ISDS-„Reformen“ verschlimmern die Probleme anstatt sie zu lösen

TTIP: ISDS‐„Reformen“ verschlimmern die Probleme anstatt sie zu lösen Die Kommissions‐Vorschläge gehen auf die Grundprobleme der Klagrechte nicht ein. Analyse des Seattle to Brussels Netzwerks, 6. Mai 2015
Am 5. Mai 2015 hat die EU‐Handelskommissarin Malmström eine Reihe von Vorschlägen präsentiert, um Investitionsschutz‐Standards und Investor‐Staat‐Verfahren (ISDS) im geplanten EU‐US‐
Handelsabkommen (transatlantische Handels‐ und Investitionspartnerschaft, TTIP) zu „verbessern“.1
Einige dieser Vorschläge wurden bereits in ihrer Rede vor dem Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments (INTA) am 18. März 2015 erwähnt.2 Für das Seattle to Brussels Netzwerk3 tragen diese Vorschläge aus folgenden Gründen nicht zu einer grundlegenden Reform des ISDS‐Systems bei: 1) Sie ignorieren das Ergebnis der von der Kommission durchgeführten öffentlichen Konsultation. 2) Sie adressieren die grundlegenden Probleme des ISDS‐Systems kaum. 3) Sie würden die Zuständigkeiten von ISDS sogar noch ausweiten und die Wahrscheinlichkeit von Klagen gegen europäische Staaten erhöhen. 4) Sie täuschen vor, dass das ISDS‐System im kürzlich abgeschlossenen Handelsabkommen EU‐
Kanada (Comprehensive Wirtschafts‐ und Handelsabkommen, CETA) sinnvoll reformiert worden sei und in TTIP noch wesentlich verbessert werden würde. 5) Sie ignorieren das Grundproblem: Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit für ISDS. 1. Kommission ignoriert die öffentliche Meinung zu ISDS In ihrer Rede an das Europäische Parlament und die EU‐Handels‐ und WirtschaftsministerInnen vom 18. März hat Malmström klargemacht, dass ihrer Meinung nach „Regeln für Investitionsschutz und ISDS in TTIP verhandelt werden müssen“. Die aktuellen Vorschläge bestätigen das. Dies steht völlig im Widerspruch zur ökonomischen Realität: Das enorme Volumen transatlantischer Investitionen beweist, dass keine "Notwendigkeit" für den zusätzlichen Schutz ausländischer InvestorInnen existiert. Es steht auch Widerspruch zum globalen Trend, wonach sich immer mehr Länder weigern Investitionsabkommen zu unterzeichnen, die ISDS beinhalten oder sogar bestehende Abkommen, die ISDS enthalten, kündigen.4 Jüngstes Beispiel ist Italien, das seinen Ausstieg aus der Energiecharta, die ISDS‐Bestimmungen enthält, ankündigte. Auf Basis dieses Abkommens wurde Italien bereits wegen politischer Bestrebungen im Bereich erneuerbarer Energien verklagt. Malmströms Reformankündigungen sind vor allem ein Schlag ins Gesicht der öffentlichen Meinung. Im Jahr 2014 beschloss die Kommission eine öffentliche Konsultation über ISDS‐. Als Basis dienten die angeblichen "Reformen" im CETA‐Abkommen. Der öffentliche Widerhall war enorm ‐ mit beinahe 150.000 teilnehmenden Menschen und Organisationen ein absoluter Rekord aller bisherigen EU‐
Konsultationen. Die Antwort war klar: 97 Prozent aller Befragten lehnten ISDS und die Vorschläge der Kommission zur Reform des Systems ab, darunter auch Unternehmensverbände und Teile der 1 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF 2 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/march/tradoc_153258.pdf 3 The S2B network was formed in the aftermath of the World Trade Organisation’s (WTO) 1999 Seattle Ministerial to challenge the corporate‐driven agenda of the European Union and other European governments for continued global trade and investment liberalisation. It has also developed as a response to the increasing need for European coordination among civil society organisations. The network includes development, environment, human rights, women and farmers organisations, trade unions, social movements as well as research institutes. http://www.s2bnetwork.org/ 4 http://www.tni.org/pressrelease/after‐south‐africa‐indonesia‐takes‐brave‐decision‐terminate‐its‐bilateral‐investment Regierungen.5 Trotz dieses klaren Neins zu ISDS und zu den angeblichen Reformen beschloss die Kommission ihre Agenda weiterzuverfolgen und missachtete damit völlig die öffentliche Meinung – was zuletzt wieder in Malmströms Rede vom 18. März klar wurde. 