Fragestunde zum Thema „Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den sogenannten ‚Altanschließern‘“ anlässlich der Landtagssitzung am 20. Januar 2016 Abgeordneter Sven Petke (CDU): Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im November in einer Entscheidung die Anwendung einer wesentlichen Vorschrift des Kommunalen Abgabengesetzes als verfassungswidrig zurückgewiesen. Wir haben seitdem im Land eine durchaus kritische Situation. Ich frage die Landesregierung, wie sie diese Entscheidung des BVerfG zu den sogenannten „Altanschließern“ bewertet, bewertet in Bezug auf die betroffenen Brandenburgerinnen und Brandenburger, bewertet in Bezug auf die betroffenen Verbände und auf die betroffenen Kommunen? Innenminister Karl-Heinz Schröter: Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, Herr Petke, der angesprochene Beschluss des BVerfG vom 12. November vergangenen Jahres stellt die Aufgabenträger und natürlich auch das Land vor eine völlig neue Situation. Die in Rede stehende Regelung war zuvor nicht beanstandet worden, und zwar nicht beanstandet worden von den Verwaltungsgerichten, aber auch nicht vom Oberverwaltungsgericht (OVerwG) Berlin-Brandenburg und auch nicht vom Brandenburger Landesverfassungsgericht. Nach Ansicht des BVerfG aber entfaltet die Regelung eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Es hat deshalb zwei Entscheidungen des OVerwG zu Beitragserhebungen in der Stadt Cottbus aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das OVerwG wird in dieser Sache am 11. Februar mündlich verhandeln. Welche wirtschaftlichen Folgen die Umsetzung der Karlsruher Entscheidung für die Aufgabenträger und die betroffenen Abgabepflichtigen hat, kann die Landesregierung derzeit nicht einschätzen. Hierzu bedarf es zunächst einer sorgfältigen Bestandsaufnahme durch die kommunalen Aufgabenträger. Nur sie können die ganz unterschiedlichen Fallkonstellationen in ihrem Gebiet und die jeweiligen Konsequenzen daraus einschätzen. Eines erscheint mir jedoch sicher: Die Patentlösung wird es nicht geben. Eine zweite Einschätzung darf ich hinzufügen: Ich denke, man sollte jetzt nicht vorschnell reagieren, sondern zunächst prüfen, abwägen und dann reagieren. Die Situationen in unserem Land sind höchst unterschiedlich, so auch die Betroffenheit bei den Bürgerinnen und Bürger. Es wird am 27. Januar ein Zusammentreffen der Kommunalaufsichten des Landes geben, und zwar mit der Kommunalaufsicht des Innenministeriums (MIK). Wir werden uns dazu verständigen, wie wir mit dem Thema weiter umgehen wollen, auch und insbesondere, nachdem die Kommunalaufsichten der Kreise eine Einschätzung der Situation vor Ort geben. Wir werden als Landesregierung dann sicher auch ein Gutachten in Auftrag geben, aber vorher müssen wir wissen, welche Fragen am drängendsten sind, um auch die Aufgabenstellung für einen Gutachter so exakt wie möglich zu machen, denn dieses Gutachten soll ja auch wirklich weiterhelfen. (Es folgen gesammelten Nachfragen.) Abgeordneter Sven Petke (CDU): Herr Minister, bis wann will Ihr Haus eine Auskunft für die Brandenburger erarbeiten, die sich natürlich jetzt aus meiner Sicht zurecht Hoffnung machen, dass sie in einer ähnlich gelagerten Fallkonstellation darauf hoffen können, dass die von ihnen gezahlten Beiträge zurückerstattet werden? Können Sie uns auch im Hinblick Nachtragshaushalt eine auf die soeben geführte Auskunft darüber geben, Diskussion wie hoch zum denn möglicherweise insgesamt die in Rede stehenden Rückzahlungen – was das Volumen in Euro betrifft – sind? Abgeordneter Peter Vída (BVB/Freie Wähler): Herr Minister, Sie haben ja sehr stark betont, welche Gerichte alle zunächst das anders entschieden hätten, und das auch das LVG das anders gesehen hat, und dass das BVerfG jetzt eine andere Auffassung vertreten würde. Würden Sie vielleicht den Anwesenden und auch mir vielleicht nochmal erklären, ob Sie das genau so sehen, dass die Entscheidungen des BVerfG alle Gerichte und alle Behörden auch dieses Landes binden? Vielleicht dazu nochmal eine Klarstellung Ihrerseits. Des Weiteren eine Frage: Sie haben ja auch gesagt – gerichtet an den Raum der Abgeordneten – man dürfe keine vorschnellen Schlüsse ziehen, keine vorschnellen Entscheidungen treffen? Das sei Ihr Rat in dieser Sache. Welchen Rat erteilen Sie denn den Bürgern, die noch nach Veröffentlichung des Beschlusses des BVerfG Bescheide von 10.000, 20.000 Euro bekommen haben, mit Postzustellungsurkunde, am 31. Dezember, von den Verbänden, die einfach in pflichtschuldiger Erfüllung der Direktiven hier den Leuten noch die Bescheide zustellen. Welchen Rat erteilen Sie den Menschen in diesem Land? Abgeordneter Uwe Liebehenschel (CDU): Ich finde es ja schön, dass sich am 27.1. die Kommunalaufsichten gemeinsam treffen, aber ich denke, dass das Innenministerium in der Pflicht ist, und frage daher den Innenminister: Sieht das Innenministerium den verfassungsmäßigen Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber bestandskräftigen Beitragsbescheiden verletzt, wenn Beitragsbescheide bis zum Jahr 2000, für die die vierjährige Festsetzungsverjährung nicht eingehalten wurde, zurückgezahlt werden, und dies die Typengrenze – zehn Prozent aller Beitragsforderungen – überschreitet? Sind dann zwingend die Beitragsforderungen zu splitten in Beitragszahler und Nicht-Beitragszahler? Abgeordneter Rainer Genilke (CDU): Meine Frage bezieht sich natürlich auch auf die Rückforderungsansprüche, von denen Sie gerade sagten, dass sie noch nicht genau bezifferbar sind. Also das Datum, aber ich denke auch, da wir schon längere Zeit über das Kommunalabgabengesetz (KAG) reden und auch über die Beiträge reden, dass es hier eine ungefähre Zahl gibt, die Sie uns heute nennen können, zwischen denen sich das bewegt. Und natürlich die Frage, die sich daran anschließt: Ob sich das Land in einer finanziellen Einstandspflicht sieht. Wenn ja, über welche Mittel über das Schuldenmanagement hinaus? Innenminister Karl-Heinz Schröter: Selbstverständlich haben wir jetzt ein Urteil, das die davorliegenden Urteile korrigiert. Und ich gehe davon aus, dass sich das OVerwG bei seiner mündlichen Beratung am 11. Februar natürlich – an diesem Urteil orientierend – zu einer neuen Entscheidung über die beiden in Rede stehenden Klagen kommen wird. Allerdings – und deshalb habe ich das betont – kam die Entscheidung des BVerfG für uns überraschend, weil alle anderen Urteile eben anders aussahen und die Tendenz klar in eine andere Richtung zeigte. Zwei Fragen kann ich zusammenfassen, nämlich die ungefähre Größenordnung der in Rede stehenden Anschlussbeiträge. Hier würde ich nur spekulieren können, denn es ist auch völlig offen, wie die einzelnen Aufgabenträger reagieren werden. Ein bestandskräftiger Bescheid muss nicht zurückgezahlt werden, kann aber zurückgezahlt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen geprüft wurde: Wie kann man die Gebührengerechtigkeit am besten herstellen, und wie ist dann das Gesamtfinanzierungskonzept wieder auszugleichen? Deshalb kann ich, bevor ich mit den entsprechenden Aufgabenträgern die Dinge