| | Fördertechnik Entwicklung Entwicklung Fördertechnik Fördertechnik aus der Zelle Das Bremer Institut für Produktion und Logistik (BIBA) hat ein hochflexibles Fördersystem entwickelt, das beliebige Förderaufgaben erledigen, unterschiedlichste Waren transportieren und an sich verändernde Warenströme angepasste werden kann. Zudem soll es seinen künftigen Betreibern eine hohe Investitionssicherheit bieten. (Bilder: ***) Die Intralogistik ist durch externe Treiber – Trend zur Produktindividualisierung, dynamischer werdende Kunden-Lieferanten-Beziehungen oder steigendes P aketaufkommen – vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt. Um die stetig kürzer werdenden Produktlebenszyklen und das gestiegene Paketaufkommen schnell und effizient bewältigen zu können, sind hochflexible, wartungsfreundliche sowie kosteneffiziente Fördersysteme notwendig. Neben den technologischen Anforderungen spielt dabei vor allem die Investitionssicherheit eine zentrale Rolle, da sich neu erworbene Fördertechnik häufig schon nach kurzer Zeit amortisieren muss. Das am Bremer Institut für Produktion und Logistik (BIBA) entwickelte zellulare Förder- und Positioniersystem Cellular Conveyor, kurz "Celluveyor“, erfüllt die Anforderungen an zukünftige Intralogistiksysteme und bietet den Betreibern Flexibilität bei gleichzeitiger Investitionssicherheit. Unterschiedliche Anlagenlayouts durch modulare Fördereinheiten Herkömmliche Fördertechnik zeichnet sich dadurch aus, dass sie grundsätzlich einfache fördertechnische Aufgaben erfüllen kann, nämlich Objekte auf e iner geraden Linie zu b ewegen. Bei komplexeren Aufgaben (z. B. R otieren, Vereinzeln und Sortieren) muss die Fördertechnik um zusätzliche mechanische Komponenten bis hin zu Industrierobotern erweitert werden. Dadurch entstehen hochspezialisierte Anlagen, die diese konkrete Aufgabe besonders effizient realisieren können, jedoch an Flexibilität verlieren. Bestehende Systeme sind daher nur begrenzt an neue Aufgaben oder an eventuell notwendige Änderungen im Layout der Anlage anpassbar. Neben den o. g. technologischen Anforderungen müssen sich neu erworbene Automatisierungs- und Materialflusssysteme schon nach kurzer Zeit amortisieren, da kurzfristige Änderungen der Auftragslage oder des Produktionsplans entsprechende Anpassungen der Funktionalität oder gar des Layouts erfordern können. Speziell bei Kontraktlogistikern ist aufgrund kurzfristiger Vertragslaufzeiten und der Unsicherheit bezüglich von Anschlussverträgen die Wirtschaftlichkeit von Fördersystemen von großer Bedeutung. Eine Investition muss sich hier innerhalb der entsprechenden Vertragslaufzeit amortisieren, was häufig den Erwerb komplexer und hochpreisiger Automatisierungslösungen ausschließt. Um die für zukünftige Materialflusssysteme erforderliche Flexibilität zu erreichen, bietet die Entwicklung modularer, dezentral gesteuerter Fördersysteme großes Potenzial [1, 2, 3]. Durch die Kombination modularer Fördereinheiten könnenvielfältige Anlagenlayouts generiert und im Idealfall verschiedene zusätzliche fördertechnische Aufgaben realisiert werden. Dies ist vor allem durch die Vernetzung und Kommunikation bzw. Kooperation zwischen den einzelnen Fördermodulen möglich und entspricht daher dem Grundgedanken von Industrie 4.0. Neben stationären Fördersystemen bieten auch zellulare mobile Transportsysteme für den Transport von Kleinladungsträgern [4] die notwendige Flexibilität hinsichtlich Layout und durchzuführender fördertechnischer Aufgaben. Allerdings existiert bisher noch kein Fördersystem am Markt, das unter gleichzeitiger Einbeziehung wirtschaftlicher Gesichtspunkte alle vier zentralen Komponenten der Flexibilität bietet: ❙❙ Prozessflexibilität (Durchführung beliebiger Förderaufgaben), ❙❙ Fördergutflexibilität (Transport verschiedener