TTIP _official_sarah - aktuell

TTIP – Gefahr für
Demokratie und Rechtsstaat ?
Vortrag Sarah Händel,
Landesgeschäftsführerin
Mehr Demokratie Baden-Württemberg
[email protected]
Was ist TTIP?
• Transatlantic Trade and Investment Partnership
• Verhandlungsstart Juli 2013 bis Plan: Ende 2015
• Betrifft über 820 Millionen Bürger
• Größter integrierter Markt / Handelszone der Welt (45
% des Welt-BIPs, Wirtschaftskraft von 21,8 Bill.)
• Produkte, Dienstleistungen, Landwirtschaft, Standards
• Gegenseitig: US größter Investor in Europa und
größter Anteil der EU-Investitionen in den USA
Maßnahmen von TTIP
•Abbau von Zöllen
•Angleichung oder gegenseitige Anerkennung von
Standards (weltweit)
• Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen
• Dienstleitungs- & Kapitalfreiheit durchsetzen
Unzählige Politik-Bereiche sind betroffen:
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Agrarpolitik, Lebensmittelproduktion
Chemikalien/Pestizide
Medizintechnik und Pharma
Arbeits- und Sozialstandards
Finanzpolitik
Datenschutz , Telekommunikation, Eigentumsrechte
Öffentliche Dienstleistungen, Energie
Kultur und Soziales
Bildung und Gesundheit
Herkunftsbezeichnungen & Kennzeichnungspflichten
Großes Ziel: Arbeitsplätze & Wachstum
• Studie Ifo-Institut: bestenfalls 110.000 neue Arbeitsplätze, realistisch
25.000 im Jahr 2027
• EU-Kommission: 306 bis 545 Euro mehr pro Haushalt pro Jahr, allerdings
erst ab 2027
• IFO: Konjunkturimpulse 120 Mrd. € in der EU -> Steigerung des BIP von
0,5% im Jahr 2017
• Neue Tufts University Studie: Vernichtung Arbeitsplätze (EU: -600.000,
DE: -134.000) + Senkung der Arbeitereinkommen (DE: - 3400 Euro)
=> FILM!
Hintergrund?!
• WTO-Verhandlungen in Sackgasse
• TTIP als Blaupause und „Goldstandard“ für weitere
Abkommen (TTP etc.)
• Wirtschafts-Nato (ohne Rußland & China)
• Denkmuster: Großkonzerne definieren die Spielregeln
des Marktes, nicht mehr die Politik
• Eine neue Weltwirtschaftsverfassung (Corporate bill of
rights): Freihandel und Investitionsschutz wird über
Demokratie und Rechtsstaat gestellt
Demokratiepolitische &
rechtsstaatliche Probleme
2 Dimensionen:
I) Art und Weise des Verhandlungsprozesses (Prozess)
II) Inhaltliche Vorstöße (Instrumente)
1. Investor-Staat-Klageverfahren
2. Regulatorische Kooperation: Die Wirtschafts(lobby) als CoAutor der Gesetzgebung
3. Eingriffe in die Demokratie: Kommunen
I) Prozess: Intransparenz
• Personelle Besetzung der „High Level Working Group
on Jobs and Growth“ wird geheim gehalten
• Verhandlungsmandat ist (nicht mehr) geheim
• Verhandlungstexte, Positionen/Forderungen geheim
(Leak von Michel Reimon: Finanzmärkte)
• TiSA: Verhandlungsdokumente noch 5 Jahre nach
Abschluss geheim!
Folge => fehlende öffentliche Debatte zu Inhalten!
I) Prozess: Fehlende Beteiligung
• EU-Parlament: nur ausgewählte Personen in Leseräumen
• Gewählte Parlamente /Vertreter anderer Ebenen:
Chancen zur inhaltlichen Mitgestaltung?
⇒ Exekutivlastigkeit, Zentralisierung von Politik
• Einbeziehung (wenigstens kommunikativ) Bürger/innen?
I) Prozess: Ratifizierung
• Wer ratifiziert? Gemischtes Abkommen?
⇒ Kommission klagt vor EuGH
• Riesiges Gesetzespaket: simples Ja oder Nein!
• Unklar: Was passiert, wenn ein Land ablehnt?
• Großes Problem: Vorläufige Anwendung
(mit qualifizierter Mehrheit, für Bereiche in EUKompetenz, Parlament beteiligt?)
Fazit: Aushandlungsprozess
TTIP ist symptomatisch für EU-Politik:
Intransparenz, ungleiche Beteiligung, zu wenig
Einflussmöglichkeit & demokratische Kontrolle und
Themenmischung!
⇒ EU- Politik muss demokratischer werden
⇒ Europäischer Konvent zur Neuaushandlung der
europäischen Verfassung
⇒ Volksabstimmungen in allen Ländern und auf EUEbene ermöglichen
II) Instrumente: Investorenschutz durch InvestorStaat-Klageverfahren (ISDS)
• Schaffung von Schiedsgerichten oberhalb staatlicher
Rechtsprechung
• Sonderklagerecht von Konzernen gegen Staaten
• Tw. geheime Schiedssprüche, ohne Revisionsmöglichkeit!
