der Predigt

Predigt zum 5. Fastensonntag von P. Johannes Naton OSB, 13.März 2016 in der Stiftskirche
Neuburg
Evangelium:Johannes 8,1-11
Liebe Schwestern und Brüder,
Das eben gehörte Evangelium lässt sich ganz leicht zusammenfassen:
Böse Pharisäer wollen eine wehrlose Frau wegen Ehebruchs umbringen. Jesus entlarvt ihre
Heuchelei und verhindert die Steinigung. Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.
Leicht ist dann auch die Moral und Nutzanwendung: Man nehme sich nicht die verlogenen Pharisäer
zum Vorbild, sondern den verzeihenden Jesus.
Ja, wenn das so einfach wäre... dann wäre mit dem Evangelium etwas nicht in Ordnung! Denn das
Evangelium ist zwar eine gute, aber keine billige Nachricht. Es ist eben nicht einfach mit diesem
Evangelium, die Christenheit hat es sich allerdings oft zu leicht damit gemacht.
Die Kirche hat es immer verkündet und doch immer wieder Menschen verurteilt, die Inquisition hat
Jahrhunderte lang Menschen verfolgt und abgeurteilt. Und heutzutage ist an außerkirchlichen
Inquisitoren im Internet und in den Medien wahrlich kein Mangel. Lästern und Mobben gegen
Mitmenschen immer wieder Tagesordnung, als ginge uns das heutige Evangelium nichts an.
Nun hört man auch mitunter die leichtfertige Auslegung, dass Kirche gar nicht mehr offen sagen
sollen, was Sünde ist, da wir als Sünder keine Steine werfen dürfen. Dass aber das Benennen von
Sünde und das Steinewerfen nicht das Gleiche ist, zeigt Jesus im Schlusswort: Sündige von nun an
nicht mehr!
Wir müssen, bevor wir eine Auslegung für die heutige Zeit wagen, uns den Skandal dieser Episode
bewusst machen. Die Geschichte ist nämlich weder einfach noch harmlos. Die Ehebrecherin erweckt
unser Mitleid, weil sie wehrlos ist und weil der Evangelist die Pharisäer als Heuchler beschreibt. Hinzu
kommt, dass heutzutage EHEBRUCH eher als Privatsache gesehen wird. Da soll doch jeder handeln
wie er will und nach seiner Fasson selig werden.
Kann denn Liebe Sünde sein? Soll Kirche immer noch die Treue und die Unauflöslichkeit der Ehe
predigen, da die westliche Kultur schon längst die Ehe an sich infrage gestellt oder verworfen hat?
Jesus aber hält am mosaischen Gesetz insofern fest, als er den Ehebruch eindeutig Sünde nennt.
Wir Christen müssen daher unterscheiden zwischen der barmherzigen Behandlung des einzelnen
Konfliktfalles und der grundsätzlichen Bejahung der Treue: Ehebruch und Betrug sind eben keine
Bagatellen, sondern verletzen tief die Seelen der betroffenen Menschen. In den Kliniken und
Psychiatrien finden sich auch heute unzählige Männer und Frauen, die das Betrogenwerden und
Verlassenwerden nach vielen Jahren der Liebe nicht verkraftet haben.
Doch eigentlich ist Ehebruch gar nicht das Kernthema des Evangeliums, sondern nur der Aufhänger.
Es geht um etwas anderes, nämlich um das VERURTEILEN!
Die Pharisäer verurteilen die Frau, und wir verurteilen die Pharisäer, da wir Mitleid mit der wehrlosen
Frau haben und um die Heuchelei der Ankläger wissen. Es wäre schon anders, wenn in dieser
Perikope auch die betrogene Frau zu Wort käme, die durch den Ehebruch ihres Mannes mit der
Angeklagten verletzt wurde. Diese würde vielleicht, mit Jesus streiten würde und ihm sagte: Du
kannst der Ehebrecherin leicht vergeben, aber mir hat sie das Leben zerstört, mich gedemütigt, den
Mann genommen, und jetzt werde ich nicht mal angehört!