Objekte), ❙❙ Durchsatzflexibilität (Anpassungen an sich verändernde Warenströme) sowie ❙❙ Layoutflexibilität (beliebige Anlagenlayouts). (Bilder: BIBA) Hochflexibles Fördersystem aus kommunizierenden und kooperierenden Modulen ➋ Mögliche fördertechnische Aufgaben, die mit dem Celluveyor durch ein einfaches Software-Update durchführbar sind. kann der Celluveyor beispielsweise von einem einfachen Förderer mit Ein- und Ausschleuser zu einem Sorter oder sogar zu einem Infeeder zur Erstellung von Paketlagen mit beliebigen Packmustern für automatische Palettiersysteme umfunktioniert werden (Bild ➋). Der Celluveyor bietet somit eine hervorragende Prozessflexibilität. Der zellulare Grundgedanke ermöglicht dem Celluveyor neben der Ausführung von beliebigen fördertechnischen Aufgaben auch eine hohe Anpassbarkeit hinsichtlich des Layouts der Förderanlage. So wie auch einzelne Zellen komplette biologische Organismen bilden können, so lassen sich die Module des Celluveyor zu beliebigen Layouts zusammenfügen. Grundlage ist die einfache mechanische Verbindung zwischen den Fördermodulen, die ein unkompliziertes Entfernen oder Hinzufügen von Modulen durch einen Mitarbeiter des Logistikunternehmens ermöglicht. Eine Änderung des Layouts des Celluveyor wird dabei automatisch in der Steuerungssoftware detektiert und entsprechend angepasst. Dadurch ist der Celluveyor unmittelbar nach der Änderung des Layouts funktionsfähig, und größere Stillstandzeiten fallen nicht an. Ohne großen Aufwand entstehen dadurch Förderflächen mit beliebigen Ausmaßen und Geometrien, die universell nutzbar sind und e ine sehr hohe Layout-Flexibilität ermöglichen. Die Steuerungssoftware des Celluveyor ermöglicht das einfache Design von beliebigen Anlagelayouts in 2D und 3D (Bild ➌). Durch den Import von CAD-Daten können bestehende Hallenlayouts oder Intra logistiksysteme nachgebildet werden und die optimale und passgenaue Gestaltung des Cel- ➊Die omnidirektionale Fördertechnik „Celluveyor“ setzt sich aus einzelnen sechseckigen Modulen mit omnidirektionalen Rädern zusammen Er verspricht eine hohe Flexibilität, bezogen auf das Layout, die möglichen Anwendungsfelder, das Fördergutspektrum sowie Anpassungen an Durchsatzänderungen. Das patentierte Konzept besteht aus mehreren kleinen sechseckigen Fördermodulen (Bild ➊). In ihnen befinden sich omnidirektionale Räder, die jeweils von einem elektrischen Motor angetrieben werden. Aufgrund der speziellen Anordnung der Räder sowie durch eine gezielte Ansteuerung der einzelnen Antriebe können die Objekte unabhängig voneinander auf beliebigen Bahnen (d. h. omnidirektional) bewegt werden. Die derzeitige Steuerungsarchitektur des Celluveyor ist zentral ausgelegt, um den Nachweis der technischen Realisierbarkeit des omnidirektionalen Förderprinzips zu erbringen. Dabei kommuniziert die Steuerungssoftware mit einer Industriesteuerung (SPS). Diese ist mit jedem einzelnen Modul verkabelt, um die Räder unabhängig voneinander anzusteuern. Die Steuerungssoftware besteht aus drei Modulen, die sequenziell die Anweisungen des kundenseitigen Warenmanagementsystems (WMS) annehmen und ausführen. Das erste Modul bildet die Logik der durchzuführenden fördertechnischen Aufgabe ab, beispielsweise, ob die Anlage die Funktionalität eines Sorters oder eines Singulators abbilden soll. Sodann ermittelt es Start- und Zielpositionen und gegebenenfalls Orientierungen. Nachfolgend berechnet das Bahnplanungsmodul die optimale Bahn auf dem gegebenen Celluveyor-Layout. Abschließend berechnet das letzte Softwaremodul die Parameter für die einzelnen Antriebe, um die geplante Bahn korrekt auszuführen. Für die Realisierung förder- © 2015 · Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen auf Datenträgern jeglicher Art sind verboten. 