Eine Heimat für alle Menschen Christuskirche Pfarrer Sebastian Stahl hat sich in Neugablonz gut eingelebt und steckt mitten in der Arbeit. Der Geistliche erläutert, was ihm bei seiner Arbeit besonders am Herzen liegt und welche Ziele er verfolgt VON RENATE MEIER Neugablonz „Die Christuskirche ist nicht die schicke, reiche Gemeinde – das wollte ich auch gar nicht. Dafür sind die Menschen hier freundlich, engagiert und entspannt.“ Das sagt Sebastian Stahl (42), der vor einem halben Jahr die geschäftsführende Pfarrerstelle der evangelischen Gemeinde übernommen hat. Inzwischen hat er sich mit seiner Frau und den vier Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren gut in Kaufbeurens größtem Stadtteil eingelebt und steckt mitten in der Arbeit. Und zu tun gibt es viel, in der 4800 Seelen zählenden Gemeinde, in der mindestens die Hälfte der Gläubigen Migrationshintergrund haben. Zur seelsorgerischen Arbeit und dem Religionsunterricht an zwei Schulen kommt noch eine spezielle Aufgabe: Die Innenraumgestaltung der sanierten Christuskirche steht zur Entscheidung an. Denn mit dem Umbau wurden die bisherigen Sakralgegenstände Altar, Kreuz, Taufbecken und Ambo sowie die Orgel abgebaut und eingelagert. Erstere sollen auf jeden Fall ersetzt werden. Über die Zukunft der Orgel läuft derzeit eine Abstimmung unter den Gemeindemitgliedern. Nach den bisherigen Rückläufen geht Pfarrer Stahl davon aus, dass die Gemeinde ein neues Instrument anschaffen und mit dem Verkauf der Orgel finanzieren will. Stahl rechnet mit einem Erlös von um die 60 000 Euro. Er glaubt, dass dafür auch ein anderes, besser in das Gotteshaus passendes Pfeifeninstrument zu bekommen sei. Die Entscheidung liegt beim Kirchenvorstand und Vertretern der Landeskirche, die sich schon kommenden Mittwoch zur Sitzung treffen. „Es ist mir wichtig, dass die Menschen miteinander ins Gespräch kommen, wenn es sein muss, mit Händen und Füßen.“ Pfarrer Sebastian Stahl In Anwesenheit von zwei Kunstsachverständigen soll dabei auch über die Sakralgegenstände gesprochen werden. Die Landeskirche strebt laut Stahl einen Künstlerwettbewerb an. Er selbst ist da eher zurückhaltend. Schließlich verfüge die Kirchengemeinde nur über wenig Geld, könne sich teure Objekte gar nicht leisten. Er tritt für eine „vernünftige Lösung“ ein, die Die Christuskirche ● Gläubige: Die evangelische Gemeinde Kaufbeuren-Neugablonz hat 4800 Mitglieder, davon sind mindestens die Hälfte Aussiedler aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. ● Gebiet: Neugablonz (größter Bereich) sowie die Umlandgemeinden Kaltental, Oberostendorf, Osterzell, Pforzen, Rieden, Stöttwang, Westendorf, Germaringen. ● Team: Geschäftsführender Pfarrer ist Sebastian Stahl. Zum Team der Gemeinde gehören zudem seine Kollegen Wolfgang Krikkay und Krankenhausseelsorger Johannes Steiner, zwei Sekretärinnen im Pfarramt sowie die Mesnerin und eine Hausmeisterin. Die Innenraumgestaltung der Christuskirche beschäftigt derzeit die ganze Gemeinde und Pfarrer Sebastian Stahl. Mit dem Umbau wurden die früheren Sakralgegenstände und die Orgel abgebaut und eingelagert und Provisorien aufgestellt (von links Ambo, Altar und Kreuz). Diese sollen nun ersetzt werden. Wie groß die frühere Orgel war zeigt ein Aufbau (rechts an der Wand). Sie wird vermutlich verkauft und durch ein neues Instrument ersetzt. Foto: Mathias Wild „langsam und behutsam“ verwirklicht werden könnte. Als seine „Kernaufgabe“ sieht Pfarrer Stahl aber die Seelsorge. Er möchte das „Begegnungszentrum Christuskirche mit Begegnungen füllen“. Doch in seiner neuen Gemeinde existieren zu seinem Bedauern immer noch zwei Welten: die der Aussiedler und die der Einheimischen. „Die Aussiedler kommen jeden Sonntag zum Gottesdienst. Sie machen die Kirche voll und sprühen vor Herzlichkeit.