WS 12/13 - Universität Bremen

Erfahrungsbericht Erasmus
1. Einleitung
Mein Auslandssemester in Wroclaw, dem ehemaligen Breslau in Polen, hat mir viele
interessante Erfahrungen und neues Wissen eingebracht. Neben Kontakten die ich mit
Studenten aus ganz Europa knüpfen konnte, war es mir zusätzlich möglich einen Blick auf
eine andere Form der Wissenschaftskultur zu werfen. Ich werbe mit Nachdruck dafür sich
auf das Abenteuer Auslandssemester im Rahmen des Erasmus-Programmes einzulassen. Die
Infrastruktur für einen solchen Austausch war in Wroclaw hervorragend und gut zugänglich.
2. Auswahl – und Bewerbungsprozess
Da ich in der Oberstufe bereits eine Facharbeit zur Thematik der Geschichte Schlesiens
zwischen den Kriegen angefertigt hatte, lag es in meinem ursprünglichen Interesse mein
Auslandssemester in Polen, genauer gesagt in Wroclaw mein Erasmus anzutreten. Die
Universität Wroclaw, genau wie das Institut für Politikwissenschaft, hat eine offizielle
Homepage auf Englisch zur Verfügung. Dort war es mir möglich eine Übersicht über
Vorjahreskurse des Wintersemesters zu werfen. Es wurden ausreichend englische Kurse,
speziell für Erasmus-Studenten, angeboten. Nach Einhändigung der wichtigsten Unterlagen,
Motivationsschreiben, B2-Nachweis, Lebenslauf etc. erhielt ich sehr schnell von Herrn Probst
eine positive Antwort. Die Universität Wroclaw selber verlangte keine Einhändigung von
Bewerbungsunterlagen, wohl aber Informationen über Zeit der Ankunft. Jene musste
ebenfalls innerhalb einer gegebenen Frist eingehändigt werden, die uns per Mail mitgeteilt
wurde. Die Aufnahme in den Mailverteiler der Universität Wroclaw erfolgte automatisch
nachdem das Institut in Bremen meine Nominierung mitgeteilt hatte.
3. Die Stadt Wroclaw, das Land Polen, polnische Sprache
3.1.
Anreise und Unterkunft
Nach Wroclaw fährt zweimal täglich der Euroexpress via Hamburg, Berlin, Lübbenau. Wenn
ihr hier das Europaspezial der Bahn anwählt kostet ein solches Ticket lediglich 39 Euro. Dafür
sollte man allerdings früh genug buchen. Ansonsten liegt Wroclaw circa 6-7 Autostunden
von Bremen entfernt sollte man einen Wagen zur Verfügung haben.
Für jeden Studenten wird automatisch ein Zimmer in einem Wohnheim reserviert. Das
Wohnheim, entweder Olowek oder Kredka, liegt recht zentral, 10 – 15 Minuten mit der Bahn
in die Innenstadt, Supermärkte und Einkaufszentrum in der direkten Nachbarschaft. Ihr
solltet allerdings beachten, dass ihr höchstwahrscheinlich in einem Doppelzimmer
unterkommen werdet, da die Anzahl an Einbettzimmern in dem Wohnheim begrenzt ist. Die
Mieten liegen bei 430 Zloty für Doppel- und 780 Zloty für Einzelzimmer, also ca 110 und 190
Euro. Ihr teilt euch eine Küche und ein Bad mit insgesamt 4 Personen. Das Wohnheim in dem
ich wohnte war recht restriktiv in vielerlei Hinsicht. Gäste von auswärts müssen ihren Pass
oder Personalausweis an der Rezeption hinterlegen. Insofern jemand von außerhalb über die
Nacht bleibt muss man eine Gebühr von 30 Zloty bezahlen. Die Damen hinter der Rezeption
sprechen lediglich Polnisch, was für diejenigen die diese Sprache überhaupt nicht sprechen
recht entnervend sein kann. Dafür beherrschen die Mitarbeiter in der Verwaltung, sie ist
direkt im Gebäude untergebracht, perfekt Englisch.
