02 Steuerhinterziehung § 370 AO Tathandlung

WS 2015/16
Dr. Christian Pelz, Steuerstrafrecht
Steuerhinterziehung, § 370 AO - Tathandlung
§ 370 AO enthält in den Nummern 1 und 2 die für die Praxis wichtigen Tathandlungen. Danach begeht Steuerhinterziehung, wer
1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen
ohne richtige oder unvollständige Angaben macht oder
2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt.
A.
Allgemeines
I.
Deliktsstruktur
Bei der Steuerhinterziehung handelt es sich um ein Erfolgsdelikt. Voraussetzung
der Strafbarkeit ist, dass Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 4 S. 1 HS. 1 AO) oder
ungerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 4 S. 1 HS. 2 AO) wurden.
Nach nicht unbestrittener, aber h. M. ist die Steuerhinterziehung als Gefährdungsdelikt einzustufen, da ein Vermögensschaden nicht vorausgesetzt wird.1
In der ersten Tatbestandsalternative (unrichtige oder unvollständige Angaben)
handelt es sich um ein Begehungsdelikt, bei den Nummern 2 und 3 des Absatzes 1 um ein Unterlassungsdelikt.
II.
Bezugsgegenstand
Bezugsobjekt bei allen Tathandlungen sind Steuern oder Steuervorteile.
1.
Steuern
Der Begriff der Steuern ist in § 3 Abs. 1 - 3 AO legal definiert. Danach
sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und die von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen jedem auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an welchen das Gesetz die Leistungspflicht
1
.BGH NJW 2009, 381 384; Jäger in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 370 AO
Rn. 11; Rolletschke, Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 10ff.
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knüpft. Daneben werden auch Realsteuern sowie Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 4 Nr. 10 und 11 ZK erfasst. Steuerliche Nebenleistungen
Umstritten ist, ob auch steuerliche Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO
vom Tatbestand des § 370 AO erfasst werden. Nach herrschender Meinung
findet § 370 AO auf steuerliche Nebenleistung keine Anwendung.2 Dies
wird damit begründet, dass § 3 AO ausdrücklich zwischen Steuern und
steuerlichen Nebenleistungen differenziert und § 370 Abs. 1 AO ausdrücklich nur von der Verkürzung von Steuern spricht. Die Generalverweisung
des § 1 Abs. 3 AO, wonach auf steuerliche Nebenleistungen die Vorschriften der AO sinngemäß anwendbar sein, sei nicht konkret genug, um dem
Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG zu genügen. Dem hat sich
die ältere Rechtsprechung angeschlossen.3
Die Gegenauffassung teilt die Bedenken über die mangelnde Bestimmtheit
der Verweisungsnorm des § 1 Abs. 3 AO nicht.4 Nicht vom Tatbestand erfasst sollen nur solche steuerlichen Nebenleistungen sein, die einen
Zwangs- oder Beugecharakter haben wie Säumnis- und Verspätungszuschläge, Zwangsgelder etc. Steuerliche Nebenleistungen, bei denen die
staatliche Einnahmeerzielung im Vordergrund steht und die dem Ausgleich von Liquiditätsvor- bzw. -nachteilen bei einer nicht vollständigen
und nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung dienen, wie es bei Zinsen nach
§ 233a AO der Fall ist, sollen nach dieser Auffassung jedoch vom Tatbestand erfasst sein.5
2.
Steuervorteile
Der Begriff des Steuervorteils ist gesetzlich nicht definiert. Steuervorteil
ist danach jede Vergünstigung außerhalb des Steuerfestsetzungsverfah-
2
MünchKommStGB/Schmitz/Wulf,
2.
Aufl.,
§
370
AO
Rn.
54;
Muhler
in
Müller-
Guggenberger/Bienek, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 6. Aufl., § 44 Rn. 28; Klein/Jäger, AO,
12. Aufl., § 370 Rn. 19.
3
BGH NStZ 1981, 147; BGHSt 43, 381, 402.
