenn Hallen für die Unterbringung von Flüchtlingen verändert werden, wenn in ein Nachbarhaus Menschen mit einer anderen Hautfarbe einziehen und gar nicht oder nur bruchstückhaft unsere Sprache beherrschen, oder wenn die Kinder aus der Schule berichten, dass in der Klasse ein neuer Schüler ist, kein Deutsch spricht, ängstlich ist und viel weint. Wollen wir wirklich die Fehler der Vergangenheit wiederholen? Ist es Luxus, wenn beispielsweise in der Wohnanlage auf dem Schlossgelände oder am Solering sich drei Personen 12 m² teilen müssen? Für die Unterbringung unternehmen wir große Anstrengungen, gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass die Ausgaben nicht finanziell aus dem Ruder laufen. 2010 feierte die Friedenseiche ihr 50 jähriges Bestehen, der neue Bürgermeister war bei dem Jubiläum, ich durfte mit den Bewohnern eine Eiche pflanzen und zur Gründung und der Entwicklung bis heute sprechen. Bei der Vorbereitung stieß ich auf Unterlagen, auf die unsere Stadt nicht stolz sein kann. Die Friedenseiche wurde dort gebaut, weit vor den ersten Häusern der Stadt, weil man die Fremden nicht mittendrin haben wollte. Integration und deren Sinn war unbekannt. Das waren Fremde, da war Vorsicht geboten. Es sprang geradezu das Unbehagen aus den Akten, dass man sie am liebsten weiter geschickt hätte zurück nach Hause konnten die ja nicht, da war verbrannte Erde oder da waren die Russen. So ähnlich habe ich das auch in meiner Rede 2010 formuliert. „Die von der Friedenseiche“ waren Deutsche Flüchtlinge – sie sind lange schon mittendrin und eine Bereicherung unserer Stadt. Über die Jahre wurde gemeinsam eine große Chance genutzt. Häufiger höre ich Kritik, es ginge den Flüchtlingen zu gut, wir würden falsche Anreize schaffen. Dadurch kämen immer mehr, nach dem Liebe Gäste, wir müssen den Flüchtlingen helfen und sie menschlich ordentlich behandeln und dabei müssen wir selbst anständig bleiben. Deshalb bitte ich Sie: stellen Sie sich gegen die Parolen aus der rechten Ecke. Die Zahlenund die amtlichen Berichte lauten anders. Eines ist ganz wichtig für Erwitte: bisher ist keine Unterkunft beschmiert und sind keine Flüchtlinge angepöbelt worden. Das ist gut und ich hoffe sehr, dass das so bleibt. Sie wissen, dass ich kein Sozialromantiker bin. Natürlich habe ich Sorgen, weil ich befürchte, dass wir unsere sozialen Systeme inklusive der Schulen kurzfristig überfordern, denn die sind auf eine plötzliche massenhafte Inanspruchnahme administrativ und finanziell nicht ausgelegt. Bund und Land müssen daher schnell für einen Ausgleich sorgen. Dann bleibe ich zuversichtlich, dass wir diese Herausforderung schaffen werden, mache dazu allerdings eine wichtige Ergänzung zur Aussage unserer Bundeskanzlerin: Wir als kommunale Familie schaffen das nur, wenn wir die notwendigen Mittel bekommen, um den Menschen zu helfen und gleichzeitig unsere Städte für die Zukunft vorzubereiten. Wir brauchen keinen Dank, wir brauchen wirksame Unterstützung, und das sind u, a, Geld und die Abschaffung kleinlicher Vorschriften, damit wir die Probleme schneller lösen können! Aber da entsteht ein neues Problem, bei dem ich noch nicht erkenne, dass Bund und Land dies bisher richtig einschätzen. Es wäre kaum möglich, die Zahl der ehrenamtlichen Helfer zu verdoppeln. Bund und Land betonen selbst, dass ehrenamtliches Engagement der wesentliche Faktor für die Willkommenskultur ist, man spricht völlig richtig von der zweiten Säule. Kommen da Erschöpfungserscheinungen oder kippt das Verhältnis, wird es schwierig. Und dennoch, haben wir nicht eine größere Verantwortung für die Menschen, die Krieg und Verfolgung entkommen sind. Auch das sind Opfer. Die brauchen zum Volkstrauertag keinen Kranz am Mahnmal, die leben noch, sie sollen leben und sich sicher fühlen, ebenso sicher wie wir uns fühlen dürfen. Bei der Zuweisung von Flüchtlingen brauchen die Menschen ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl und ein Dach über dem Kopf. Dazu kommen ganz überwiegend ehrenamtlich soziale Betreuung, Unterstützung bei Behördengängen und Integration. Dankbar bin ich für Sachspenden von Erwitter Familien. Sie bringen Geschirr, Gläser, Besteck, Bettwäsche, Kleidung, Kleinmöbel und all die Dinge, die Menschen brauchen, wenn sie aus dem Bus klettern und ins Rathaus kommen. Mein Respekt gilt den Vereinen, die Änderungen aktiv angehen