„Hände weg vom Steuer!“

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Wie autonomes Fahren zum nachhaltigen Erfolg wird
„Hände weg vom Steuer!“
Autonomes Fahren ist in Deutschland angekommen und genießt große Aufmerksamkeit. Doch Erfolgsfaktoren und Ökosystem unterscheiden sich von den klassischen automobilen Innovationen. Autonomes Fahren
hat das Potenzial, den Automobilmarkt in den kommenden beiden Dekaden nachhaltig zu revolutionieren –
und so könnte es eine der größten disruptiven Innovationen seit der Einführung des Automobils selbst sein.
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Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015
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Autonomes Fahren, also das selbstständige Fortbewegen von
Fahrzeugen, ist derzeit in aller Munde. Ob sich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt PR-wirksam hinter
das Lenkrad einer autonom fahrenden Luxuslimousine setzt,
­Serienfahrzeuge alleine über Rennstrecken düsen oder aber
selbstfahrende LKW deutscher Hersteller über die Straßen
Nevadas donnern – Deutschland holt auf. Nahezu alle großen
deutschen Automobilhersteller beschäftigen sich mittlerweile
mit diesem Thema. So erforscht beispielsweise ­Volkswagen
mit dem „intelligent Car“ – dem iCar – Fahrsituationen, in
denen automatische Abläufe den Fahrer sinnvoll ­unterstützen
können, und Daimler testet neben LKW in ­Nevada auch in
Deutschland mit dem S 500 Intelligent Drive, wie ­eigenständig
autonom fahrende Fahrzeuge wirklich a­ gieren können.
„­Unsicherheitsfaktor“ Mensch weiter minimieren. Doch
inwieweit wollen sich Fahrer das Lenkrad komplett aus
der Hand nehmen lassen? Wann muss, wann kann, wann
möchte der Fahrer selbst eingreifen? Kann ein „AutonomicModus“ ähnlich wie ein Tempomat dazu geschaltet werden?
Bei ­welchen Nutzergruppen und in welchen Baureihen erscheinen solche Zusatzoptionen sinnvoll? Werden Fahrer nach
wie vor die Fahrzeug-Automatik durch eigenes Eingreifen außer Kraft setzen können, oder wird das Fahrzeug in gewissen
Situationen autonom in das Fahrverhalten des Fahrers eingreifen können? Die Beantwortung dieser Fragen sowie die Aufklärung potenzieller Nutzer über die Vorteile von autonom
fahrenden Fahrzeugen sind dabei für die Automobilhersteller
essenziell.
Der Kunde als Erfolgsfaktor
Zeit- und Effizienzgewinn
Damit jedoch autonomes Fahren zu einem Erfolgsgaranten
für die Automobilindustrie und vor allem die Automobilhersteller wird, müssen verschiedene Faktoren beachtet
­werden. Hierbei stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit
einzelne, alt bewährte Industriestrukturen und Geschäftsmodelle dazu in der Lage sind, dem Fahrer – also dem
­Kunden von Automobilherstellern und Mobilitätsanbietern –
signifikante Mehrwerte bereitzustellen. Automobilhersteller
sollten sich also nicht nur mit technischen, regulatorischen
oder datenschutzrechtlichen Fragestellungen auseinandersetzen, sondern vielmehr der ­Frage nachgehen, welche Vorteile
für den Passagier autonom fahrender Fahrzeuge entstehen.
Die Automobilhersteller, die sich mit autonomem Fahren
beschäftigen, sind sich weitestgehend darüber einig, dass man
als Fahrer die Zeit, während der das Fahrzeug das Fahren übernimmt, besser nutzen kann: Ob entspanntes Dahingleiten im
hektischen Verkehr, das Schreiben von E-Mails oder auch die
intensive Nutzung des Smartphones während der Reise von
A nach B – alles scheint denkbar. Autonom fahrende Fahrzeuge sind dazu in der Lage, diese neu gewonnene Zeit mit der
unschlagbaren Flexibilität von Automobilen zu verbinden,
denn anders als bei öffentlichen Verkehrsmitteln müssen keine
Fahrpläne beachtet werden. Dabei ist es für ­Automobilhersteller
jedoch wichtig zu verstehen, wie konkret die unterschiedlichen
Fahrertypen die nun zur Verfügung stehende Zeit ­
nutzen
­werden – und welche Features in den Fahrzeugen hierfür benötigt werden. Werden überhaupt noch fest installierte Multimedia-Devices benötigt? Oder gilt die Devise: „Bring your
own device“, da das Smartphone während des „AutonomicModus“ ohnehin intensive Nutzung erfährt? Doch wie schaffen es ­Automobilhersteller dann, die intensiven SmartphoneNutzer an das eigene Marken-Ökosystem zu b
­ inden? Wird es
für Automobilhersteller unumgänglich, eigene Applikationen
auf den Markt zu bringen, die eine Bindung des Kunden an
die Marke forcieren? Wie sehen Mehrwert-bringende Use
Cases für solche Applikationen aus? Wie können diese neuen
­Angebote den Use Case autonomes Fahren sinnvoll ergänzen?
Die Frage lautet schlicht:
> Wie sieht die „Unique Selling Proposition“ autonom fahrender Fahrzeuge aus?
Um dieser Frage nachzugehen, sollten sich A
­ utomobilhersteller
vor allem mit den folgenden drei Aspekten befassen, die aus
Sicht von potenziellen Kunden beim autonomen Fahren im
Vordergrund stehen.
