01.10.2015 Warum der Rechtsstaat bei den DDRVerbrechen versagt Im Zweifel für die Angeklagten: Trotz engagierter Juristen musste die Ahndung von Mauer und Stasi Straftaten im Wesentlichen misslingen. Für Geschädigte von Diktaturen ist das frustrierend. Wiedersehen vor Gericht: Der frühere SEDChef Erich Honecker begrüßt im Kriminalgericht BerlinMoabit im November 1992 den früheren StasiMinister Erich Mielke. 1/5 Foto: picturealliance/ dpa Viel zu sagen hatten sich die beiden Männer, die von 1971 bis 1989 die DDR nach Belieben beherrscht hatten, aber nicht mehr. 1/5 Foto: picturealliance / dpa Honeckers Verteidiger Friedrich Wolff saß nicht zufällig zwischen den beiden auf der Anklagebank. 1/5 Foto: picturealliance / ZB Auch das Verfahren gegen Mielke wurde eingestellt. Er wurde lediglich wegen eines Doppelmordes 1931 verurteilt – zu sechs Jahren Haft, von denen er zwei Drittel absaß. 1/5 Foto: picturealliance / ZB Fehler zu machen ist menschlich. Fehler zu wiederholen aber ist dumm. Nach dem Ende der zweiten Diktatur auf deutschem Boden drängten engagierte Juristen und Politiker darauf, die Verbrechen des SEDRegimes schnell und möglichst umfassend zu ahnden. Sie wollten nicht wie nach dem Ende der NSHerrschaft zu zögerlich vorgehen und damit wertvolle Zeit verlieren. Denn bei der Verfolgung jeder Straftat droht die Verjährung – außer bei Mord und Völkermord, aber das auch erst seit 1979. Betrachtet man allerdings die Statistik, ist die juristische Aufarbeitung der DDR nicht gelungen. Zwar identifizierten die Staatsanwaltschaften mehr als 100.000 Beschuldigte wegen Verbrechen entweder in der SEDDiktatur oder an ihren Grenzen. Doch von ihnen wurden lediglich 753 rechtskräftig verurteilt. Berliner Mauer Der tragische Tod des HansDieter Wesa Schlimmer noch: Von diesen Verurteilten erhielten nur 46 Haftstrafen ohne Bewährung. Kein einziges Urteil betrug über zehn Jahre und kein einziger Straftäter musste mehr als sechseinhalb Jahre absitzen. Es gab sicher mehr als 1000 Tote an der innerdeutschen Grenze und wenigstens 138 Opfer des Todesstreifens rund um Berlin. Dennoch wurde genau ein einziger DDROffizier des Mordes schuldig gesprochen. RolfDieter H. hatte im Oktober 1965 den knapp 23jährigen Walter Kittel mit etwa 30 Schüssen aus seiner Kalaschnikow getötet. Dabei hatte der junge Mann seine Flucht schon aufgegeben und stand mit erhobenen Händen in einem Sperrgraben. Dafür bekam der "Exzesstäter" H. in erster Instanz sechs Jahre Haft. Erst der Bundesgerichtshof erhöhte das Strafmaß auf immer noch milde zehn Jahre wegen Mordes. Sämtliche anderen Schuldsprüche gegen Mauerschützen und ihre Vorgesetzten ergingen wegen Totschlags oder Beihilfe dazu. In vielen Fällen wurde gegen die eigentlichen Täter Jugendstrafrecht angewandt, weil sie zum Zeitpunkt der tödlichen Schüsse Wehrpflichtige um die 20 Jahre gewesen waren. Zeitgeschichte Flucht und Tod des Peter Fechter Die Quote an Verurteilungen wegen DDRVerbrechen ist noch niedriger als bei der strafrechtlichen Ahndung von NS Verbrechen. Von den mehr als 170.000 Beschuldigten sprachen deutsche Gerichte zwischen 1946, als sie Straftaten der Jahre 1933 bis 1945 zu ahnden begannen, und heute gerade einmal knapp 6700 schuldig, davon nur 1150 wegen Tötungsverbrechen. Nur in 172 Fällen wurde lebenslange Haft verhängt. Angesichts solcher Zahlen kann nicht erstaunen, dass die juristische Aufarbeitung der NSVerbrechen gemeinhin als gescheitert gilt. Trotzdem hat es nie ein Land