04 Steuerhinterziehung § 370 AO subjektiver Tatbestand

Dr. Christian Pelz
Steuerstrafrecht, WS 2015/16
Steuerhinterziehung, § 370
A.
Subjektiver Tatbestand
I.
Vorsätzliches Handeln
Die Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfordert vorsätzliches Handeln, wobei
bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz muss sich dabei auf sämtliche Merkmale
des objektiven Tatbestandes erstrecken, d.h. auf
–
Tathandlung
–
zugrundeliegende Steuerrechtslage
–
Steuerverkürzung und
–
Kausalität.
Die Rechtsprechung legt dabei den Steuerpflichtigen strenge Erkundigungspflichten auf. Sie tendiert daher sehr schnell zur Annahme mindestens bedingten
Hinterziehungsvorsatzes1:
„Informiert sich ein Kaufmann über die in seinem Gewerbe bestehenden
steuerrechtlichen Pflichten nicht, kann dies auf seine Gleichgültigkeit hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflichten hindeuten. Dasselbe gilt, wenn es
ein Steuerpflichtiger unterlässt, in Zweifelsfällen Rechtsrat einzuholen.
Auch in Fällen, in denen ein nicht steuerlich sachkundiger Steuerpflichtiger eine von ihm für möglich gehaltene Steuerpflicht dadurch vermeiden
will, dass er von der üblichen Geschäftsabwicklung abweichende Vertragskonstruktionen oder Geschäftsabläufe wählt, kann es für die Inkaufnahme einer Steuerverkürzung sprechen, wenn er keinen zuverlässigen
Rechtsrat einholt, sondern allein von seinem laienhaften Rechtsverständnis ausgeht.“
Für zumindest bedingten Vorsatz spricht
1
–
fehlerhafte oder unterbliebene Angaben bei ausdrücklichen Fragen in
Steuererklärungsformular,
–
Abweichen von Hinweisen der Finanzverwaltung oder steuerlicher Berater,
BGH NStZ 2012, 160, 161
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–
unterbliebene Berichtigung nach Hinweis auf Fehler der Vergangenheit.
Tritt eine Steuerverkürzung lediglich wegen des Kompensationsverbots nach
§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO ein, kann es an einem Verkürzungsvorsatz fehlen.2
II.
Irrtumsfragen
Da § 370 AO eine Blankettnorm ist, müssen vom Vorsatz auch die steuerlichen
Ausfüllungsnormen erfasst sein. Der Täter muss das Bestehen eines Steueranspruchs und das Entstehen einer Steuerverkürzung erkennen. Allerdings braucht
er die genauen steuerlichen Zusammenhänge nicht zu erkennen; es reicht aus,
wenn er im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre einen Steueranspruch dem Grunde nach erkennt und diesen schädigen will.
Beispiel:
Rechtsanwalt R ermittelt seinen Gewinn durch Einnahme-ÜberschussRechnung nach § 4 Abs. 3 EStG. Von einem Mandanten erhält er am
22.12.2012 einen Scheck über EUR 5.000,00. Da R in Urlaub fährt, löst er
den Scheck erst nach seiner Urlaubsrückkehr am 10.01.2013 ein. Bei Erstellung der Einkommensteuererklärung 2012 im Mai 2013 erfasst er den
Scheck nicht, weil er glaubt,
a) den Scheck erst im Jahr 2013 erhalten zu haben
b) er erst im Jahr 2013 steuerlich zu berücksichtigen ist, weil er der
Scheck auch erst in diesem Jahr eingelöst wurde.
Lösung:
Für die steuerliche Beurteilung ist das Zuflussprinzip maßgebend (§ 11
Abs. 1 Satz 1 EStG). Bei einer Zahlung per Scheck erfolgt der Zufluss in
dem Zeitpunkt, in dem der Scheck übergeben wird.3 Dies jedenfalls dann,
wenn der Scheck jederzeit eingelöst werden kann.
Im Fall a) irrte R über den Zeitpunkt, in dem ihm der Scheck zugegangen
ist (deskriptives Tatbestandsmerkmal). Es handelt sich dabei um ein Tatbestandsmerkmal i.S.v. § 16 Abs. 1 StGB.
