LEGAL Elmex-Urteil – Entscheid mit Strahlkraft Felix Schraner kpmg.ch Elmex-Urteil – Entscheid mit Strahlkraft Dr. Felix Schraner Zusammenfassung / Résumé Vor kurzem hat das Bundesverwaltungsgericht mit dem Elmex-Urteil in der seit 2011 im Rahmen der laufenden Kartellgesetzrevision geführten Diskussion um die Einführung von Teilkartellverboten die Richtung aufgezeigt. Damals schlug der Bundesrat als Reaktion auf die Frankenstärke vor, horizontale Abreden über Preise, Mengen oder Gebiete sowie vertikale Mindest- oder Festpreisbindung beziehungsweise Gebietsabschottung ganz zu verbieten (Teilkartellverbote) und dadurch die entsprechenden kartellrechtlichen Verfahren zu vereinfachen. Durch die Anpassung wäre die Frage der wirtschaftlichen Erheblichkeit bei diesen fünf Arten von besonders schädlichen Wettbewerbsbeschränkungen im konkreten Einzelfall nicht mehr Gegenstand von Wettbewerbsverfahren. Gemäss dem Elmex-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stehen nun aber bei Vertikalabreden die qualitativen Elemente der Erheblichkeit im Zentrum der Abklärungen. Sind vertikale Abreden mit Bezug auf die Qualität indes erheblich, sind Abklärungen bezüglich der Quantität im Prinzip entbehrlich, da solche Abreden diesbezüglich ohnehin kaum je erheblich sind. Die Strahlkraft des Elmex-Urteils liegt unter anderem darin, dass durch die entsprechende Auslegung das mit der Kartellgesetzrevision angestrebte Ziel der Erhöhung der Effizienz der kartellrechtlichen Verfahren ohne aufwändige Anpassungen des Kartellgesetzes erreicht wird. Zudem vermeidet die Lösung die mit Gesetzesänderungen einhergehende Rechtsunsicherheit. Schliesslich – und das ist für Unternehmen von besonderem Interesse – wird im Urteil klargestellt, dass erhebliche Abreden gemäss Art. 5 Abs. 3 und 4 KG sanktionierbar sind. 1 1. Ausgangslage Auf gesetzgeberischer Ebene laufen in der Schweiz seit Jahren Bestrebungen zur Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts. Nach mehrjährigen Vorarbeiten verabschiedete der Bundesrat am 22. Februar 2012 die Botschaft zur Revision des Kartellgesetzes1. Durch die Revision sollten Wettbewerbsentscheide rechtsstaatlich besser verankert und besonders schädliche Formen von Kartellabreden verboten werden. Zudem sollten Fusionen untersagt oder mit Auflagen und Bedingungen belegt werden können, wenn sie zu einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs führen, die nicht durch Effizienzgewinne kompensiert wird. Erklärtes Ziel der Kartellgesetz-Revision ist gemäss Bundesrat die Beschleunigung und Verbesserung der Verfahren, was den Wettbewerb in der Schweiz intensivieren und den Wirtschaftsstandort langfristig stärken soll2. Während der Ständerat das umfangreiche Revisionspaket in seiner ersten Lesung noch redimensionierte, trat später der Nationalrat auf die Vorlage gar nicht erst ein. Nachdem der Ständerat am 5. Juni 2014 an seinem Eintreten auf das Geschäft festhielt, wird der Nationalrat in der zweiten Jahreshälfte 2014 erneut über die Vorlage befinden3. Tritt er wiederum nicht auf die Vorlage ein, ist die Revision definitiv vom Tisch. Im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsprozesses hat das Bundesverwaltungsgericht am 19. Dezember 2013 den Elmex-Fall (nachfolgend „Gaba-Urteil“, z.T. auch „Elmex-Entscheid“) entschieden4. Das Urteil wird, sofern es das Bundesgericht bestätigt – unabhängig vom Ausgang der Kartellgesetzrevision – für die Entwicklung des schweizerischen Kartellrechts richtungsweisend sein. Nachfolgend werden wesentliche Auswirkungen des Entscheids, auch im Verhältnis zur Kartellgesetzrevision sowie auf Unternehmen aufgezeigt. 