und die bisherigen Abläufe radikal verändern. Sie wollen das Brauchtum unter neuen Bedingungen pflegen, auch vorerst ohne Hellweghalle! Denn wen trifft die aktuelle Lage eigentlich unmittelbar? – Beruflich niemanden, wirtschaftlich auch niemanden, aber aktuell fünf Vereine in der Kernstadt. Westfalia Erwitte teilt sich einen großen Teil der sanitären Anlagen im Sportheim mit den Flüchtlingen, der Fanfarenzug übt in einem Gewerbebetrieb, die drei Erwitter Schützenvereine werden mindestens das nächste Schützenfest in Zelten feiern. Meine Wertschätzung für ehrenamtliches Engagement ist bekannt, ich wirke selbst schon viele Jahre mit. Aber in einer Güterabwägung muss bedacht werden, dass diese Arbeit nicht zu den lebenserhaltenden Aufgaben gehört. Diese strengen Kriterien gelten weiter, wenn über die notwendige Inanspruchnahme bei anderen öffentlichen Einrichtungen nachgedacht werden muss. Bisher haben wir die Lage gut im Griff, aber die Zuweisungen 2016 werden genauso groß. Deshalb wäre es ist wichtig, wenn alle mithelfen, wie auch immer. Wer Zeit hat, kann sich ehrenamtlich engagieren, wer Sachspenden hat, ist willkommen, das erspart der Stadt viel Geld für eine bescheidene Erstausstattung. Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich an die Quote von 2,4 % im Jahr 2015, die wird sich verdoppeln. Dennoch möchte ich auf einen anderen ebenso wichtigen Gesichtspunkt eingehen: was schaffen Rat und Verwaltung für unsere Einwohner? Einiges kommt in 2016, was wir beschlossen haben oder aktiv begleiten. Das betrifft die Infrastruktur, das betrifft die Überzeugung der jüngeren Generation, dass es wichtig ist, sich für diese Stadt einzusetzen. Das betrifft die Finanzen, denn nur dann, wenn wir heute vorsichtig haushalten, können unsere Nachfolger Erwitte weiter entwickeln. Je mehr wir heute ausgeben und langfristig binden, umso schwieriger wird die Kommunalpolitik der Zukunft sein. Nachhaltigkeit bedeutet also, dass wir heute nicht verbissen einen Standard halten wollen – wenn man schon erkennt, dass unsere Nachfolger keine Chance hätten, das so fortzusetzen. Unsere Finanzlage muss langfristig sicher bleiben. Das betrifft vor allem die Ausgaben. Reißen wir heute neue Löcher, müssen sie dauerhaft gestopft werden – und das bedeutet in der Haushaltssicherung Streichungen an anderer Stelle. Vorschläge sollten die machen, die heute weiter Kosten draufsatteln wollen. Sie müssen dann sagen, was sie für ihre Interessen an anderer Stelle streichen wollen. Meine Damen und Herren, es kommt einiges Neue 2016: Das Gymnasium verabschiedet seinen langjährigen Leiter. Oberstudiendirektor Engler geht in den verdienten Ruhestand, neuer Schulleiter wird Klaus Grothe. Auf „Pastors Wiese“ und an der Stelle der alten Krankenhausverwaltung soll ein neues Altenheim als Ersatzneubau für das Josefsheim entstehen, mitten in der Stadt an einer ruhigen und grünen Stelle. An der Berger Straße wird ein neues Wohngebiet für Einfamilienhäuser, Reihenhäuser und Mehrfamilienhäuser erschlossen. Wir werden für unsere Pläne für das LEADER-Projekt um Unterstützung bei unseren Nachbarn werben, damit alle im 5er-Verbund etwas von der Investition haben. Wir werden die offene Gebäudefrage bei der Sekundarschule kooperativ mit der Gemeinde Anröchte klären, um für die Schule Verbesserungen und für beide Kommunen Synergien und damit wirksame Einspareffekte zu erzielen. Wir begleiten planungsrechtlich die Umgestaltung der SolbadImmobilie am Mühlenweg, damit in 2017 endlich die technische Sanierung durchgeführt werden kann. Diese große und wichtige Zukunftsinvestition erfolgt ohne städtische Mittel! Wir unterstützen die Reaktivierung des Ringhotels an der Kurpromenade in unserem Heilbad. Wir bemühen uns um eine Folgenutzung des Winkelgebäudes auf dem Schlossgelände. Wir suchen Einsparmöglichkeiten für den Haushalt und werden diese umsetzen. Das ist nur ein kleiner Teil aus einem großen Arbeitsprogramm, nicht repräsentativ und nicht abschließend. Dafür wünsche ich uns allen Kraft und Ausdauer und die gegenseitige Gewissheit, dass die Menschen an den entscheidenden Stellen der Stadt Bestes suchen, das haben wir bisher immer geschafft! Liebe Gäste, auch im Namen meiner Frau wünsche ich Ihnen für das neue Jahr 2016 alles erdenklich Gute und Gottes Segen! Herzlichen Dank
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