Im Fall b) irrte R über den Rechtsbegriff zugeflossen (normatives Tatbestandsmerkmal). Irrtümer über normative Tatbestandsmerkmale sind nach
h.M. Tatbestandsirrtümer i.S.v. § 16 Abs. 1 StGB.4
2
3
4
Rolletschke in Graf/Jäger/Witting, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 186, 238.
BFH NJW 2001, 2290; Glenk in Blümlich, § 11 EStG Rn. 42.
BayObLG wistra 1991, 313, 317.
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Nach h.M. gehört zum Tatbestand auch, dass der Täter den Steueranspruch des
Fiskus dem Grunde und der Höhe nach kennt bzw. ihn für möglich hält, während eine genaue Kenntnis von Steuerart und anspruchsbegründender Normen
nicht erforderlich ist. Geht der Steuerpflichtige irrig davon aus, ein Steueranspruch bestehe nicht, soll daher ein Tatbestandsirrtum i.S.v. § 16 Abs. 1 StGB
vorliegen.5
Die Gegenmeinung geht davon aus, dass ein Tatbestandsirrtum nur dann vorliege, wenn sich der Täter über den Geschehensablauf irrt. Irrtümer im Rahmen einer rechtlichen Subsumtion stellen demgemäß lediglich einen Verbotsirrtum
i.S.v. § 17 StGB dar.6 Als solcher wären Verbotsirrtümer nahezu immer vermeidbar, da stets eine Möglichkeit bestanden hätte, Auskunft bei dem zuständigen Finanzamt zu erhalten.
In einer jüngeren Entscheidung hat der BGH zwar bejaht, dass ein Tatbestandsirrtum vorliege, wenn der Steuerpflichtige irrtümlich angenommen habe,
ein Steueranspruch sei nicht entstanden. Er hat allerdings offengelassen, ob das
auch gelte, wenn der Irrtum auf einer Fehlvorstellung über die Reichweite steuerlicher Normen beruhe.7 Ob damit eine Abkehr von der Steueranspruchstheorie
verbunden ist,8 wird abzuwarten sein.
III.
Leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 Abs. 1 AO
Liegt kein Vorsatz vor und handelt
nungswidrigkeit nach § 378 Abs. 1
wer als Steuerpflichtiger oder bei
Steuerpflichtigen eine der in § 370
begeht.
der Täter leichtfertig, stellt dies eine OrdAO dar. Danach handelt ordnungswidrig,
Wahrnehmung der Angelegenheiten eines
Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig
Leichtfertigkeit stellt einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit dar, der mit grober
Fahrlässigkeit gleichzusetzen ist.9 Leichtfertigkeit ist dann gegeben, wenn wesentliche Steuerpflichten bewusst oder unbewusst missachtet werden und dies
Ausdruck einer groben Nachlässigkeit ist. Leichtfertigkeit ist anzunehmen,
wenn der Steuerpflichtige
5
6
7
8
9
BayObLG wistra 1990, 202; OLG Köln NJW 2004, 3504; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 234 ff.; instruktiv: Ransiek wistra 2012, 365.
Allgeyer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 369 AO Rn. 28; Wulf Stbg
2012, 19 ff.
BGH 8.9.2011 – 1 StR 38/11, Rn. 23 f., NStZ 2012, 160 (161).
Roth ZWH 2013, 373; Reichling StraFo 2012, 316 (317).
BGH NStZ 1988, 276; BayObLG NStZ-RR 2002, 274, 275.
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„…die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen
verpflichtet und im Stande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass
dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird.“10
Leichtfertigkeit ist eine eigene Schuldform. Beim Fehlen des Vorsatzes kann
nicht automatisch auf Leichtfertigkeit abgestellt werden.
Beispiel:
R hat nach seinem Staatsexamen mit mäßigem Erfolg eine Anwaltskanzlei
eröffnet. Mit seinen Einkünften kommt er mehr schlecht als recht über die
Runden. Durch Zufall gelangt er an ein Großmandat und kann allein mit
diesem Mandat Einkünfte in Höhe von EUR 200.000,00 erzielen. Die Steuererklärung lässt R von seinem Freund S, der Steuerberater ist, erstellen.
