Die Zukunft hat schon begonnen: Next Generation Sequencing in der

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Pathologie
Die Zukunft hat schon begonnen:
Next Generation Sequencing
in der Pathologie
Kirsten D. Mertz, Aino Paasinen Sohns, Gieri Cathomas
Institut für Pathologie, Kantonsspital Baselland, Liestal
Die personalisierte Medizin oder Präzisionsmedizin mit individuell auf den Patien­
ten zugeschnittenen Therapieansätzen ist ein verheissungsvoller Ausblick auf die
Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Erkrankungen. Ein wesentlicher Be­
standteil der personalisierten Medizin ist die schnelle und zuverlässige Erfassung
von angeborenen oder im Laufe des Lebens erworbenen Genveränderungen durch
neue molekularpathologische Methoden.
In der Pathologie von Tumorerkrankungen spielt der
kation von Genvariationen durch die Analyse einzel­
Nachweis genetischer Veränderungen eine entschei­
ner Genabschnitte auf der Ebene von Nukleinsäuren.
dende Rolle, weil dadurch die Wirksamkeit von zielge­
Die DNA­Sequenzierung erfolgt klassischerweise
richteten Therapien abgeschätzt und die Differential­
durch die Sanger­Methode oder durch modifizierte
diagnose von schwer diagnostizierbaren Erkrankungen
Methoden wie Pyro­Sequenzierung. Bei allen diesen
unterstützt werden kann. Somit komplementiert die
Techniken wird jeder Genabschnitt einzeln analysiert.
molekularpathologische Analyse von Genveränderun­
Die molekularpathologische Untersuchung von Tumo­
gen (Mutationen, Amplifikationen, Deletionen, Gen­
ren erfolgt meist an Formalin­fixiertem und in Paraf­
fusionen) die morphologische Diagnose, die auf klassi­
fin eingebettetem Gewebe. Diese Fixationsmethode
schen Techniken beruht, wie z.B. makroskopische und
beeinträchtigt die Qualität der Nukleinsäuren (DNA,
mikroskopische Begutachtungen von Geweben, sowie
RNA) und erlaubt deshalb nur die Untersuchung von
Immunhistochemie [1]. Die Anzahl der molekularen
relativ kurzen Fragmenten. Die Beimischung von
Marker in malignen Erkrankungen mit diagnostischer
Nicht­Tumorgewebe in einem Gewebeblock setzt die
und prognostischer Relevanz ist in den letzten Jahren
Sensitivität der Detektion herab. Schliesslich fokus­
rasant gestiegen, und eine zunehmende Anzahl von
siert die direkte Sequenzierung auf bekannte Genab­
Tumorentitäten werden heute sogar ausschliesslich
schnitte, d.h., unerwartete oder seltene, möglicher­
durch spezifische molekulare Veränderungen defi­
weise therapierelevante Zielgene werden ausgeblendet.
niert. Die Molekularpathologie ist daher ein Gebiet
von zunehmender Bedeutung im Armentarium
des Pathologen, denn sie trägt zum besseren Ver­
ständnis komplexer molekularer Veränderungen
in Tumorerkrankungen bei [2].
Die neuen Sequenzierungstechnologien haben
das Potential, die molekulare Diagnostik in der
Pathologie und damit auch die medizinische
Versorgung grundlegend zu verändern
Die Entstehung und das unkontrollierte Wachstum
Kirsten D. Mertz
von soliden Tumoren werden durch die Aktivierung
Die ständig steigende Anzahl an neu entdeckten Ver­
von proliferationsfördernden oder apoptosehemmen­
änderungen in bestimmten Tumorentitäten und die
den Signalwegen verursacht. Dies kann verschiedene
damit einhergehende Entwicklung zielgerichteter The­
molekulare Ursachen haben: Chromosomale Aberrati­
rapeutika führen zu einer zunehmenden Bedeutung
onen wie beispielsweise Genamplifikationen oder Gen­
der molekularpathologischen Diagnostik in der perso­
translokationen, Punktmutationen oder epigenetische
nalisierten Medizin. Beispielsweise war bis vor kurzem
Modifikationen des Erbguts. Die Molekularpathologie
das alleinige Ausschlusskriterium für die gezielte The­
bietet ein breites Spektrum von Methoden zur Identifi­
rapie des metastasierten Darmkrebses mit blockieren­
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den monoklonalen Antikörpern gegen den epidermal
DNA­Fragmenten. Dies ermöglicht eine Erhöhung des
growth factor receptor (EGFR) das Vorliegen einer KRAS-
Probendurchsatzes bei geringerem Zeitaufwand. Gleich­
Mutation, weil diese Mutation den Tumor unempfind­
zeitig bieten NGS­Methoden im Vergleich zur klassi­
lich gegen die gegen EGFR gerichtete Therapie macht.
