Psychoanalyse und Universität – Utopie und Realität

wiener
psychoanalytische
akademie
Psychoanalyse im Dialog 2016
Psychoanalyse und Universität –
Utopie und Realität
Tagung am
22. Jänner 2016 und
23. Jänner 2016
Wiener Psychoanalytische Akademie
Salzgries 16/3, 1010 Wien
Anmeldeinformation: www.psy-akademie.at
Einleitung
Jede Universität kann nur Vorteile davon haben, wenn sie bereit ist,
die Psychoanalyse in ihren Lehrplan aufzunehmen, da sie einen
einzigartigen Zugang zum Verständnis der conditio humana bietet.
Davon ist schon seit Langem die Rede (vgl. dazu Freud, S 1918).
Man bedenke nur, was die Psychoanalyse bereits in ihren ersten hundert Jahren
mit dem ihr eigenen Erkenntnisansatz an theoretischen Einsichten über den
Menschen ebenso wie an therapeutischem Handlungswissen hervorgebracht hat!
Von ihrem Anregungsgehalt für alle Sozial- und Humanwissenschaften und für
jede Art von Psychotherapie ganz abgesehen. Und dennoch ist es – vor allem ­
in Mitteleuropa – nicht zu einer systematischen Integration der Psychoanalyse
an den Universitäten gekommen. Dies ist auch der wechselvollen Geschichte ­
des 20. Jahrhunderts geschuldet. In ihrem Querstehen zu einer technologischinstrumentellen Imprägnierung des Wissenschaftsideals war die Psychoanalyse
immer auch ein Stein des Anstoßes, nicht zuletzt in primär nahestehenden Dis­
ziplinen wie der Psychologie und der Medizin.
Unabhängig davon stellt sich jedoch die Frage, wie Psychoanalyse an der Hoch­
schule gelehrt wurde und wird und ob angehende Psychoanalytiker auch an ­
der Universität unterrichtet werden sollen. Klinische Ausbildung in Vereinen
hat eine lange Tradition, sie bietet einen besonderen Schutz der Praxis und der
Entwicklung therapeutischer rezeptiver Fähigkeiten.
Wenn Psychoanalyse an der Universität gelehrt wird, muss sie ihr Potenzial als
wissenschaftliche Integrations- und Gesamtdisziplin in einem Umfeld beweisen,
das mit ECTS Punkten, Bologna-Struktur und formalisierten Prüfungsstandards,
einer Logik folgt, die Psychoanalytikern meist fremd ist und oft als unvereinbar
mit dem Essentiellen der Psychoanalyse wahrgenommen wird. Vor allem die
Selbsterfahrung und die klinische Ausbildung sind von dieser Fremdheit besonders betroffen.
Allerdings bietet eine psychoanalytische universitäre Ausbildung auch für klinisch
Tätige die Chance, ihre Methoden und Theorien systematischer zu artikulieren
und in einem kompetitiven Umfeld zur Anwendung bringen zu können. Diese
Tagung soll Ihnen die Möglichkeit bieten, die Vermittlung und Anwendung psychoanalytischen Wissens an Universitäten kennen zu lernen und mit namhaften
Experten über ihre Erfahrungen und Vorstellungen zu sprechen.
Die Konferenz wird im Wesentlichen in deutscher Sprache durchgeführt. Mark
Solms wird jedoch englisch sprechen und die Diskussion zu seinem Beitrag wird
ebenfalls in Englisch durchgeführt. Englisch-sprachige Diskussionsbeiträge sind
jederzeit möglich und werden bei Bedarf übersetzt.
Programm
Freitag, 22. Jänner 2016
16:00 Begrüßung: Hemma Rössler-Schülein
Fritz Lackinger
Begrüßung und Einführung zum Tagungsthema
16:30– 18:30 Moderation: Hemma Rössler-Schülein
Michael Schröter
Freud, die frühen Freudianer und die Universitäten
Freud hat eine eigene Wissenschaft geschaffen, mit eigenen Institutionen
der Weitervermittlung, hätte es aber gern gesehen, wenn sie einen Platz
an der Universität gefunden hätte. Wann immer sich eine solche Aussicht
abzeichnete, hat er es begrüßt. Die Ausbildung an Vereinsinstituten war
ein Notbehelf – ein Ausdruck der Spannung zwischen Wissenschaftlichkeit
und Esoterik, in der sich die Psychoanalyse entwickelte.