Sicherheit
Autonom fahrende Fahrzeuge versprechen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Teilautonom fahrende Fahrzeuge sind
durch Fahrerassistenzsysteme bereits h
­ eute dazu in der Lage,
einen bestimmten Mindestabstand zum Vordermann einzuhalten, in Gefahrensituationen ­
aktiv mit zu bremsen oder
auch ­
Ausweichmanöver e­igenständig durchzuführen. Vollständig autonom fahrende Fahrzeuge können dabei den
Intermodale – autonome - Mobilität
Die Fragen nach dem „Wer?“ und „Wie?“ des autonomen
­Fahrens spielt auch hinsichtlich der sich wandelnden Mobilität
eine große Rolle. Das Thema intermodale Mobilität, also die
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Nutzung unterschiedlicher Transportmittel, ist dabei ­besonders
im urbanen Umfeld von Bedeutung, wodurch sich auch neue
Potenziale für Automobilhersteller erschließen lassen. Die
Verbindung von Carsharing-Konzepten und selbst fahrenden
Fahrzeugen könnte einer der größten Trends im Automobilbereich werden, da sich die Vorteile beider Welten synergetisch
miteinander verbinden lassen: Zeitgewinn und Steigerung der
Effizienz auf der einen Seite sowie die völlig flexible Nutzung
von Fahrzeugen „on demand“ auf der anderen Seite.
Autonomes Fahren bietet dabei die Chance für
­Automobilhersteller, neben dem klassischen Verkauf von
Fahrzeugen immer mehr zum Mobilitätsanbieter zu werden.
So könnte man sich Carsharing-Fahrzeuge zukünftig „on demand“ reservieren, so dass diese eigenständig den Weg vor die
eigene Haustür finden. Hierdurch könnten auch junge Käufergruppen frühzeitig an die jeweilige Marke und das MarkenÖkosystem gebunden werden. Das würde junge Mobilitätsnachfrager bereits früh für die Innovationskraft der eigenen
Marke sensibilisieren, um sie in späteren Lebensphasen dazu
zu motivieren, ein Fahrzeug der eigenen Marke zu erwerben.
Diese Schaffung eines ganzheitlichen Mobilitätsangebotes für
jede Käufergruppe könnte für Automobilhersteller zu einem
echten Wettbewerbs- und Positionierungsvorteil werden – und
somit zu einer echten „Unique Selling Proposition“.
Autonomes Fahren als Wettbewerbsvorteil nutzen
Autonomes Fahren bietet großes Potenzial, darin sind sich
alle Experten einig. Viele Umfragen und Studien haben
sich bereits mit dem Thema beschäftigt, meist mit der mehr
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oder minder vorhersagbaren Erkenntnis, dass die Probanden ­solcher ­Studien prinzipiell die Bereitschaft signalisieren,
­autonom ­fahrende Fahrzeuge zu kaufen. Die wesentliche Frage
lautet jedoch, welche Formen des Konzeptes vom eigenständig ­fahrenden Fahrzeug sprechen welche Käufergruppen an?
Die Herausforderung für Automobilhersteller besteht darin,
herauszufinden, welche wirklichen Vorteile autonomes Fahren
bietet. Potenzielle Kunden müssen nicht nur vom Nutzen
­eigenständig fahrender Fahrzeuge überzeugt werden, sondern
auch langfristig an ein besonderes Mobilitätserlebnis – und
somit an die eigene Marke sowie das Marken-Ökosystem –
­gebunden werden. Dabei sollte die Passung mit dem eigenen
Branding oberstes Gebot sein, um die verschiedenen Käufergruppen mit dem richtigen Mobilitätsangebot zu versorgen.
Nur durch eine solche Positionierung können es Automobilhersteller schaffen, sich von Wettbewerbern abzugrenzen.
Die Automobilhersteller stehen dabei vor der großen Chance,
eine der größten Revolutionen des Fahrens seit der E
­ inführung
des Automobils als echten Wettbewerbsvorteil zu nutzen.
Ging es in den vergangenen Jahrzehnten beim Automobil um
­Dynamik, Sportlichkeit, Komfort, Status, Platzangebot, Kraft
oder auch Zuverlässigkeit, geht es beim autonomen Fahren
nun vor allem um die Frage, wie ich von A nach B komme und
was Fahrer während dieser Zeit tun können. Es geht um Mobilität im klassischen Sinne. Mit dem autonomen Fahren werden
Fahrzeuge plötzlich wieder auf das reduziert, wozu sie erschaffen wurden: als Fortbewegungsmittel. Die Automobilbranche
sollte diese Chance nutzen und sich fragen, wie sie neben der
Produktion von Fahrzeugen ein ganzheitliches Mobilitätserlebnis für alle Käufergruppen erlebbar machen können.
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Auch Detecon beschäftigt sich aktuell intensiv mit diesen
Fragestellungen. Dabei gehen wir aktuell in einer Studie der
Frage nach, welche Vorteile potenzielle Käufer wirklich mit
dem Thema autonomes Fahren assoziieren und wie sich hierauf ihr potenzielles Nutzungs- und Kaufverhalten auswirkt.
In Kürze werden wir Ergebnisse aus dieser Endkonsumentenbefragung veröffentlichen.
Dr. Stefan Gladbach beschäftigt sich mit digitalen Geschäftsmodellen rund um
das vernetzte Leben mit dem Schwerpunkt auf Connected Car. Ihn beschäftigt
vor allem die Frage, wie große Konzerne innovative Themen dynamisch und agil
vorantreiben können – und dabei über den Tellerrand hinaus denken.
An dieser Stelle sei Lars Richter gedankt, der als Masterand bei Detecon das
Thema autonomes Fahren aus einer Endkonsumenten-Perspektive erforscht
und an der Erstellung dieses Artikels mitgewirkt hat.
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