VDI-Pressegespräch: Digitalisierung vernichtet keine Jobs! Dr.-Ing. Dagmar Dirzus Geschäftsführerin der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA) Statement zur VDI-Tagung Industrie 4.0 28. Januar 2015 Maritim Hotel Düsseldorf Es gilt das gesprochene Wort. 1 Sehr geehrte Damen und Herren, Sehr geehrte Damen und Herren, • Digitalisierung vernichtet keine Jobs! • Die Digitale Transformation ist kein Technikdeterminismus! • Falsche Entscheidungen vernichten Jobs!! Die Art, wie wir produzieren, unsere Arbeit organisieren und miteinander kooperieren, arbeiten und kommunizieren wird sicherlich beeinflusst durch das Internet und die damit verbundenen neuen Technologien. Doch wie wir diese Möglichkeiten nutzen, das liegt an uns. Es ist nie eine Technologie selbst, die Jobs vernichtet – soweit sollten wir auch aus der Historie gelernt haben. Gerade die mit der Digitalen Transformation einhergehenden technologischen Innovationen bieten uns Gestaltungsfreiheiten und Wahlmöglichkeiten, die nicht nur neue Produktionstechnologien und –organisationen zulassen, sondern erstmalig Freiräume schaffen, das hohe menschliche Potenzial der Kreativität wesentlich besser zu nutzen. Wir müssen uns diese Freiräume jedoch mit den richtigen Entscheidungen in Bezug auf die Wertschöpfungsprozesse, die soziotechnischen Systeme, die Arbeitsorganisation und die Managementsysteme erst noch erarbeiten. 2 Wir stehen an einem Wendepunkt Schlagzeilen zu potenziell gefährdeten und bald eliminierten Jobs beherrschten das Jahr 2015 und auch die Nachrichten in dem noch jungen Jahr 2016 – sei es der Einsatz von Robotern, der die Arbeit im Shopfloor auf „Restaufgaben“ reduziert oder Algorithmen, die die Arbeit in den Verwaltungs- und Managementebenen überflüssig machen. Alle diese Aussagen haben ihre Berechtigung und werden auch Recht behalten, wenn wir nicht aktiv dagegen steuern. Um festzustellen, ob wir noch in der Lage sind, die richtigen Weichen zu stellen, haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, um die aktuelle Arbeitsmarktsituation und die derzeitige Arbeitswelt zu untersuchen, um Beweise für die unterschiedlichen Aussagen zu finden. Studie zu Arbeitsmarkt und Arbeitswelt Das Institut für Innovation und Technik (iit) in der VDI/VDE-IT ging in der Studie konkret den Fragen nach: Welche Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt lassen sich verlässlich identifizieren? Wie verändern sich Aufgaben- und Anforderungsprofile in Abhängigkeit von unterschiedlichen Technologie- und Organisationsszenarien? Welche zukünftigen Qualifizierungsbedarfe lassen sich daraus ableiten? 3 Welche Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt lassen sich verlässlich identifizieren? Trotz der kontinuierlich steigenden Zahl eingesetzter Industrieroboter (von 2004 mit 120 Tausend Robotern bis zum Jahr 2011 mit 140 Tausend Robotern), sank die Arbeitslosenquote im selben Zeitraum von zehn auf sechs Prozent. Für den deutschen Arbeitsmarkt zeigen aktuelle Studien, dass der Arbeitsmarkt bislang kaum von der Digitalisierung beeinflusst wurde. So geht – im Gegensatz zu den amerikanischen Wissenschaftlern Frey und Osborne – die Beratungsfirma Boston Consulting nach Angaben des Nachrichtendienstes Industrial Internet davon aus, dass in Deutschland bis zu 390.000 neue Jobs entstehen können. Auch eine aktuelle Studie von Arbeitsmarktökonomen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass auch im mittleren Entlohnungsbereich eine sehr stabile Beschäftigung vorliegt. Um auch versteckte Effekte der Digitalisierung zu analysieren, wurde eine eigene Studie durchgeführt. Es wurden die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit und die Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin miteinander verknüpft. 