Möglicherweise haben ja einige Pharisäer genau das getan: sich in die betrogene Frau hineinversetzt,
das Gesetz des Mose als Schutz der Ehe ausgelegt. Diese Männer werden auch nicht als grölender
Lynchmob beschrieben, sie haben vielmehr die Rechtsfrage Jesus unterbreitet und seine Antwort
erbeten, sogar nachdrücklich. Das ist nicht schlecht! Kann ich das immer von mir sagen, dass ich Jesus
im Gebet befrage, bevor ich ein Urteil fälle?
Wir werden die Pharisäer noch etwas besser verstehen, wenn wir die Sünde des Ehebruchs, die
heute kaum anstößig scheint, durch ein Vergehen ersetzen, das heute als Skandal gilt:
Was, wenn man einen Mann zu Jesus brächte, der ein im Bau befindliches Asylbewerberheim
anzündete. Was, wenn uns jetzt Jesus sagte: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein?
Verzichten auf die Verurteilung? Sollte Jesus einem Rassisten sagen: Ich verurteile dich nicht? Das
müsste heute genau den Zorn hervorrufen, den Jesus mit dem Freispruch für die Ehebrecherin
damals auslöste.
Und auch, wenn Jesus dem Brandstifter sagte, dass er künftig nicht mehr sündigen soll, könnten und
dürften wir auf die Verurteilung verzichten?
Wir stoßen jetzt auf den eigentlichen Kern dieser Perikope: Die Sünde des Verurteilens! Und diese ist
zu unterscheiden von der KUNST DES URTEILENS. Wenn Jesus der Frau sagt, dass sie nicht mehr
sündigen soll, dann hat er ihre Taten als Sünden beurteilt, und jetzt verlangt er von ihr, dass sie
dieses Urteil übernimmt und der Sünde abschwört.
Ein Urteil ist an sich nichts Böses. Das deutsche Wort URTEILEN kommt vom Mittelhochdeutschen
ERTEIHLEN. Das meinte den Schiedsspruch nach einem längeren Prozess der Wahrheitsfindung.
Urteile sind ganz normale Denkkategorien. Ich urteile, ob das Wetter warm genug ist um den
Mantel wegzulassen. Ich urteile, ob die Kartoffeln beim Händler ihren Preis wert sind, ich urteile auch
, ob ich den Nachrichten in der Zeitung Glauben schenken soll oder nicht...alles gut und schön. Und
auch in moralischen Fragen sind Urteile notwendig, ja gerade dort. Wenn Verbrechen geschehen,
wenn Menschen ermordet oder vergewaltigt werden, sind wir als kultivierte Gesellschaft gefordert,
Urteile zu finden. Und die heilige Schrift mit ihren vielen Geboten ruft nachdrücklich dazu auf, nur
das zu tun, was als gut beurteilt werden kann.
Aber das VERURTEILEN, das belegt Jesus mit einer deutlichen Warnung: Verurteilt nicht, damit auch
ihr nicht verurteilt werdet. Warum denn eigentlich? Auch bei christlichen Politikern und
Kirchenvertretern ist es doch üblich, einen Terroranschlag oder ausländerfeindliche Gewalt aufs
Schärfste zu verurteilen. Das Verurteilen einer TAT ist aber auch nicht das Problem des Evangeliums.
Sünde ist Sünde. Das Verurteilen EINES MENSCHEN dagegen ist hochproblematisch. In der Justiz ist
dies an einen korrekten Prozess und hohe Beweislast gebunden.
Gut wäre das auch im Herzen aller Christenmenschen. Denn es ist unsere Natur, zu urteilen,
immerzu, mitten im Alltag, selbst bei Kleinigkeiten. Fast jede Schlagzeile und jede Kurznachricht in
den Medien drängt mich zu Bewertungen und moralischen Urteilen. Wagen wir einen kleinen Test:
Welche Emotionen nehmen Sie bei sich wahr, wenn Sie folgende kurzen Sätze hören:
1)
2)
3)
4)
5)
Gestern schlug ein Syrer eine Frau mit einem Faustschlag nieder.
