Bedienen und Beobachten als „Schlüsselprozesse“

Automation
Bedienen und Beobachten
als „Schlüsselprozesse“
Michael Messerschmidt
.
HEITEC AG, Crailsheim
Korrespondenz: Michael Messerschmidt, HEITEC AG, Brunnenstraße 36, 74564 Crailsheim;
e-mail: [email protected]
Autor
Bedien- und Beobachtungssysteme sowie moderne Automatisierungslösungen werden
immer mehr zum Schlüssel für eine sichere, effektive und qualitativ hochwertige Produktion. Bunte Animationen und andere Spielereien auf HMI-Systemen sind aber der falsche
Weg in die Zukunft. Gefragt ist eine zeitgemäße optische Aufbereitung der immer komplexer werdenden Prozessdaten und klare, intuitive Bedienerstrukturen. Technologien aus
Consumer-Produkten halten Einzug in das industrielle Umfeld: Touch-Systeme sind derzeit
Stand der Technik, die Bedienung von Anlagen mittels Multitouch-Gesten und Sprachbefehlen entwickelt sich gerade. Die Hersteller und Programmierer denken auch über
eine andere Basis als die herkömmlichen Windows-Systeme nach: Wie in vielen anderen
Bereichen auch, werden Web-basierte Lösungen in Zukunft eine immer wichtigere Rolle
spielen.
Michael Messerschmidt
Michael Messerschmidt, Dipl.-Ing. (FH)
Elektrotechnik, ist seit über zehn Jahren bei der
HEITEC AG im Bereich der Softwareentwicklung
tätig. Zu seinen Aufgabengebieten zählen der Vertrieb, die Konzeptentwicklung und Beratung, insbesondere im Umfeld von SCADA/Leittechnik
Systemen, Bedien und Beobachtungssystemen von
Maschinen und Anlagen.
Das Benutzerterminal
als Schlüsselsystem
Die HMI (Human-Machine-Interface/
Mensch-Maschine-Schnittstelle) ist
das erste, mit dem der Bediener an
einer Maschine in Berührung kommt,
sie ist das Aushängeschild sowohl der
Anlage als auch des Herstellers. Ein
großes Display mit einer attraktiven
Grafik lädt ein, sich mit der Maschine
zu beschäftigen. Nach einer kurzen
Einweisung sollte der oftmals nur angelernte Mitarbeiter in der Lage sein,
die Anlage in ihren Grundzügen zu
verstehen und zu bedienen – die Details kommen später intuitiv hinzu
oder werden in einer grundlegenden
Schulung vermittelt. Eine intelligente
und durchdachte Benutzerführung
erleichtert den Zugang noch zusätz-
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lich und ermöglicht eine effektive
Steuerung. Ein solch ansprechendes
System kann ein (mit-)entscheidendes Kriterium im Wettbewerb zu anderen Herstellern bei der Beschaffung
einer neuen Anlage sein. In den letzten Jahren wurde in vielen Produktionsbereichen außerdem Personal abgebaut, sodass die verbleibenden Mitarbeiter Informationen schneller aufnehmen und zu richtigen Handlungen geführt werden müssen.
Die Vielzahl an Daten, die während der Produktion entsteht, muss
so gefiltert werden, dass der Entscheider nur die wirklich wesentlichen Informationen präsentiert bekommt. Sollte er tiefer gehende Daten wünschen, kann er sie sich beschaffen. Somit kann er die Anlage
effizient steuern und die Produkt-
Messerschmidt . Schlüsselprozesse Bedienen und Beobachten
qualität letztendlich erhöhen. Auf einem solchen HMI-System können bei
Bedarf auch begleitende Informationen (Abb. 1) abgerufen werden – Bedienhandbücher, Schaltpläne, Wartungsanweisungen, Ersatzteillisten,
etc. sind immer nur einen Klick entfernt. Nach Störungen können die
Stillstandszeiten einer Anlage auf
diese Weise erheblich minimiert werden.
Trends bei Bedien- und
Beobachtungssystemen
Die Computer vor allem im Consumer-Bereich werden immer mobiler:
Smartphones, Tablet-PCs sowie Cloud
Computing halten Einzug in die
Wohnzimmer. Sie prägen zunehmend
die Art und Weise, wie ein Computer
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© ECV . Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)
Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only
Zusammenfassung
Web-basierte Architektur
Die neuen Techniken ermöglichen
ganz neue Zugänge: Früher wurden
Bediensysteme mit Ersatzsystemen
gepuffert, um Ausfallzeiten mög-
lichst gering zu
halten.
Durch
eine Web-basierte
Architektur laufen die Anwendungen nun auf
einem speziell gesicherten Server,
die benötigten Informationen lassen sich auf einem x-beliebigen Abb. 1: Auf einer HMI-Oberfläche werden zusätzliche Daten eingeblenBrowser abrufen det (Quelle alle Bilder: Heitec AG).