2. Vertikale Gebietsabreden gemäss KG-Revision Vor dem Hintergrund der Frankenstärke entschied der Bundesrat 2011 das in der Schweiz gegenüber der Europäischen Union höhere Preisniveau auch durch eine Anpassung der gesetzlichen Regelung von vertikalen Gebietsabsprachen zu bekämpfen5. Dazu schlug er – entgegen dem Ergebnis der zu dieser Frage durchgeführten Vernehmlassung6 – die Einführung von Teilkartellverboten vor7. Mit Bezug auf vertikale Gebietsabreden vermutet das geltende Recht, dass sie den wirksamen Wettbewerb beseitigen (Art. 5 Abs. 4 KG), wobei diese Vermutung widerlegt werden kann. Gelingt die Widerlegung der Vermutung und beschränkt die Abrede den Wettbewerb nicht erheblich, ist sie zulässig (Art. 5 Abs. 1 KG). Anderenfalls besteht die Möglichkeit, die erhebliche Abrede mit ökonomischen Gründen zu rechtfertigen (Art. 5 Abs. 2 KG)8. 1 Botschaft Kartellgesetz 2012, abrufbar unter: http://www.seco.admin.ch/themen/02860/04210/index.html?lang=de&download=NHzLpZeg7t,lnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCFfYB5fmym162epYbg2c _JjKbNoKSn6A--. 2 BOCHUD/SCHRANER, Reform des Kartellgesetzes, 57 ff. 3 Amtliches Bulletin Sommersession 2014, Ständerat, Sitzung vom 5. Juni 2014, Wortprotokoll betreffend Kartellgesetz – Änderungen, abrufbar unter: <http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/s/4914/438524/d_s_4914_438524_438567.htm>. 4 Bundesverwaltungsgericht, Gaba International AG gegen Wettbewerbskommission WEKO, Urteil vom 19. Dezember 2013, B-506/2010, abrufbar unter: http://www.bvger.ch/publiws/pub/cache.jsf. 5 Angesichts der Frankenstärke und der Bedenken bezüglich einer zu geringen Weitergabe der Währungsgewinne an Endkunden reagierte der Bundesrat auf mehreren Ebenen. Auf kurze Sicht wurden namentlich der Preisüberwacher und die WEKO mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet (vgl. BOCHUD/SCHRANER, Reform des Kartellgesetzes, 58). 6 Die Einführung von Teilkartellverboten mit Rechtfertigungsmöglichkeit wurde von den Teilnehmenden der Vernehmlassung mehrheitlich abgelehnt, insbesondere von den Wirtschaftskreisen (vgl. Botschaft Kartellgesetz 2012, 3936 f.). 7 Botschaft Kartellgesetz 2012, 3926 ff. 8 Dazu ausführlich ZÄCH, Kartellrecht, Rz 404 ff. und knapp SCHRANER, Kartellrecht und Immaterialgüterrecht, Fn 336. 2 Die gesetzliche Vermutung wird heute in der Praxis systematisch widerlegt (insbes. nach dem BGE 129 II 18 E. 9, Buchpreisbindung), weshalb die Schweizerische Wettbewerbskommission (WEKO) jeweils in aufwändigen Verfahren abklärt, ob der Wettbewerb im Einzelfall durch die Abrede erheblich beeinträchtigt wird. Als Vereinfachung schlug der Bundesrat in der laufenden Revision des Kartellgesetzes deshalb vor, horizontale Abreden über Preise, Mengen oder Gebiete sowie vertikale Mindest- oder Festpreisbindung beziehungsweise Gebietsabschottung ganz zu verbieten (Teilkartellverbote)9. Durch die Einführung von Teilkartellverboten wäre die Frage der wirtschaftlichen Erheblichkeit bei diesen fünf Arten von besonders schädlichen Wettbewerbsbeschränkungen im konkreten Einzelfall nicht mehr Gegenstand von Wettbewerbsverfahren. Analog dem Recht in der EU verbliebe den Unternehmen einzig die Möglichkeit, ihr Verhalten mit dem Vorliegen von ökonomischen Effizienzüberlegungen zu rechtfertigen10. Auch mit Bezug auf die Normsystematik von Art. 5 KG ist die Anpassung kritisch zu würdigen, stünden sich doch „blanke“ Verbote und Rechtfertigungsgründe – anders als heute bei den Vermutungstatbeständen – inhaltlich unstrukturiert gegenüber. Als Folge davon vergrösserte sich der Beurteilungsspielraum der rechtsanwendenden Behörden. Darüberhinaus wird die Notwendigkeit der – ohnehin umstrittenen11 – Anpassungen des Kartellgesetzes durch den Gaba-Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts mit Bezug auf die Einführung von Teilkartellverboten grundsätzlich in Frage gestellt. 