07 Steuerstrafverfahren

WS 2015/2016
Dr. Christian Pelz, Steuerstrafrecht
Das Steuerstrafverfahren
I.
Grundzüge
Das Steuerstrafverfahren folgt nach § 385 AO den Regelungen des normalen
Strafverfahrens. Insbesondere finden die Vorschriften der StPO Anwendung, sofern in den §§ 386 ff. AO keine abweichenden Regelungen getroffen wurden.
In Steuerstrafverfahren können – abweichend von den Regelungen der StPO –
nach § 392 AO auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer
oder vereidigte Buchprüfer als Verteidiger auftreten. Dies allerdings nur solange
das Verfahren von der Finanzbehörde selbständig geführt wird. Wird die Sache
an die Staatsanwaltschaft oder das Gericht abgegeben, können nur noch Rechtsanwälte als Verteidiger auftreten
II.
Gang des Steuerstrafverfahrens
1.
Verdachtsgewinnung
Steuerstrafverfahren werden eingeleitet, wenn die Finanzbehörden Anhaltspunkte für die Begehung von Steuerstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten erlangen. Solche Informationen können u.a. stammen aus
2.
–
Anzeigen und Mitteilungen,
–
eigenen Recherchen und Ermittlungen,
–
Mitteilungen im Rahmen von Außenprüfungen,
–
Informationsweitergabe durch andere Ermittlungsbehörden, Sozialversicherungsträger oder sonstige Stellen,
–
Informationsaustausch nach den Doppelbesteuerungsabkommen.
Einleitung des Steuerstrafverfahrens
Nach § 392 AO ist die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens mit Zeitangabe (Datum, Uhrzeit) in den Akten zu vermerken. Damit soll dokumen-
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tiert werden, wann ein Sperrgrund für eine Selbstanzeige nach § 371 Abs.
2 Nr. 2 bzw. Nr. 1 Buchstabe b) AO eingetreten ist.
3.
Weitere Ermittlungen
Die Ermittlungen in Steuerstrafverfahren unterscheiden sich nicht wesentlich von sonstigen strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen. Hauptinformationsquelle ist die Auswertung der Steuerakten, daneben aber auch die
Vernehmung von Zeugen bzw. Auskunftsersuchen an Banken oder andere
Stellen.
In nicht wenigen Fällen finden Durchsuchungen und Beschlagnahmungen
bei den Beschuldigten oder Dritten statt. Dies insbesondere dann, wenn
„verdeckte“ Ermittlungen keinen Erfolg versprechen und die Finanzbehörden glauben, dass die Beschuldigten bei Bekanntwerden von Ermittlungen
Beweismittel beseitigen oder auf Zeugen einwirken könnten.
Zur Sicherung von Steueransprüchen kann bereits zu einem frühen Zeitpunkt auch der Erlass von Arresten oder Schätzbescheiden erfolgen.
III. Verhältnis Steuerstrafverfahren und Besteuerungsverfahren
Das Steuerstrafverfahren und ein Veranlagungsverfahren können parallel nebeneinander durchgeführt werden. § 393 Abs. 1 AO bestimmt, dass sich die
Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten nach den jeweiligen Verfahrensarten bestimmen. Mit Einleitung des Steuerstrafverfahrens können jedoch nach
§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen dann nicht
mehr eingesetzt werden, wenn er dadurch gezwungen würde, sich wegen einer
von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten
(nemo tenetur se ipsum accusare).
Besonders problematisch ist die Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen. Hat der Steuerpflichtige keine oder falschen Angaben ist Steuererklärungen
gemacht, müsste er sich selbst belasten, wenn er für den gleichen Besteuerungszeitraum eine Steuererklärung abgeben müsste. Eine mittelbare Selbstbelastung
träge ein, wenn er für nachfolgende Besteuerungszeiträume Steuererklärungen
abgeben müsste, weil hierdurch mittelbar Schlussfolgerungen auf die Unrichtig-
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keit bisheriger Angaben gemacht werden konnten. Dieses Spannungsfeld ist
nach der Rechtsprechung1 wie folgt zu lösen:
–
Die Strafbewährung der Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ist für
die Jahre suspendiert, auf die sich das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren bezieht.
–
Bezieht sich das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren auf die Abgabe
unrichtiger Steuervoranmeldungen, ist auch die Strafbewährung der Verpflichtung zur Abgabe der Jahreserklärung suspendiert.