2. Die Reformvorschläge gehen auf die grundlegenden Probleme der Klagerechte nicht ein Die Vorschläge zur weiteren "Reform" von ISDS in TTIP sollen InvestorInnen dazu zwingen, zwischen nationalen Gerichten und ISDS zu wählen. Sie beinhalten die Möglichkeit eines Berufungsverfahrens, eine feste Liste von SchiedsrichterInnen und neue Formulierungen zum „Recht auf Regulierung“. All das löst jedoch die grundlegenden Probleme des Investitionsschutzes nicht: ‐
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Das aktuelle Investitionsschutzsystem gewährt ausländischen InvestorInnen Sonderrechte, die sonst niemand in der Gesellschaft hat. Nur ausländische InvestorInnen können bestehende Gerichte umgehen und Staaten vor internationalen Privatgerichten verklagen (oder drohen zu verklagen), was regelmäßig hohe Strafzahlungen für Staaten zur Folge hat. Und nur ausländischen InvestorInnen werden derart umfassende private Eigentumsrechte gewährt, die in den nationalen Verfassungen und im EU‐Recht in solchem Ausmaß nicht vorgesehen sind. Während die Verhinderung von „Diskriminierung“ von InvestorInnen eine der zentralen Rechtfertigungen für ISDS ist, basiert das System auf der Diskriminierung inländischer InvestorInnen. ISDS unterwirft die Justiz einem privatisierten System. Schiedsgerichte urteilen über (verfassungs)rechtliche Politik und entscheiden über Entschädigungssummen, die anschließend von Regierungen an InvestorInnen ausgezahlt werden müssen. Versuche von Regierungen, privaten Schiedsgerichten weniger Spielraum in der Rechtsauslegung zu geben, wurden von diesen in der Vergangenheit bereits mehrmals verhindert. ISDS ist ein völlig einseitiges Werkzeug. Es räumt InvestorInnen Rechte ein, ohne dass diese dabei Verpflichtungen (beispielsweise in den Bereichen Umweltschutz, Sozial‐, Gesundheits‐, oder Sicherheitsstandards) eingehen müssen. Es diskriminiert damit BürgerInnen und lokale Gemeinwesen. Letztere können keine internationalen Gerichte anrufen, wenn sie negativ von Entscheidungen von InvestorInnen betroffen sind. Die EU‐Mitgliedstaaten und die Kommission untergraben damit auch die Bemühungen der UNO, BürgerInnen Zugang zu internationalen Gerichten zu verschaffen, wenn ihre Rechte von InvestorInnen verletzt werden.6 3. TTIP würde den Anwendungsbereich von ISDS deutlich erweitern TTIP würde den Umfang an Investitionsströmen, die von ISDS erfasst werden, dramatisch erhöhen. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass europäische Regierungen durch ISDS verklagt werden. Derzeit deckt ISDS nur 8 Prozent der in der EU tätigen US‐Unternehmen ab – hauptsächlich durch bestehende bilaterale Abkommen zwischen mittel‐ und osteuropäischen Staaten und den USA. TTIP würde für alle Investitionsströme und mehr als 47.000 US‐Unternehmen neue Möglichkeiten schaffen, mittels ISDS unliebsame politische Maßnahmen von Regierungen anzugreifen.7 Dies würde zweifellos einen Anstieg von ISDS‐Fällen gegen EU‐Mitgliedstaaten zur Folge haben. InvestorInnen haben aktuell bereits 30 Milliarden Euro Entschädigung von EU‐Mitgliedstaaten erwirkt.8 Dieser 5 http://corporateeurope.org/international‐trade/2015/02/ttip‐investor‐rights‐many‐voices‐ignored‐commission 6 The UN Human Rights Council is discussing a proposal for a Treaty on business and human rights. EU member states have voted against this proposal and are boycotting the negotiations. 7 https://www.citizen.org/documents/EU‐ISDS‐liability.pdf 8 http://foeeurope.org/hidden‐cost‐eu‐trade‐deals Betrag würde sich mit TTIP drastisch erhöhen. Die Rechnung dafür bezahlen die EU‐