– nur ein Serverzugang ist notwendig. Die Zahl der Arbeitsplatzsys- gesetzt es besteht eine Verbindung
teme ist nicht mehr beschränkt. So- zu dem Server, auf dem die eigentlimit kann das Personal flexibler ein- che Anwendung läuft.
gesetzt werden und die Kosten für
Hard- sowie Software reduzieren Usability ist nicht
sich.
selbstverständlich
Außerdem lassen sich die Applikationen recht einfach erstellen – die Die Benutzerfreundlichkeit wird in
entsprechenden Programmiertech- Zukunft eines der entscheidenden
niken sind durch Consumer-Systeme Kriterien für die Akzeptanz eines
schon vorhanden. Bei der Konzep- Programms sein. Die Gestaltung
tion der Anwendung ist ein gang- muss so sein, dass die Informationen
barer Kompromiss zwischen einfach leicht aufgenommen werden können.
handhabbaren Systemen und den Dafür müssen einige Dinge beachtet
oftmals vielfältigen Wünschen der werden [1]:
Kunden zu finden. Die instinktive Be- . Ähnlich aussehende Objekte werden miteinander in Verbindung
dienung, die es ermöglicht, Informagebracht: So werden gleiche Fartionen leicht zu finden, steht hier im
ben als zusammengehörig empVordergrund – bei klassischen Anfunden. Wird ein anderes Design
wendungen war dieser Spagat oft
verwendet, so hält das Auge unnicht zu leisten.
Während früher nur wenige Beterschiedliche Dinge automatisch
triebssysteme zur Verfügung stanauseinander.
den, gibt es durch die Web-basierte . Lange Listen sollten vermieden
werden, denn der Inhalt von mehArchitektur kaum mehr Einschränreren kurzen Listen kann leichter
kungen: Jede Plattform kann über
erfasst werden.
den dort vorhandenen Webbrowser
bedient werden – es muss nicht eine . Zusammengehörige Punkte müssen auch optisch nahe beieinander
Vielzahl unterschiedlicher Anwenliegen – so wird das Auge besser
dungen geschrieben werden. Der
geführt.
Software-Ingenieur kann auf gängige
Consumer-Techniken zurückgreifen, . Objekte müssen sich vom Hintergrund oder von anderen Objekten
wie Flash, Silverlight oder, um völlig
abheben, sonst rechnet das Auge
unabhängig von Plug-Ins zu sein,
sie dem Hintergrund zu. Allerdings
W3C-Standards, die in jedem
sollten beispielsweise FarbunterBrowser schon von Haus aus enthalschiede nicht so stark sein, dass
ten sind. Somit kann durch entspredas Auge nur an dem farbigen
chende Programme jeder Computer,
Objekt hängen bleibt.
ob Desktop, Laptop, Smartphone
oder Tablet-PC zu einem leistungs- Neben einer klaren Strukturierung
fähigen HMI-System werden, voraus- wäre eine skalierbare Visualisierung
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zu Bedienen ist, wo welche Daten zur
Verfügung stehen. Was die Mitarbeiter aus der Freizeit kennen, möchten
sie während ihrer Arbeit nicht mehr
missen: Intuitive Multitouch-Bedienung und die Verfügbarkeit von jeder
Art von Daten rund um die Welt werden immer mehr zum Standard. Die
Informationen sind mit einer modernen Grafik, multimedial, in 3D und
optisch ansprechend aufbereitet – so
erwarten auch Nachwuchskräfte ihren Arbeitsplatz. Ausgedient haben
Systeme, die zwar viele Informationen
liefern, sie aber nicht in Verbindung
miteinander bringen und lieblos in
windows-blauen Tabellen präsentieren.
Schon bei der Projektentwicklung
müssen die Fachleute darauf achten,
dass die Prozesse einer Maschine
einfach visualisiert werden und auf
den ersten Blick nur die allernötigsten Informationen enthalten. Visualisierungssysteme müssen die Möglichkeit bieten, die anfallenden Daten
zu erfassen, aufzubereiten und in einer übersichtlichen Oberfläche darzustellen.
Cloud Computing ist kein Selbstzweck, sondern ermöglicht es, Daten
aus Produktionsanlagen auf den verschiedensten Systemen darzustellen.
Diese Informationen werden automatisch abgefragt und aufbereitet:
Der Bediener kann sich dann die Informationen bei Bedarf anzeigen lassen – ob beim Gang durch die Produktionshalle, während der Geschäftsreise auf einem anderen Kontinent oder im eigenen Home-Office.
Die Flexibilität der Mitarbeiter wird
dadurch größer. Um die entsprechende Sicherheit zu gewährleisten,
können sich Unternehmen eine „Private Cloud“ aufbauen. Dabei wird die
eigene Server-Infrastruktur genutzt
und die eigenen IT-Fachleute haben
die Kontrolle über die Daten.
