Schauinsland - Oase Verlag

Besenrein, kärcherfest – das kleine Glück in einem Breisgauer Neubauviertel
Empört Euch doch gleich nebenan
Zum 75. Geburtstag des Regisseurs Dieter Wieland sendet der Bayrische Rundfunk im März
eine Retrospektive seiner legendären Heimatfilme. Unter dem schlichten Serientitel „Topographie“ schuf Wieland zwischen 1972 und 2003
über 150 Filmdokumente, deren Gültigkeit bis
heute anhält. Arbeiten wie „Unser Dorf soll
häßlicher werden“, „Hilfe, mein Haus ist ein
Denkmal“ und „Der Jodlerstil“ belegen die bis
heute anhaltende ästhetisch-architektonische
Verlumpung unseres ländlichen Lebensraumes.
Dieter Wieland zeigte aber auch stets positive Beispiele und Lösungen. „Die große Kunst,
ein kleines Haus zu Bauen“ ist eine Hommage
an das schlichte, aber konsequent durchdachte
und materialsensible bauen. Der Zaun, die Tür,
der Brunnen, das Wirtshaus – ruhige Bildfolgen
mit sekundenlangen Detailaufnahmen, dazu ein
suggestiver, fast schon melancholisch, langsam
gesprochener Text mit kräftigen Vergleichen
– Wielands Filmdokumente wirken im Umfeld
des aufgeregten Hüpfburgfernsehens von heute
wie eine ruhige, sichere Insel.
Eine vergleichbar durchdachte und konsequente Filmfolge zur Topographie unsrer Heimat hat der Südwestrundfunk nie zustande
gebracht. Er wird sie auch nie zustande bringen, weil sich Günstlinge und Windmaschinen
in den Sendern fester den je etabliert haben.
In gebührenfinanzierten Puderzuckerserien wie
„Fahr mal hin“ oder „Tour de Pfännle“ müssen
Moderatoren nicht kritisch hinschauen, sondern
konsequent grinsen können.
Senderintern heißen die enttäuschten, für
billige Regiotümelei zu intelligenten Gebüh-
renzahler verächtlich „Beifang“. Damit hat die
Anmaßung der öffentlich-rechtlichen Sender
die feudale Haltung Marie-Antoinettes erreicht.
Wenn die Nachdenkenden nichts zu sehen bekommen, sollen Sie doch ins Internet gehen.
Erstaunlich, wie lange sich der Gebührenzahler solche Anmaßung schon gefallen läßt.
Gäbe es jemanden, der die Zwangsbespaßer
an die Leine nimmt und Sie zur Rücknahme
ihres kanalübergreifend verbreiteten Intensiv-
Schauinsland
von Wolfgang Abel
heiterkeit anhält, ich würde gerne einen Beitrag
in Höhe der monatlichen Rundfunkgebühren
überweisen.
Ein Dieter Wieland von heute würde keinen seiner Heimatfilme im SWR unterbringen,
so wie diese Zeilen in keiner Regionalzeitung
unterkommen. Einen im Wielandschen Sinne
hinschauenden Lokalredakteur gibt es ja schon
lange nicht mehr. Beim Bürgermeister, bei der
Bürgermeisterin auf dem Schoß sitzt es sich
halt bequemer, als auf Knackpunkten im Bauausschuß. Eine Pressemitteilung aus dem Amt
ist schneller nachgebetet, als eine Haushaltsvorlage durchgelesen. Was sind das eigentlich
für Feiglinge, die in ihrer Heimat Tag für Tag an
Ungeheuerlichkeiten vorbeifahren und darüber
kein Wort berichten.
„Empört Euch“ fängt eben nicht vor den
großen Misthaufen an, wo die Aufregung so
bequem wie folgenlos bleibt. Nebenan, wo
es wehtut, wäre Empörung ein Zeichen, das
wirkt: Empört euch doch über die Schlienenger
Ortseingangsflaschen, über die Badenweiler
Brunnen­karikaturen, aus denen Hunde, aber
keine Menschen trinken können, über Dorfkernvertotung, über lächerliche Sinnenpfade ,
über Biotope für alleinerziehende Eidechsen und
längst nicht zuletzt über den millionenteuren
hochschwarzwälder Krötentunnel an der B 500
bei Schluchsee-Aha. Empört Euch angesichts
eines depressiven Markgräfler Platzes in Müllheim und dem Neubauviertel auf dem Russenhügel hinter der Müllheimer Helios-Klinik – wo
Bausparer-Intensivhaltung mit unverbaubarem
OP-Blick verwirklicht wurde.
Früher stand neben jedem Wohnhaus eine
Sitzbank, heute geht die Garagentüre automatisch auf und der Hausherr verschwindet in einer Zwingburg mit Bewegungsmeldern. Diese
Leute sitzen dann in Ausschüssen und wollen
„Bürger abholen“ und sie erzählen von Nachbarschaft und Kommunikation. Trau keinem,
der Bewegungsmelder am Haus hat und Bürger
abholen möchte!
Dieter Wieland schrieb vor 30 Jahren zum
Thema Hauseingang: „Der Eingang ist der Anfang eines Hauses. Das Glück des täglichen
Nachhausekommens. Ein paar Schritte können
das entscheiden.“