schen Sanger­Sequenzierung den Vorteil einer erhöh­
Seit einiger Zeit muss jedoch auch der Mutationsstatus
ten Sensitivität. Somit kann die NGS­Technik auch noch
des homologen NRAS­Onkogens überprüft werden [3].
sehr niedrige Mutationsfrequenzen zuverlässig nach­
Die Molekularpathologie erlaubt hier präzisere
Vorhersagen über das Ansprechen auf eine ziel­
gerichtete Therapie und den Krankheitsverlauf. Die
zunehmende Anzahl der zu testenden Gene – bis­
her zumeist stufendiagnostisch durchgeführt – ist
NGS-Techniken ersetzen die serielle Technik der
klassischen Sanger-Sequenzierung durch eine
millionenfache Parallelsequenzierung von
DNA-Fragmenten
allerdings mit einem enormen Zeit­ und Kosten­
aufwand verbunden und mit den bisher eingesetzten
weisen. Während die Entzifferung des menschlichen
Methoden kaum zeitnah zu bewerkstelligen. Zudem
Genoms im Rahmen des Human Genome Project durch
steht für eine zunehmende Anzahl an Analysen nur
serielle Methoden sehr kostspielig und zeitaufwendig
eine begrenzte Menge an isolierter Patienten­DNA, bei­
in regelrechten Sequenzierungsfabriken durchgeführt
spielsweise aus kleinen Biopsien, zur Verfügung.
wurde, kann inzwischen die Analyse von genetischen
Um diesem zunehmenden Zeit­ und Ressourcendruck
Alterationen an einem Tischgerät in einem Bruchteil
in der Tumordiagnostik zu begegnen, bieten die vor
der Zeit erledigt werden. Allerdings ist die Datenerhe­
rund zehn Jahren eingeführten, neuen Sequenzie­
bung im Gegensatz zu einer Sanger­Sequenzierung
rungstechnologien der nächsten Generation (next ge-
stark abhängig von einer komplexen bioinformati­
neration sequencing, NGS) einen möglichen Ausweg. Sie
schen Auswertung. Daher geht der Trend beim Einsatz
haben das Potential, die molekulare Diagnostik in der
von NGS in der Routinediagnostik zu sogenannten
Pathologie und damit auch die medizinische Versorgung
«Tumorpanels». Hierbei werden mehrere tumorspezi­
grundlegend zu verändern. NGS­Techniken ersetzen die
fische Kandidatengene im selben Probendurchlauf pa­
serielle Technik der klassischen Sanger­Sequenzierung
rallel sequenziert. Durch die Beschränkung auf Panel­
durch eine millionenfache Parallelsequenzierung von
sequenzierungen können sowohl entstehende Kosten
als auch die generierte Menge an bioinformatischen
Daten pro Patient in vertretbaren Grenzen gehalten
werden. Trotzdem können viele genetische Nachweis­
Gezielte Amplifikation
Extrahierte
DNA Fragmente von Genabschnitten
Klonale
Amplifikation
Massive parallele
Sequenzierung
verfahren auf einem NGS­System gleichzeitig einge­
setzt werden, während für die heute noch im Einsatz
befindlichen, klassischen Methoden mehrere Detekti­
onssysteme parallel betrieben werden müssen. Neben
dem offensichtlichen Vorteil, zahlreiche Genverände­
rungen gleichzeitig analysieren zu können, reichen re­
lativ kleine Mengen von DNA aus Formalin­fixiertem,
Paraffin­eingebettetem Gewebe oder auch zytologi­
schem Untersuchungsmaterial für die Untersuchun­
+ dNTP
gen aus. Damit ist die NGS­Technologie wie geschaffen
+H+
‐pH
ATGCTAGTCGAGTACGTAGAGGTTTTTCCGAAAT
GAGTACACGTAGTCGAGTACGTAGAGGTCGTGG
CTTTAAGCTATACCTGTTACGCGTAGTCGAGTAC
TAGAGGTCGTGGCTTTAAGCTATACCTGTTACGG
TTTAAGCTATACCTGTTACGCGTAGTCGAGTAC
TAGAGGTCGTGGCTTTAAGCTATACGAGTACGT
CTTTAAGCTATACCTGTTACGCGTAGTCGAGTAC
TAGAGGTCGTGGCTTTAAGCTATACAGAGGTCG
2
V
Prinzip der nicht-optischen
Sequenzierung
für den routinemässigen Einsatz in der Pathologie.