SteuerzahlerInnen. 4. Die vorgeschlagenen „Reformen“ in CETA und TTIP ändern nichts Wesentliches am Investitionsschutz Der Verweis von Kommissarin Malmström9 auf das kürzlich abgeschlossene Handelsabkommen EU‐
Kanada (CETA) als "Basis" für Reformen des Investitionsschutzes in TTIP gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Wie das Seattle to Brussels Network mehrfach festgestellt hat10, existieren keine wesentlichen Reformen von ISDS in CETA ‐ auch wenn die Kommission etwas anderes behauptet. Somit werden auf CETA basierende Vorschläge zur ISDS‐Reform in TTIP ebenfalls wenig bewirken. Die Kommission behauptet, CETA würde das „Recht zu regulieren“ schützen. Nun erklärt die Kommission jedoch, dies sei nicht ausreichend. Die Vorschläge in TTIP würden hier weiter gehen. Dies geschehe durch "einen Artikel, der auf das Recht der Regierungen verweist, Maßnahmen zu ergreifen um legitime politische Ziele zu erreichen, auf Basis des Schutzniveaus, das sie für geeignet halten."11 Ein Blick auf CETA zeigt jedoch, dass das „Recht auf Regulierung“ im Investitionskapitel nicht enthalten ist. Lediglich die Präambel und das Arbeits‐ und Umweltkapitel nehmen darauf Bezug – noch dazu in einer sehr schwachen und widersprüchlichen Formulierung. Dies könnte von ISDS‐
SchiedsrichterInnen sogar ausdrücklich gegen das „Recht auf Regulierung“ angewendet werden. Bei einer öffentlichen Diskussion im März 2014 räumte Rupert Schlegelmilch von der Generaldirektion Handel ein, dass die CETA‐Formulierung des „Rechts auf Regulierung“ in Investor‐Staat‐Streitigkeiten "keinen Unterschied" machen werde. Daher haben in der Praxis ähnliche Klauseln in bestehenden Verträgen Klagen von Investoren gegen Standards im öffentlichen Interesse nicht verhindert. Der von Malmström genannte Artikel im Kapitel zu Investitionen würde daran auch nichts ändern. Der Schutz des „Rechts auf Regulierung“ kann ohne eine massive Einschränkung unzureichender Schutzstandards wie „faire und gerechte Behandlung“ nicht erreicht werden. Die Kommission behauptet, ISDS‐Schlüsselbegriffe wie "faire und gerechte Behandlung" klarer definiert zu haben. Diese verwenden InvestorInnen am häufigsten dazu öffentliche Interessen anzugreifen. Gleichzeitig erweitert CETA diesen Anwendungsbereich, indem explizit die "berechtigten (Gewinn)Erwartungen" der InvestorInnen geschützt werden. Wenn also Unternehmen anführen, Regierungen hätten bei ihnen bestimmte (Gewinn)Erwartungen geweckt ‐ zum Beispiel durch Förderungen, fehlende Pläne für strengere Arbeits‐ oder Umweltvorschriften oder diesbezügliche Ausnahmen ‐ kann dies von SchiedsrichterInnen in Zukunft dazu verwendet werden, mittels CETA die EU und ihre Mitgliedstaaten zu Kompensationszahlungen zu verurteilen. Dies bietet Unternehmen eine mächtige Waffe im Kampf gegen Regulierungen. Es ist daher nicht überraschend, dass Investitionsanwälte, die InvestorInnen laufend zu ISDS‐Klagen anspornen, diese neuen Rechte für InvestorInnen in CETA als fair und gerecht loben. 12 9 http://europa.eu/rapid/press‐release_SPEECH‐15‐4624_en.htm 10 http://eu-secretdeals.info/upload/2014/03/S2B-Marc-Maes-CETA-Investment_Response-to-DG-Trade-claimsMarch-7-2014_v2.pdf; see also the annex here: http://corporateeurope.org/sites/default/files/trading-awaydemocracy.pdf 11 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF 12 In his comments at “The Investor‐State Dispute Settlement Mechanism: An Examination of Benefits and Costs,” CATO Institute, May 20, 2014, investment lawyer Todd Weiler said: “I love it, the new Canadian‐EU treaty…we used to have to argue about all of those [foreign investor rights]…And now we have this great list. I just love it when they try to explain things.” Available at: http://www.cato.org/events/investor‐state‐dispute‐settlement‐mechanism‐examination‐benefits‐
costs.
