SCHL AGLICHTER 2015 1218 Pathologie Die Zukunft hat schon begonnen: Next Generation Sequencing in der Pathologie Kirsten D. Mertz, Aino Paasinen Sohns, Gieri Cathomas Institut für Pathologie, Kantonsspital Baselland, Liestal Die personalisierte Medizin oder Präzisionsmedizin mit individuell auf den Patien ten zugeschnittenen Therapieansätzen ist ein verheissungsvoller Ausblick auf die Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Erkrankungen. Ein wesentlicher Be standteil der personalisierten Medizin ist die schnelle und zuverlässige Erfassung von angeborenen oder im Laufe des Lebens erworbenen Genveränderungen durch neue molekularpathologische Methoden. In der Pathologie von Tumorerkrankungen spielt der kation von Genvariationen durch die Analyse einzel Nachweis genetischer Veränderungen eine entschei ner Genabschnitte auf der Ebene von Nukleinsäuren. dende Rolle, weil dadurch die Wirksamkeit von zielge Die DNASequenzierung erfolgt klassischerweise richteten Therapien abgeschätzt und die Differential durch die SangerMethode oder durch modifizierte diagnose von schwer diagnostizierbaren Erkrankungen Methoden wie PyroSequenzierung. Bei allen diesen unterstützt werden kann. Somit komplementiert die Techniken wird jeder Genabschnitt einzeln analysiert. molekularpathologische Analyse von Genveränderun Die molekularpathologische Untersuchung von Tumo gen (Mutationen, Amplifikationen, Deletionen, Gen ren erfolgt meist an Formalinfixiertem und in Paraf fusionen) die morphologische Diagnose, die auf klassi fin eingebettetem Gewebe. Diese Fixationsmethode schen Techniken beruht, wie z.B. makroskopische und beeinträchtigt die Qualität der Nukleinsäuren (DNA, mikroskopische Begutachtungen von Geweben, sowie RNA) und erlaubt deshalb nur die Untersuchung von Immunhistochemie [1]. Die Anzahl der molekularen relativ kurzen Fragmenten. Die Beimischung von Marker in malignen Erkrankungen mit diagnostischer NichtTumorgewebe in einem Gewebeblock setzt die und prognostischer Relevanz ist in den letzten Jahren Sensitivität der Detektion herab. Schliesslich fokus rasant gestiegen, und eine zunehmende Anzahl von siert die direkte Sequenzierung auf bekannte Genab Tumorentitäten werden heute sogar ausschliesslich schnitte, d.h., unerwartete oder seltene, möglicher durch spezifische molekulare Veränderungen defi weise therapierelevante Zielgene werden ausgeblendet. niert. Die Molekularpathologie ist daher ein Gebiet von zunehmender Bedeutung im Armentarium des Pathologen, denn sie trägt zum besseren Ver ständnis komplexer molekularer Veränderungen in Tumorerkrankungen bei [2]. Die neuen Sequenzierungstechnologien haben das Potential, die molekulare Diagnostik in der Pathologie und damit auch die medizinische Versorgung grundlegend zu verändern Die Entstehung und das unkontrollierte Wachstum Kirsten D. Mertz von soliden Tumoren werden durch die Aktivierung Die ständig steigende Anzahl an neu entdeckten Ver von proliferationsfördernden oder apoptosehemmen änderungen in bestimmten Tumorentitäten und die den Signalwegen verursacht. Dies kann verschiedene damit einhergehende Entwicklung zielgerichteter The molekulare Ursachen haben: Chromosomale Aberrati rapeutika führen zu einer zunehmenden Bedeutung onen wie beispielsweise Genamplifikationen oder Gen der molekularpathologischen Diagnostik in der perso translokationen, Punktmutationen oder epigenetische nalisierten Medizin. Beispielsweise war bis vor kurzem Modifikationen des Erbguts. Die Molekularpathologie das alleinige Ausschlusskriterium für die gezielte The bietet ein breites Spektrum von Methoden zur Identifi rapie des metastasierten Darmkrebses mit blockieren SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(52–53):1218–1220 SCHL AGLICHTER 2015 1219 den monoklonalen Antikörpern gegen den epidermal DNAFragmenten. Dies ermöglicht eine Erhöhung des growth factor receptor (EGFR) das