Tierhaltung Weide besser als ihr Ruf A. Verhoeven Milchkühe Die Weide ist tierfreundlich, gesellschaftlich erwünscht und das Futter konkurrenzlos günstig. Doch wie wirkt sich das Weiden auf die Milchleistung aus? Neue Ergebnisse aus Nordrhein-Westfalen zeigen, dass die Weide besser abschneidet als erwartet. W eidende Milchkühe verfügen über eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, da diese ursprüngliche, besonders tiergerechte Haltungsform Gesundheit, Fruchtbarkeit und Langlebigkeit fördert sowie maximalen Tierkomfort bietet. Der Weideaufwuchs gilt als konkurrenzlos günstige Futtergrundlage, die jedoch bei sehr hohen Milchleistungen begrenzend wirkt. Das ergab zumindest die bisher übliche Standardmethode zur Berechnung der Weideleistung. Für die Berechnung der Milchleistung von Weideflächen werden unterschiedliche Verfahren diskutiert. Am Beispiel sechsjähriger Weideversuche im Versuchs- und Bildungszentrum Haus Riswick wurden im Rahmen einer Bachelorarbeit von Marlies Cleven, Hochschule Rhein-Waal in Kleve, zwei Berechnungsmethoden miteinander verglichen. Vollweide und Halbtagsweide im Vergleich Die Bio-Milchkuhherde des Versuchs- und Bildungszentrums Haus Riswick weidete im Kurzrasensystem drei Jahre lang ganz- tags und drei Jahre lang halbtags. Das Prinzip der Kurzrasenweide gewährleistete eine konstante Weidequalität, indem die zugeteilte Weidefläche dem Aufwuchs stets so angepasst wurde, dass die Wuchshöhe zwischen fünf bis sieben Zentimetern lag. In den besonders wüchsigen Phasen wurde ein Teil der Flächen jeweils nicht beweidet, sondern zu Winterfutter verarbeitet. Auf der Ganztagsweide standen im Schnitt 2,5 Kühe auf einem Hektar, bei Halbtagsbeweidung lag die Besatzstärke bei vier Kühen pro Hektar – jeweils abhängig von Vegetation, Witterung und Aufwuchs. Der 45-köpfigen Deutsch-Holstein-Herde standen in den ersten drei Jahren von 2009 bis 2011 25 Hektar arrondierte Vollweide zur Verfügung, in den folgenden drei Jahren von 2012 bis 2014 nutzte sie 15 Hektar als Halbtagsweide. Während der Vollweidezeit waren die Kühe täglich 20 Stunden auf der Weide und bekamen im Stall lediglich drei Kilogramm Silomais oder maximal vier Kilogramm Kraftfutter je Kuh und Tag. Während der dreijährigen Halbtagsweide standen die Kühe entweder acht Stun>> 35 Tierhaltung Milchkühe den tagsüber oder bei großer Hitze zwölf Stunden nachts auf der Weide. Im Stall wurde eine Mischration aus Kleegrassilage, zwei Kilogramm Getreide und Mineralfutter gefüttert. Im April und Mai bekamen die Tiere davon sechs Kilogramm Trockenmasse, im Juni und Juli 7,5 Kilogramm sowie neun Kilogramm von August bis Weideende. Kühen mit einer Milchleistung über 22 Kilogramm ECM wurde Milchleistungsfutter mit 16 Prozent Rohprotein und 7,2 MJ NEL je Kilogramm tierindividuell über eine Abrufstation zugeteilt. Während der Ganztagsweide deckte das Stallfutter in Form von Maissilage und Milchleistungsfutter etwa 27 Prozent des Energiebedarfs für Erhaltung und Milchleistung, 73 Prozent lieferte die Weide. Die Halbtagsweide deckte nur 38 Prozent des Energiebedarfs, die übrigen 62 Prozent kamen aus dem Stallfutter. Weideleistung und Flächenproduktivität nach verschiedenen Berechnungsmethoden Weideleistung (in kg ECM/ha) Jahr Differenzmethode Anteilsmethode 2009 7.980 9.730 11.522 13.272 2010 7.020 9.133 9.560 11.673 2011 8.262 9.149 10.200 11.087 2012 1.626 9.797 5.063 13.233 2013 1.581 6.619 3.023 8.060 2014 2.556 8.899 4.795 11.137 Ø 4.838 8.888 7.361 11.410 Berechnung der Weideleistung Um die aus