4
Hübschmann/Hepp/Spitaler/Hellmann, § 370 AO Rn. 129
5
BGH NJW 2007, 2864, 2865; Schmitz/Wulf in MünchKomm StGB, § 370 AO Rn. 55;
Joecks/Jäger/Randt/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. § 370 Rn. 37.
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rens6, die zu einer Beeinträchtigung des konkreten Steueraufkommens
führt. Dazu gehören u. a.

Herabsetzung von Steuervorauszahlungen

Steuervergütungen

Stundung (§ 222 AO)

Erlass (§ 227 AO)

abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO)

Zahlungsaufschub (§ 223 AO)

Vollstreckungseinstellung (§ 257 AO)

Niederschlagung (§ 261 AO)
B.
Tatbegehung durch Tun
I.
Angaben machen
Die Angaben müssen sich nach dem Wortlaut des Gesetzes auf Tatsachen beziehen. Tatsachen sind - entsprechend der Definition im allgemeinen Strafrecht
(vgl. § 263 Abs. 1 StGB) - alle Geschehnisse und reale Fakten der Innen- und
Außenwelt, die dem Beweis zugänglich sind. Keine Tatsachen sind daher z. B.
Rechtsauffassungen, Schlussfolgerungen, Werturteile oder Subsumtionen. Auch
innere Umstände, beispielsweise die Gewinnerzielungsabsicht, stellen eine Tatsache dar.7
Unrichtig sind Angaben dann, wenn sie objektiv nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Beispiel:
S gibt in seiner Einkommensteuererklärung an, Einkünfte in Höhe von
6
Vorteile im Steuerfestsetzungsverfahren stellen demnach Steuerverkürzungen dar.
7
Zum Tatsachenbegriff vgl. Joecks/Jäger/Randt/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. § 370 Rn. 176ff.
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EUR 10.000,00 aus Vermietung und Verpachtung gehabt zu haben, während die Einkünfte tatsächlich EUR 15.000,00 betragen haben.
Unvollständig sind Angaben dann, wenn die Angaben wahrheitsgemäß waren,
aber konkludent der Anschein erweckt wird, die Angaben seien vollständig und
es gebe keine weiteren steuerlich zu erklärenden Sachverhalte.
Beispiel:
S gibt in seiner Einkommensteuererklärung lediglich Einkünfte aus nicht
selbständiger Tätigkeit an. Daneben erzielt er noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die er aber verschweigt.
Schwierig ist die Abgrenzung des Machens unvollständiger Angaben nach Abs.
1 Nr. 1 von dem Verschweigen steuerlich erheblicher Tatsachen i.S.v. Abs. 1
Nr. 2. Rolletschke8 nimmt immer einen Fall des Abs. 1 Nr. 1 an, sofern überhaupt Angaben gemacht werden, so dass Nr. 2 nur die Fallgestaltung erfasst,
dass gar keine Angaben gemacht wurden. Schmitz/Wulf9 nehmen – wenig überzeugend - aktives Tun an, wenn dies einen Verkürzungserfolg hervorgerufen
hat, sonst ein Unterlassen. Die h.M. grenzt wie folgt ab: wird bei Angaben der
Anschein der Vollständigkeit erweckt wird, wie z.B. bei Unterzeichnung einer
Steuererklärung, dann liegt ein Fall des Abs. 1 Nr. 1 vor.10
Teilweise wird als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 370 AO hineingelesen, dass eine Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit nur dann vorliege, wenn
die Finanzbehörde den wahren Sachverhalt nicht kenne, da nur dann eine Gefahr
für das Rechtsgut bestehe.11 Dem ist der BGH entgegen getreten. Auf die
Kenntnis der Finanzverwaltung komme es nicht an.12 Dies ergebe sich zum einen aus dem Gesetzeswortlaut, der – anders als der Betrug - einen Irrtum nicht
voraussetze. Zudem ergibt sich aus § 370 Abs. 2 Nr. 3 AO, dass auch bei positiver Kenntnis des Finanzbeamten bei kollusivem Zusammenwirken eine Straf-
8
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 39.