“ An den Aktivitäten außerhalb der Gottesdienste beteiligten sie sich hingegen nicht. Dort seien vor allem die alteingesessenen Neugablonzer vertreten. Stahl würde sich über mehr Begegnungen der beiden Gruppe freuen. „Aber mir ist klar, ich kann nichts erzwingen.“ Als „hoffnungsvoll“ bezeichnet es der Pfarrer, dass er bei den jungen Menschen ein „immer stärkeres Miteinander“ spürt. Bei den Konfirmanden etwa sei höchstens noch aufgrund der Nachnamen festzustellen, woher sie ursprünglich stammen. Mittlerweile gibt es noch eine dritte Gruppe in der Gemeinde: die Asylbewerber. Stahl ist Motor des in Neugablonz von mehreren Kirchengemeinden getragenen „Café International“ – einer Begegnungsmöglichkeit von Neugablonzern und Asylbewerbern. „Es ist mir wichtig, dass die Menschen miteinander ins Gespräch kommen, wenn es sein muss, mit Händen und Füßen.“ Seine Erfahrung aus der Arbeit mit den Menschen unterschiedlicher Nationen ist eindeutig: „Integration gelingt nur da, wo sie bereitwillig angenommen wird.“ Und: „Es gibt nicht den Russlanddeutschen, den Neugablonzer oder den Asylbewerber.“ In jeder Gruppe befänden sich schwierige und nette Charaktere. Am Herzen liegt dem Sohn einer katholischen Mutter und eines evangelischen Vaters auch die Ökumene. Stahl befasst sich gerne mit verschiedenen Glaubensrichtungen. Es interessiert ihn, wo es Gemeinsamkeiten gibt und „wo wir etwas voneinander lernen können“. So bietet er in der Erwachsenenbildung entsprechende Themenabende an und will eine Exkursion ins buddhistische Waldkloster in Buchenberg unternehmen. Faszinierend findet er zudem das Leben der Amischen in den USA. Sie verdoppelten alle 18 Jahre die Zahl ihrer Mitglieder, obwohl sie sehr einfach leben. Von solchen Zahlen können die evangelischen Gemeinden hierzulande nur träumen. 42 Austritte gab es im vergangenen Jahr in der Christuskirche – aber auch „sehr viele Taufen“, sagt Stahl. Damit die Bilanz möglichst positiv bleibt, möchte er eine Kirche für das „Hier und Jetzt“ als „Heimat für alle“ und „Zufluchtsort“ anbieten. „Das habe ich in Neugablonz schon so vorgefunden und das spricht mich sehr an“, sagt Stahl. „Unwahrscheinlich genießt“ er es, dass das Team der Christuskirche „an einem Strang zieht und gut miteinander umgeht“. Das habe er so noch nie erlebt. Und das ist Stahl wesentlich wichtiger, als in einer schicken und reichen Gemeinde zu arbeiten. ● Gotteshaus: Die Christuskirche wurde 1954/1955 mit Mitteln der „wooden church crusade inc.“ aus den Vereinigten Staaten erbaut. Die Organisation hatte Baron Henning von Royk-Lewinski, ein Neffe des früheren Reichspräsidenten von Hindenburg, 1950 in Burlington, Wisconsin, gegründet. Ihr gehörten Gouverneure und Senatoren an. Es war eine freiwillige, amerikanische, überkonfessionelle Organisation, die im Hinblick auf einen weltweiten weltanschaulichen Konflikt folgendes Ziel hatte: Es sollten 49 bescheidene Kirchen und Gotteshäuser in der Bundesrepublik als ein „geistiger Schutzwall gegen den Kommunismus“ errichten werden. Jede Kirche sollte für einer der 49 nordamerikanischen Bundesstaaten stehen – als Symbol für die Verbundenheit zwischen den USA und dem freien Teil Deutschlands. ● Sanierung: Im Sommer 2011 begann ein umfangreicher Umbau zu einem Begegnungszentrum. Dieses wurde Ende 2012 eingeweiht. ● Innenausstattung: Noch offen ist, wie die Kirche nach der Sanierung innen ausgestattet wird. Die früheren Sakralgegenstände wurden bis auf den Jerusalemleuchter von Gerhard Glüder eingelagert, die Orgel abgebaut. Die Gemeinde diskutiert derzeit zusammen mit der Landeskirche, wie der Innenraum sinnvoll gestaltet wird. (rm) I www.christuskirchekaufbeuren-neugablonz.de
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