–
Hinsichtlich anderer Veranlagungszeiträume, auf die sich das Steuerstrafverfahren nicht erstreckt, müssen vollständige und wahrheitsgemäße Steuererklärungen abgegeben werden.
Offengelassen hat der BGH, ob infolge der Verpflichtung zur Abgabe zutreffender Steuererklärung für andere als die vom Ermittlungsverfahren umfassten
Zeiträume hinsichtlich einer möglichen mittelbaren Selbstbelastung ein Verwertungsverbot ähnlich dem Gemeinschuldnerbeschluss2 anzunehmen ist3.
Suspendiert ist im vorgenannten Umfang lediglich die Strafbewährung der
Nichtabgabe einer Steuererklärung. Werden ungeachtet dessen steuerliche Angaben gemacht, die aber inhaltlich unrichtig sind, steht dies einer Strafverfolgung nicht entgegen.
Die unterbliebene Erzwingbarkeit ändert aber nichts daran, dass die sonstigen
Regelungen im Besteuerungsverfahren Anwendung finden können, so insbesondere die Möglichkeit zur Schätzung.
Vergleichbare Probleme stellen sich auch in der Fallgestaltung, in welcher ein
Steuerpflichtiger Einkünfte aus Straftaten (§ 40 AO) erklären muss. Die Herkunft aus einer deliktischen Einkunftsquelle steht der Erklärungspflicht daher
nicht entgegen. Der Steuerpflichtige braucht aber die Einkünfte lediglich betragsmäßig anzugeben und ist von der Verpflichtung zu weitergehenden Erklä-
1
BGH NJW 2001, 3638, 3641; NStZ 2002, 436.
2
BVerfGE 56, 37, 41.
3
BGH NJW 2001, 3638, 3641.
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rungen, insbesondere solche zur deliktischen Herkunft der Einkünfte suspendiert4.
IV. Verwertungsverbote
Regelungen über Verwertungsbeschränkungen enthalten insbesondere §§ 393
Abs. 2, Abs. 3 AO. Nach § 393 Abs. 2 Satz 1 AO dürfen Kenntnisse von Tatsachen oder Beweismitteln aus einem Besteuerungsverfahren für die Verfolgung
von Nichtsteuerstraftaten nicht verwendet werden, wenn der Steuerpflichtige sie
den Finanzbehörden vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis dessen in Erfüllung steuerlicher Pflichten offenbart hat.
Beispiel:
S macht im Rahmen seiner ESt-Erklärung Werbungskosten für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt für die Anschaffung aller NJW-Ausgaben seit 1947
geltend und legt zu diesem Zweck eine gefälschte Rechnung vor.
Lösung:
Das Verwertungsverbot des § 393 Abs. 2 Satz 1 AO greift nicht ein, da die
Vorlage von Rechnungen für die Abgabe von Steuererklärungen nicht gesetzlich vorgesehen war und die Handlung somit nicht in Erfüllung steuerlicher Pflichten erfolgte.
Beispiel5:
Wie vor. S hat die gefälschte Rechnung erst auf ausdrückliche Anforderung durch das Finanzamt vorgelegt.
Lösung:
Nach §§ 90 Abs. 1, 150 Abs. 2 AO muss der Steuerpflichtige vollständige
und nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsmäßige Angaben machen.
Vorsätzlich falsche Angaben erfolgen nicht in Erfüllung steuerlicher
Pflichten. Der nemo tenetur-Grundsatz rechtfertigt nicht die Begehung
neuen Unrechts.
In gleicher Weise steht bei einer im Rahmen einer Selbstanzeige nach § 371 AO
aufgedeckten Nichtsteuerstraftat der nemo tenetur-Grundsatz einer Strafverfol-
4
BGH NStZ 2006, 2010, 2014.
5
BGH NStZ 2004, 582.
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gung wegen dieser Nichtsteuerstraftat nicht entgegen, da der Steuerpflichtige
nicht zu einer Selbstanzeige gezwungen ist6.
Ein Verwertungsverbot besteht nach § 393 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, sofern es um
Straftaten geht, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Umstritten ist, ob diese Vorschrift verfassungswidrig ist7 oder nicht8.
