Was leistet die Wettbewerbskommission? - Senioren-Universität

Was leistet die
Wettbewerbskommission?
Senioren-Universität Zürich
4. März 2014
Prof. Dr. Andreas Heinemann, Universität Zürich
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Überblick
1. Organisation der Wettbewerbskommission (Weko)
2. Aufgaben der Wettbewerbskommission
3. Grundtatbestände des Kartellgesetzes (KG)
4. Verfahren
5. Fallbeispiel
6. Statistik der direkten Sanktionen
7. Hochpreisinsel
8. Was leistet die Wettbewerbskommission?
1. Organisation der Wettbewerbskommission (Weko)
2. Aufgaben der Wettbewerbskommission
Ø  Anwendung des Kartellgesetzes
Ø  Anwendung des Binnenmarktgesetzes
Ø  Auskünfte, Empfehlungen, Stellungnahmen,
Gutachten zu Fragen des Wettbewerbs
è "Kompetenzzentrum Wettbewerb"
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3. Grundtatbestände des Kartellgesetzes (KG)
1.
Unzulässige
Wettbewerbsabreden
Art. 5 KG
2.
Missbrauch
marktbeherrschender
Stellungen
Art. 7 KG
3.
Fusionskontrolle
Art. 9 – 11 KG
Weber/Heinemann / 5
Art. 5 KG Unzulässige Wettbewerbsabreden
1 Abreden, die den Wettbewerb auf einem Markt für bestimmte
Waren oder Leistungen erheblich beeinträchtigen und sich nicht
durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz rechtfertigen lassen,
sowie Abreden, die zur Beseitigung wirksamen Wettbewerbs
führen, sind unzulässig.
Beispiel:
Die Vertreter konkurrierender Mineralölgesellschaften treffen sich
und vereinbaren, die Verkaufspreise um 5 % zu erhöhen.
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Art. 7 KG Unzulässige Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen
1 Marktbeherrschende Unternehmen verhalten sich unzulässig,
wenn sie durch den Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt
andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des
Wettbewerbs behindern oder die Marktgegenseite
benachteiligen.
Beispiel:
Ein pharmazeutisches Unternehmen, welches das einzige
Medikament für eine bestimmte Krankheit herstellt, verlangt
astronomisch hohe Preise.
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Art. 10 KG Beurteilung von Zusammenschlüssen
2 Die Wettbewerbskommission kann den Zusammenschluss
untersagen oder ihn mit Bedingungen und Auflagen zulassen,
wenn die Prüfung ergibt, dass der Zusammenschluss:
a. eine marktbeherrschende Stellung, durch die wirksamer Wettbewerb
beseitigt werden kann, begründet oder verstärkt; und
b. keine Verbesserung der Wettbewerbsverhältnisse in einem anderen
Markt bewirkt, welche die Nachteile der marktbeherrschenden Stellung
überwiegt.
Beispiel:
Boeing und Airbus möchten sich keine Konkurrenz mehr machen
und beschliessen zu fusionieren.
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4. Verfahren – Sekretariat
Sekretariat der Wettbewerbskommission
Ø  Marktbeobachtung
Ø  Vorabklärung
Ø  Untersuchung
•  Auskunftspflicht der Unternehmen
•  Vorlage von Urkunden
•  Aussagepflicht der Betroffenen
•  Einvernahme von Dritten als Zeugen
•  Hausdurchsuchungen ("dawn raid")
•  Sicherstellung von Beweisgegenständen
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4. Verfahren – Weko
Wettbewerbskommission
Ø  Entscheid über den Antrag des Sekretariats
Ø  In bestimmten Fällen: Direkte Sanktionen
(Bussgelder)
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4. Verfahren – Rechtsmittel
Weko
Bundesverwaltungsgericht (BVGer)
Bundesgericht
(BGer)
5. Fallbeispiel: Elektroinstallateure Bern (2009)
Ø  Die grossen Elektroinstallationsbetriebe aus dem Raum Bern
praktizierten zwischen 2006 und 2008 Absprachen über Preise
und Kundenzuteilungen.
Ø  Form: Submissionskartelle in Bezug auf öffentliche und
private Projekte
Ø  Direkte Sanktionen i.H. von insgesamt 1,24 Mio CHF
è  Erstes Bussgeld für ein Kartell!
(dies war beim Tessiner Strassenbelagskartell, Weko-Entscheid v. 6.12.2007,
wegen der bis 31.3.2005 laufenden Übergangsfrist nicht möglich.)