• Steuerzahler müssen für Schadenersatz aufkommen
• Relativ hohe Erfolgsaussichten für die Kläger
(bis Ende 2013: 568 Verfahren. Abgeschlossen Fälle: 274,
davon: 43% im Sinne der Staaten, 31 % im Sinne des Investors
und 26 % Vergleich)
Investorenschutz durch Investor-StaatKlageverfahren (ISDS)
• Jetzt auch „indirekte Enteignung“ einklagbar
• Interessenskonflikte bei Anwälten
• Vorwirkung durch Klageandrohung
• Prozessfinanzierer nutzen Klagen als
Finanzanlage
Beispiele
• Vattenfall vs. DE (Streitwert: 3,7 Milliarden)
• Lone Pine vs. Kanada (laufend, 230 Mio.)
• Phillip Morris vs. Australien
(+Uruguay, laufend, Neu Seeland abgeschreckt)
• Kuwaitisches Tourismusunternehmen vs.
Lybien (825 Mio., Entschädigung für 83 Jahre)
• CEM vs. Tschechien (270 Millionen)
• Veolia vs. Ägypten (laufend, 82 Millionen)
Neue Studie Friends of the Earth Europe
• 127 Fälle gegen 20 EU-Staaten seit 1994
• Zugängliche Forderungssumme von 62 (48%)
Fällen: 30 Milliarden
• Von den Staaten gezahlte Summe (für nur 14
Fälle = 11% öffentlich): 3,5 Milliarden
• 75 (fast 60 %) der Fälle betreffen
umweltrelevante Sektoren
• Für die 63 zugängl. Fälle: (Teil)Erfolg in 28 Fällen
(44%), 15 gewonnen, 13 Vergleich.
“Wenn ich nachts aufwache und über
Schiedsverfahren nachdenke, bin ich immer wieder
überrascht, dass souveräne Staaten sich auf die
Investitions-Schiedgerichtsbarkeit eingelassen
haben. Drei Privatpersonen haben die Befugnis, und
zwar ohne jegliche Einschränkung und
Revisionsverfahren, alle Aktionen einer Regierung,
alle Entscheidungen der Gerichte, alle Gesetze und
Verordnungen des Parlaments zu überprüfen.”
Juan Fernández-Armesto
spanischer Schiedsrichter
Wirtschaft gespalten
Mittelstand (BVMW) lehnt Investitionsschutz in TTIP
ab: http://www.bvmw.de/politik/europa.html )
Bundesverband mittelständische Wirtschaft
(BVMW) vertritt rund 270.000 Unternehmen, die
über neun Millionen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter beschäftigen.
II) Maßnahmen: Regulatorische KooperationWirtschaftslobby als Co-Autor von Gesetzen
• Ziel: „Schrittweise Angleichung der
Regierungssysteme“
• Anwendungsbereiche können ausgeweitet werden
ohne erneute Zustimmung „Living Agreement“
• Frühzeitige, formalisierte Einbindung von
Interessengruppen in Gesetzgebung
• Neuer Regulierungsrat prüft
„Freihandelsverträglichkeit“
Probleme:
• Industrie hat mehr Mittel sich einzubringen
• Verzerrung bei Kosten-Nutzen-Analysen
• Verlangsamungsprozess bei Regulierungen
• Kosten wg. Analyseanforderungen!
Regulatory Chill
“Bei beinahe jeder neuen umweltpolitischen
Maßnahme gab es von Kanzleien aus New York
und Washington Briefe an die kanadische
Regierung. [...] Nahezu jede neue Initiative
wurde ins Visier genommen und die meisten
haben nie das Licht der Welt erblickt.”
Früherer kanadischer Regierungsbeamter
über den “regulatory chill” Effekt von NAFTA
II) Instrumente: Eingriffe in die Demokratie –
Kommunen: Subventionen unter Beschuss
=> Subventionen werden angreifbar
(Subventionskapital aus CETA analysiert)
z.B. Kommunale Ausgleichzahlungen an
Krankenhäuser, schon jetzt: Klage der
Bundesverbandes deutscher Privatkliniken
Eingriffe in die Demokratie – Kommunen:
Liberalisierungsdruck in der Daseinsvorsorge
=> Ziel: Dienstleistungen auf höchstem Liberalisierungsniveau, alle
Sektoren & Erbringungsarten erfasst + neue
Marktzugangsmöglichkeiten.
• Einzige Ausnahmen: audiovisuelle Dienste + Dienstleistungen, die
in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden
• Neues Prinzip: Negativlisten vs. Positivlisten (“List it or lose it”)
• Städt. Auflagen /konkurrierende öffentl. Dienstleistungen
angreifbar: billige+ gerechte Behandlung / indirekte Enteignung
Eingriffe in die Demokratie – Kommunen:
Re-Kommunalisierungsverbote
=> Re-Kommunalisierung als Vertragsbruch:
Anwendung von :
• Standstill-Klauseln: hinter einmal erreichtes Niveau der
Liberalisierung darf nicht mehr zurückgefallen werden
• Rachet-Klauseln: auch künftige Liberalsierungen werden
automatisch zu TTIP-Verpflichtungen
⇒Rücknahme der Liberalisierung nicht möglich!