Beim Aufaddieren der Einkünfte des R unterläuft S ein Fehler und er tippt
EUR 20.000,00 anstelle der EUR 200.000,00 in den Taschenrechner, so
dass er auf Gesamteinkünfte vom EUR 140.000,00 für R kommt. R sieht
die Steuererklärung flüchtig durch und vertraut darauf, dass S diese richtig vorbereitet hat, unterschreibt diese und wird antragsgemäß veranlagt.
Lösung:
Die Einkünfte des R waren tatsächlich um EUR 180.000,00 zu niedrig angegeben, so dass es zu einer Steuerverkürzung gekommen ist.
Ein Vorwurf vorsätzlichen Verhaltens kann R nicht gemacht werden, da er
sich auf die Richtigkeit der von einem Fachmann vorbereiteten Steuererklärung verlassen hat. Allerdings dürfte im konkreten Fall Leichtfertigkeit
vorliegen, da die von S ermittelten Gesamteinkünfte deutlich unter den erklärten Einkünften gelegen haben. Auch bei Beauftragung eines Steuerberaters bleibt R verpflichtet, die vorbereitete Steuererklärung zumindest auf
Plausibilität zu überprüfen. Den gravierenden Unterschied zwischen der
erhaltenen und erklärten Vergütung hätte R ohne weiteres erkennen müssen.
10
BGH NStZ 2012, 160, 161.
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B.
Abgrenzung Vollendung – Versuch
I.
Versuch
Ein Versuch liegt nach § 22 StGB vor, sobald der Steuerpflichtige alles getan
hat, um die Tat zu erfüllen, d.h. wenn nach seiner Vorstellung keine weiteren
Handlungen zur Herbeiführung der Vollendung mehr erforderlich sind.
Im Falle des Unterlassens der (rechtzeitigen) Abgabe einer Steueranmeldung
oder Steuererklärung ist Versuch mit Verstreichen der Erklärungsfrist verwirklicht.
II.
Vollendung
Eine Steuerhinterziehung ist vollendet, wenn der Taterfolg, d.h. die Verkürzung
der Steuer eingetreten ist. Im Falle der Unterlassung einer Steuererklärung oder
–anzeige tritt Vollendung mit Verstreichen der Erklärungsfrist ein. Insoweit
fällt Versuch und Vollendung zusammen.
Im Falle unrichtiger oder unvollständiger Angaben ist zwischen Veranlagungsund Anmeldesteuern zu unterscheiden:
Bei Anmeldesteuern (z.B. Umsatzsteuer, Lohnsteuer) ist die Verkürzung eingetreten, wenn die eingereichte Steuererklärung solche Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten enthalten hat, dass die abzuführende Steuer zu niedrig berechnet wurde. Bei Veranlagungssteuern (z.B. Einkommensteuer, Erbschaftsteuer)
ist die Verkürzung ebenfalls mit Bekanntgabe eines zu niedrigen Steuerbescheides eingetreten.
III.
Beendigung
Die Beendigung der Steuerhinterziehung tritt nicht bereits mit Vorliegen aller
Tatbestandsvoraussetzungen ein, sondern erst dann, wenn die Tat ihren Abschluss erreicht hat. Hierbei ist wie folgt zu unterscheiden:
1.
Unrichtige Angaben
Bei falschen Angaben in Steuererklärungen von Veranlagungssteuern tritt
Beendigung mit Bekanntgabe des daraufhin erlassenen unrichtigen Steuer-
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bescheides ein.11 Kommt es zu einer Steuererstattung, tritt Tatbeendigung
erst mit Auszahlung des Erstattungsbetrages ein.12
Bei Anmeldesteuern (Lohnsteuer bzw. Umsatzsteuer) tritt Beendigung –
auch bei falschen Steuervoranmeldungen - mit erst bei Abgabe der falschen Jahreserklärung ein bzw. im Fall einer Auszahlung mit entsprechender Zahlung.13
2.