492 HUSS-MEDIEN GmbH · Am Friedrichshain 22 · 10407 Berlin · Tel. 030 42151-0 · Fax 030 42151-207 · www.hebezeuge-foerdermittel.de © 2015 · Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen auf Datenträgern jeglicher Art sind verboten. www.hebezeuge-foerdermittel.de HUSS-MEDIEN GmbH · Am Friedrichshain 22 · 10407 Berlin · Tel. 030 42151-0 · Fax 030 42151-207 · www.hebezeuge-foerdermittel.de a) Der Celluveyor hat das Potenzial, diese Lücke zu schließen. Er ist ein stationäres modulares Förder- und Positioniersystem und basiert auf dem Konzept der zellularen Fördertechnik [5]. b) (a). Mit einem Demostrator (b) wurde bereits ein Nachweis der Funktionalität des Fördertechnikkonzeptes erbracht. Hebezeuge Fördermittel 10/2015 technischer Aufgaben hat sich die bestehende Bahnplanung als ausreichend robust erwiesen, für Positionieraufgaben wie Lagenbildung ist dies allerdings nicht der Fall. Daher wird hier ein kamerabasiertes Feedbacksystem verwendet, das die aktuelle Position aller Pakete oder Objekte auf dem Celluveyor bestimmt und bei Bedarf korrigierend in die Steuerungssoftware eingreift. Die bestehende Systemkonfiguration ist in der Lage, e ine Fördergeschwindigkeit bis 0,8 m/s bei gewöhnlichen Paketen (max. 31,5 kg) zu erzielen. Das maximale Paketgewicht ist von der Anzahl der Räder abhängig, mit denen das Objekt in Kontakt ist. Bei einer maximalen Tragfähigkeit von 18 kg pro Rad darf z. B. e in 20 cm × 30 cm großes Objekt ein Maximalgewicht von rd. 90 kg aufweisen. Ein 40 cm × 50 cm großes Objekt dürfte dementsprechend theoretisch maximal 270 kg wiegen. Durch die Verwendung leistungsfähigerer Motoren sowie anderer Räder kann der Celluveyor noch höhere Geschwindigkeiten realisieren und schwerere Lasten transportieren. Hochflexible und wartungs freundliche Fördertechnik Durch die Kooperation der einzelnen Module untereinander können Objekte über größere Entfernungen frei und unabhängig voneinander bewegt und somit die komplexesten Aufgaben der Fördertechnik realisiert werden. Die Gesamtfunktionalität der Anlage kann auf Knopfdruck angepasst werden, so z. B. bei e iner Änderung der Auftragslage. Mithilfe eines e infachen SoftwareUpdates und ohne mechanische Modifikationen 493 | (Bilder: BIBA) Fördertechnik Entwicklung ➌ Celluveyor-Steuerungssoftware zum Planen und Ausführen fördertechnischer Aufgaben und Anlagenlayouts (links 2D-Darstellung, rechts 3D-Darstellung) luveyor wiedergegeben werden. In der 3D-Darstellung (rechts im Bild ➌)) ist die geplante Bahn des Paketes bis hin zum dunkelgrün markierten Modul in grün abgebildet. Die rot markierten Module mit den blauen Umkreisungen stellen deaktivierte Module dar, die von der Bahnplanung als nicht befahrbar definiert werden. Das System eignet sich für nahezu alle fördertechnischen Aufgaben Die modulare Bauweise bietet zudem den Vorteil einer e infachen Anpassung der Anlage an Veränderungen des Fördergutstroms. Bisher wird eine Förderanlage, die an ihre Grenzen stößt, durch e ine größere oder leistungsfähigere ersetzt oder um eine zweite Anlage erweitert. Der Celluveyor kann dagegen durch einfaches Hinzufügen (oder sogar Entfernen) von Modulen an den neuen Durchsatz effizient angepasst werden. Durch die kleinschrittige Anpassungsfähigkeit wird e ine hohe Durchsatzflexibilität ermöglicht. Zudem weist das System eine hohe Fördergutflexibilität auf, da Objekte unabhängig von Form und Größe transportiert werden können. Diese müssten beim Celluveyor lediglich mindestens die Größe e ines Moduls aufweisen und eine ebene Kontaktfläche haben. Der einfache mechanische Aufbau sowie die Verwendung von gängigen Komponenten und Standardschnittstellen sind eine gute Basis für eine einfache und kostengünstige Integrierbarkeit sowie eine hohe Robustheit. Sollte dennoch ein Fördermodul während des Betriebes ausfallen, wird dies von der