4 Bezüglich des Arbeitsmarkts bestätigt sich, dass die Umfänge der digitalen Tätigkeiten in den einzelnen Berufsgruppen bislang noch keine Auswirkungen auf die Entwicklung der Beschäftigung der Berufsgruppen gehabt haben. Arbeitsplatzverluste sind noch nicht zu erkennen. Das ‚Schreckgespenst‘ der Digitalisierung als Auslöser von massiven Arbeitsplatzverlusten ist also noch nicht erkennbar. Das Wort noch impliziert allerdings dringenden Handlungsbedarf. Dieser betrifft einerseits die Arbeitsorganisation in Unternehmen sowie notwendige Neuausrichtungen der Unternehmen am Markt, die auch die Möglichkeiten der Digitalen Transformation einschließen. Beides ist so individuell wie die Unternehmen selbst, doch lassen sich Trends ausmachen, die wir im Weiteren hinterfragt und untersucht haben. Wie verändern sich Aufgaben- und Anforderungsprofile in Abhängigkeit von unterschiedlichen Technologie- und Organisationsszenarien? Diese Frage steht im Gegensatz zu den medial verbreiteten Negativmeldungen: Während in vielen zitierten Untersuchungen von Tätigkeitsprofilen und Beschäftigtengruppen ausgegangen wird, die ‚starr‘ sind und sich in Zukunft nicht ändern werden und eben deshalb als Schlussfolgerung nur zulassen, dass diese Jobs verschwinden, beleuchten wir, welche Anpassungen erforderlich sind, um auch für die Zukunft Beschäftigung 5 zu sichern. Ein Blick in die Historie zeigt, dass bei allen großen technologischen Veränderungen nur in Individualfällen, jedoch niemals flächendeckend, die Beschäftigungsprofile starr blieben. Doch sollten wir genau hinschauen, welche Aufgabenbereiche sich in Zukunft voraussichtlich und in welcher Weise verändern werden. Als erstes Ergebnis ist festzuhalten, dass sich der Anteil der Computernutzung in den letzten zehn Jahren über alle Berufsgruppen leicht erhöht hat, von 81,7 Prozent auf 84,35 Prozent. Die Anteile an Beschäftigten, die einer speziellen IT-Tätigkeit, wie beispielsweise die Entwicklung von Software, nachgehen, ist hingegen weitgehen unverändert. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt, dass sich mehrere Effekte überlagern: Es gibt in ersten Ansätzen eine Entwicklung hin zu mehr einfachen sowie gleichzeitig zu mehr hochqualifizierten Tätigkeiten, zweitens gibt es eine Entwicklung zu mehr ‘Human Touch’ und drittens einen Trend zu einer stärkeren Nachfrage nach kognitiven Tätigkeiten. Die Auswirkungen der Digitalisierung, deren Ansätze wir hier vor allem in der Selbstbeschreibung der Beschäftigten sehen, lassen sich am Arbeitsmarkt noch nicht nachweisen. Wir müssen davon ausgehen, dass weitere Verschiebungen 6 in der Beschäftigung zu erwarten sind, wobei sich die genaue Anzahl der Arbeitsplätze nicht vorhersagen lässt. Arbeitsprofile mit sich regelmäßig wiederholenden Handgriffen oder geringen Interaktionsschritten, Profile, die wenig Kreativität oder Empathie erfordern, werden wegfallen. Wie hoch der Bedarf nach menschlicher Arbeit mit Fähigkeiten wie Kreativität und menschlicher, interdisziplinärer Interaktion sein wird, hängt von den Entscheidungen in den Unternehmen ab. Der Bedarf an menschlicher Arbeit wird sich im Zuge der Digitalen Transformation radikal und auf bisher nicht erlebte Art verändern. Doch die Frage nach dem Ersatz menschlicher Tätigkeiten durch kostengünstigere Alternativen wie Roboter oder Computer ist nicht die Einzige, die gestellt werden kann. Vielmehr geht es um die Komplementierung menschlicher Fähigkeiten mit den neuen Technologien, um etwas Neues zu schaffen, das eine Differenzierung am Markt ermöglicht. Welche zukünftigen Qualifizierungsbedarfe lassen sich ableiten? Weltweite Vernetzung und mobile Computer, zunehmend leistungsfähige künstliche Intelligenz und selbstlernende Maschinen werden einen signifikanten Teil der Arbeit automatisieren, die heute noch Menschen erfordert, sofern es mit Kostenersparnissen verbunden ist. Eine Konzentration auf diese Kostenersparnis ist jedoch die falsche Entscheidung, die, würde sie flächendeckend getroffen, zu einem massiven Stellenabbau führen würde. 7 In zweiter Linie würde die reine Konzentration auf Kostensenkung auch dazu führen, dass Unternehmen zunehmend austauschbar werden. Der Kostendruck auf diese Unternehmen wird unweigerlich steigen und dieser Abwärtsspirale würden weitere Jobs zum Opfer fallen. Um aus dieser Spirale auszubrechen ist eine Differenzierung am Markt notwendig, die nicht leicht zu kopieren ist. Diese Differenzierung wird sich nur mit großen Anstrengungen und einem Wandel der Arbeitsorganisation erreichen lassen. Die Beschäftigten müssen auf neue Aufgaben vorbereitet werden, die sich aufgrund des technischen Fortschritts ergeben. Wenn dies nicht gelingt, kann die Digitalisierung doch zum