⇒Bsp. Titisee-Neustadt, Klage vor BVerfGG
Eingriffe in die Demokratie – Kommunen:
Ausschreibungspflichten
=> Ziel: Verbesserter beidseitiger Zugang zu den öffentlichen
Beschaffungsmärkten auf allen Verwaltungsebenen
• (Sinkende?) Schwellenwerte für EU-USA-weite Ausschreibung:
200.000- 400.000 für Waren und Dienstleistungen (nach
Bereichen unterschiedl. ) und meist 5 Millionen für
Bauvorhaben
• CETA: Verknüpfung mit ökologischen Standards tw. möglich ,
schlecht sieht es aus bei sozialen Standard!
Spezielle Auswirkungen:
Kultur & Bildung
• Staatl. Subventionen von Bildungs-und Kulturangeboten
werden angreifbar
• USA hat UNESCO-Konvention zur kulturelle Vielfalt nicht
unterschrieben
• Amazon und Co. sichern sich mit TTIP den digitalisierten
Kulturmarkt der Zukunft
• Private Bildungsanbieter strömen auf den Markt, erhöhen
Konkurrenz, Zugang zu Bildungsangeboten wird begrenzt!
=> Bildung und Kultur dürfen nicht ausschließlich Ware sein, sie
sind Basis der kulturellen Identität und Motor
gesellschaftlicher Veränderung!!
Probleme CETA (Abkommen mit Kanada)
• Fertig verhandeltes Abkommen zwischen EU und
Canada
• Es enthält ISDS (leicht reformiert) & regulatorische
Kooperation: Stimmt SPD trotzdem zu ?
• EU-Kulturbereich nicht vollständig ausgeschlossen!
• Soll vermutlich erst 2017 ratifiziert werden!!
(Neue) Vorschläge zur Reform von
ISDS (Sozialdemokratie)
- Präzisierung "faire u. gerechte Behandlung" & "legitime Erwartungen“
- Interpretationsrecht der Staaten zur Auslegung von Schutzstandards
Berufungsmechanismus
- fester Pool an Schiedsrichtern und verbindlicher Verhaltenskodex,
- Quarantänezeit
- Grundsatz "Der Verlierer zahlt"
- Verbilligung von ISDS-Verfahren für KMUs;
- keine Anfechtung von Gerichtsentscheiden;
- "Fork in the road"-Klausel (für Entscheidung zwischen nationalem
Rechtsweg oder ISDS)
Widerstand gegen TTIP und Co.
• Über 400 Organisationen starkes europaw. Bündnis,
aus ganz verschiedenen Bereichen!
• Ablehnung der EBI durch die EU-Kommission
• Klage vor EuGH
• Selbstorganisierte EBI: 1 Million Unterschriften, in
min. 7 EU-Ländern ( schon 12)erreicht + 1,7 Mill. Us
• Selbstorganisierte EBI unter www.stop-ttip.org
• Start: 7.9.2014 – Oktober 2015
TTIP und die Demokratie
Erfolge des Widerstandes:
• Öffentliche Konsultation zu ISDS von der Kommission (97% der
Eingaben gegen ISDS)
• Kritische Debatte im EU-Parlament (über 10 Ausschüsse haben sich
schon gegen ISDS ausgesprochen, auch Justiz-Ausschuss!)
• Veröffentlichung des TTIP-Verhandlungsmandates
• Sehr umfassende & kritische Debatte zu TTIP in deutschen Medien
• SPD: Parteikonvent entscheidet über Zustimmung zu CETA!
• Anstoß europaweiter TTIP-Bewegungen (Quorum in mehr als 11
EU-Ländern: DE, AUS, LUX, GB, IRE, NET, ESP, BEL, FIN, FR, SLO, SW)
• Immer mehr lokale Bündnisse vor Ort, die über TTIP aufklären
Selbst aktiv werden:
• Großer Aktionstag am: 10. Oktober 2015
• Europäische Bürgerinitiative unterstützen unter:
www.mehr-demokratie/stopptipp.html
• Mit Freunden und Bekannten darüber sprechen
• Mithelfen an der Uni Unterschriften zu sammeln
• Politiker aus Gemeinderat, Landtag, Bundestag und
EU-Parlament auf TTIP ansprechen!
• Anti-TTIP-Bündnisse vor Ort gründen und
Öffentlichkeit aufklären!
Was wäre wenn…
…. wir den bundesweiten Volksentscheid in
Deutschland hätten ???
…. ein echtes Instrument, um Politik zu
gestalten!
Weitere Infos unter:
https://www.mehr-demokratie.de/stoppttip.html
Landesverband Baden-Württemberg:
www.mitentscheiden.de