Die Kommission behauptet, mit CETA „die InvestorInnen zu verpflichten, Klagen vor nationalen Gerichten fallenzulassen, wenn sie den Weg über ISDS beschreiten wollen".13 Dennoch wären Fälle wie Vattenfall gegen Deutschland mit CETA weiterhin möglich. Das schwedische Energieunternehmen klagt vor dem Verfassungsgericht gegen den Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie und fordert gleichzeitig mit einer ISDS‐Klage 4,7 Milliarden Euro Entschädigung für diese Maßnahme. CETA verhindert zwar parallele Schadensersatzklagen, nicht jedoch gleichzeitige Schadensersatz‐ und Verfassungsklagen. ‐ Für TTIP schlägt Kommissarin Malmström nun „eine endgültige Entscheidung zwischen ISDS und nationalen Gerichten zu Beginn eines juristischen Prozesses“ („fork‐in‐the‐road“) vor. Ein weiterer Vorschlag zielt darauf ab, dass "InvestorInnen auf ihr Recht vor nationale Gerichte zu ziehen verzichten, wenn sie eine ISDS‐Klage einreichen ("no u‐turn").“14 Beide Vorschläge verfehlen jedoch völlig das Grundproblem: Weiterhin werden InvestorInnen private Schiedsgerichte wählen und dabei nationale Gerichtssysteme umgehen können. ‐ Die Behauptung, die Unabhängigkeit der SchiedsrichterInnen in CETA werde durch einen Verhaltenskodex garantiert, greift zu kurz. Echte Reformen für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit (wie garantierte Amtszeiten und fixe Gehälter) fehlen. Schon bestehende Verhaltenskodizes für SchiedsrichterInnen haben es nicht verhindert, dass ein kleiner exklusiver Club von SchiedsrichterInnen die Mehrheit der Investor‐Staat‐Streitigkeiten entscheidet. Dabei drängen sie mit einer weitläufigen, investitionsfreundlichen Auslegung der Gesetze im eigenen Geschäftsinteresse auf immer neue und mehr Schiedsverfahren. Schließlich enthält der Verhaltenskodex von CETA keine Definition von Interessenskonflikten und verbietet auch nicht, dass SchiedsrichterInnen gleichzeitig als AnwältInnen agieren. ‐ Der aktuelle Vorschlag der Kommission, die Unabhängigkeit von SchiedsrichterInnen in TTIP zu „garantieren“ ist völlig unzulänglich. Malmström schlägt vor, "dass alle Schiedsrichter aus einer Liste gewählt werden sollen, die von den Vertragsparteien des Abkommens vorher festgelegt wurden"15. Mit der ICSID‐Liste von SchiedsrichterInnen existiert ein solches System in gewisser Weise bereits. Doch auch diese Liste verhinderte in der Vergangenheit nicht, dass EU und USA investorenfreundliche SchiedsrichterInnen nominiert haben.16 Somit ist dieser Vorschlag die Wiederbelebung einer alten Idee, die schon in der Vergangenheit nicht erfolgreich war. Der zusätzliche Vorschlag für „bestimmte Qualifikationen der Schiedsrichter, insbesondere die Befähigung zum Richteramt in ihrem Heimatland“17 garantieren keinesfalls, dass gewinnorientierte InvestitionsanwältInnen als SchiedsrichterInnen ausgeschlossen werden müssen. Denn sie müssen nur die Qualifikation als RichterIn, nicht aber ein Richteramt besitzen. Zudem scheint Kommissarin Malmström selbst bei dieser Liste an SchiedsrichterInnen zu denken, die im Interesse von InvestorInnen agieren, wenn sie weiter ausführt: „Natürlich ist das noch nicht der ganz Weg hin zur Schaffung eines dauerhaften Investitionsgerichtshofes mit ständigen Richtern die nicht versucht wären, über zukünftige ‐
13 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF 14 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF 15 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF 16 For example, Germany nominated Karl‐Heinz Böckstiegel; France nominated Emmanuel Gaillard; the UK nominated Sir Franklin Berman; The Netherlands nominated Albert Jan Van Den Berg; Spain nominated Juan Fernández‐Armesto, Prof. Bernardo M. Cremades and Dr. Andrés Rigo Sureda; Belgium nominated Bernard Hanotiau and Sweden nominated Kaj Hobér. On its part, the US has nominated William W. Park and Daniel M. Price.