Schreckgespenst werden. Handlungsfelder Drei akute Handlungsfelder tragen zum Gelingen der Digitalen Transformation und nachhaltigem wirtschaftlichen Wachstum bei: Bildung, insbesondere Weiterbildung Technologie-Roadmaps und Organisationsszenarien sowie Technologie/Branchen-Matrizen neue betriebliche Organisationsmodelle 8 Bildung, insbesondere Weiterbildung Nicht der Trend des „Easy-to-Digitalize“ ist der Weg, den wir in Deutschland gehen sollten. Wir verfügen in den produzierenden Unternehmen über sehr viel Know-how. Dieses muss mithilfe der Digitalen Technologien in neue Geschäftsmodelle fließen. In Deutschland kennen wir uns mit der realen Welt sehr gut aus, wir kennen die Maschinen, die Mechanik, die Elektrotechnik, maschinennahe Programmierung und vor allem: Wir verstehen die Prozesse! Jetzt geht es darum, auf der Basis dieses Know-hows Geschäftsmodelle zu entwickeln, die die Chancen der digitalen Welt nutzen, jedoch nicht schnell zu kopieren sind. Bei diesen neuen Geschäftsmodellen verschmelzen physisches und digitales Geschäft miteinander. Damit wird die Kompetenz, in interdisziplinären Teams zu arbeiten, umso bedeutender. Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit, Verhandlungsfähigkeit, Lern- und Kooperationsbereitschaft sind bereits Bestandteil vieler Ausbildungen und Studiengänge. Neu hinzukommen werden darüber hinaus: Verständnis für Maschineninteraktionen, interdisziplinäre Methodenkenntnisse, statistische Kenntnisse insbesondere für die Datenanalyse und -interpretation. 9 Technologie-Roadmaps und Organisationsszenarien sowie Technologie-/Branchen-Matrizen Szenariotechnik ist notwendig für schnelle Unternehmensentscheidungen und in den volatilen Märkten der Digitalen Transformation unabdingbar. Nach einer 2015 durchgeführten Umfrage der Unternehmensberatung Bain & Company unter 1.000 deutschen Managern wird sie jedoch nur zu einem Achtel des weltweiten Durchschnitts eingesetzt. Doch um Unternehmen nachhaltig am Markt zu positionieren, müssen Szenarien auf der Basis von TechnologieRoadmaps und Organisationsszenarien sauber kontinuierlich durchgeführt werden. Die Technologie-Roadmaps müssen dabei nicht nur mögliche technologische Innovationen antizipieren, sondern auch das komplexe Zusammenspiel von technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen mit den veränderlichen Kundenbedürfnissen in einem strukturierten Prozess abbilden. Daher muss mit den technologischen Entwicklungen immer auch die organisatorische Entwicklung in den Unternehmen einhergehen. Hier sind die Szenarien der Technologien zu koppeln mit Organisationsszenarien, damit Unternehmen flexibel auf Änderungen reagieren können. neue betriebliche Organisationsmodelle Historisch kann nachgewiesen werden, dass die Zeitspanne zwischen umwälzenden technologischen Innovationen wie 10 der Erfindung der Dampfmaschine, ihrer Ablösung durch die Einführung von Elektrizität oder der Erfindung des Computers bis zu volkswirtschaftlich positiven Effekten etwa 25 Jahre umfasst. Einerseits ist das die Zeit, die benötigt wurde, parallel zu der technologischen Innovation die arbeitsorganisatorischen und ManagementInnovationen in Unternehmen einzuführen. Andererseits ist dies in etwa die Zeit, die benötigt wird, das Management von Unternehmen auszutauschen – eine Zeit, die wir in der Digitalen Transformation nicht haben! Es geht darum, Kapazitäts-Freiräume zu schaffen, um die organisatorischen Veränderungen bewältigen zu können, vorhandene Prozesse mit digitalen Geschäftsmodellen zu verknüpfen und Innovationen erfolgreich am Markt zu platzieren. Solche kapazitiven Freiräume können durch Effizienzsteigerung mit digitalen Technologien erreicht werden, da diese in der Lage sind, repetitive oder geringe Interaktion erforderliche Tätigkeiten zu übernehmen. Eine besondere Möglichkeit, Freiräume für kreative Prozesse im Engineering zu schaffen, ist das Durchgängige Engineering, das Ihnen Herr Dr. Löwen gleich vorstellen wird. Und denken Sie dabei daran: Digitalisierung vernichtet keine Jobs! Die Digitale Transformation ist kein Technikdeterminismus! Falsche Entscheidungen vernichten Jobs!! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 11
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