Roboterkabel-Die Mischung macht`s

Bild: bluebay2014 - Fotolia
TECHNIK • TREND
Roboterkabel:
Die Mischung macht’s
Kabel unter Stress – was tun?
Wenn Roboter sich in Industrieanwendungen häufig um die eigene Achse drehen müssen und ihr
Handgelenk hunderttausende von Dreh- und Knickbewegungen vollzieht, stehen auch die Energieleitungen am und im Roboter unter höchstem Stress. Es kann zu Kabelbrüchen, Datenunterbrechungen oder
Kurzschlüssen kommen. Was haben Kabelhersteller zu bieten, um dem Abhilfe zu schaffen?
E
in Roboter in der Fahrzeugproduktion: Er schnappt sich eine
komplette Windschutzscheibe
von Punkt A, führt sie exakt unter einer Klebedüse entlang, die währenddessen an den Konturen der Scheibe Klebstoff aufträgt. Anschließend setzt der
Roboter die Windschutzscheibe auf den
vorgesehen Platz vorn am Fahrzeug ein,
drückt mit genau definiertem Druck an ‒
die Scheibe wird Teil des Autos. Ein typischer Ablauf im automatisierten Rohbau
der Automobilindustrie. Nun herrscht hier
in der Regel Platzmangel; die Roboter müssen auf engstem Raum agieren. Das bedeutet extreme Dreh- und Knickbewegungen
für den Roboter. Und damit auch höchster
mechanischer Stress für seine Energieleitungen. „Ein Roboter in einer solchen Anwendung dreht sich an Achse 6 häufig mindestens einmal um 360 Grad mit teilweise
bis auf Anschlag gefahrenen Achsen im vorderen Bereich des Roboterarms“, erläutert
22
02/2015
Richard Habering, Global Product Manager
chainflex Leitungen bei Igus. „Das ist der
Stress, der den Leitungen, die im oder am
Roboter entlang geführt werden, am meisten zusetzt. Hier ist der kniffligste Punkt der
Roboterinstallation.“ Doch nicht nur die
Achsen 5 und 6 vorn am Roboterarm stehen
unter höchstem Stress; auch die Torsionsbelastungen in Achse 1, wo der Roboterkorpus
komplett gedreht wird, sind beachtlich.
„Auch hier dreht sich der Roboter oft um
360 Grad, mindestens jedoch um ± 180
Grad. In Achse 1 müssen immer häufiger
auf immer kleinerem Raum die Leitungen
geführt werden“, so Habering weiter. Die
Probleme, die mit solch einem hohen mechanischem Stress einhergehen können, liegen auf der Hand: Die Adern selbst können
brechen. Dies führt zu Kurzschlüssen und
Leitungsunterbrechungen. Manuel Reich,
Produkttechniker bei Leoni erläutert: „Die
mechanische Schwachstelle der Kabel liegt
in der Regel im Bereich der Zugentlastung
beziehungsweise der Kabelverschraubung.
Hier werden die dynamischen Bewegungen
des Kabels stark gehemmt. Abhängig vom
Kabelaufbau reiben sich Schirmungen auf
beziehungsweise brechen einzelne Litzen
der hoch belasteten Adern im Kabel.“ Dies
führe zunächst zu einer Erhöhung des elektrischen Widerstands bei ‚einfachen‘ Kabeln
oder zur Verschlechterung von Übertragungseigenschaften von Datenkabeln beziehungsweise optischen Fasern. Auch Risse
oder Löcher in der Isolation seien aufgrund
von Reibung möglich. Kommt es zu derartigen ‚Zwischenfällen‘, steht der Roboter, die
Produktion an dieser Stelle ebenfalls. Richard Habering: „Darum ist es nach unserer
Auffassung extrem wichtig, dass alle Roboteranwendungen vor dem Einsatz in der
Praxis unter möglichst realen Bedingungen
getestet werden.“
Igus betreibt dazu das wohl größte Labor Deutschlands für bewegte Leitungen.