Gestern schlug ein Syrer eine Frau nieder, die ein blutiges Messer in der Hand hielt.
Gestern schlug ein syrischer Polizist in Aleppo eine Frau nieder, die ein blutiges Messer
in der Hand hielt.
Gestern schlug ein syrischer Polizist auf dem Markt von Aleppo eine Frau nieder, die
gerade mit einem Messer ein Huhn zerlegt hatte.
Gestern schlug ein syrischer Polizist auf dem Markt von Aleppo eine Frau an einem
Marktstand nieder, weil er den Sprengstoffgürtel unter ihrer Schürze erkannt hatte.
Jeder einzelne der 5 Sätze ist wahr, sie widersprechen einander nicht. Und doch verleitet mich jeder
Satz zu einem neuen Urteil, mal gegen den Mann, mal für ihn. Spätestens beim 5. Satz, muss ich
eigentlich wissen, dass ich viel zu wenig weiß, um eine Verurteilung zu wagen. Aber unsere Zeit ist
voll von solchen Verurteilungen, die, wie wir ganz aktuell im eigenen Land merken, zu heftigstem
Unfrieden führen können.
Wenn nun wenigstens wir Christen schon einmal all jene Verurteilungen, die auf mangelhafter
Sachkenntnis beruhen, unterlassen würden, dann wäre dem Frieden in dieser Welt und in unserem
Lande großer Dienst erwiesen. Es gehört aber große Demut dazu, das eigene Verurteilen
wahrzunehmen und einzuschränken. Der Evangelist betont, dass die Ältesten unter den Pharisäern
als erste einsichtig wurden. Ihre Lebenserfahrung bestätigt ihnen, dass Jesus recht hatte: Was wissen
wir schon über den Menschen? Dass die Päpste Johannes Paul 2, Benedikt und auch Franziskus die
Todesstrafe wiederholt ablehnten, hängt damit zusammen, dass diese die unwiderruflichste aller
Verurteilungen ist und dass wir uns damit an Gottes Stelle setzen.
Aber auch jenseits der hohen Juristerei und der politischen Streitfragen bleibt das Verurteilen eine
bittere Leidensursachen. Anders als Kinder, die sich nach kurzem Streit schnell wieder vertragen, sind
unsere Erwachsenen-Urteile dazu fähig, Menschen zu diskriminieren, Gemeinschaften zu spalten,
Ehen zu zerstören oder Seelen zu verletzen. Aus der Schublade des unmoralischen Verbrechers
kommt, wer da hineingesteckt wurde, nur schwer wieder heraus. Wir könnten die letzten Tage der
Fastenzeit einmal dazu nutzen, unsere private Sammlung moralischer Urteile kritisch zu
durchforsten. Wenn habe ich in letzter Zeit in Gedanken verurteilt? War mein Urteil angemessen
oder anmaßend? Nützt irgendjemandem diese Verurteilung? Wäre mein Verzicht auf eine
Verurteilung meines Bruders nicht ein gutes Fastenopfer?
Menschen, die reinen Herzens sind, erkennt man manchmal daran, dass sie anderen grundsätzlich
nichts Böses zutrauen können. Und solche preist Jesus selig. Wenn ich mir aber das heutige
Evangelium zu Herzen nehme, dann wird mir schwer ums Herz, weil ich spüre, dass es dort mit der
Reinheit nicht weit her ist. Darum ist es kein leichtes Evangelium. Die frohe Botschaft darin ist
jedoch, dass Jesus mich trotz meiner vielen Fehlurteile ebenso wenig verurteilt wie die Ehebrecherin.
Ich kann also immer neu losgehen und versuchen, nicht mehr zu sündigen, nicht mehr zu verurteilen.
Meine Mitmenschen ebenso wenig wie mich selbst.
Amen.