Gertraud Diem-Wille
Zur Vermittlung einer psychoanalytischen Haltung durch Verstehen
der frühen Entwicklung. Erfahrungen mit dem Master Universitätslehrgang
„Psychoanalytic Observational Studies“.
Der Beitrag reflektiert Aufbau und Erfahrungen im Rahmen des
Universitäts­lehrgangs „MA in Psychoanalytic Observational Studies“
(Universität Klagenfurt). Im Zentrum steht die besondere Art der
Vermittlung eines psychoanalytischen Verstehens und einer Reflexion
der beruflichen Praxis. Anhand von Masterarbeiten werden die Lern­
prozesse von zwei Absolventen beleuchtet.
19:00–21:00 Moderation: Elisabeth Skale
Martin Teising
Die Internationale Psychoanalytische Universität Berlin –
Verwirklichung einer Utopie?
Sechs Jahre nach ihrer Gründung stellt der Präsident der IPU die
Gründungs­idee sowie die politischen und rechtlichen Rahmen­­bedingungen dar. Er gibt einen Abriss über die bisherige Entwicklung
in Lehre, Forschung und Weiterbildung. Die internationale Vernetzung
wird dargestellt, Erfolge, Misserfolge und Zukunftsaussichten bei sich
wandelnden Rahmenbedingungen werden diskutiert. Was können
wir aus der bisherigen Entwicklung lernen, welche Erkenntnisse lassen
sich auch auf andere Situationen übertragen?
Mark Solms
Psychoanalysis and Academic Science
Perhaps the most fundamental property of the mind (as we study and ­
treat it in psychoanalysis) is subjectivity. Yet science strives for objectivity.
This has had obvious implications for the scientific standing of psycho­
analysis in the universities. In this presentation, I will briefly review how
the subjective nature of the mind has been handled in academic science in
the past; then I will make some observations on the present situation and
some proposals for the future.
Cocktail
Samstag, 23. Jänner 2016
09:00–11:00 Moderation: Fritz Lackinger
Stephan Doering
Psychoanalytische Ausbildung und Medizinische Universität Wien:
Aktuelle Entwicklungen.
Die bevorstehende Novellierung des österreichischen Psychotherapie­
gesetzes wird eine so genannte Akademisierung der Psychotherapie­
ausbildung be­inhalten. Voraussichtlich wird dies in Zukunft einen
Masterabschluss als Voraussetzung für die Tätigkeit als Psycho­thera­
peutIn mit sich bringen. Derzeit bemühen sich daher die psychotherapeu­
tischen Fachspezifika um Kooperationen mit den staatlichen und priva­
ten Univer­sitäten. An der Medizinischen Universität Wien soll es einen
Universitätslehrgang mit Masterabschluss geben, in dem insgesamt acht
psychoanalytisch-psychodynamische Fachspezifika kooperieren werden.
Ein Schwerpunkt wird neben den bisherigen Ausbildungsinhalten auf der
Psychotherapieforschung liegen.
Marianne Leuzinger-Bohleber
Psychoanalytische Bemerkungen zum Verhältnis von Psychoanalyse
und Universität in Deutschland.
Während die Psychoanalyse in den 1970er und 1980er Jahren in Deutsch­
land eine Hochblüte an deutschen Universitäten erlebte, kämpft sie heute
sowohl in den medizinischen als auch in den psychologischen Fakultäten
um ihre Existenz. Im Vortrag werden einige Thesen zur Diskussion gestellt,
welche wissenschaftshistorischen und -theoretischen, aber auch welche
gesellschaftlichen Faktoren bei diesen Entwicklungen eine entscheidende
Rolle spielen und wie ein psychoanalytisches Forschungsinstitut, wie das
Sigmund-Freud-Institut, mit aktuellen Forschungsprojekten neue Brücken
zu den Universitäten zu bauen versucht.