3. Beurteilung vertikaler Gebietsabreden durch das Bundesverwaltungsgericht 3.1 Worum geht es im Elmex-Entscheid? Im Gaba-Urteil ging es um die Beurteilung einer vertikalen Gebietsabrede zwischen der ElmexProduzentin Gaba und der österreichischen Firma Gebro, die Elmex in Lizenz hergestellt hatte. Gemäss dieser Abrede durfte die Lizenznehmerin keine Direktexporte in die Schweiz und andere Länder tätigen. Mit Urteil vom 19. Dezember 2013 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Bussen der WEKO gegen Gaba (CHF 4.8 Mio.) sowie die österreichische Firma Gebro (CHF 10‘000)12 für dieses wettbewerbsrechtlich unzulässige Verhalten. Der Entscheid ist in wettbewerbspolitischer Hinsicht von grundlegender Bedeutung. Zentral sind insbesondere die Erwägungen des Gerichts betreffend die Rechtsnatur und den räumlichen Anwendungsbereich des Kartellgesetzes sowie die Erheblichkeit von Wettbewerbsbeschränkungen13. Im Zusammenhang mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Einführung von Teilkartellverboten sind insbesondere die Erläuterungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Erheblichkeit von Interesse. 3.2 Beurteilung der Erheblichkeit von Abreden als Kernfrage Im Gaba-Urteil hält das Bundesverwaltungsgericht zur Frage der Erheblichkeit zunächst fest, dass nach erfolgreicher Wiederlegung der Vermutung der Wettbewerbsbeseitigung auf dem relevanten Markt weiter zu untersuchen sei, ob die Abrede zu einer erheblichen Beeinträchti9 Botschaft Kartellgesetz 2012, 3926 ff. 10 Vgl. für Kritik an und Problemen von Teilkartellverboten, BALDI, Informierte Wettbewerbspolitik, 1184 f. 11 Vgl. etwa die Berichterstattung zum Beschluss des Nationalrates auf Nichteintreten auf die Kartellgesetzrevision am 6. März 2014: „Abfuhr für die Kartellgesetzrevision“, NZZonline vom 6. März 2014, abrufbar unter: http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/nationalrat-tritt-nicht-auf-kartellgesetz-ein-1.18257279 und „Nationalrat schmettert Revision ab − Die Schweiz bleibt eine Hochpreisinsel“, Blick.ch vom 6. März 2014, abrufbar unter: http://www.blick.ch/news/wirtschaft/nationalrat-schmettert-revision-ab-die-schweizbleibt-eine-hochpreisinsel-id2718895.html. 12 Gaba-Urteil; vgl. dazu auch Wettbewerbskommission, „Wichtigste Entscheide 2012“, abrufbar unter: http://www.google.ch/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&frm=1&source=web&cd=2&ved=0CCUQFjAB&url=http%3A%2F%2Fwww.weko.admin.ch%2Fdokumentation%2F0022 6%2Findex.html%3Flang%3Dde%26download%3DNHzLpZeg7t%2Clnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCDdXt5gmym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A-&ei=eC_RU__YI-_A7AbTo4CwAQ&usg=AFQjCNFJMLHxAOPTZsrZ-l0-osyY5C-_5w&bvm=bv.71667212,d.ZGU. 13 Vgl. zu diesen drei Bereichen ausführlich BALDI/SCHRANER, Wettbewerbspolitischer Markstein, 62 ff. und Gaba-Urteil als wettbewerbspolitischer Markstein, 1 ff. 3 gung des Wettbewerbs i.S.v. Art. 5 Abs. 1 KG führe. Im Verfahren vertrat die Beschwerdeführerin diesbezüglich die Auffassung, die Vorinstanz – d.h. die WEKO – habe bei der Prüfung der Erheblichkeit der Abrede falsche Kriterien herangezogen bzw. diese falsch ermittelt14. Gemäss Art. 5 Abs. 1 KG sind Abreden nicht zulässig, die den Wettbewerb auf einem Markt für bestimmte Waren oder Leistungen erheblich beeinträchtigen und sich nicht durch Gründe wirtschaftlicher Effizienz rechtfertigen lassen, sowie Abreden, die zur Beseitigung wirksamen Wettbewerbs führen. Der Begriff der Erheblichkeit wird im Kartellgesetz indes nicht definiert. Das Bundesgericht hat sich in der Vergangenheit bei der Beurteilung der Erheblichkeit von