17 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF ‐
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Geschäftsmöglichkeiten nachzudenken.“ 18 Dies zeigt, dass die Kommission das Problem der Befangenheit von Schiedsgerichten in TTIP nicht angehen möchte. Die Kommission macht geltend, dass Regierungen ‐ und nicht SchiedsrichterInnen ‐ die letztliche Kontrolle über Investitionsregelungen in CETA innehaben. Staaten würden hierzu gemeinsam verbindliche Erklärungen ausarbeiten, wie die Regelungen des Vertrags zu deuten sind. Dies würde auch bei TTIP der Fall sein. Erfahrungen mit NAFTA (wo dies bereits vor Jahrzehnten so geregelt wurde) zeigen jedoch, dass verbindliche Interpretationen nur in zwei Fällen ‐ und auch da nicht sehr erfolgreich ‐ genutzt wurden. Außerdem hatten Regierungen immer die Möglichkeit, maßgebliche Interpretationen von Abkommen – wie in Artikel 31 und 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) festgelegt – zu bewirken. Das ist also kein neuer Punkt, der nicht schon bisher hätte genutzt werden können. Die Erfahrungen mit NAFTA zeigen vor allem, dass Schiedsgerichte oft bereit sind die Erklärungen der Vertragsparteien zu ignorieren. Es ist daher eine naive Einschätzung, dass die EU hier besser behandeln würde als andere Vertragspartner. Die Kommission schlägt vor, "in TTIP eine bilaterale Berufungsstelle für ISDS zu inkludieren (…) ähnlich dem institutionellen Rahmen des WTO‐Berufungsgremiums".19 Dies kann ISDS verbessern, schmälert jedoch nicht die oben genannten grundlegenden Probleme wie die Privilegierung von ausländischen InvestorInnen, die Übertragung von Befugnissen unabhängiger Gerichte an private Gerichte oder die Einseitigkeit des Systems. Die Kommission beteuerte mehrfach eine Berufungsstelle in CETA zu schaffen, was aber nicht geschehen ist. Ebenso haben die USA seit 2002 in ihren Abkommen einen Verweis auf die mögliche Schaffung eines Berufungsmechanismus, der in Wirklichkeit aber nie eingeführt wurde. Die Berufungsstelle scheint somit auch in diesem Fall ein leeres Versprechen zu sein. Ebenfalls von Kommissarin Malmström eingebracht wurde der Vorschlag einen internationalen Gerichtshof zu schaffen: „Die EU sollte die Schaffung eines ständigen Gerichts verfolgen. Das Gericht würde auf Grundlage eines „Opt‐in‐Systems“ für viele Abkommen und verschiedene Handelspartner gelten"20.