gegeben, das über so lange Zeit und mit so großem Aufwand Verbrechen des Vorgängerstaates verfolgt hat. Selbst 70 Jahre nach dem Kriegsende laufen noch Dutzende Ermittlungsverfahren, werden über 90jährige mutmaßliche Täter angeklagt und verurteilt. Dass sie ihre Strafen nicht mehr antreten können, ist demgegenüber vernachlässigbar. Grundsätzlich gilt, und das verbindet die Aufarbeitung von NS und von DDRVerbrechen: Im Rechtsstaat sind die Beschuldigten stets im Vorteil. Im Zweifel für den Angeklagten lautet das uralte Prinzip. In rechtsstaatlichen Verfahren kann den mutmaßlichen Tätern ein Verbrechen nur dann angelastet werden, wenn ihre Beteiligung zweifelsfrei nachzuweisen ist. Zwar können Richter auch Schuldanteile bestrafen, etwa Beihilfe zum Mord. Doch gibt es regelmäßig stark reduzierte Strafmaße. Das führte in Prozessen gegen KZPersonal oft dazu, dass für Beteiligung an Tausenden Morden nur wenige Jahre Haft verhängt werden konnten. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, Diktaturverbrechen rechtsstaatlich zu ahnden. Alle drei haben jedoch ihre jeweils eigenen Nachteile. eigenen Nachteile. Zeitgeschichte Die Nürnberger Prozesse Erstens kann man spezielle Straftatbestände schaffen, die auf den allgemeinen Menschenrechten basieren, zugleich aber die zu ahndenden Verbrechen erfassen. Das geschah etwa bei den Nürnberger Prozessen 1945 bis 1948 oder dem Eichmann Prozess in Jerusalem. Allerdings widerspricht dieses Vorgehen dem Rechtsstaatsprinzip "Nulla poena sine lege". Ihm zufolge darf ein Verbrechen nur angeklagt werden, wenn der Straftatbestand zum Zeitpunkt der Tat explizit formuliert und mit Sanktionen bedroht war. Die zweite Möglichkeit genügt der reinen juristischen Lehre: Ausschließlich das zum Zeitpunkt des jeweiligen Verbrechens gültige nationale Recht wird angewendet. Dieser Weg entzieht dem Vorwurf rückwirkender Bestrafung zwar den Boden. Aber er bringt andere Nachteile mit sich. So müssen oft rechtsstaatswidrig zustande gekommene Gesetze der gestürzten Diktatur angewendet werden, jedoch in einer rechtsstaatskonformen Auslegung – also zugunsten der Angeklagten. Bundesdeutsche Gerichte entschieden sich sowohl bei der Aufarbeitung der NS wie der DDRVergangenheit für diesen Weg. Zeitgeschichte Adolf Eichmann – der Täter und sein Prozess Die dritte Möglichkeit ist die Anwendung international gültigen Völkerstrafrechts durch eigens eingesetzte und besetzte Gerichte. Hier liegt das Problem in der Frage, ob die Richter tatsächlich zuständig sind; der Vorwurf der "Siegerjustiz" liegt nahe. In jüngerer Zeit ist das der übliche Weg. Beispiele sind die Prozesse wegen des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien, wegen des Völkermordes in Ruanda und gegen Repräsentanten der kambodschanischen Roten Khmer. Grundsätzlich aber hat bisher kein einziger Versuch, Diktaturverbrechen rechtsstaatlich aufzuarbeiten, wirklich überzeugt. Seit dem 2. Oktober 2000 um 23.59 Uhr sind alle DDRVerbrechen außer Mord im engeren Sinne verjährt. In den vergangenen 15 Jahren ist kein einziges Ermittlungsverfahren wegen gewaltsamer Tötung aus niederen Beweggründen eröffnet worden – unwahrscheinlich, dass sich das nach dem 25. Jahrestag der Einheit ändern wird. Es bleibt dabei: Rechtsstaaten tun sich grundsätzlich schwer mit der Ahndung von Staatsverbrechen. So frustrierend das auch für überlebende Opfer und die Angehörigen von Getöteten sein mag.
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