Ablauf des Kartellverfahrens
Ø  Hinweis eines Dritten im April 2007; alle Unternehmen haben BonusRegelung beantragt; einvernehmliche Regelung i.S.v. Art. 29 KG
(Vorschlag Sekretariat, Genehmigung Weko).
Ø  "dawnraid" 31. Januar 2008
–  Kronzeugenmeldung A (Fax) um 10.29 h
è Reduktion 100 %
–  Kronzeugenmeldungen B (Fax) um 11.44 h und C (Fax) um
18.34 h
è Reduktion jeweils 40 %
è
Zusammenarbeit Weko – Kantone mit dem Ziel der
Sensibilisierung in Bezug auf Submissionskartelle
6. Statistik der direkten Sanktionen
Jahr
Fall
KG
Art.
Direkte Sanktion (CHF)
2007 Swisscom Terminierungspreise
7
333 Mio. (aufgeh. BVGer/BGer)
2009 Swisscom ADSL
7
220 Mio. (hängig)
2012 BMW
5 IV 156 Mio. (hängig)
2013 Französischsprachige Bücher
5 IV 16.5 Mio. (hängig)
2011
5 IV 12,5 Mio. (hängig)
Nikon
2013 Luftfracht
5 III
11 Mio. (teilw. hängig)
2010 Baubeschläge
5 III
7,6 Mio. (teilw. hängig)
2010 SIX Zahlkartenterminals
7
7 Mio. (hängig)
2012 Luftfrachtspedition
5 III
6,2 Mio. (einvern.)
2009 Hors-Liste-Medikamente
5 IV 5,7 Mio (aufgeh. BVGer)
2009 Gaba-Gebro
5 IV 4,8 Mio. (best. BVGer)
2012 Strassen- und Tiefbaukartell Aargau
5 III
4 Mio. (teilw. hängig)
Jahr
Fall
KG
Art.
Direkte Sanktion (CHF)
2012 Tonträgerhersteller
5 III
3,5 Mio. (einvern.)
2007 Publigroupe (Werbung)
7
2,5 Mio. (best. BVGer/BGer)
2009 Elektroinstallationsbetriebe
5 III
1,24 Mio. (einvern.)
2013 Strassen- und Tiefbaukartell Zürich
5 III
500.000 (nicht angefochten)
2012 Bergsportartikel
5 IV
470.000 (hängig)
2010 Heiz-, Kühl-, Sanitäranlagen
5 III
169.000 (einvern.)
2006 Flughafen Zürich
7
101.000 (einvern.)
2009 Gartenscheren
5 IV
55.000 (einvern.)
2008 Documed
7
50.000 (einvern.)
2012 Immobilienverwaltung Neuchâtel
5 III
35.000 (einvern.)
Ø  Es gab bisher 22 Fälle mit direkten Sanktionen,
davon:
•  8 einvernehmliche Regelungen;
•  1 Entscheid nicht angefochten;
•  13 Entscheide angefochten
(9 hängig vor BVGer; 2 hängig vor BGer; 2 endgültig vom
BGer entschieden)
è Zahlreiche Fragen werden zu klären sein.
7. Hochpreisinsel
Ø  BAKBASEL: Perspektiven Detailhandel Schweiz,
6.2.2013
•  Preise sanken 2012 um 2,5 Prozent.
•  Das Preisniveau im Schweizer Detailhandel sank unter
das Niveau von 1992.
§ 
Food: Niveau 2004
§ 
Non Food: Niveau 1987
•  Währungsvorteile wurden zu guten Teilen weitergegeben.
•  Kaufkraftabfluss durch Einkaufstourismus nahm zu.
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EUROSTAT: Vergleich des Preisniveaus beim
Endverbrauch (incl. indirekter Steuern)
Land
2012
EU 28
100
Euro-Zone
102,1
Deutschland
101,1
Frankreich
108,1
Italien
102,5
Österreich
105,5
Norwegen
158,8
Schweiz
159,9 (höchster Wert)
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Gründe für die höheren Preise
Ø  Löhne, Mieten, sonstige Kosten sind höher in der
Schweiz (auch wegen geringerer economies of scale).
è  Die Angebotskurve liegt höher/weiter links.
Ø  Die Zahlungsbereitschaft der Schweizer Kunden ist
grösser.
è  Die Nachfragekurve liegt höher/weiter rechts.
Die Schweizer Durchschnittslöhne übersteigen diejenigen der
Nachbarländer erheblich.