Die Anwendung von NGS in der klinischen Routine­
diagnostik erfordert hochspezialisierte Geräte, die ver­
schiedene NGS­Sequenzierungsmethoden anwenden.
Daten-Analyse
Exemplarisch seien hier die Systeme von Ion Torrent®
erwähnt wie Ion Personal Genome Machine® (PGM™)
Abbildung 1: Prinzip der Tiefensequenzierung am Beispiel des Ion Torrent ®: Die zelluläre
DNA wird isoliert, und relevante Genabschnitte werden durch spezifische Primer gezielt
amplifiziert. In einer Emulsions-PCR werden individuelle Genfragmente an kleinen
Kügelchen amplifiziert, die anschliessend in die Vertiefungen auf einem Halbleiterchip
gegeben werden. Hier wird in jeder Vertiefung beim Einbau eines Nukleotids ein Proton
abgegeben, das durch den Halbleiter erfasst und als elektronischer Impuls an den Rechner zur Auswertung weitergegeben wird (Ion Torrent ® – «das kleinste pH-Meter der
Welt»).
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System, Ion Proton™ System. Dies sind vergleichsweise
kostengünstige, echte Tischgeräte, die ohne markierte
Nukleotide und ohne optische Systeme auskommen
(Abb. 1). Hier finden die DNA­Sequenzierungsreaktio­
nen auf einem Halbleiterchip in mikroskopisch klei­
nen Vertiefungen statt, und die Sequenzierung beruht
auf dem Aufbau des Komplementärstrangs der zu se­
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quenzierenden DNA. In einem Sequenzierungszyklus
Humangenetik, Molekularbiologie, Klinische Chemie,
für eine Base wird jede der vier Komplementärbasen
Immunologie und Bioinformatik ein wesentlicher
(Adenosin, Cytosin, Guanosin, Thymidin) getestet. So­
Bestandteil im klinischen Management der Patienten
bald das richtige Nukleotid vorliegt und eingebaut
werden [4, 5]. Dabei kommt den Pathologen eine
werden kann, werden H+­Ionen frei, und dies führt zu
zentrale Rolle zu, denn sie können gewebebasierte
einer kleinen messbaren pH­Änderung («das kleinste
morphologische Diagnostik mit Ergebnissen der tu­
pH­Meter der Welt»). Da diese Reaktionen in den ein­
morassoziierten Genomanalyse ergänzen. Die perso­
zelnen Vertiefungen von nur einem einzelnen DNA­
nalisierte Genommedizin ist eine Herausforderung,
Molekül ausgehen, kann das Verhältnis von mutierter
der sich die gesamte Medizin stellen muss, wenn man
und nicht­mutierter DNA errechnet werden. Dies führt
diese neuen Strategien in die medizinische Praxis inte­
zu einer hohen Sensitivität und zur Quantifizierbarkeit
grieren möchte. Die Pathologie hat dabei die entschei­
der nachgewiesenen DNA­Veränderungen.
denden Weichen in Richtung Zukunft gestellt.
Um den zunehmenden qualitativen und quantitativen
Disclosure statement
Anforderungen in der molekularpathologischen Dia­
gnostik gerecht zu werden, müssen also die Patholo­
gen mit den raschen Fortschritten der NGS­Techno­
logie Schritt halten. Sie übernehmen heutzutage
zunehmend eine Führungsrolle bei der Etablierung
dieser neuen Technologie und machen sie für die Rou­
tinediagnostik praktisch anwendbar. Allerdings sehen
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
2
3
sich die Pathologen hierbei auch mit unerwarteten
Herausforderungen
Korrespondenz:
PD Dr. med. Kirsten D. Mertz
konfrontiert.
Sie
generieren
enorme Datenmengen und finden dabei oft komplexe
Institut für Pathologie
und individuell variable molekulare Tumorprofile. Um
Kantonsspital Baselland
aus diesen Daten individuelle Therapieansätze vorzu­
CH­4410 Liestal
kirsten.mertz[at]ksbl.ch
www.ksbl.ch
schlagen, sollten interdisziplinäre molekulare Tumor­
boards unter Einbezug verschiedener Disziplinen wie
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4
5
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