9
Münchener Kommentar StGB, § 370 AO Rn. 225.
10
Joecks/Jäger/Randt/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. § 370 Rn. 184; Flore in Flore/Tsambikais,
Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 143.
11
MünchKommStGB/Schmitz/Wulf, 2. Aufl, 3 370 AO Rn. 260ff.
12
BGH NStZ 2011, 283. Steinberg wistra 2012, 45ff.
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barkeit gerade nicht entfalle. Schließlich wirke beim Begehungsdelikt der Nr. 1
anders als beim Unterlassen nach Nr. 2 die Täuschung in einem Taterfolg fort.
In den Steuererklärungen werden typischerweise lediglich komprimierte Zahlenangaben eingetragen, ohne dass dem eine Sachverhaltsschilderung zugrunde
liegt. Die Ermittlung der einzutragenden Beträge hängt dabei von der steuerrechtlichen Beurteilung und von der Rechtsauffassung darüber ab, was und inwiefern ein Umstand steuerrechtlich erhebliche oder unerheblich ist. Fraglich ist
daher, was Bezugspunkt für die Beurteilung der Richtigkeit bzw. ohne Richtigkeit von Angaben ist.
Nach einer Auffassung sind Angaben nur dann unrichtig, wenn sie von allen
gängigen Rechtsauffassungen abweichen13 bzw. umgekehrt gesprochen, sie sind
richtig, wenn den Tatsachenangaben eine vertretbare Rechtsansicht zugrunde
gelegt wurde.14
Nach der überwiegenden Ansicht ist auf den typisierten Empfängerhorizont der
Finanzverwaltung abzustellen, wie sie sich aus der Rechtsprechung der Finanzgerichte oder den Richtlinien der Finanzverwaltung ergibt.15
„So steht es dem Steuerpflichtigen nicht etwa frei, den Steuerbehörden aus einem Gesamtsachverhalt nur einen Teil der Tatsachen richtig vorzutragen und
sie im übrigen nach Maßgabe einer nicht offengelegten, ersichtlich strittigen eigenen rechtlichen Bewertung des Vorgangs zu verschweigen, obwohl die Einzelheiten für die steuerliche Beurteilung bedeutsam sein können. Nach § 90 Abs.
1 Satz 2 AO haben die Beteiligten im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten im
Besteuerungsverfahren die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO müssen die
Angaben nicht nur richtig sein, sondern auch vollständig. Da sich hinter den
mitgeteilten Zahlen die verschiedensten Sachverhalte verbergen können, die für
das Finanzamt nicht erkennbar sind, besteht zumindest eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv
zweifelhaft ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die von dem Steuerpflichtigen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder
die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der
Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht. In einem derartigen Fall kann es ausreichend sein, die abweichende Rechtsauffas-
13
Harms, StbG 2005, 12, 14.
14
Joecks/Jäger/Randt/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. § 370 Rn. 181.
15
BGH NStZ 2000, 2003, 2004; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,
§ 370 Rn. 33; instruktiv: Peters NZWiSt 2012, 361ff.
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sung mitzuteilen, wenn deren Schilderung die erforderliche Tatsachenmitteilung
enthält.“
Die Finanzbehörden pflegen traditionell eine Verwaltungspraxis, derzufolge sie
nicht alle höchstrichterlichen Urteile über den entschiedenen Fall hinaus anerkennen.16 Oftmals reagiert die Finanzverwaltung auf unliebsame Urteile
dadurch, dass sie ausdrücklich erklärt, diese über den entschiedenen Fall nicht
gelten lassen zu wollen (sog. Nichtanwendungserlass). Auch in solchen Fällen
ist Maßstab für die Beurteilung der Richtigkeit von Angaben die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung, dies selbst dann, wenn sie höchstrichterlicher Rechtsprechung widerspricht. Legt der Steuerpflichtige seinen Angaben jedoch die Rechtsauffassung der Rechtsprechung zugrunde, wird es aber
häufig an einem Vorsatz zur Steuerverkürzung fehlen.
