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"Islamischer Staat" wirbt gezielt Ehefrauen für Kämpfer | Manuskript
"Islamischer Staat" wirbt gezielt Ehefrauen für Kämpfer
Bericht: Arndt Ginzel
Leonora führte ein Leben, wie es typisch für 15-jährige Mädchen ist. Sie liebte Mode,
Musik und Kosmetik. Sie stellte eigene Fotos ins Netz, mal wirkt sie melancholisch, mal
ausgelassen. Alles ganz normal eben. Auf den ersten Blick. „Folge mir nicht, folgt Euren
Träumen“, steht da in Englisch. Und: Gelobt sei Gott. Es sind Abschiedsworte.
Anfang März ist Leonora ausgereist; mutmaßliches Ziel: der Islamische Staat. Leonora
stammt aus einem Ort bei Sangerhausen. Ihr Fall ist bekannt geworden, ihre Eltern meiden
die Öffentlichkeit. Zurück bleiben Angehörige und Bekannte, schwankend zwischen Angst
und Bestürzung. So wie Leonoras einstige Kindergärtnerin, sie kennt die Familie gut.
Ilse Kirchhof, Kindergärtnerin:
Ich wollte es gar nicht glauben: Das kann doch gar nicht möglich sein. Da muss
unwahrscheinliche Einwirkung von außen gekommen sein. So richtiger Einfluss.
Rund 30 Minuten Autofahrt liegen zwischen Sangerhausen und Aschersleben. Auch in
dieser Kleinstadt wird seit Monaten eine 15-jährige Schülerin vermisst. Wir nennen sie
Ayla. Die Einwandererfamilie ist angesehen, fürchtet nun, stigmatisiert zu werden. Wir
sichern zu, ihre Identität zu schützen. Der ältere Bruder ist bereit sich zu treffen. Das
Gespräch haben wir nachgestellt.
„Wir haben rausgefunden, dass unsere Schwester enge Kontakte zu einer Islamistin in Köln
hatte. Wir haben ihr eine fingierte E-Mail geschickt. Sie hat uns geantwortet und bestätigt,
dass unsere Schwester ausgereist ist. Wir haben das auch der Polizei gemeldet.“
Im Internet wirbt Mine K. –wie sie sich nennt - für eine Ehe auf streng islamischem
Fundament. Inzwischen ist ihre Facebook-Seite gelöscht.
Mehr als 70 Frauen aus Deutschland sind laut Verfassungsschutz bereits nach Syrien und in
den Irak ausgereist. Einige Angehörige haben im Netz Vermisstenanzeigen geschaltet.
Auch seine Tochter verließ vor einigen Wochen Deutschland. Seither bangt der Vater um
ihr Leben.
Vater: Ich wollte nicht wahrhaben: So was Blödes kann sie nicht getan haben. Man fühlt sich
geschwächt.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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"Islamischer Staat" wirbt gezielt Ehefrauen für Kämpfer | Manuskript
Besonders betroffen sind Frauen mit Migrationshintergrund.
Islamtheologe Selcuk Dogruer kennt die Lebenswelt der jungen Leute.
Der
Frankfurter
Selcuk Dogruer, Islamtheologe Frankfurt:
Dadurch, dass eben diese Jugendlichen keinen Halt finden in der Gesellschaft entsteht ein
Vakuum. Und dieses Vakuum kann sich ebenso entwickeln, dass sie eben überhaupt nicht
mehr zurechtkommen, sondern plötzlich in Gruppen landen, die wir alle nicht wollen:
nämlich in extremistischen Gruppen.
Die Frauen kommen aus allen Bildungsschichten. Seine Tochter sollte beispielsweise
ursprünglich studieren.
Vater:
Ich denke, dass sie fühlen sich ausgegrenzt, obwohl sie hier geboren sind, in die Schule
gehen, Berufe lernen, eventuell studieren. Sie sind trotzdem nicht Teil von dieser
Gesellschaft. Und da kommt jemand und sagt, verspricht alles.
Und so finden die Botschaften des IS in den sozialen Netzwerken rasend schnell
Verbreitung. Romantisch verklärte Darstellungen einer Ausgereisten:
„Ich werde niemals den Moment vergessen, in dem mein Fuß das gute Land des Islam
betrat, den Moment, in dem unsere Augen das Banner der Scharia flattern sahen.“
Die streng islamische Ehe mit Glaubenskriegern wird als etwas höchst Erstrebenswertes
angepriesen. Gezielt suchen IS-Aktivisten im Netz nach jungen Mädchen:
„Salamailkom kennt einer Schwestern, die bereit wären zu heiraten, aber nur wenn sie die
Absicht haben, auch die Hijra zu machen.“
Heißt, sie sollten ausreisewillig sein. Auf IS-Brautsuche ist auch ein Islamist aus
Niedersachsen:
„Suche zwei Schwestern, die heiraten wollen. Der eine ist 16 Jahre, der andere Bruder ist 19,
wohnt im Islamischen Staat.“
Ebenso könnte es im Fall Leonora um die Ehe mit einem IS-Kämpfer gehen. Dafür sprechen
allein schon diese Bilder, die das Mädchen aus Sachsen-Anhalt vor ihrer Ausreise ins Netz
gestellt hat.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Die Rekrutierung der Frauen folge vor allem einem Ziel: Die langfristige Bindung junger
Männer an den Islamischen Staat, meint der Jenaer Sozialpsychologe Thomas Kessler.
Professor Thomas Kessler:
„Ich denke hier werden natürlich die Bedürfnisse von jungen Leuten in beide Richtungen
natürlich auch bedient. Eben, dass die jungen Frauen tolle mächtige Männer mitkriegen. Und
auf der anderen Seite ist es das auch, was die Männer zum IS treibt, wenn sie wissen, ihnen
werden diese Bräute gestellt.“
Alles Weitere ist Logistik. Wer einmal den Entschluss gefasst hat zu gehen, findet im Netz
genügend Ratgeber.
„Kleide dich so unauffällig wie möglich, aber übertreibe nicht! Wenn du versuchst, dich zu
unauffällig zu kleiden, kann es vielleicht passieren, dass du dadurch auffällst und die Kuffar –
heißt die Ungläubigen - Verdacht schöpfen.“
„Wisse, dass es die schönste Reise deines Lebens sein wird, denn du verlässt den Ort der
Unterdrückung und Erniedrigung.“
Was sie tatsächlich finden: ein Leben im Sharia-Staat, in dem Hinrichtungen so alltäglich
sind, wie die Sklaverei und das Tragen des Sprengstoffgürtels. Kaum vorstellbar, wenn die
jungen Frauen mit der Brutalität des Krieges konfrontiert werden.
Professor Thomas Kessler, Uni Jena:
„Wenn man sehr viel investiert hat für IS, viel aufgegeben hat, kann man sich durchaus
vorstellen, dass jemand Hardliner bleibt. Viel eher ist es so, dass man die harte Realität sieht
und dann die Illusion zerstört bekommt.“
Rund 700 Deutsche sollen inzwischen ausgereist sein. Ob Frauen oder Männer – für die
meisten wird der Traum vom Islamischen Staat als Albtraum enden.
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