Vorliegen einer KRAS- Probendurchsatzes bei geringerem Zeitaufwand. Gleich Mutation, weil diese Mutation den Tumor unempfind zeitig bieten NGSMethoden im Vergleich zur klassi lich gegen die gegen EGFR gerichtete Therapie macht. schen SangerSequenzierung den Vorteil einer erhöh Seit einiger Zeit muss jedoch auch der Mutationsstatus ten Sensitivität. Somit kann die NGSTechnik auch noch des homologen NRASOnkogens überprüft werden [3]. sehr niedrige Mutationsfrequenzen zuverlässig nach Die Molekularpathologie erlaubt hier präzisere Vorhersagen über das Ansprechen auf eine ziel gerichtete Therapie und den Krankheitsverlauf. Die zunehmende Anzahl der zu testenden Gene – bis her zumeist stufendiagnostisch durchgeführt – ist NGS-Techniken ersetzen die serielle Technik der klassischen Sanger-Sequenzierung durch eine millionenfache Parallelsequenzierung von DNA-Fragmenten allerdings mit einem enormen Zeit und Kosten aufwand verbunden und mit den bisher eingesetzten weisen. Während die Entzifferung des menschlichen Methoden kaum zeitnah zu bewerkstelligen. Zudem Genoms im Rahmen des Human Genome Project durch steht für eine zunehmende Anzahl an Analysen nur serielle Methoden sehr kostspielig und zeitaufwendig eine begrenzte Menge an isolierter PatientenDNA, bei in regelrechten Sequenzierungsfabriken durchgeführt spielsweise aus kleinen Biopsien, zur Verfügung. wurde, kann inzwischen die Analyse von genetischen Um diesem zunehmenden Zeit und Ressourcendruck Alterationen an einem Tischgerät in einem Bruchteil in der Tumordiagnostik zu begegnen, bieten die vor der Zeit erledigt werden. Allerdings ist die Datenerhe rund zehn Jahren eingeführten, neuen Sequenzie bung im Gegensatz zu einer SangerSequenzierung rungstechnologien der nächsten Generation (next ge- stark abhängig von einer komplexen bioinformati neration sequencing, NGS) einen möglichen Ausweg. Sie schen Auswertung. Daher geht der Trend beim Einsatz haben das Potential, die molekulare Diagnostik in der von NGS in der Routinediagnostik zu sogenannten Pathologie und damit auch die medizinische Versorgung «Tumorpanels». Hierbei werden mehrere tumorspezi grundlegend zu verändern. NGSTechniken ersetzen die fische Kandidatengene im selben Probendurchlauf pa serielle Technik der klassischen SangerSequenzierung rallel sequenziert. Durch die Beschränkung auf Panel durch eine millionenfache Parallelsequenzierung von sequenzierungen können sowohl entstehende Kosten als auch die generierte Menge an bioinformatischen Daten pro Patient in vertretbaren Grenzen gehalten werden. Trotzdem können viele genetische Nachweis Gezielte Amplifikation Extrahierte DNA Fragmente von Genabschnitten Klonale Amplifikation Massive parallele Sequenzierung verfahren auf einem NGSSystem gleichzeitig einge setzt werden, während für die heute noch im Einsatz befindlichen, klassischen Methoden mehrere Detekti onssysteme parallel betrieben werden müssen. Neben dem offensichtlichen Vorteil, zahlreiche Genverände rungen gleichzeitig analysieren zu können, reichen re lativ kleine Mengen von DNA aus Formalinfixiertem, Paraffineingebettetem Gewebe oder auch zytologi schem Untersuchungsmaterial für die Untersuchun + dNTP gen aus. Damit ist die NGSTechnologie wie geschaffen +H+ ‐pH ATGCTAGTCGAGTACGTAGAGGTTTTTCCGAAAT GAGTACACGTAGTCGAGTACGTAGAGGTCGTGG CTTTAAGCTATACCTGTTACGCGTAGTCGAGTAC TAGAGGTCGTGGCTTTAAGCTATACCTGTTACGG TTTAAGCTATACCTGTTACGCGTAGTCGAGTAC TAGAGGTCGTGGCTTTAAGCTATACGAGTACGT CTTTAAGCTATACCTGTTACGCGTAGTCGAGTAC TAGAGGTCGTGGCTTTAAGCTATACAGAGGTCG 2 V Prinzip der nicht-optischen Sequenzierung für den routinemässigen Einsatz in der Pathologie. Die Anwendung von NGS in der klinischen Routine diagnostik erfordert hochspezialisierte Geräte, die ver schiedene NGSSequenzierungsmethoden anwenden. Daten-Analyse Exemplarisch seien hier die Systeme von Ion Torrent® erwähnt wie Ion Personal Genome Machine® (PGM™) Abbildung 