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in 3D von Vorteil. In vielen Planungsdisziplinen, wie z. B. der Konstruktion oder der digitalen Fabrikplanung, sind 3D-CAD-Daten zentrales
Artefakt. Obwohl sehr viel Aufwand
in die Erstellung dieser CAD-Modelle
investiert wird, werden diese Daten
häufig nur für die Planung und die
Planungsdurchführung verwendet.
Der Kerngedanke der dreidimensionalen Prozessvisualisierung ist die
Weiterverwendung von bereits bestehenden CAD-Daten für die spätere
Anlagenbedienung bzw. Prozessvisualisierung. Durch die Integration
von CAD-Daten in das Anlagenbediensystem eröffnen sich neue Wege
in der Welt der Prozess- und Anlagenvisualisierung: Die Anlagen können in allen Einzelheiten räumlich
dargestellt, die 3D-Modelle mit der
Anlagensteuerung gekoppelt und so
Prozessabläufe realitätsgetreu visualisiert werden.
Abhängig vom Einsatzzweck wird
die Komponente mit entsprechenden
Schnittstellen zu anderen Systemen
(wie z. B. Anlagensteuerung, Materialwirtschaft, Datenbankmanagementsystemen, etc.) ausgerüstet, um das
Modell mit weiteren Informationen
(Abb. 2) zu füttern. So könnte die Software den Anwender im Störfall virtuell zu der defekten Anlagenkomponente führen und weitere Informationen wie z. B. Schaltpläne, Material-
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stücklisten, Betriebsanleitungen oder
Videosequenzen einblenden – dies
öffnet die Türen in Richtung Augmented Reality. Das Schlagwort bezeichnet die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung der
Realität durch die Verwendung unterschiedlichster Informationsquellen.
Eine Visualisierungskomponente verknüpft diese Daten und stellt sie übersichtlich dar. Die 3D-Visualisierung
Zukünftige
Entwicklungen
Während heute die Interaktion mit
der Anlagenbedienung meist über
Maus und Tastatur erfolgt, ist die zu-
Abb. 2: Informationen aus Fremdquellen werden im Bediensystem gebündelt und übersichtlich
dargestellt.
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Abb. 3: Zukünftige Benutzersysteme werden mit Gesten und Sprachbefehlen gesteuert.
von Anlagen wird auch vor dem Hintergrund der 4. Industriellen Revolution wichtig: Die Produktion wird
nicht mehr zentral gesteuert, sondern die zu produzierenden Teile haben selbst „ein Gedächtnis“ und „sagen“ der Bearbeitungsanlage, was zu
tun ist. Unterschiedliche Maschinen
tauschen sich über das Internet aus
und kommunizieren selbstständig
miteinander. So könnte mithilfe einer 3D-Visualisierung der Weg des
Werkstücks durch die Maschine dargestellt und Fehlerquellen schnell lokalisiert werden. Bei der Verschmelzung der realen und der virtuellen
Welt ist es wichtig, dass der Verantwortliche den Überblick behält. Mit
einer 3D-Visualisierung ist er jederzeit im Bilde, welche Prozesse laufen
und bei welchen es möglicherweise
Probleme gibt. Informationen können kontextbezogen abgerufen und
angezeigt werden.
Fachliteratur
[1] Vergleiche: Fachinstitut für Usability Engineering, München
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künftige Steuerung auch mittels Gesten oder Sprache denkbar: Sensoren
erfassen Gesten und Sprache eines
Menschen und setzen sie in Bedienbefehle um. So können beispielsweise
mittels einer „Wisch-Geste“ Grafiken
gedreht oder vergrößert und bestimmte Bauteile auf Zuruf „angeflogen“ werden (Abb. 3). Unter Verwendung des Kinect-Sensors von Microsoft sind bereits heute erste einsatzfähige Gesten- und Sprachsteuerungen möglich. Diese Technik könnte
beispielsweise in Seniorenwohnungen eingesetzt werden: Sie erkennt,
ob der Bewohner gefallen ist und ruft
automatisch Hilfe herbei. Mithilfe
der Sensoren und einer entsprechenden Software können alte Menschen
länger in den vertrauten, eigenen vier
Wänden zubringen und nicht zuletzt
Pflegekosten gespart werden. Die
Gestensteuerung könnte auch im sterilen Umfeld, beispielsweise in einem
Operationssaal oder in der PharmaProduktion, genutzt werden. Der
Arzt oder die Anlagenbediener könnten sich, ohne eine möglicherweise
verschmutzte Tastatur zu berühren,
über den Patienten (Röntgenbilder,
3D-Kernspintomografie) oder über
den Anlagenzustand informieren.