Laudatio für Sea-Watch-Org

Laudatio auf die Organisation Sea-Watch bei der Helmut-Frenz-Preisverleihung
Am 4. Februar 2016 wurde zum zweiten Mal in der Apostelkirche Hamburg-Eimsbüttel der Helmut-FrenzPreis für „Menschen und Organisationen, die der Menschlichkeit ein mutiges Beispiel geben“ verliehen.
Für den Preis waren aus einer Vielzahl an Bewerbungen fünf Initiativen ausgewählt worden für die
abendliche Vorstellung vor dem versammelten Publikum.
Dietrich Gerstner vom Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche war eingeladen worden, die
Vorstellungsrede für die Organisation „Sea-Watch“ (http://sea-watch.org/) zu halten:
„Herzlichen Dank für diese Ehre, hier eine Laudatio halten zu dürfen, denn so hatte ich meinen Auftrag erst
einmal verstanden. Und zu loben gibt es hier tatsächlich, denn lobenswert ist diese besondere „See-Wacht“
mit Ingo Werth als aktuellem Skipper / Kapitän aus Hamburg hier im Publikum.
Und doch: „Lob“ klingt bei einer Frage, wo es um Leben oder Sterben geht, viel zu brav, zu harmlos, zu
undramatisch.
Lassen Sie mich etwas sagen zu meinem Bezug zu diesem Thema: Seit bald 10 Jahren begehen wir in
Hamburg am Volkstrauertag ein Requiem für die Toten an den EU-Grenzen in der Hauptkirche St. Jacobi.
Wir sagen mit diesem Gedenkgottesdienst, dass dort draußen, an unseren Grenzen, ein unerklärter Krieg
gegen Flüchtlinge und MigrantInnen stattfindet!
Wir gedenken der Toten – es sind v.a. Ertrunkene im Mittelmeer – denn: Das Mittelmeer ist schon lange die
tödlichste Grenze der Welt: Seit dem Jahr 2000 sind ungefähr 30.000 Menschen bei dem Versuch gestorben,
Europa über das Mittelmeer oder früher auch Richtung der Kan. Inseln über den Atlantik zu erreichen.
Wir gedenken der Toten, wir trauern um sie, und wir fordern Veränderung – von unserer Regierung, von
der EU, von uns selbst – aber was könnte das konkret heißen?
Ende 2014 gaben zwei Familien aus Brandenburg eine Antwort darauf. Aus ihrer Initiative, dank ihres Mutes
entstand „Sea-Watch“ - das Projekt einer zivilgesellschaftlich verankerten Seenotrettung im Mittelmeer.
„Ich möchte die Grenze vom Mittelmeer nach Berlin verschieben“, sagte der Sprecher der Initiative, Harald
Höppner, damals. „Wir machen das aus humanitären Gründen, weil wir nicht länger zuschauen können.“
Nachdem ein erstes Boot gefunden war, ein alter ehemaliger Fischkutter (wir haben das Bild eben gesehen),
wurde es hier in Hamburg renoviert und umgerüstet. Schon Ende März stach die Sea-Watch 1 in See
Richtung Mittelmeer.
Da lagen also zwischen der Idee und ihrer Umsetzung nur wenige Monate.
Seit Juni 2015 leistete die “Sea-Watch“ nun Nothilfe für Flüchtlingsboote in Seenot – zunächst vor der
lybischen Küste, z.B. durch das Ausbringen von Rettungsinseln bei vom Untergang bedrohten
Flüchtlingsbooten, und forderte, ja forcierte gleichzeitig die Rettung durch die zuständigen europäischen
Institutionen, also z.B. die italienische Seenotrettungszentrale oder andere Institutionen. Das Boot war
praktisch eine schwimmende Telefonzelle auf hoher See.
Und gleichzeitig setzt sich Sea-Watch öffentlich für legale Fluchtwege ein und macht die Geschehnisse im
Mittelmeer durch eine engagierte Presse- und Medienarbeit auch in unserer Gesellschaft bekannt.
Zahlreiche Filmclips und sogar Dokumentarfilme zeigen die immense Wirkung dieser kleinen Initiative.