Dieser Vorschlag hat nichts mit CETA und TTIP zu tun. Selbst mit dem politischen Willen aller Beteiligten würde es Jahre brauchen, einen solchen Gerichtshof zu etablieren. Während die Kommission also verbal einen multilateralen Gerichtshof unterstützt, zeigt sie keinerlei Anstrengungen einen derartigen Gerichtshof in TTIP oder CETA zu integrieren. Schließlich stehen die Grundsätze eines solchen Gerichtshofes – Unabhängigkeit, Objektivität und Gerechtigkeit ‐ in krassem Widerspruch zu dem, was die Kommission in CETA ausgehandelt hat und auch für TTIP beabsichtigt. Das legt den Schluss nahe, dass Malmströms Vorschlag eines Gerichtshofes nichts als heiße Luft ist, um davon abzulenken, was ISDS tatsächlich ist: eine massiver Machtgewinn für ausländische InvestorInnen und eine dramatische Machtverschiebung von unabhängigen Gerichten hin zu privaten Schiedsgerichten. Malmström hat mit Nachdruck erklärt, dass die vorgeschlagenen Reformen für TTIP nicht auf das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU angewandt würden und dass der CETA‐Text nicht geändert werde. Dies ist ein weiteres Indiz für die mangelnde Bereitschaft der Kommission ernsthaft eine Reform des Investitionsschutzes anzustreben. Laut dem aktuellen CETA‐Text laufen 18 http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/march/tradoc_153258.pdf 19http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF 20http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153408.PDF
europäische Regierungen bereits jetzt Gefahr, von US‐InvestorInnen verklagt zu werden. Diese könnten über ihre kanadischen Tochtergesellschaften Klagen einreichen. Wenn sie also ihre Investitionen entsprechend strukturieren, hätten sie jederzeit die Möglichkeit weitreichendere Veränderungen in TTIP zu umgehen.21 Die europäischen Regierungen wurden bereits durch andere Handelsabkommen gezwungen 3,5 Milliarden Euro im Rahmen von ISDS‐Klagen zu zahlen. 22 5. Es gibt keine überzeugenden Gründe für ISDS Die Vorschläge der Kommission ignorieren den „Elefanten im Raum“: Die Tatsache, dass Investitionen zwischen der EU und den USA seit Jahrzehnten getätigt werden und auch ohne ISDS mittlerweile bei 3 Billionen Euro angelangt sind, beweist, dass ISDS überflüssig ist. Kein Argument der Europäischen Kommission ISDS in TTIP zu inkludieren hält folgenden Fakten stand: ‐ Die Europäische Kommission argumentiert, dass "die USA kein Handelsabkommen ohne ISDS akzeptieren". Allerdings sind diese im Freihandelsabkommen zwischen den USA und Australien 2004 (FTA) nicht enthalten. ‐ Die Europäische Kommission argumentiert, dass "wenn es in TTIP kein ISDS gibt, werden es auch keine anderen Länder akzeptieren". Allerdings verhandelt die EU derzeit bilaterale Investitionsabkommen (BITs) und Freihandelsabkommen (FTAs) mit Ländern wie China, Vietnam oder Malaysia, die ISDS inkludieren. Keines dieser Länder hat die Aufnahme von ISDS von TTIP abhängig gemacht. Auch die Tatsache, dass das FTA zwischen USA und Australien kein ISDS enthält (während das neuere Abkommen zwischen Australien und China von 2014 ISDS enthält) zeigt, dass Länder wie China durchaus akzeptieren, dass ihre Partner Verträge nach verschiedenen Normen verhandeln. ‐ Die Europäische Kommission argumentiert, dass "kein US‐Gesetz Diskriminierung verbietet". Die beiden Fälle jedoch, welche die Kommission hierzu als Beweise vorbringt, sind stark umstritten.23
Selbst wenn dies der Fall wäre, ist es kein Grund für die Schaffung eines parallelen Entscheidungssystems. Wenn die USA ISDS akzeptieren, kann es auch mit weniger weitreichenden Folgen die Diskriminierung ausländischer InvestorInnen verbieten. Zusammenfassend: ‐ Keiner der Vorschläge für eine Reform befasst sich mit den grundlegenden Problemen von ISDS. Sie sind in erster Linie Kosmetik und ein Versuch, ISDS akzeptabler zu machen. ‐ Es gibt kein einziges stichhaltiges Argument, das die Aufnahme von ISDS in TTIP rechtfertigt. Diese Analyse wurde verfasst von Cecilia Olivet and Lyda Fernanda (Transnational Institute), Marc
Maes (11.11.11), Pia Eberhardt (Corporate Europe Observatory) and Paul de Clerck (Friends of the
Earth Europe).
Deutsche Übersetzung von David Walch und Franziska Werkner, Attac Österreich. 21 http://citizen.org/documents/EU‐ISDS‐liability.pdf 22 https://www.foeeurope.org/how‐taxpayers‐footing‐bill‐europes‐trade‐deals‐041214 23 http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2410188