Hier sind aktuell drei 6-Achs-Roboter im
TECHNIK • TREND
Chemikalienbeständigkeit. Zudem sei er
abriebfest. Das Unternehmen Leoni verbaut in seinen Kabelschutzsystemen Mantelwerkstoffe aus Thermoplastischen Elastomeren (TPU). „Diese Werkstoffe bilden
einen Kompromiss aus Flexibilität und Abriebfestigkeit“, erläutert Manuel Reich.
„Hochreine Elektrokupfersorten bilden die
Grundlage aller Kabel. Auch hier lässt sich
je nach Anwendung ein Kompromiss zwischen technischen und ökonomischen Anforderungen finden. Bandierungen im Kabel erhöhen die Gleiteigenschaften der
Komponenten untereinander und führen
somit dank reduzierter Reibung zur deutlichen Standzeiterhöhung.“
Igus setzt unter anderem auf die Kombination von besonders gleitfähigen und
gleichzeitig hoch stabilen Folien und elastischen Füllelementen, die wie Stoßdämpfer
am Auto funktionieren und so die auftretenden Kräfte der Torsionsbewegungen abfangen. Auch der Igus-Slogan „plastics for
longer life“ kommt hier zum Tragen: „Eine
ganze Menge unseres Kunststoff-Knowhows fließt auch in die Entwicklung unserer Isolations- und Mantelwerkstoffe ein.
Wir verwenden die am Markt verfügbaren
Werkstoffe für unsere Energieleitungen,
beispielsweise Polyurethan, und optimieren
sie durch unser hohes Know-how im Bereich der Materialentwicklung. WerkstoffKnow-how heißt, die richtige Mischung zu
finden, die die längste Lebensdauer ermöglicht“, sagt Richard Habering.
■
Autorin
Annika Ostermeier
Bild: Nataliya Hora - Fotolia
Dauereinsatz und werden in Kombination
mit ganzen Energieführungskonzepten auf
Herz und Nieren in Torsions- und Knickbewegungen getestet. Die Roboterleitung
chainflex CFROBOT8.045 beispielsweise
hat im Igus-Normtest jüngst mehr als 22
Millionen Torsionsbewegungen standgehalten. Die Testergebnisse werden in einer
Datenbank gespeichert und für die Berechnung der Lebensdauer tordierbarer Leitungen online frei zugänglich gemacht. „Der
Kunde erhält dadurch die Betriebssicherheit für seine Anwendung. Er weiß, dass es
funktionieren wird – ohne Störungen“, erklärt Habering. „Und damit erhält er von
Igus eine Garantie für 36 Monate auf die
mechanische Lebensdauer seiner Energieführungskette.“
Auch die Firma Reiku testet ihre Roboterkabel im eigenen Labor. Der Verkaufsleiter Peter Sailer berichtet über Tests mit
den neuen Bio-Kabelschutz-Wellrohren:
„In internen Versuchen blieben Bio-Wellrohre der Nennweite 70 auch noch nach 16
Millionen Zyklen in der Flexibilitätsprüfung schadensfrei, was in der Praxis Standzeiten von rund drei Jahren entspricht.“
Doch wie sollten Roboterleitungen idealerweise aufgebaut sein, um auch unter
höchstem mechanischen Stress nicht einzuknicken? Reiku baut seine „grünen“ BioKabelschutz-Wellrohre aus halogenfrei
flammgeschütztem Polyamid 11 (PA11).
Dieser biobasierte technische Kunststoff
kombiniere sehr gute mechanische Eigenschaften unter statischer und dynamischer Last mit hoher Temperatur- und
Im Rohbau der Fahrzeugproduktion herrscht Platzmangel; die Roboter dort arbeiten auf engstem Raum und müssen
demnach extreme Dreh- und Knickbewegungen ausführen – höchster Stress für ihre Energieleitungen.