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Aber:
Frage 1: Erklärt der Kostenunterschied das höhere
Preisniveau vollumfänglich?
• 
Häufig liest man, dass die höheren Kosten einen Preisaufschlag
von 10-20 Prozent rechtfertigen würden.
• 
Darüber hinaus wird die Konsumentenrente abgeschöpft.
Frage 2: Ist es hinzunehmen, dass im internationalen
Handel ein höherer Preis verlangt wird, sobald der
Kunde als Schweizer identifiziert ist?
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Rolle des Kartellrechts
Ø  Das Kartellrecht ist nur für einen Ausschnitt der
Hochpreisproblematik zuständig, nämlich:
Ø  Wettbewerbswidrige Unternehmensstrategien
mit preistreibender Wirkung sollen unterbunden
werden.
Ø  Es ist nicht die Aufgabe des Kartellrechts,
Marktergebnisse zu korrigieren, die auf
wirksamem Wettbewerb beruhen.
Beispiele für Wettbewerbsverstösse
Ø  Preistreibende Kartelle (Art. 5 Abs. 3 KG)
Ø  Missbrauch marktbeherrschender Stellungen (Art.
7 KG)
Ø  Abschottung des schweizerischen Marktes (Art. 5
Abs. 4 KG)
•  vertikale Preisbindung
•  absoluter Gebietsschutz
Art. 5 Abs. 4 KG: Absoluter Gebietsschutz
Ø  Die Weko hat illegalen Gebietsschutz
nachgewiesen in den Rechtssachen:
•  Gaba (2009, best. durch BVGer; hängig bei BGer)
•  Nikon (2011, hängig bei BVGer)
•  BMW (2012, hängig bei BVGer)
Ø  In Nikon und BMW wurden "EWR-Klauseln"
nachgewiesen
•  Die ausländischen Händler verpflichteten sich, die Produkte nicht
ausserhalb des EWR zu verkaufen.
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"Lücken" von Art. 5 Abs. 4 KG
Ø  Es muss eine Abrede vorliegen.
Ø  Keine Abreden bei Direktvertrieb (z.B. über das
Internet)
Ø  Keine kontrollfähigen Abreden in bestimmten
Agentur- und Kommissionsverhältnissen
Ø  Keine kontrollfähigen Abreden zwischen
Konzerngesellschaften ("Konzernprivileg")
è In diesen Konstellationen können Vertriebswege
und Endverkaufspreise kartellrechtsfrei gestaltet
werden.
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Motion Birrer-Heimo: "Kartellgesetzrevision gegen
unzulässige Preisdifferenzierungen"
Ø  Es wäre kartellrechtlich unzulässig, wenn
Unternehmen, die Markenprodukte im Ausland
billiger verkaufen als in der Schweiz, sich weigern,
Schweizer Kunden im Ausland zu den dort
geltenden Preisen zu beliefern.
Ø  Rechtfertigung durch legitimate business reasons
bliebe vorbehalten.
Ø  Vorteile/Nachteile
Ø  Ist Kontrahierungszwang wegen
Preisdifferenzierung systemkonform?
Motion Birrer-Heimo
Ø  Der Bundesrat hat die Motion Birrer-Heimo nicht
aufgegriffen.
Ø  Ständerat: Stimmt am 21.3.2013 für Lieferzwang!
Ø  WAK-Nationalrat, 28.1.2014: Lehnt die Revision
des Kartellgesetzes ab.
Ø  Nächste Etappe: Plenum des Nationalrats am
6.3.2014
Ø  Die gesamte, seit 2009 laufende KG-Revision steht
auf dem Spiel.
Institutionelles, Teilkartellverbote, Anpassung der Fusionskontrolle,
Stärkung der privaten Rechtsdurchsetzung
8. Was leistet die Wettbewerbskommission?
Ø  Zahlreiche Verfahren hängig
Ø  Verteidigung des Wettbewerbs
Ø  Das Kartellrecht ist nur ein Element in der
Hochpreisproblematik.
Ø  Manchen gehen die Aktivitäten der Weko zu weit,
anderen zu wenig weit.
Ø  Die KG-Revision wäre wichtig für die Arbeit der
Weko.
Ø  Kooperationsabkommen EU-CH
Literaturhinweis
Andreas Heinemann
Hochpreisinsel Schweiz: Die Rolle des Kartellrechts
http://www.dievolkswirtschaft.ch/editions/201303/Heinemann.html