Nach h. M. folgt aus § 393 Abs. 2 AO ein umfassendes Verwendungsverbot, das
nicht nur die Verwertung als Beweismittel, sondern auch seine Nutzung als Anknüpfungstatsache für weitere Ermittlungen ausschließt.9 Während zum Teil ein
reines strafrechtliches Verwertungsverbot als reines Beweismittel Verwendungsverbot angenommen wird10. Eine Fernwirkung des Verwendungsverbots
wird überwiegend abgelehnt.
V.
Ankauf von Steuerdaten
Eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren der vergangenen Jahre wurde dadurch
eingeleitet, dass die Finanzverwaltung von Informanten CDs mit Daten von
Kunden verschiedener, meist Schweizer oder Liechtensteinischer Banken, angekauft hat.11
In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass durch den Erwerb von derartigen Steuerdaten sich die damit betroffenen Mitarbeiter der Finanzverwaltung selbst strafbar gemacht haben, zumindest nach § 17 Abs. 2 Nr.
2 UWG oder wegen Beihilfe zu § 17 Abs. 1 UWG12. Ein Fall der straflosen
notwendigen Teilnahme liege deshalb nicht vor, weil die Finanzbehörden sich
6
BGHSt 49, 136, 146; BVerfG NJW 2005, 352.
7
Klein/Jäger § 393 AO, Rn. 57; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 393
AO Rn. 100.
8
Rüster wistra 1988, 49, 51; offen gelassen BVerfG wistra 1988, 302.
9
Nikolaus in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 Rn. 126; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, Wirt-
schafts- und Steuerstrafrecht, § 393, Rn. 83; LG Göttingen wistra 2008, 231
10
Klein/Jäger, AO 10. Aufl., § 393, Rn. 51
11
Vgl. allgemein Kleiner/Göres NJW 2008, 1353; Trüg/Habetha NJW 2008, 887; Ignor/Jahn JuS
2010, 390; Trüg StV 2011, 111; Kauffmann JA 2010, 597.
12
Träg/Habetha NJW 208, 887, 889; Spernath NStZ 2010, 307, 309; a.A. Kaiser NStZ 2011, 383,
388, der eine notwendige Teilnahme annimmt.
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nicht auf die Entgegennahme der Beweismittel beschränkt haben, sondern durch
das Verlangen nach Proben der Daten und die Verhandlung des Kaufpreises
deutlich über das Minimalmaß an Mitwirkung hinausgegangen sind.
Eine Rechtfertigungssituation wird abgelehnt. Weder liege Notwehr nach § 32
StGB noch rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB vor. Zweifelhaft ist schon,
ob wegen des Grundsatzes der Abschnittsbesteuerung bei alten Daten überhaupt
noch von einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff gesprochen werden
kann, denn die auf den CDs enthaltenen Daten können allenfalls Aufschluss
über in der Vergangenheit begangene Steuerhinterziehungen bieten. Allenfalls
indiziell können sich daraus Vermutungen über auch heute noch vorhandenes
Vermögen ableiten lassen. Zudem kann der Rückgriff auf Rechtfertigungsgründe den Katalog der nach der StPO zulässigen Ermittlungshandlungen nicht erweitern.
Insbesondere aus dem Umstand, dass nicht nur die das Beweismittel anbietende
Privatperson eine Straftat begangen haben, sondern auch die Strafverfolgungsorgane, wird daraus nach der h.M. abgeleitet, dass insoweit ein Beweisverwertungsverbot eingreifen müsse.
Dies wird von der Rechtsprechung jedoch abgelehnt.13 Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 09.11.201014 jedoch entschieden, dass ein Beweisverwertungsverbot aus verfassungsrechtlichen Gründen bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherung planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, anzunehmen sei. Sonst bestehe ein absolutes Beweisverwertungsverbot lediglich bei unzulässigen Eingriffen in den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung.
Ein Verbot der Verwertung von Beweismittel, die private Dritte rechtswidrig erlangt haben, besteht verfassungsrechtlich nicht. Eine Entscheidung, ob völkerrechtliche Gesichtspunkte einer Verwertung entgegenstehen oder sich auch die
Strafverfolgungsbehörden strafbar gemacht haben, hat das BVerfG nicht getroffen, sondern sich mit der Feststellung begnügt, dass die dem entgegenstehenden
Entscheidungen der Vorinstanz jedenfalls nicht willkürlich erfolgt sind.
13
LG Düsseldorf wistra 2011, 37; NStZ-RR 2011, 84; FG Köln EFG 2011, 1215.
14
NStZ 2011, 103.
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