Solltet ihr euch dazu entschließen lieber auf eigene Faust eine Wohnung zu suchen kann ich
euch das Portal „gumtree.pl“ empfehlen. Auf dieser Homepage gibt es generell Anzeigen zu
allem Möglichen, insbesondere aber zu Wohungen. Allerdings stellt sich auch hier das
Problem, dass die Anzeigen nur auf Polnisch verfasst sind. Außerdem sprechen die Vermieter
auch teilweise kein Englisch. Hinzu kommt, dass Wroclaw als ausgesprochen Studentenstadt,
ca. 150 000 Einwohner von 670 000 sind Studenten, im Beginn des Wintersemesters
natürlich mit Suchenden überschwemmt. Dementsprechend wäre es vielleicht ratsam, sich
einen Makler zu suchen, obwohl man hier natürlich etwas draufzahlen muss. Die Mietpreise
liegen in der Stadt etwa um die 700 – 800 Zloty für ein Einzelzimmer. Bitte beachtet, dass
hier nicht immer Kosten für Heizung, Wasser und Strom inbegriffen sind. Häufig müsst ihr
nochmals 50 – 100 Zlotys raufrechnen für den warmen Preis.
3.2.
Öffentliche Transportmittel und Fernverkehr
Ihr bekommt, anders als an der Universität Bremen, kein Semesterticket direkt von der
Universität. Stattdessen müsst ihr euch jenes selber kaufen. Der Preis für ein 5-monatiges
Semesterticket beträgt ca. 150 Zloty. Dafür müsst ihr aber vorher euren polnischen
Studentenausweis abholen, das Semesterticket wird dann auf diesen Ausweis geladen.
Transport ist auch außerhalb der Stadt recht günstig. Es gibt ein staatliches Bus-, sowie ein
staatliches Bahnunternehmen. Beide Formen des Transportes sind sehr preisgünstig, nutzt
sie also um viel von dem Land zu sehen.
3.3.
Meldeformalitäten
Insofern ihr länger als drei Monate am Stück in Wroclaw bleiben wollt, dann müsst ihr euch
bei der Stadtverwaltung in Wroclaw melden. Dazu braucht ihr neben eurem Pass die
Confirmation of Erasmus Study period, sowie einen Beleg über euren Wohnort. Der würd
euch, solltet ihr im Wohnheim wohnen, von der Verwaltung ausgestellt. Nachdem ihr diese
Dokumente bei dem Landesamt eingereicht habt, könnt ihr nach ca. 5 Wochen eure
Meldebestätigung abholen.
3.4.
Polnische Sprache
Wroclaw ist eine sehr junge und weltoffene Stadt, dadurch solltet ihr keine Probleme haben
euch ohne Vorkenntnisse des Polnischen zurechtzufinden. In der Wohnraumverwaltung als
auch im International Office wird Englisch gesprochen. Die Kurse an der Universität waren
ebenso auf Englisch. Zwecks kulturellen Austausches mit den Einheimischen empfehle ich
euch allerdings zumindest den 2- wöchigen Vorbereitungskurs anzuwählen, der kostenlos
angeboten wird. Ebenfalls könnt ihr den Semesterkurs anwählen, für ihn erhaltet ihr 6 ECTS.
Das Lehrpersonal ist sehr kompetent und kann euch selbst eine solch ungeheuer
komplizierte Sprache wie Polnisch schnell näher bringen.
4. Universität Wroclaw
In Wroclaw gibt es insgesamt 8 Universitäten, an der größten von ihnen, der Universität
Wroclaw, hatte ich meine Kurse. Genauer genommen in der Sozialwissenschaftlichen
Fakultät, da ich Politikwissenschaft studiere.
4.1.
Auswahl und Angebot der Kurse
Es gab eine reiche Auswahl an englischsprachigen Kursen sowohl an meiner Fakultät als auch
an der gesamten Uni. Ihr könnt fast aus dem gesamten Seminar- und Vorlesungspool
auswählen, auch außerhalb eurer Fakultäten. Bitte beachtet, dass die Professoren in Polen
generell länger brauchen um ihren Lehrplan aufzustellen. Ich musste bis zu der 3. Woche des
Semesters warten bis mir die vollständige Liste der Seminare und Vorlesungen zur Verfügung
gestellt wurde. Und selbst danach gab es zeitliche Änderungen der Veranstaltungen,
wodurch ich immer noch einige Kurse wechseln musste. Also stellt euch bitte darauf ein,
dass ihr euer endgültiges Learning Agreement erst einige Wochen später werdet einreichen
können.
