44 Tages-Anzeiger – Freitag, 29. Januar 2016 Wissen Die WHO prüft wegen Zika-Virus den Notstand Für das kommende Jahr werden drei bis vier Millionen Krankheitsfälle erwartet. WHO-Experten diskutieren am Montag über mögliche Massnahmen. Volkskrankheit Bluthochdruck: Jeder Vierte hat einen zu hohen Wert. Foto: Robert Llewellyn (Getty) Darf es noch etwas tiefer sein? Eine wegweisende Studie hat gezeigt, dass mit einer stärkeren Senkung des Blutdrucks viele Todesfälle verhindert werden könnten – allerdings zu einem hohen Preis. Die Ärzte zögern. Felix Straumann Selten erhält eine Studie so viel Lob: methodisch gut durchgeführt, industrieunabhängig, überzeugende Resultate, ein Meilenstein. Die Rede ist von der im November erschienenen Studie mit dem griffigen Namen Sprint, welche die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH durchführen liess. Der Schluss der Autoren ist deutlich: Ärzte können Leben retten, wenn sie den Blutdruck stärker senken als bislang empfohlen. Konkret kam es in der Studie zu einem Drittel weniger Herzinfarkten und Schlaganfällen sowie einem Viertel weniger Todesfällen, wenn bei Risikopatienten der obere Blutdruckwert auf 120 mmHg statt auf 140 mmHg reduziert wurde (siehe Kasten). Doch trotz der klaren Resultate zögern Ärzte, die neuen Erkenntnisse umzusetzen. Viele haben gewichtige Einwände und warten auf die Behandlungsempfehlungen von grossen internationalen Fachorganisationen, die zurzeit Anpassungen prüfen. «In der Regel dauert es mindestens ein Jahr, bis neue Erkenntnisse in Richtlinien einfliessen», sagt Thomas Lüscher, Direktor der Klinik für Kardiologie des Universitätsspitals Zürich. Möglicherweise brauche es noch weitere Studien, die den Befund von Sprint bestätigten. Doch so oder so ist für den Kardiologen klar: «Die SprintStudie wird die Behandlung von Bluthochdruck stark verändern.» Bei Patienten, die die Medikamente gut vertragen, sei es bereits heute sinnvoll, den Blutdruck stärker zu senken als bisher. «Ich bin bei einzelnen bereits dazu übergegangen», so Lüscher. 1,75 Millionen Betroffene In der Schweiz möchte man möglichst nichts überstürzen. Der Vorstand der Hypertoniegesellschaft will in den nächsten paar Wochen eine offizielle Stellungnahme zur Sprint-Studie veröffentlichen. «Dringliche Anpassungen der Schweizer Richtlinien sind nicht geplant», sagt Yves Allemann, Präsident der Fachgesellschaft. In den Praxen wünschten sich manche allerdings gern bereits jetzt Klarheit. Beim Ärztenetzwerk Medix hat man Anfang Januar mit einer ersten Anpassung der internen Hypertonie-Guideline reagiert. «Unsere Ärzte wollten wissen, wie sie die Resultate der Sprint-Studie nun konkret umsetzen sollen», sagt Medix-Präsident Felix Huber. Die Medix-Richtlinie empfiehlt nun eine stärkere Senkung des Blutdrucks im Einzelfall, nach Abwägung von Nutzen und Risiken. «Eine intensivere Senkung bei allen Risikopatienten erachte ich zurzeit nicht als sinnvoll», sagt Huber. Die Zurückhaltung ist allein aufgrund der grossen Zahl von Betroffenen angebracht. Laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2012 hat heute mehr als jeder Zweite über 65 Jahren eine medizinisch diagnostizierte Hypertonie und schluckt entsprechende Medikamente. Doch auch die Jüngeren sind häufig betroffen, sodass in der Schweiz insgesamt jeder vierte Erwachsene Bluthochdruck hat, rund 1,75 Millionen Menschen. Sie haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzschwäche, aber auch für chronische Nierenleiden und Demenz. Das Fatale: Betroffene spüren lange nichts von ihrem Bluthochdruck. Für Yves Allemann sprechen jedoch vor allem die Nebenwirkungen gegen eine stärkere Blutdrucksenkung. Denn der schützende Effekt der zusätzlichen Behandlung hat seinen Preis: Schwindel, der zu Stürzen führen kann, vermehrte Müdigkeit oder eine beeinträchtigte geistige Leistungsfähigkeit schlagen auf die Lebensqualität. Weil Patienten unter diesen negativen Effekten leiden, Die Sprint-Studie