Imaginäres Museum auf Zeit - Drei Kunstsammlungen unter einem

Parlando
Imaginäres Museum auf Zeit
Drei Kunstsammlungen unter einem Dach
Martin Kippenberger, The Modern House of Believing or Not, 1985
„Die Kunst ist in Gefahr“: Mit dieser
schrillen Warnung hatte der deutsche Publizist Wieland Herzfelde 1925 seinen
Aufsatz überschrieben, in dem er die Erfindung der Fotografie mit der beginnenden Dämmerung der Kunst assoziierte.
Doch die Gefahr drohte aus einer anderen
Richtung: Nur wenige Jahre später sahen
sich Künstler, deren Werke nicht den nationalsozialistischen Idealen entsprachen,
mit Berufs- und Malverboten belegt.
Auch heute droht Kunst Vernichtung. So
bietet etwa Frankreich Kulturgütern aus
Syrien und dem Irak temporär Asyl, um
sie vor terroristischer Zerstörung zu
schützen.
Internationale Museenkooperation
Und welche Gefahren bergen die kommenden Jahrzehnte? Unter dem Titel „Das
imaginäre Museum“ führen drei renommierte europäische Museen für moderne
166 | Hessisches Ärzteblatt 3/2016
und zeitgenössische Kunst – das Centre
Pompidou in Paris, die Tate Gallery in London und das MMK Museum für Moderne
Kunst in Frankfurt– bedeutende Werke
aus ihren Sammlungen zu einem europäischen Museum auf Zeit zusammen. Zu sehen sein wird diese einzigartige internationale Museumskooperation vom 24.
März bis zum 4. September 2016 im MMK
2 im TaunusTurm. Konzeptueller Ausgangspunkt ist eine Zukunftsvision: Wir
schreiben das Jahr 2052. Die Museen sind
von der Auslöschung bedroht und die
Kunst verschwindet aus der Gesellschaft.
Um sie zu schützen, werden 80 Hauptwerke aus den drei europäischen Sammlungen – von den 1920er Jahren bis in die
heutige Gegenwart – temporär unter einem Dach vereint. Darunter Arbeiten so illustrer Künstler wie Louise Bourgeois,
Marcel Duchamp, Isa Genzken, On Kawara, Claes Oldenburg, Sigmar Polke, Bridget
Riley oder Andy Warhol.
Inspiriert wurde die Ausstellung von Ray
Bradburys Science - Fiction- Roman „Fahrenheit 451“ (1953) und dessen legendärer Verfilmung von François Truffaut
(1966). „Fahrenheit 451“, das ist die Temperatur, bei der Papier zu brennen beginnt. In einer Zukunft, in der literarische
Werke aus der Gesellschaft verbannt sind,
liegt die einzige Möglichkeit, sie zu bewahren, darin, die Werke zu erinnern. Ein
Feuerwehrmann, der eigentlich Bücher
verbrennen soll, revoltiert gegen das System totaler Kontrolle. Wie Bradburys „Büchermenschen“, die Texte nur durch Auswendiglernen konservieren, sollen sich die
Besucher des Museums auf Zeit die Kunstwerke in ihrem Gedächtnis einprägen. Abschlusswochenende der Ausstellung ist
der 10./11. September 2016 im MMK2;
dann werden fast alle Kunstwerke entfernt sein und durch Menschen ersetzt
werden, die die Ausstellungsstücke durch
ihre persönlichen Erinnerungen und Interpretationen wiedergeben. Imagination
und Gedächtnis werden zum Ort der Kultur. Infos unter: http://mmk-frankfurt.de
Katja Möhrle
Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Axel Schneider
Foto: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne
Werke erinnernd bewahren
Dan Flavin, Untitled (to the citizens of the
Swiss cantons) 2, 1987