11:30–13:30 Moderation: Johann August Schülein
Patrizia Giampieri-Deutsch
Anglo-amerikanische Modelle universitärer Forschung und
Lehre der Psychoanalyse im Vergleich mit Kontinentalen Modellen
Die vergleichende Untersuchung beleuchtet Unterschiede in der Forschung
und Lehre: abhängig von der betreffenden Fachrichtung, der die Psycho­
analyse zugeordnet wird. Die zweite Differenzierung folgt aus der Unabhän­
gigkeit des „akademischen Fachs“ Psychoanalyse ent­gegen ihrer institu­
tionellen Einbindung an einer Universität als Teil der psychoanalytischen
Ausbildung eines Institutes einer IPA-Mitgliedsver­einigung. Die Aufgabe
„Psychoanalyse an der Universität“ kann demnach minimal – nichtsdestowe­
niger wünschenswert – bis maximal (im Rahmen einer zukünftigen gesetzli­
chen „Akademisierung der Psychotherapieausbildung“) erfüllt werden.
August Ruhs
Zwischen Gästestatus und Mitgliedschaft: Die Psychoanalyse an
Frankreichs Universitäten
Außer an universitären psychiatrischen Institutionen gab es in Frankreich
vor dem Zweiten Weltkrieg keine offizielle Einbindung der Psychoanalyse,
erst nach 1945 unter fand sie Eingang in Fakultäten für Psychologie. Nach
1968 und gegen den Willen Jacques Lacans schuf Leclaire ein Departe­
ment für Psychoanalyse an der „Universität Paris 8“, wo nach wie vor die
psychoanalytische Lehre durch das Erbe Lacans und Freuds bestimmt wird.
Lacan selbst, der sich jeder akademischen Karriere entschlug, entfaltete
gleichwohl einen Großteil seiner Lehrtätigkeiten als Gast an verschiedenen
universitären Einrichtungen. Vor allem in der Ausarbeitung seiner „Diskurs­
matheme“ ab 1969 setzte er sich mit der Frage der Lehrbarkeit von Psycho­
analyse auseinander, wobei er zwischen einem wissenschaftlichen Diskurs
und einem universitären Diskurs eine strenge Grenze zog.
Die Vortragenden
Gertraud Diem-Wille
Univ. Prof. i. R., Dr. phil. Leitung des Weiterbildungslehrgangs „Eltern-­
Kleinkind Therapie“ mit Dr. Fiala-Preinsperger, Lehranalytikerin für Kinder,
Jugendliche und Erwachsene (WPV und IPA). Wissenschaftliche Leitung
des MA Universitätslehrgangs Psychoanalytic Observational Studies.
Veröffentlichungen: Die führen Lebensjahre, Kohlhammer Verlag, 2. Aufl.;
Latenz das „goldene Zeitalter“ der Kindheit, Psychoanalytische Entwicklungstheorie nach Freud, Klein und Bion, Kohl­hammer Verlag 2015; ­
Young Children and Their Parents. Perspectives from Psychoanalytic
Infant Observation, Karnac 2015.
Stephan Doering
Univ.-Prof. Dr. med., Facharzt Psychiatrie und Psychotherapeutische
Medizin und für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Seit 2011 Professor für Psychoanalyse und Psychotherapie und
Leiter der gleichnamigen Klinik an der Medizinischen Universität Wien.
Forschungsschwerpunkte sind: Psychotherapie­forschung, Diagnostik und
Behandlung von Persönlichkeitsstörungen, Neurobiologie in der Psycho­
therapie. Stephan Doering ist Präsident der International Society of
Transference-focused Psychotherapy (ISTFP). Er ist Herausgeber einiger
Fachzeitschriften, hat zahlreiche Artikel und Buchbeiträge publiziert ­
sowie Bücher herausgegeben, unter anderem zu psychischen Störungen
im Spielfilm.