4.2.
Qualität der akademischen Veranstaltungen, Prüfungen
Die Qualität der Veranstaltungen weicht teilweise stark voneinander ab. Manche werden
von kompetentem Personal mit guten Englischkenntnissen geleitet, andere sind eher
chaotisch und weniger verständlich, da die Lehrkraft eher schlecht in Englisch
kommunizieren kann. Daher rate ich euch anfangs vielleicht eher in ein- oder zwei
Veranstaltungen zu viel hereinzuschauen, um festzustellen welcher Professor euch eher
liegt. In Sachen Prüfungsformen könntet ihr euch auf ein recht buntes Feld von Leistungen
vorbereiten. Große Examen zum Semesterende sind eher die Ausnahme. Zumeist wird
bereits während des Semesters in Form von Essays, gerne auch mehrere, oder
Präsentationen abgefragt. Mündliche Prüfungen sind auch recht beliebt.
5. Allgemeine Tips zu Polen und Wroclaw
Bürokratie: Arbeitet, abgesehen vom International Office und, mit Ausnahmen, die
Wohnraumverwaltung, generell langsamer als in Deutschland. Bitte stellt euch darauf ein,
für wichtige Unterlagen oder für Anmeldungen für Einrichtungen wie die Bibliothek, generell
längere Wartezeiten zu haben, oder einen Haufen Unterlagen mitbringen zu müssen. Am
besten erkundigt ihr euch hier im International Office oder bei polnischen Kommilitonen, wie
ihr solche Anliegen händeln solltet. Das wird euch jede Menge Zeit ersparen.
Alkohol: Das Klischee, dass Polen viel und gerne trinken entspricht tatsächlich der Wahrheit.
Solltet ihr also, vor allen Dingen bei älteren Polen eingeladen sein, so lehnt die euch
angebotenen Getränke bitte nicht ab, da so etwas als recht unhöflich empfunden wird. Falls
ihr weniger trinken möchtet, so sagt es eurem Gastgeber einfach vorher. Wroclaw ist nicht
mehr oder weniger gefährlich als jede andere Europäische Stadt auch. Da aber recht massiv
getrunken wird, solltet ihr darauf achten, euch auf den Partymeilen und Kneipen nicht
unbedingt in Diskussionen mit Einheimischen verwickeln zu lassen. Unter Alkoholeinfluss
sind viele nicht mehr sehr umgänglich. Leider besteht immer noch eine gewisse
Hooliganproblematik, sollte ein Fußballspiel stattfinden, dann haltet euch von den Fans
lieber fern, da unter ihnen viele sehr streitlustige sein könnten.
Kontakt mit einheimischen Studenten: Ihr werdet feststellen, dass ihr in den englischsprachigen Kursen zu einem großen Teil nur mit Austauschstudenten zusammensitzt. Leider
ist der Austausch mit den einheimischen Studenten recht schwierig, empfehlenswert sind
hier insbesondere sich an die Veranstaltungen des Erasmus Institutes, z.B. an die
Tandemparties zu orientieren. Dann kommt man schneller mit den Einheimischen in
Kontakt.
Bałagan: Dieses Wort bedeutet übersetzt etwa so viel wie Chaos oder Durcheinander. Das
Leben in Polen ist etwas weniger gut organisiert als in Deutschland. Stellt euch also darauf
ein, dass Kurse oder auch Parties vom Erasmus-Institut, häufiger ausfallen werden,
Veranstaltungen vielleicht ein wenig chaotisch wirken, und ihr nicht immer sofort eine
Antwort bekommt, selbst wenn ihr die dritte Email geschrieben habt. Das kann teilweise ein
paar Nerven kosten, ist andererseits aber auch recht angenehm und ungezwungen.
Außerdem sind die Polen hervorragend im Improvisieren, eine Eigenschaft die einem immer
von Nutzen sein kann.
6. Schluss
Wie bereits eingangs erwähnt hat mir mein Auslandssemester sehr gefallen. Ich habe viel
neue interessante Dinge und Menschen kennengelernt. Die Nachteile unterlagen klar den
Vorteilen. Deshalb möchte ich hier jeden ermutigen der plant Erasmus im Allgemeinen, und
Erasmus in Polen im Engeren zu machen. Ihr werdet eine großartige Zeit haben!