horizontalen Abreden auf quantitative und qualitative Kriterien gestützt. Es bejaht nämlich eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung dann, wenn die Abrede einen auf dem entsprechenden Markt relevanten Wettbewerbsparameter (Preis, Gebiet, Menge) betrifft und die Beteiligten einen erheblichen Marktanteil halten15. Das Bundesgericht begründet dies damit, dass aufgrund der Annahme des Gesetzgebers, bei (horizontalen) Preisabsprachen der Wettbewerb vermutungsweise beseitigt sei (Art. 5 Abs. 3 Bst. a KG) und daher die Aufhebung des Preiswettbewerbs mindestens eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung darstelle, sofern sie Güter mit einem wesentlichen Marktanteil betreffe16. Im Gaba-Urteil hält das Bundesverwaltungsgericht nun fest, dass die Lizenznehmerin mit einem Passivverkaufsverbot belegt worden sei, wodurch der Schweizer Markt von den Märkten der umliegenden Länder abgeschottet wurde. Diese Klausel im Lizenzvertrag beurteilt das Gereicht als eine absolute Gebietsschutzklausel. Es stellte fest, dass es sich auch insgesamt um eine den Wettbewerb erheblich beeinträchtigende Abrede handle, da solche Klauseln bereits von ihrer Natur her als qualitativ erheblich anzusehen seien17. 3.3 Wegweisende Lösung des Bundesverwaltungsgerichts Mit Bezug auf Vertikalabreden rückt mit dem Gaba-Urteil das qualitative Element der Erheblichkeit in den Vordergrund. Ein solches Verständnis der Erheblichkeit ist inhaltlich richtig und könnte für die Diskussion um die Einführung von Teilkartellverboten im Rahmen der KG-Revision wegweisend sein18. In diesem Sinne stellt das Bundesverwaltungsgericht nämlich fest, dass die qualitative Erheblichkeit bei solchen vertikalen Abreden – unabhängig von allfälligen quantitativen Kriterien – gegeben sei. Folgerichtig wird denn die quantitative Erheblichkeit der Abrede im Gaba-Urteil auch nur „der Vollständigkeit halber“ untersucht19. Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Elmex hat Strahlkraft in mehrere Richtungen. Zunächst werden durch die entsprechende Auslegung von Art. 5 KG Verfahren vor der WEKO stark vereinfacht. Aufwändige Abklärungen zur Frage der quantitativen Erheblichkeit sind bei qualitativ erheblichen Abreden von vornherein hinfällig. Dadurch erhöht sich die Effizienz der Wettbewerbsbehörde. Dies wiederum entspricht gerade dem Ziel, das der Bundesrat mit der Einführung von Teilkartellverboten – als Massnahme zur Senkung des hiesigen Preisniveaus – im Jahre 2011 angestrebt hatte. Gegenüber dem Revisionsvorschlag des Bundesrates hat der unlängst vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigte Weg indes mehrere, entscheidende Vorteile: erstens basiert die Lösung auf dem geltenden Kartellgesetz. Es wird damit keine Rechtsunsicherheit geschaffen wie sie mit Gesetzesänderungen – zumindest in einer Übergangsphase – in der Regel einhergeht. Zweitens wird die bestehende inhaltliche Strukturierung von Art. 5 KG nicht angetastet, was drittens zur Folge hat, dass der behördliche Auslegungsspielraum nicht ohne Not erweitert wird. Letzteres wäre mit der Einführung von Teilkartellverboten im Gesetz wahrscheinlich der Fall. Allein schon aus diesen Gründen ist der vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigte Weg dem bundesrätlichen Vorschlag, Teilkartellverbote einzuführen, vorzuziehen. 14 Gaba-Urteil, E. 11. 15 Vgl. BGE 129 II 18 Buchpreisbindung, E. 5.2.1 m.w.H. 16 Im betreffenden Fall betrug der Marktanteil rund 90%; das Bundesgericht nahm eine erheblich Beeinträchtigung des Wettbewerbs an (BGE 129 II 18 Buchpreisbindung, E. 5.2.2). 17 Gaba-Urteil, E. 11.2.3. 18 Siehe dazu nachfolgende Ausführungen. 19 Gaba-Urteil, E. 11.2.4. 