Unerwartete Resultate Sprint (Systolic Blood Pressure Intervention Trial) ist die grösste Blutdruck- Studie ihrer Art. Weil die Ergebnisse so eindeutig positiv waren, wurde die Studie vorzeitig bereits nach drei statt fünf Jahren beendet. Für Kritik bei Fachleuten sorgte, dass die Resultate bereits im September über die Medien kommuniziert wurden, noch bevor die eigent lichen Daten öffentlich zugänglich waren. Dies erfolgte erst zwei Monate später, als das renommierte Fachblatt «New England Journal of Medicine» die Studie publizierte. Über hundert klinische Zentren in den USA nahmen an Sprint teil, finanziert von der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH. Untersucht wurden 9300 Patienten ab 50 Jahren. Sie hatten einen oberen (systolischen) Blutdruck zwischen 130 und 180 mmHg, ein erhöhtes Herz-KreislaufRisiko und nahmen bereits Blutdrucksenker. Ausgeschlossen waren insbesondere Patienten, die bereits einen Schlaganfall hatten, und Diabetiker. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip aufgeteilt: Eine Gruppe erhielt eine intensive Therapie mit durchschnittlich knapp drei Medikamenten, die den Blutdruck unter 120 mmHg drückten. Die zweite Gruppe bekam die Standardtherapie, die auf 140 mmHg zielte und in der Studie mit durchschnittlich zwei Medikamenten auskam. Unter intensiver Therapie kam es zu einem Drittel weniger Herzinfarkten und Schlaganfällen sowie einem Viertel weniger Todesfällen. Es mussten 60 Patienten den Blutdruck auf 120 mmHg senken, um in den drei Jahren ein schweres Herz-Kreislauf-Ereignis wie Herzinfarkt oder Hirnschlag zu vermeiden. Die intensive Behandlung von 90 Patienten verhinderte einen Todesfall. «Die Ergebnisse haben uns alle überrascht», sagt Thomas Lüscher, Direktor der Klinik für Kardiologie des Universitätsspitals Zürich. Aufgrund früherer Studien seien sie nicht zu erwarten gewesen. Im Gegenteil: Bei Hochbetagten wurden die Behandlungsrichtlinien unlängst gelockert. Aktuell empfiehlt die Schweizerische Hypertoniegesellschaft noch, den Blutdruck mit Medikamenten zu senken, wenn er über 140/90 mmHg liegt, umso mehr, wenn er weit über diesem Richtwert liegt und mindestens ein Risikofaktor vorliegt. Dazu gehören unter anderem Rauchen, Fettleibigkeit oder Diabetes, aber auch ein Alter über 55 bei Männern und bei Frauen über 65. Neben den Medikamenten empfehlen Ärzte ihren Patienten meist, ihr Risiko durch Lebensstiländerungen zu minimieren. (fes) ohne dass sie etwas von der Blutdrucksenkung spüren, nehmen sie ihre Medikamente oft nicht mehr. «Wir haben bereits Probleme, die aktuellen Richtwerte umzusetzen», sagt Allemann. Laut Studien sei dies nur bei rund der Hälfte a ller Blutdruckpatienten der Fall. Noch mehr Medikamente Die Situation verschärft sich durch die Erkenntnisse der Sprint-Studie: Oft müsste ein zusätzlicher Blutdrucksenker eingenommen werden, um den Wert auf 120 statt auf 140 mmHg zu drücken. Die häufig älteren Patienten haben das Problem, dass sie nicht selten bereits fünf oder sechs verschiedene Medikamente regelmässig einnehmen müssen. Oft weiss dabei niemand so genau, wie sich die Wirkstoffe gegenseitig beeinflussen. Ein zusätzliches Medikament verkompliziert dies noch zusätzlich. Zudem wollen die meisten Patienten nicht noch mehr Pillen. «Im Alltag ist es oft ein Kampf, sie von der Notwendigkeit zu überzeugen», sagt Allemann, der das Problem aus seiner eigenen Praxis kennt. Diese führt der Kardiologe seit zweieinhalb Jahren, nachdem er während zwei Jahrzehnten am Inselspital Bern arbeitete. Ausser Frage steht für ihn, jetzt alle Personen mit einem Blutdruck über 120 mmHg zu behandeln. «Es müssen streng die gleichen Kriterien angewendet werden wie in der Sprint-Studie», sagt er. Die darin eingeschlossenen Patienten nahmen alle bereits Blutdrucksenker ein, hatten einen Blutdruck über 130 mmHg und waren unter anderem keine Diabetiker. Eine weitere Schwierigkeit für die Umsetzung der Sprint-Studie in die Praxis ist die Blutdruckmessung. «Messungen im Sprechzimmer fallen 5 bis 20 mmHg höher aus als unter Studienbedingungen», sagt Felix Huber. Er möchte deshalb künftig in Medix-Praxen das gleiche Verfahren wie in der Sprint-Studie anwenden. Der Blutdruckwert wäre dann der Durchschnitt aus mehreren Messungen, welche Patienten unbegleitet selbst bestimmen – am besten zu Hause. Diese Anpassung dürfte bei nicht wenigen Patienten dazu führen, dass sie den Zielwert von 120 mmHg von selbst erfüllen – ohne Erhöhung der Medikamentendosis. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird am Montag darüber entscheiden, ob wegen der Verbreitung des Zika-Virus in Südamerika ein internationaler Gesundheitsnotstand ausgerufen werden soll. WHO-Direktorin Margaret Chan sagte am Donnerstag in Genf, «wir sind extrem alarmiert». Daher sei für kommenden Montag eine Dringlichkeitssitzung angesetzt worden. Ihre Organisation sei besonders besorgt über eine mögliche weltweite Ausbreitung des Virus, sagte Chan. Zugleich warnte die UNO-Behörde vor Panik. «Das ist nicht Ebola», sagte Gesundheitsdirektor Marcos Espinal. Die Krankheit wird durch Mücken verbreitet. Es handelt sich um die Art Aedes aegypti, die auch das Dengue- und Gelbfieber überträgt. Der Kampf gegen die Mücken sei daher entscheidend, aber er sei auch mit üblichen Mitteln möglich, so Espinal. Brasilien habe dabei bereits gute Fortschritte gemacht. Das Zika-Virus grassiert derzeit vor allem in Südamerika. Das Virus führt bei etwa 20 Prozent der Infizierten zu grippeähnlichen Symptomen und ist normalerweise nicht tödlich. Allerdings wird vermutet, dass das Virus bei ungeborenen Kindern zur Mikrozephalie, einer Schädelfehlbildung, führt. Ein Zusammenhang zwischen der Verbreitung des Virus und einer Zunahme der Schädelfehlbildungen werde stark vermutet, wissenschaftlich bewiesen sei er jedoch noch nicht, sagte WHO-Chefin Chan. Bislang gibt es keinen Impfstoff gegen das Virus und kein Medikament zur Behandlung Erkrankter. Zwei Zika-Fälle in der Schweiz Das Zika-Virus wurde 1947 erstmals entdeckt. Über Jahrzehnte löste es nur schwache Erkrankungen aus. Inzwischen gibt es das Virus nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC in mehr als 20 Ländern. Die WHO schätzt, dass es in Nord- und Südamerika im Laufe des nächsten Jahres drei bis vier Millionen Zika-Fälle geben könnte. Besonders betroffen ist Brasilien: Nach WHO-Angaben gibt es in Brasilien möglicherweise 1,5 Millionen Zika-Fälle. Zudem wurden über 4000 Fälle von Schädelfehlbildungen bei Neugeborenen registriert. Die Behörden raten, sich von stehenden Gewässern fernzuhalten, da diese als Brutstätte der Mücken gelten, die nun verstärkt bekämpft werden sollen. Inzwischen wurde das Virus auch in mindestens sieben europäischen Ländern diagnostiziert. Sowohl aus der Schweiz als auch aus Deutschland wurden am Mittwoch je zwei Infektionsfälle bekannt, aus Dänemark einer. Die Erkrankten hatten sich zuvor auf dem amerikanischen Kontinent aufgehalten. Frankreichs Gesundheitsministerin Marisol Touraine warnte Schwangere wegen des Zika-Virus vor Fahrten in französische Überseegebiete. Geplante Reisen auf die Karibikinsel Martinique, nach Französisch-Guayana und in andere französische Überseegebiete sollten verschoben werden, sagte Touraine. (SDA) Korrekt Rekurs Primatenversuch Die geplanten Primatenversuche sind durch das Veterinäramt Zürich in die höchste Schweregradstufe eingeordnet worden. Im Bericht zum Rekurs gegen diese Tierexperimente (TA vom Dienstag) entstand fälschlicherweise der Eindruck, die Einstufung sei vonseiten des Tierschutzes vorgenommen worden. Tierschutzvertreter in der Zürcher Tierversuchskommission haben den Rekurs gegen die Primatenversuche an den Zürcher Hochschulen ans Zürcher Verwaltungsgericht weitergezogen. Mit den Forschungsvorhaben werde unter anderem ein Bundesgerichtsurteil zu ähnlichen Versuchen aus dem Jahr 2009 umgestossen. (TA)
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