der Weide erzeugte Milchmenge zu ermitteln, griffen die Wissenschaftler zunächst auf die gebräuchliche Standardmethode, die Differenzmethode, zurück. Dabei wird von der Gesamtmilchmenge einfach die durch Stallzufütterung erzeugte Milchmenge abgezogen, übrig bleibt die Weideleistung. Die Gleichung lautet: ECMWeide (kg) = ECMgesamt (kg) – Energie aus Stallfutter (MJ NEL) 3,28 (MJ NEL / kg ECM) Das Problem der Differenzmethode ist, dass die Weide rechnerisch den gesamten Erhaltungsbedarf der Kühe erbringen muss. Daher griffen die Wissenschaftler nun zu einer alternativen Berechnungsweise, bei der die Weideleistung aus der anteiligen Energiebedarfsdeckung berechnet wird. Die Anteilsmethode teilt die Milchleistung abhängig vom Weideanteil der gesamten täglichen Energiezufuhr zu. Die Gleichung dafür lautet: ECMWeide (kg) = ECMgesamt (kg) x prozentualer Anteil Weideenergie am Energiebedarf Prozentualer Anteil Weideenergie am Energiebedarf (%): = [1 – (Energie aus Stallfutter (MJ NEL) / kg ECM) x 3,28 (MJ NEL) / kg ECM + Erhaltungsbedarf (MJ NEL)] x 100 Ergebnis hängt von Methode ab Die Wissenschaftler berechneten nun die Weideleistung für alle sechs Vegetationsperioden jeweils mit beiden Methoden und ermittelten zusätzlich die Flächenproduktivität inklusive der Schnitterträge. Das überschüssige Futter wurde in beiden Versuchsreihen jeweils gemäht und als Winterfutter in die Flächenproduktivität der Weideleistung eingerechnet. Verluste gingen pauschal mit 20 Prozent ein. Heraus kamen höchst unterschiedliche Ergebnisse: Über sechs Jahre gemittelt, wies die Anteilsmethode mit 8.888 Kilogramm ECM je Hektar eine deutlich höhere Milchmenge aus als die bisher übliche Differenzmethode Flächenproduktivität (in kg ECM/ha) Differenz- Anteilsmethode methode mit nur 4.838 Kilogramm. Damit rechnet die Anteilsmethode die Weideleistung nicht nur reeller, sonder auch positiver: Sie wies stets höhere Werte aus als die Differenzmethode. Besonders große Abweichungen zeigte die Differenzmethode bei der Halbtagsweide: Obwohl die Weide nur eingeschränkt zur Verfügung steht, muss sie rechnerisch den kompletten Erhaltungsbedarf erbringen. Für Weideanteile unter 30 Prozent errechnet die Differenzmethode dann sogar eine negative Milchleistung aus der Weide. Erst bei einem Weideanteil von 100 Prozent liefert die Differenzmethode dieselben Werte wie die Anteilsmethode. Fazit Da der Weideanteil in der Praxis meist unter 100 Prozent liegt, liefert die Anteilsmethode zuverlässigere und realistischere Ergebnisse für weitere Kalkulationen. Die Riswicker Versuche ergeben somit, dass unter niederrheinischen Standortbedingungen eine Weideleistung von durchschnittlich 9.000 bis 9.800 Kilogramm ECM je Hektar unabhängig von der Weidedauer möglich ist – das Jahr 2013 aufgrund der extrem ungünstigen Witterung herausgerechnet. Die Flächenproduktivität variiert somit zwischen 11.000 und 13.000 Kilogramm ECM je Hektar. Die Weide ist also besser als ihr Ruf! Die Zahlen belegen, dass Vollweide sehr hohe Leistungen bringen kann. Soll die Milch ausschließlich vom Grünland ermolken werden, ist die Vollweide zu bevorzugen. Wendet man die korrekte Berechnungsmethode an, sind jedoch auch bei Halbtagsbeweidung vergleichbare Flächenleistungen möglich. Dr. Clara Berendonk, Anne Verhoeven und Dr. Martin Pries, Landwirtschaftskammer NRW, Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft – Haus Riswick Tel.: 0 28 21 /9 96- 125 E-Mail: [email protected] bioland 07/2015 36
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