Beispiel (angelehnt BGH NStZ 2008, 407)
S hält die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG zur Steuerpflicht für private Veräußerungsgeschäfte für verfassungswidrig, da aufgrund der fehlenden Überprüfbarkeit der in der Steuererklärung gemachten Angaben ein
rechtsstaatswidriges strukturelles Vollzugsdefizit bestehe. Er macht daher
keine Angaben zu erzielten Spekulationsgewinnen.
Lösung:
Die völlig unterlassenen Angaben zu Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften führen bei typisiert objektiver Betrachtung zu dem Eindruck, Spekulationsgewinne seien nicht entstanden. Die Angaben waren
insoweit unvollständig. S hätte seine abweichende Rechtsauffassung explizit kundtun müssen.
Erforderlich ist daher, dass der Steuerpflichtige bei Geltendmachung einer abweichenden Rechtsauffassung alle diejenigen Tatsachengrundlagen mitteilt, die
die Finanzbehörde zur eigenen rechtlichen Beurteilung benötigt; ggf. ist der
Sachverhalt in einem Begleitschreiben o.ä. so ausführlich zu schildern, wie es
zu einer umfassenden rechtlichen Beurteilung notwendig ist.17
16
Von der Finanzverwaltung über den entschiedenen Einzelfall hinaus anerkannte Urteile des BFH
werden im Bundessteuerblatt (BStBl.) veröffentlicht.
17
Peters NZWiSt 2012, 361ff.
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Bei einer noch unklaren Rechtslage, bei der auch keine Rechtsauffassung der
Finanzverwaltung bekannt ist, wird man eine unrichtige Angabe schon dann
verneinen müssen, wenn die der Angabe zugrundeliegende Rechtsauffassung jedenfalls vertretbar ist.
II.
Steuerliche Erheblichkeit
Die Angaben müssen sich auf steuerlich erhebliche Tatsachen beziehen. Welche Tatsachen steuerlich erheblich sind, beurteilt sich nach den maßgeblichen
Steuergesetzen sowie dem Empfängerhorizont der Finanzverwaltung.
Beispiel:
S gibt in seiner Einkommensteuererklärung an, dass die Entfernung zwischen seiner Wohnung und seiner Arbeitsstätte 40 km beträgt. Ferner trägt
er das Kennzeichen seines Pkw ein. Die kürzeste Entfernung zur Arbeitsstätte beträgt 25 km. Da dies über viele Ampeln führt, beläuft sich die
Strecke bei einer Alternativroute mit deutlicher Zeitersparnis auf 35 km.
Da S seine Freundin sehen möchte, wählt er regelmäßig einen Umweg und
wählt stets den längeren Weg von 40 km über die Autobahn. Die Fahrt
führt er tatsächlich mit dem Pkw seiner Eltern durch.
Lösung:
Mit welchem Pkw die Fahrstrecke zurückgelegt wird, ist für die Betriebsausgabeneigenschaft unerheblich. Betriebsausgaben werden als Pauschbetrag für die Benutzung jedes Kraftfahrzeugs in gleicher Höhe gewährt.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 S. 3 EStG kann eine andere als die kürzeste Straßenverbindung als Betriebsausgabe dann geltend gemacht werden, wenn sie
offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig benützt wird. Ein Umweg zum Besuch der Freundin kann nicht steuermindernd geltend gemacht werden. S hätte als Entfernung lediglich 25 km angeben dürfen. Die Kosten der verkehrsgünstigeren Strecke sind nicht ansetzbar, da S diese nicht befahren hat.