1: Prinzip der Tiefensequenzierung am Beispiel des Ion Torrent ®: Die zelluläre DNA wird isoliert, und relevante Genabschnitte werden durch spezifische Primer gezielt amplifiziert. In einer Emulsions-PCR werden individuelle Genfragmente an kleinen Kügelchen amplifiziert, die anschliessend in die Vertiefungen auf einem Halbleiterchip gegeben werden. Hier wird in jeder Vertiefung beim Einbau eines Nukleotids ein Proton abgegeben, das durch den Halbleiter erfasst und als elektronischer Impuls an den Rechner zur Auswertung weitergegeben wird (Ion Torrent ® – «das kleinste pH-Meter der Welt»). SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(52–53):1218–1220 System, Ion Proton™ System. Dies sind vergleichsweise kostengünstige, echte Tischgeräte, die ohne markierte Nukleotide und ohne optische Systeme auskommen (Abb. 1). Hier finden die DNASequenzierungsreaktio nen auf einem Halbleiterchip in mikroskopisch klei nen Vertiefungen statt, und die Sequenzierung beruht auf dem Aufbau des Komplementärstrangs der zu se SCHL AGLICHTER 2015 1220 quenzierenden DNA. In einem Sequenzierungszyklus Humangenetik, Molekularbiologie, Klinische Chemie, für eine Base wird jede der vier Komplementärbasen Immunologie und Bioinformatik ein wesentlicher (Adenosin, Cytosin, Guanosin, Thymidin) getestet. So Bestandteil im klinischen Management der Patienten bald das richtige Nukleotid vorliegt und eingebaut werden [4, 5]. Dabei kommt den Pathologen eine werden kann, werden H+Ionen frei, und dies führt zu zentrale Rolle zu, denn sie können gewebebasierte einer kleinen messbaren pHÄnderung («das kleinste morphologische Diagnostik mit Ergebnissen der tu pHMeter der Welt»). Da diese Reaktionen in den ein morassoziierten Genomanalyse ergänzen. Die perso zelnen Vertiefungen von nur einem einzelnen DNA nalisierte Genommedizin ist eine Herausforderung, Molekül ausgehen, kann das Verhältnis von mutierter der sich die gesamte Medizin stellen muss, wenn man und nichtmutierter DNA errechnet werden. Dies führt diese neuen Strategien in die medizinische Praxis inte zu einer hohen Sensitivität und zur Quantifizierbarkeit grieren möchte. Die Pathologie hat dabei die entschei der nachgewiesenen DNAVeränderungen. denden Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Um den zunehmenden qualitativen und quantitativen Disclosure statement Anforderungen in der molekularpathologischen Dia gnostik gerecht zu werden, müssen also die Patholo gen mit den raschen Fortschritten der NGSTechno logie Schritt halten. Sie übernehmen heutzutage zunehmend eine Führungsrolle bei der Etablierung dieser neuen Technologie und machen sie für die Rou tinediagnostik praktisch anwendbar. Allerdings sehen Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur 1 2 3 sich die Pathologen hierbei auch mit unerwarteten Herausforderungen Korrespondenz: PD Dr. med. Kirsten D. Mertz konfrontiert. Sie generieren enorme Datenmengen und finden dabei oft komplexe Institut für Pathologie und individuell variable molekulare Tumorprofile. Um Kantonsspital Baselland aus diesen Daten individuelle Therapieansätze vorzu CH4410 Liestal kirsten.mertz[at]ksbl.ch www.ksbl.ch schlagen, sollten interdisziplinäre molekulare Tumor boards unter Einbezug verschiedener Disziplinen wie SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(52–53):1218–1220 4 5 Moch H, Blank PR, Dietel M, Elmberger G, Kerr KM, Palacios J, PenaultLlorca F, Rossi G, Szucs TD. Personalized cancer medicine and the future of pathology. Virchows Archive. 2012;460(1):3–8. Gabrielson E, Berg K, Anbazhagan R. Functional genomics, gene arrays, and the future of pathology. Mod Pathol. 2001;14(12):1294–99. Dahabreh IJ, Terasawa T, Castaldi PJ, Trikalinos TA. Systematic review: Antiepidermal growth factor receptor treatment effect modification by KRAS mutations in advanced colorectal cancer. 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