Patrizia Giampieri-Deutsch
Univ.-Prof. Dr. phil., wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften, lehrt am Institut für Philosophie der Universität Wien,
Ordentliches Mitglied und Lehranalytikerin Wiener Psychoanalytische
­Vereinigung (WPV) / International Psychoanalytical Association (IPA),
­Mitglied des IPA-Committee „Psychoanalysis and the University“ seit 2005
und ab 2012 dessen Co-Chair („European Chair“). 2012 brachte sie gemeinsam mit F. G. Barth und H-D. Klein das Buch Sensory Perception. Mind and
Matter (Springer Verlag) heraus.
Marianne Leuzinger-Bohleber
Professorin i. R. für Psychoanalyse an der Universität Kassel; Dr. phil.,
Geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt
am Main; Lehranalytikerin (DPV); Visiting Professor: University College
London, Co-Vorsitzende des Research Boards der IPA for Europe, ­
Action Group der Society for Neuro-Psychoanalysis. Arbeitsgebiete:
klinische und empirische Forschung in der Psychoanalyse, Adoleszenz,
psychoanalytische Entwicklungspsychologie, Psychoanalyse und Cognitive
Science / Literaturwissenschaften / Wissenschaftstheorie. Aktuelle Publikationen: Psychoanalyse und Neurowissenschaften: Chancen – Grenzen –
Kontroversen, Kohlhammer-Verlag 2016. Migration, frühe Elternschaft und
die Weitergabe von Traumatisierungen (erscheint im März 2016).
August Ruhs
Univ.-Prof. i. R., Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie,
Lehr­analytiker im Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP/IPV),
Vorsitzender des WAP 2007–2015, Mitherausgeber der Zeitschrift
„texte. psychoanalyse. ästhetik. Kulturkritik“, Mitglied, Mitbegründer
und Vorsitzender der Neuen Wiener Gruppe/Lacan-Schule, Gründungs­
mitglied der AFP (Assoziation für die freudsche Psychoanalyse), zahl­reiche Publikationen, zuletzt: Lacan. Eine Einführung in die strukturale
­Psychoanalyse, Löcker Verlag 2010.
Michael Schröter
Dr. phil., lebt als freier Forscher und Autor in Berlin. Er hat mehrere Briefwechsel von Freud ediert und zahlreiche Aufsätze zur Freud-­Biographik
und zur Geschichte der Psychoanalyse geschrieben. Seit 2004 gibt er
Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse heraus. Letzte
Buchveröffentlichung (als Hg.): S. Freud & E. Bleuler: „Ich bin zuversichtlich,
wir erobern bald die Psychiatrie“. Briefwechsel 1904–1937 (Basel 2012).
Mark Solms
Univ.-Prof. für Neuropsychologie an der Universität Kapstadt und
Prä­sident der südafrikanischen Gesellschaft für Psychoanalyse. Solms
wurde durch seine neurobiologischen Arbeiten zum Traum bekannt, ­
die Freuds Traumtheorie weitgehend bestätigten. Er stammt aus Süd­afrika,
erhielt seine psychoanalytische Ausbildung aber in London. ­2000 gründete der die Internationale Gesellschaft für Neuropsycho­analyse. 2002 kehrte
er nach Südafrika zurück, wo er Leiter des Neuro­psychologie-Departments
an der Uni Kapstadt wurde. Seit 2013 ist er Vorsitzender des International
Research Board der IPA. Solms ist weiters der autorisierte Herausgeber
und Übersetzer der demnächst erscheinenden Revised Standard Edition
of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud (24 vols), and the
Complete Neuroscientific Works of Sigmund Freud (4 vols).
Martin Teising
Prof. Dr. phil. Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin,
Lehr­analytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV),
Vorsitzender der DPV 2010–2012, seit 2013 Präsident der Internationalen
Psychoanalytischen Universität Berlin, seit 2014 europäischer Repräsentant im Vorstand der International Psychoanalytischen Vereinigung.
Zuletzt gab er gemeinsam mit Frank Dammasch das Buch Das modernisierte Kind, Brandes & Apsel 2013 heraus.
Wiener Psychoanalytische Akademie
Salzgries 16/3, 1010 Wien
Anmeldeinformation: www.psy-akademie.at