Die Täuschung über Beweismittel, z. B. die Anfertigung fingierter Rechnungen, stellt grundsätzlich keine Tathandlung nach Nr. 1 dar, sofern die steuerlich
erheblichen Tatsachen in Wirklichkeit vorliegen. Etwas anderes gilt nur für die
Fälle, in denen die Beweismittel materielle Voraussetzung für die steuerliche
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Behandlung sind, wie beispielsweise der Rechnungsinhalt bei Bewirtungsrechnung nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG.18
III. Gegenüber Finanzbehörden
Unwichtige Angaben müssen gegenüber Finanzbehörden oder sonstigen Stellen
gemacht werden. Finanzbehörden sind die Bundes- und Landesfinanzbehörden
nach § 1,2 FVG. Sonstige Stellen können auch beispielsweise Staatsanwaltschaften oder Finanzgerichte sein.
IV. Täter
Täter einer Tathandlung nach Nr. 1 kann jeder sein, nicht nur der Steuerpflichtige. Als Täter kommen insbesondere in Betracht der Steuerberater, der Steuererklärungen oder sonstige Erklärungen gegenüber Finanzbehörden selbst abgibt
oder auch Mitarbeiter eines Unternehmens, die steuerlich erhebliche Tatsachen
vor den für die Steuererklärung zuständigen Mitarbeitern verheimlichen (mittelbare Täterschaft).
C.
Pflichtwidrig in Unkenntnis lassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
I.
Deliktscharakter
Es handelt sich hierbei um ein Unterlassungsdelikt. Alle Merkmale der Unterlassungstäterschaft (Garantenstellung, Unterlassen, Möglichkeit, Zumutbarkeit)
müssen vorliegen.
II.
Erklärungspflicht
Erklärungspflichten über steuerlich erhebliche Tatsachen ergeben sich aus dem
jeweiligen Einzelgesetzen. Die jeweiligen Einzelgesetze bestimmen auch, welche Angaben gemacht werden müssen. Bei den wesentlichen steuerlichen
Pflichten handelt es sich zum einen um Steuererklärungspflichten, einschließlich der darin zu machenden Angaben, zum anderen um steuerliche Anzeigepflichten. Derartigen Pflichten können sich ergeben (Auswahl) aus
18
Münchener Kommentar StGB/Schmitz/Wulf, 2. Aufl., § 370 AO Rn. 237ff.
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–
§ 25 EStG (Einkommensteuererklärung)
–
§ 18 UStG (Umsatzsteuervoranmeldung und -jahreserklärung)
–
§ 17 UStG (Änderung der Bemessungsgrundlage)
–
§ 67 EStG (Antrag auf Kindergeld)
–
§ 31 KStG (Körperschaftsteuererklärung)
–
§ 41a EStG (Anmeldung von Lohnsteuer)
–
§ 31 ErbStG (Erbschaft-/Schenkungsteuererklärung)
–
§ 153 AO (Berichtigungsverpflichtung)
–
§ 138 AO (Mitteilung der Erwerbstätigkeit)
–
§ 30 ErbStG (Mitteilung von der ErbStG unterliegenden Erwerben)
III. Unkenntnis der Finanzbehörde
Da tatbestandsmäßig das in Unkenntnis lassen ist, wird der Tatbestand nicht erfüllt, wenn die Finanzbehörde positive Kenntnis der steuerlich erheblichen
Umstände hat. Hierbei reicht es aber nicht aus, wenn eine entsprechende Kenntnis irgendwo in der Finanzverwaltung vorliegt, sondern es ist die positive
Kenntnis des für die Bearbeitung zuständigen Sachbearbeiters erforderlich.19
IV. Täter
Täter einer Unterlassung nach Nr. 2 ist derjenige, dem nach den steuerlichen
Vorschriften eine Erklärungs- oder Anzeigepflicht auferlegt wurde, d. h. regelmäßig der Steuerpflichtige bzw. die Personen, die nach § 14 StGB vom Steuerpflichtigen mit entsprechenden Aufgaben betraut wurden. Der BGH hat jüngst
entschieden, dass auch die Nr. 2 ein Jedermann-Delikt sei, Täter also nicht nur
19
BGH wistra 2000, 63, 64; Rolletschke in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,
§ 370 AO Rn. 66.