Steuerung erkannt. Das Modul wird deaktiviert und als Hindernis behandelt, so dass das defekte Modul von den anderen Paketen umfahren wird. Dadurch verringert sich zwar der Durchsatz, aber ein kompletter Ausfall der Anlage wird verhindert. Firmeneigenes Personal kann das defekte Modul in wenigen Minuten ersetzen und zur Reparatur weiterleiten. Somit wird eine hohe Wartungsfreundlichkeit der Anlage gewährleistet und die Abhängigkeit von der Reaktionsgeschwindigkeit des Anlagenherstellers im Falle einer Störung minimiert. Außerdem wird durch das gezielte kurzzeitige Aktivieren der Antriebe, die im Kontakt mit dem Fördergut sind, und die geringe Eigenreibung der mechanischen Komponenten eine sehr hohe Energieeffizienz erreicht. Die Fähigkeit, mehrere Objekte zeitgleich und unabhängig voneinander omnidirektional bewegen zu können, sowie der modulare Aufbau, die hohe Anpassungsfähigkeit des Systems an neue Aufgaben und der geringe Platzbedarf erfüllen zentrale Anforderungen an zukünftige Materialflusssysteme. Der Celluveyor ist aufgrund seiner Eigenschaften und der hohen Flexibilität für den Einsatz in der Intralogistik für nahezu alle denkbaren fördertechnischen Aufgaben prädestiniert. Vor allem durch die herausragende Prozess- und Layoutflexibilität kann der Celluveyor vielseitig eingesetzt werden und ist damit nicht auf die Durchführung einer einzelnen Aufgabe beschränkt. Feedback-Systems zur Kontrolle der Bewegungen des Förderguts Die Anschaffung des Celluveyor ist unabhängig von der spezifischen Ausgestaltung einer Logistikdienstleistung oder des durchzuführenden Prozesses und bietet daher auch aus wirtschaftlicher Sicht enorme Vorteile. Aktuelle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten fokussieren die Weiterentwicklung des Feedback-Systems zur Kontrolle der Bewegungen der Objekte auf dem Celluveyor, die Entwicklung e ines dezentralen Steuerungsansatzes auf Hard- und Softwareebene sowie die Untersuchung zusätzlicher potenzieller Anwendungsfelder und die Realisierung weiterer fördertechnischer Aufgaben auf dem Demonstrator. ■ Literatur [1] Günthner, W. A.; Tenerowicz, P.: Modularisierung und Dezentralisierung in der Intra logistik – Auf dem Weg zur zellularen Fördertechnik. In: Industrie Management, Berlin (2011) 1, S. 25-29. [2] Ventz, K.; Hachicha, M. B.; Radosavac, M.; Krühn, T.; Overmeyer, L.: Aufbau hochfunktionaler Intralogistik-Knoten mittels klein skaliger Module als Cognitive Conveyor. In: Logistics Journal, Vol. 2012. [3] Seibold, Z.; Stoll, T.; Furmans, K.: Layoutoptimized sorting of goods with decentralized controlled conveying modules. In: IEEE International Systems Conference (SysCon), Orlando (USA) 2013, S. 628-633. [4] Kirks, T.; Stenzel, J.; Kamagaew, A.; ten Hompel, M.: Zellulare Transportfahrzeuge für flexible und wandelbare Intra logistiksysteme. In: 8. Fachkolloquium der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Technische Logistik 2012, S. 161-168. [5] ten Hompel, M.: Zellulare Fördertechnik, In: eLogistics Journal 2006, DOI 10.2195/LJ_ Not_Ref_d_tenHompel_082006, 2006. Dipl.-Ing. Claudio Uriarte ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Robotik und Automatisierung“ am Bremer Institut für Produktion und Logistik (BIBA). Dipl.-Inform. Hendrik Thamer ist Leiter der Abteilung „Robotik und Automatisierung“ am Bremer Institut für Produktion und Logistik (BIBA). Prof. Dr.-Ing. Michael Freitag ist Direktor des Bremer Instituts für Produktion und Logistik (BIBA). © 2015 · Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen auf Datenträgern jeglicher Art sind verboten. 494 HUSS-MEDIEN GmbH · Am Friedrichshain 22 · 10407 Berlin · Tel. 030 42151-0 · Fax 030 42151-207 · www.hebezeuge-foerdermittel.de Hebezeuge Fördermittel 10/2015
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