In Unkenntnis Lassen
Im Fall des Unterlassens der Abgabe einer Steuererklärung tritt Beendigung bei Veranlagungssteuern dann ein, wenn der Steuerpflichtige, hätte
er eine Steuererklärung abgegeben, veranlagt worden wäre. Dies ist dann
der Fall, wenn im jeweiligen Finanzamt im Großen und Ganzen die Veranlagung für das entsprechende Jahr abgeschlossen ist, d.h. mindestens 95%
aller Steuerbescheide erlassen wurden.14 Bei Fälligkeitssteuern (Umsatzsteuer, Lohnsteuer) tritt Beendigung mit Ablauf des 31.05. des Folgejahres
ein.15
C.
Strafzumessung
I.
Regelbeispiele
§ 370 Abs. 3 AO enthält im Rahmen der Regelbeispielstechnik einzelne Handlungen, bei deren Vorliegen typischerweise (in der Regel) vom erhöhten Strafrahmen auszugehen ist.16 Bei Vorliegen eines Regelbeispiels wird der höhere
Strafrahmen indiziert. Lieben aber gewichtige Milderungsgründe vor, kann der
Tatrichter im Einzelfall auch von dem Regelstrafrahmen ausgehen. Umgekehrt
kann der Richter auch dann, wenn kein Regelbeispiel verwirklicht ist, die Tat
aber so deutlich vom Normalfall abweicht, dass die Anwendung des höheren
Strafrahmens gerechtfertigt ist, diesen zugrunde legen (sogenannter unbenannter
besonders schwerer Fall).
11
12
13
14
15
16
BayObLG wistra 1993, 236, 238; Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., S. 102.
Klein/Jäger, § 376 AO Rn. 24; Rolletschke in Graf/Jäger/Witting, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 376 AO Rn. 24.
Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., S. 105.
Fischer, § 78a StGB Rn. 15.
BGH wistra 2011, 346.
Zur Regelbeispielstechnik allgemein vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, Vorbem. §§ 38 ff.,
Rn. 47 ff.
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Die größte Bedeutung hat § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, die Steuerhinterziehung in
großem Ausmaß.
Der Begriff des großen Ausmaßes wird in Anlehnung an § 263 Abs 3 Satz 2
Nr. 2 StGB verstanden. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung zwischen einem Vermögensverlust und einem Gefährdungsschaden. Bei einem Vermögensverlust liegt die Betragsgrenze bei 50.000 €; kommt es lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs liegt die Wertgrenze bei 100.000 €.17 Ein Vermögensverlust liegt entweder vor, wenn Steuererstattungen erschwindelt (zB durch
Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder eingeschaltete „Serviceunternehmen“) oder steuermindernde Tatsachen (zB Werbungskosten, Vorsteuererstattungsansprüche) vorgetäuscht werden. Eine Steuergefährdung ist anzunehmen,
wenn die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Umstände in
Unkenntnis gelassen werden oder wenn in Steuererklärungen Einkünfte verschwiegen werden.18 Liegt beides zusammen vor, kommt es darauf an, ob die
Vortäuschung steuermindernder Umstände bereits zu einem Steuervorteil von
mindestens 50.000 € geführt hat, sonst verbleibt es bei dem Schwellenwert von
100.000 €.
Für die Bestimmung des Schwellenwerts kommt es auf die Tat im materiellen
Sinne an, dh unterschieden nach Steuerart und Veranlagungszeitraum.19 Bei tateinheitlicher Begehung sollen die jeweiligen Taterfolge zu addieren sein.20
II.
Strafzumessung im engeren Sinn
Der BGH hat vor dem Hintergrund vermeintlich zu milder Strafen der Instanzgerichte Leitlinien21 für die Strafzumessung aufgestellt, die im Wesentlichen auf
die Höhe der hinterzogenen Steuer abstellen. Danach sind folgende Schwellenwerte zu unterscheiden:

17
18
19
20
21
bei einem Verkürzungsbetrag von 50.000 € bei Erlangung von Steuererstattungen oder Vortäuschen von steuermindernden Umständen bzw.