4 Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht – unter der Voraussetzung der Bestätigung des Entscheides durch das Bundesgericht – in einem weiteren Punkt zur Klärung der Rechtslage beigetragen. Mit dem Entscheid wird nämlich auch die Konfusion über die Sanktionierbarkeit von erheblichen Abreden nach Art. 5 Abs. 3 und 4 KG geklärt: gemäss dem Entscheid sind solche Abreden sanktionierbar20. Die Klärung dieser Frage ist aus Gründen der Vorhersehbarkeit und Klarheit der kartellrechtlichen Sanktionsordnung von allgemeinem Interesse und insbesondere für Unternehmen relevant. 4. Was bedeutet das Elmex-Urteil für Unternehmen? Neben den wettbewerbspolitischen Auswirkungen allgemeiner Natur stellt sich die Frage21, was das Elmex-Urteil für Unternehmen ganz konkret bedeutet. Aus Unternehmenssicht ist zu beachten, dass – Stand heute und falls das Bundesgericht die Beschwerde gegen das ElmexUrteil nicht gutheisst – Vertikalabreden im Sinne von Art. 5 Abs. 4 KG (und auch horizontale Abreden im Sinne von Art. 5 Abs. 3 KG) grundsätzlich verboten sind. Da das Gaba-Urteil eben gerade nicht auf quantitative Kriterien abstellt, spielen Marktanteile oder starker (Interbrand-)Wettbewerb auf dem betreffenden Markt keine Rolle (mehr). Sofern die Parlamentarier in der weiteren Beratung der Vorlage im Rahmen der Kartellgesetzrevision nicht gegen den Richterspruch legiferieren, verbleibt für Unternehmen in solchen Fällen nur die Möglichkeit, ihr Verhalten im Einzelfall mit Effizienzüberlegungen (Art. 5 Abs. 2 KG) zu rechtfertigen, beziehungsweise Untersuchungen durch die WEKO zu vermeiden, indem sie ihre allfälligen (vertikalen) Abreden vorsorglich sorgfältig überprüfen. Mit Bezug auf das finanzielle Schadenspotential und Reputationsrisiko von bestehenden und behördlich untersuchten Abreden ist schliesslich zu beachten, dass das Bundesverwaltungsgericht mit dem Gaba-Urteil klarstellt, dass auch erhebliche Abreden nach Art. 5 Abs. 3 und 4 KG sanktionierbar sind. 20 Vgl. dazu Gaba-Urteil, E. 14.2.1 ff. und insbes. 14.2.5, wonach Abreden, welche den Wettbewerb nicht beseitigen und sich nicht aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz rechtfertigen lassen, sanktionierbar nach Massgabe von Art. 49a Abs. 1 KG sind. Mit diesem Ergebnis gestützt auf Überlegungen der Vorhersehbarkeit und der Klarheit der Sanktionsordnung ZÄCH, Kartellrecht, Rz 1122. 21 Vgl. BALDI/SCHRANER, Wettbewerbspolitischer Markstein, 62 ff. und Gaba-Urteil als wettbewerbspolitischer Markstein, 1 ff. 5 Summary By issuing the Elmex decision the Federal Administrative Court (Bundesverwaltungsgericht) pointed the direction in the debate on the introduction of partial per-se prohibitions, which has been a topic within the current revision of the Swiss Cartel Act since 2011. In order to address the challenges in connection with the strong Swiss franc, the Swiss Federal Council proposed 2011 to prohibit horizontal agreements on prices, quantities and territories as well as vertical agreements regarding fixed or minimum prices, and in the case of distribution agreements provisions regarding the allocation of territories to the extent that sales by other distributors into these territories are not permitted (partial per-se prohibitions). The goal was and still is, to simplify the corresponding cartel procedures. By introducing such amendments the question whether these five types of especially harmful restrictions of competition are significantly restricting competition would no longer be subject to cartel procedures. Pursuant to the Elmex-Decision issued by the Federal Administrative Court evaluation should focus on the quality aspects of vertical agreements. If vertical agreements restrict competition significantly with respect to their