nicht ausgewertet habe, nicht einmal ansatzweise eine Zahl nennen, die am Ende nicht belastbar ist. Herr Petke, zu ihrer ersten Nachfrage: Wir werden den Bürgerinnen und Bürgern gar keine Antwort geben, denn wir sind nicht diejenigen, die mit ihnen kommunizieren. Die Aufgabenträger sind diejenigen, die hier mit den Bürgerinnen und Bürgern das Verfahren zu vereinbaren haben. Im Übrigen gibt es welche, die dieses Problem nicht haben, weil sie entweder eine andere Veranlagungsart festgesetzt haben, nämlich alle Investitionen werden über die Mengengebühr refinanziert. Das ist so ein Beispiel, wo man überhaupt keine Probleme hat. Andere wiederum haben ganz offensichtlich rechtzeitig die Korrekturen an ihren Satzungen vorgenommen, sodass sie auch keine Probleme haben. Die Problemfälle sind in einigen Regionen, aber nicht flächendeckend, und die haben auch etwas zu tun mit Entscheidungen von kommunalen Verantwortungsträgern, die jetzt natürlich gezwungen sind und aufgefordert sind, sich vernünftig mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Mein Rat an alle betroffenen Bürgerinnen und Bürger wie auch Aufgabenträger lautet: Bitte jetzt nicht in Aktionismus verfallen. Bitte, bevor man handelt, prüfen, abwägen und dann vernünftig agieren, um – und jetzt bin ich bei der nächsten Frage – gebührend Gerechtigkeit zu organisieren in ihren Verantwortungsbereichen. Was heißt das? Wir werden natürlich prüfen, ob man eine unterschiedliche Gebühr erheben kann, wenn man auf der einen Seite Anschlussbeitragszahler hat, die aber auf der anderen Seite dann in diesem Zweckverband oder in diesem Territorium auch mit einer Mengengebühr belastet werden. Kann man da ein Splitting durchführen? Das muss rechtlich geprüft werden. Fest steht allerdings: Je komplizierter die Kalkulation einer Gebühr ist, desto größer ist auch die Möglichkeit, innerhalb der Kalkulation einen Fehler zu haben. Das könnte neue Probleme aufwerfen. Finanzielle Einstandspflicht des Landes: Das ist nicht endgültig geprüft. Ich gehe davon aus, dass wir hier sicherlich noch einmal ganz intensiv auch durch externen Sachverstand nachschauen werden. Dann kann ich Ihnen zu dieser Frage eine Antwort geben. Für mich gilt zunächst einmal das kommunale Abgabenrecht, und das geht von einer Aufgabenfinanzierung nach dem Kostendeckungsprinzip aus. Also gilt es zunächst einmal, kostendeckende Gebühren zu erheben. Und das heißt: Da sind dann zunächst die Verbände auch in der Pflicht, neu zu kalkulieren, wenn erhebliche Deckungslücken entstehen. Es gibt auch hier viele unterschiedliche Fallkonstellationen: Wenn ein Verband sich dazu entschließt, alles zurückzuzahlen, entsteht eine Deckungslücke. Es gibt Verbände, die können diese Deckungslücke durch Kreditaufnahme schließen, die Refinanzierung der Kredite dann über die Mengengebühr wieder einnehmen. Ich kann mir vorstellen, es gibt Verbände, die können das nicht. Aber ihre Aufgabenträger, die Gemeinden, können dafür einstehen, und eine Zwischenfinanzierung vornehmen. Und dann mag es auch welche geben, wo die Gemeinden diese Situation nicht ausgleichen können. Aber all das, meine Damen und Herren, muss vernünftig geprüft werden. Ich gehe davon aus, dass wir Ende des ersten Quartals mehr Sicherheit bei dem Thema haben werden, Das setzt aber voraus, dass insbesondere diejenigen, die hier die Urdaten haben, und das sind nun einmal die Aufgabenträger, vernünftig mitwirken, um uns hier auch in die Lage zu versetzen, vernünftig unterstützen zu können.
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