100.000 € bei bloßem Verschweigen von Einnahmen liegt ein besonders
schwerer Fall nach Abs. 3 Nr. 1 vor;
BGH 2.12.2008 – 1 StR 416/08 Rn. 37 ff,. = BGHSt 53, 71.
BGH 15.12.2011 – 1 StR 579/11, NStZ 2012, 331.
BGH 2.12.2008 – 1 StR 416/08 Rn. 40 ff,. BGHSt 53, 71.
BGH 15.12.2011 – 1 StR 579/11, NStZ 2012, 331; BGH 12.7.2011 – 1 StR 81/11, wistra 2011,
396; BGH 2.12.2008 – 1 StR 416/08 Rn. 40 ff., BGHSt 53, 71; krit. Kohlmann/Schauf,
Rn. 1099.3; abl. Flore HRRS 2009, 493.
BGH 2.12.2008 – 1 StR 416/08 Rn 42, BGHSt 53, 71.
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
bei einem Hinterziehungsbetrag von mehr als 100.00 € soll die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen gewichtiger Milderungsgründe
noch schuldangemessen sein;

bei Hinterziehungshandlungen in Millionenhöhe soll eine Bewährungsstrafe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht kommen.
Für die Strafzumessung anhand der Grenzbeträge soll es unerheblich sein, ob
der Grenzbetrag durch eine einzelne Tat oder durch eine Serie gleichartiger Taten überschritten wurde.22
D.
Verjährung
I.
Strafverfolgungsverjährung
Die Strafverfolgungsverjährung regelt, innerhalb welchen Zeitraums eine Strafverfolgung oder Verurteilung wegen einer Straftat noch möglich ist. Bei der
Steuerhinterziehung beträgt die Strafverfolgungsverjährungsfrist
–
fünf Jahre für „einfache“ Steuerhinterziehung (§ 369 Abs. 2 AO i. V. m.
§ 78 Abs. 3 Nr. 4StGB)
–
10 Jahre für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung i. S. v.
§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1-5 AO (§ 376 Abs. 1 AO).
Die Verjährungsfrist beginnt mit
(§ 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 78a StGB.
II.
Beendigung
der
Tat
zu
laufen
Steuerliche Veranlagungsverjährungsfrist
Die Frist für die Festsetzung einer Steuer beträgt im Regelfall 4 Jahre
(§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Sie beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO bei
–
leichtfertiger Steuerverkürzung: 5 Jahre
–
Steuerhinterziehung: 10 Jahre
Die Frist beginnt grundsätzlich mit Ende des Kalenderjahres an zu laufen
(§ 170 Abs. 1 AO). Ist eine (unrichtige oder unvollständige) Steuererklärung
22
BGH 22.5.2012 – 1 StR 103/12, Rn. 37, NJW 2012, 2599; aA MüKoStGB/Schmitz/Wulf, Rn. 507.
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oder Steueranmeldung abgegeben worden, beginnt die Frist erst mit Ende des
Kalenderjahres der Abgabe an zu laufen (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). Ist entgegen
der gesetzlichen Verpflichtung keine Steuererklärung oder Steueranmeldung
abgegeben worden, beginnt die Frist erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres,
das auf das Jahr der Steuerentstehung folgt, zu laufen.
Beispiel:
U hat seine Einkommensteuererklärung 2010 am 10.09.2011 abgegeben, die Einkommensteuererklärung 2011 überhaupt nicht.
Lösung:
Im Hinblick auf die Einkommensteuerklärung 2011 beginnt die Festsetzungsfrist am 31.12.2011 zu laufen und endet regulär am 31.12.2015.
Hinsichtlich der Einkommensteuererklärung 2011 ist die Einkommensteuer am 31.12.2011 entstanden (§ 25 Abs. 1 EStG), so dass die Festsetzungsfrist am 31.12.2014 beginnt und regulär am 31.12.2018 enden
würde. Da U seiner Steuererklärungspflicht gemäß § 149 Abs. 2 AO
nicht nachgekommen ist, liegt ein Fall der Steuerhinterziehung nach §
370 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, so dass die Festsetzungsfrist am 31.12.2024
endet.
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