quality, any further evaluation on quantitative aspects is basically venial as such agreements are rarely economically significant. The radiance of the Elmex decision is inter alia based upon the fact, that the intended goal of the revision of the Cartel Act of turning cartel procedures more efficient is achieved without burdensome amendments of the law. In addition, the solution provided by the Federal Administrative Court avoids legal uncertainty resulting from law revisions. Finally – and that’s of crucial interest for companies – the decision makes clear, that economically significant agreements pursuant to Art. 5 para 3 and 4 Cartel Act are subject to sanction for unlawful restraints of competition (Art. 49a Cartel Act). 6 Verwendete Literatur / Bibliographie BALDI MARINO, Für eine „informierte“ Wettbewerbspolitik – Scheinargumente in zentralen Fragen der laufenden KG-Revision, AJP 9/2012, 1183 ff. (zit. BALDI, Informierte Wettbewerbspolitik) BALDI MARINO / SCHRANER FELIX, Bundesverwaltungsgericht setzt mit Gaba-Urteil wettbewerbspolitischen Markstein, European Law Reporter (ELR), 2/2014, 62 ff. (zit. BALDI/SCHRANER, Wettbewerbspolitischer Markstein) BALDI MARINO /FELIX SCHRANER, Gaba-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts als wettbewerbspolitischer Markstein, SJZ 110 (2014) Nr. 20, 1 ff. (zit. BALDI/SCHRANER, Gaba-Urteil als wettbewerbspolitischer Markstein) BOCHUD SARAH / SCHRANER FELIX, Substanzielle Reform des Kartellgesetzes, in: Die Volkswirtschaft Das Magazin für Wirtschaftspolitik 3-2012, S. 57-59 (zit. BOCHUD/SCHRANER, Reform des Kartellgesetzes) SCHRANER FELIX, Kartellrecht und Immaterialgüterrecht – Ihr Verhältnis und die einseitige Einführung regionaler Erschöpfung im Patentrecht, Dissertation Zürich, Zürich 2010 (zit. SCHRANER, Kartellrecht und Immaterialgüterrecht) ZÄCH ROGER, Schweizerisches Kartellrecht, Zürich 2005 (zit. ZÄCH, Kartellrecht) Entscheide / Arrêts Bundesverwaltungsgericht, Gaba International AG gegen Wettbewerbskommission WEKO, Urteil vom 19. Dezember 2013, B-506/2010 (zit. Gaba-Urteil) Bundesgericht, II. öffentlichrechtliche Abteilung, Entscheid i.S. Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. und Schweizerischer Buchhändler- und Verleger-Verband gegen Wettbewerbskommission und Rekurskommission für Wettbewerbsfragen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde), 2A.298/2001 / 2A.299/2001 vom 14. August 2002, BGE 129 II 18 E. 9, Buchpreisbindung Materialien / Sources Botschaft zur Änderung des Kartellgesetzes und zum Bundesgesetz über die Organisation der Wettbewerbsbehörde vom 22. Februar 2012, BBl 2012, S. 3905 ff. (zit. Botschaft Kartellgesetz 2012) Abkürzungsverzeichnis / Abréviations KG Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, SR 251) 7 Ihr Ansprechpartner Felix Schraner Legal Manager Badenerstrasse 172 CH-8026 Zürich T: +41 58 249 63 24 E: [email protected] www.kpmg.ch Die hierin enthaltenen Informationen sind allgemeiner Natur und beziehen sich daher nicht auf die Umstände einzelner Personen oder Rechtsträger. Obwohl wir uns bemühen, genaue und aktuelle Informationen zu liefern, besteht keine Gewähr dafür, dass diese die Situation zum Zeitpunkt der Herausgabe oder eine zukünftige Sachlage widerspiegeln. Die genannten Informationen sollten nicht ohne eingehende Abklärungen und eine professionelle Beratung als Entscheidungs- oder Handlungsgrundlage dienen. © 2014 KPMG Holding AG/SA, a Swiss corporation, is a member of the KPMG network of independent firms affiliated with KPMG International Cooperative (“KPMG International”), a Swiss legal entity. All rights reserved. Printed in Switzerland. The KPMG name and logo are registered trademarks.
© Copyright 2024 ExpyDoc