Brief Dort: In der Heimat, befand ich mich in einem unabsehbaren Warten! Ich wusste nicht, worauf ich wartete. Jahr für Jahr wurde mein Warten größer, uferloser und unerträglicher. Belastend war, wenn das, worauf ich wartete, flüchtig ein Stück von sich in den Gemälden zeigte, aber schließlich vor meinen Augen wieder verschwand. Ich fragte mich, welchem Phantom ich in den Winkeln meines leidigen Kopfes nachjage. Was will ich, und worin verlor ich mich auf der Suche danach. Gasse für Gasse, Haus für Haus und Nest für Nest grub ich in meinem ermüdeten Leib nach meiner verlorenen Seele. Sie unterdrückten meine Kindheit. Bevor die Worte an meine Ohren gelangten, stopften sie diese mit den Pranken der Sitten und der Traditionen in meinen Mund hinein. Aus diesem Grund machte ich mich bereits in jener Zeit auf die Suche nach den Formen, den Farben und dem Ertasten meiner Gefühle. Die ersten Hilfsmittel, mit denen ich meine Schmerzen zum Ausdruck brachte, waren ein Bleistift und ein weißes liniertes Papier. Auf der Rückseite meiner Hefte erschuf ich mir Häuser des Friedens und schenkte meiner Betrübtheit Gärten voller Blumen. Mir war nicht mehr danach, Ketten aus Worten für irgendein Lebewesen zu schmieden. Ich hatte es bereits aufgegeben, andere Ohren mit Ohrringen aus Worten glücklich zu machen. Ich bemühte mich sehr, die Augen für mich zu gewinnen. Die Formen, die Farben und die Linien wurden zu meinen Freunden. Bereits dort, in diesen Gärten der Liebe tauchten meine Schmerzen und ich gemeinsam in das linierte, weiße Papier ein. Zwischen jeweils zwei gerade verlaufende Linien strickte ich die versäumten Spiele meiner Kindheit. Angefangen mit einem Punkt, der sich in eine Linie, dann in eine Form verwandelte, aus der die Magie meiner Kindheit tropfte. Worte erstaunten mich: wie Worte zueinander fanden, und wie sie gemeinsam in unserem Geist Dinge von immenser Bedeutung formen. Was für eine abstrakte Magie besitzen Worte! Und nun, hier: Das Schicksal kam und schrieb mir vor nach der Bedeutung der Worte zu suchen. Jene Worte, die niemals zuvor zu meinen Ohren vorgedrungen waren. Jene Worte, mit denen Goethe, Schiller, Hegel und Nitzsche ihre Versen und Philosophien schrieben. Erneut wurde das Staunen meiner Kindheit den Worten gegenüber wieder lebendig. Seite sechs Jahren krabble ich wie ein Kind vor den gigantischen Worten der deutschen Sprache. Seit sechs Jahren, genau wie in meiner Kindheit, betreibe ich das Versteckspiel mit den Worten, das Murmelspiel mit den Buchstaben und das Seilspringen mit den deutschen Sätzen, aber vergebens. Ich stehe immer noch verwundert und unwissend da, und suche weiter nach den Farben der Gefühle. Wundert euch nicht, wenn lateinische Buchstaben und deutsche Worte in den Gemälden hin und her spazieren, denn ich befinde mich immer noch im Kampf zwischen Sehen und Hören. Ich befinde mich unaufhörlich im Gemetzel der Farben und der Buchstaben. Ahhh, ihr könnt euch nicht vorstellen, was für eine Armee aus deutschen Artikeln mir gegenüber steht, und mit welchen scharfen Steinen aus Dativ, Stöcken aus Akkusativ und Ohrfeigen aus Nominativ ich konfrontiert bin. Nun sehe ich mich gezwungen euch zu sagen: Danke für euer Zuhören. Aber tief aus meinen inneren Gefühlen heraus, sage ich euch: Danke, dass ihr mit euren Augen einen Spaziergang durch die Gemälde unternommen habt. Ich küsse euch die Augen und drücke euch die Hände Saman Kareem Übersetzung: Ute Lang Rawezh Salim
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