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der Steuerpflichtige selbst sein könne.20 Allerdings müsse den Täter selbst nach
dem Wortlaut der Strafnorm eine Pflicht zur steuerlichen Aufklärung treffen.
V.
Weitere Tatbestandsvoraussetzungen
Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen. Der Zumutbarkeit kann im Einzelfall der „nemo tenetur“-Grundsatz entgegen stehen.21
VI. Berichtigungspflichten
Ein in Unkenntnis lassen kann auch durch ein Unterbleiben einer Berichtigung
erfolgen.
Wurden zutreffende Steuererklärungen abgegeben und unterläuft den Finanzbehörden ein Irrtum oder ein Fehler, so ergibt sich für den Steuerpflichtigen weder
aus den Vorschriften der AO noch aus den Grundsätzen des Unterlassungsdelikts eine Hinweis- oder Aufklärungspflicht. Eine Rechtspflicht, Finanzbehörden auf Fehler aufmerksam zu machen, besteht nicht. Eine allgemeine Garantenpflicht ergibt sich weder aus Ingerenz noch aus einem anderen Gesichtspunkt.
Wurden in der Vergangenheit unrichtige Steuererklärungen abgegeben und erkennt der Steuerpflichtige, sein Gesamtrechtsnachfolger oder eine nach
§§ 34, 35 AO für diesen handelnde Person dies nachträglich, ergibt sich aus
§ 153 Abs. 1 AO eine Anzeige- und Berichtigungspflicht. Voraussetzung für
das Eingreifen der Berichtigungspflicht ist, dass der Steuerpflichtige nachträglich die Unrichtigkeit einer von ihm oder auch für ihn abgegebenen Steuererklärung erkennt. Hatte er bei Abgabe der Steuererklärung schon positive Kenntnis
von der Unrichtigkeit, findet § 153 AO keine Anwendung.
Umstritten ist die Lösung der Fallgestaltung, in denen der Steuerpflichtige bei
Abgabe der Steuererklärung zwar keine positive Kenntnis von der Unrichtigkeit,
eine solche aber in Kauf genommen hatte (bedingt vorsätzliche Unkenntnis).
20
BGH NJWt 2013, 2449, 2452; Höll wistra 2013, 214; Reichling/Lange NStZ 2014, 311.
21
Dazu später im Abschnitt „Besonderheiten des Steuerstrafverfahrens“.
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Nach einer Auffassung scheidet in diesen Fällen eine Berechtigungspflicht aus,
da ein nachträgliches Erkennen nicht vorliegt und andernfalls die bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung zu einem Dauerdelikt (bis zu deren Berichtigung)
werde.22
Demgegenüber will die neuere Rechtsprechung eine Berichtigungspflicht auch
bei bedingt vorsätzlich falschen Angaben annehmen.23 Begründet wird dies damit, dass auch bei einem Rechnen mit falschen Angaben bei wörtlicher Auslegung die Unrichtigkeit erst nachträglich erkannt werden kann. Zudem wird argumentiert, dass nach Sinn und Zweck der Berichtigungsvorschrift angesichts
des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine Berichtigung auch
für bedingt vorsätzlich unrichtige Angaben bestehen soll.
22
Joecks/Jäger/Randt/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. § 370 Rn. 263f.; Münchener Kommentar
StGB Schmitz/Wulf, 2. Aufl, § 370 AO Rn. 307ff.
23
BGH NJW 2009, 1984, 1986; Klein/Jäger, AO, 12. Aufl., § 370 Rn. 63.
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