Ist das ein Zeichen für MUT, ein mutiges Beispiel für unsere Menschlichkeit?
Auf alle Fälle: Welche „Landratte“ kommt schon auf die Idee, auf hoher See Seenotrettung organisieren und
auch selbst machen zu wollen? Dafür haben wir an den deutschen Küsten ja die „Deutsche Gesellschaft zur
Rettung Schiffbrüchiger“, die bei Wind und Wetter rausfahren – allesamt erfahrene Seeleute. Übrigens von
der Idee her durchaus ein Vorbild für das Projekt Sea-Watch. Also, es gehört Mut dazu, sich solch einer
riskanten Aufgabe zu stellen. Sicherlich auch für einen erfahrenen Skipper wie den hier anwesenden Ingo
Werth.
Dann überhaupt solch ein Projekt in Gang zu setzen, das ist schon mutig! Ich war vor Jahren mit Leuten aus
der Flüchtlingsarbeit im Gespräch, die selbst erfahrene Segler und Seeleute waren. Und die hielten das
Projekt einer privaten Flottille, die im Mittelmeer kreuzt, um Flüchtlinge aufzunehmen und gleichzeitig der
neu gegründeten Europäischen Grenzschutzagentur Frontex den Kampf anzusagen, für nahezu wahnwitzig.
U.a. die schiere Größe der Not auf See, die möglicherweise zu vielen Flüchtlinge, die einem begegnen
würden, die nicht alle gerettet werden könnten; und natürlich unweigerlich die Begegnung mit dem Tod von
Menschen auf See, das Aushalten von Zuspätgekommensein oder die Unmöglichkeit alle zu retten, der
Anblick toter Kinder – wären die selbsternannten SeenotretterInnen darauf wirklich vorbereitet? Diesen
Fragen stellt Ihr Euch, lieber Ingo und Deine MitstreiterInnen, die heute Abend hier sind. Und doch, Ihr tut
es! Ihr leistet Hilfe, Ihr seid da vor Ort.
Nicht zuletzt braucht es Mut, der möglichen Kriminalisierung von Seenotrettung entgegen zu treten: Denn
es gibt nicht nur freundliche Presseberichterstattung und schöne Filme von ARD und ZDF. Es gibt
zunehmend die Gefahr, dass das Retten von Menschenleben auf See als Schleuserei ausgelegt werden
könnte durch europäische Behörden. Das lag schon immer in der Luft. Ich erinnere nur an den langen
Gerichtsprozess in Italien gegen Elias Bierdel und Stefan Schmidt von der Cap Anamur, nachdem sie im
Sommer 2004 37 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet hatten. Und neuerdings droht dasselbe zu
passieren, wenn griechische Grenzschutzbehörden gemeinsam mit Frontex in der Region zwischen der
griechischen Insel Lesbos und dem türkischen Festland versuchen, diese Hilfe zu unterbinden und die
RetterInnen zu kriminalisieren! Und Sea-Watch beteiligt sich seit der zweiten Jahreshälfte 2015 mit einem
Schnellboot genau an diesen Rettungsmaßnahmen für Flüchtende (auch davon haben wir eben ein Bild
gesehen) – da ist also auch eine Menge Zivilcourage nötig.
Zum Abschluss: der alte Fischkutter ist leider nicht geeignet, im Winter und bei schwerem Wetter auf hoher
See unterwegs zu sein. Und so hat sich diese wunderbare Organisation entschlossen, ein größeres und
robusteres Schiff zu kaufen: Weil die Not groß ist und das Sterben nicht weitergehen soll.
Für dieses neue Schiff und natürlich für Ihren Rettungseinsatz im Mittelmeer sammeln sie nach wie vor
Spenden.
Und dafür würde ich Ihnen den Helmut-Frenz-Preis 2016 von Herzen gönnen: als Ermutigung und als
öffentliche Würdigung dieses lebenswichtigen Engagements. Es steht zu befürchten, dass wir es noch lange
brauchen werden.
Danke für Ihre und Eure Aufmerksamkeit.“