profil:Grün - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

profil:Grün
Betrug und Selbstbetrug:
die No-Spy-Illusion
juni 2015
Profil:GRÜN
im Juni 2015
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Betrug und Selbstbetrug: Die No-Spy-Illusion
Fast täglich kommen brisante Informationen über die Aktivitäten
von BND und NSA an die Öffentlichkeit, hierzu Konstantin von Notz.
Die Rolle der Geheimdienste erläutert Hans-Christian Ströbele.
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Heute für morgen investieren
Die zehn zentralen Zukunftsthemen des grünen Investitionsplans
2015-2018 beleuchten Kerstin Andreae, Katja Dörner und Oliver
Krischer.
12Für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit
Welche Gipfel 2015 bestiegen und gestürmt werden müssen, zeigen
Annalena Baerbock und Claudia Roth.
16Cannabis
Freiheit und Verantwortung statt Prohibition: Das grüne CannabisKontroll-Gesetz zeigt unsere Alternative, vorgestellt von Katja
Dörner und Harald Terpe.
18Porträt
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Entwaffnend – Franziska Brantner im Gespräch mit
Susanne Sporrer.
20Parlament:Grün
Unsere parlamentarische Arbeit aus den Arbeitskreisen
Herausgeberin: Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion, 11011 Berlin, TEL 030/227 56789, FAX 030/227 56552, [email protected],
V.i.S.d.P.: Herta Parchent, Redaktion: Gisela Hüber, Ute Köhler, Sibylle Kraut-Eppich, Gestaltung: Stefan Kaminski, Jakina Wesselmann, Titelbild: Stefan Kaminski, Druck: Dierichs Druck+Media Kassel, Auflage: 75.500, erscheint auch als Anzeige im „schrägstrich“, Redaktionsschluss:
06.06.2015, Papier: 90 g Revive Pure, profil:GRÜN erscheint vier Mal im Jahr, das Abo kostet 7,50 Euro.
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Liebe Leserin, lieber Leser,
die Legislaturperiode nähert sich der Halbzeit. Zu Beginn hatte die große
Koalition einen Plan: Wenn jeder an sich denkt, ist allen geholfen. Das entspricht eigentlich dem gescheiterten Gesellschaftsbild der FDP, aber Union
und SPD haben dieses Dogma zum Kitt ihrer Zweckgemeinschaft erhoben.
Rente mit 63 hier, Sparpolitik da und eine PKW-Maut für die lästige Verwandtschaft aus Bayern.
Mit einer gemeinsamen Idee für Deutschland hat das nichts zu tun, doch 80
Prozent Mehrheit im Bundestag, eine gnädige Konjunktur und eine Kanzlerin,
die die politische Debatte meidet, haben die Anfangszeit der Regierung besser
aussehen lassen als sie war.
Aufgegangen ist der Plan trotzdem nicht – wir haben das Spiel gedreht. Beispiel „Ehe für alle“: Wir Grüne im Bundestag beantragen sie, die Union ist
innerlich zerrissen, sagt aber nein und die SPD ist gelähmt. Ergebnis: Die
Rechtslage in Deutschland bleibt voraussichtlich wie sie war – noch konser­
vativer als in Irland. Peinlich für die Bundesregierung.
Auch die ursprüngliche Gemeinsamkeit von Union und SPD, Skandale auszusitzen, hat nicht wirklich funktioniert. Skandale gibt es genug: das schwarze
Loch der illegalen Zusammenarbeit von BND und NSA, die Edathy-Affäre oder
die Rüstungsdesaster im Verteidigungsministerium. Nur mit dem Aussitzen hat
es nicht so geklappt. Denn wir haben das nicht zugelassen, haben Untersuchungsausschüsse erzwungen, aufgedeckt und nachgehakt. Die Union als Partei der Kompetenz in Fragen innerer und äußerer Sicherheit hat dabei ordentlich Federn gelassen. Jetzt ist es an uns, in den kommenden zwei Jahren
Vorschläge zu erarbeiten, wie eine „grüne Sicherheit“ aussehen könnte. Eine
Sicherheit, die von der Freiheit her denkt und die unsere Sicherheitsorgane
reformiert und besser kontrolliert.
Auch unsere Offensive kommt ins Rollen. Mit Gesetzentwürfen wie zur Legalisierung von Cannabis oder zur Einwanderung machen wir der Parlamentsmehrheit Beine – mit starkem gesellschaftlichen Rückhalt. Den spüren wir
auch jede Woche, wenn wir im Plenum für die Rechte von Flüchtlingen streiten, für mehr Klimaschutz und eine ökologischere Landwirtschaft. Und den
brauchen wir, denn es ist wir gegen die anderen. Unser Plan für die zweite
Halbzeit steht: Wir werden unsere eigenen Stärken weiter ausspielen und die
zerstrittene Koalition mit unseren Vorschlägen treiben. Manchmal braucht
man Geduld und einen langen Atem.
Herzlich
Katrin Göring-Eckardt
Fraktionsvorsitzende
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Foto: St. Kaminski
Be trug
und Se
lbstbe
d i e N o- t r u g :
Spy-Ill
usion
Der 1. Parlamentarische Untersuchungsausschuss der 18.
Wahlperiode – auch „NSA-Ausschuss“ genannt – soll als
Konsequenz aus den Enthüllungen von Edward Snowden
Fehlentwicklungen der Geheimdienste bei der Fernmeldeaufklärung beziehungsweise Internetüberwachung
sowie Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten beim
sogenannten „Geheimen Krieg“ aufklären.
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Konstantin von Notz
Bereits vor den Anschlägen des 11. September 2001 arbeiteten Geheimdienste
weltweit an umfassenden Ansätzen zur Überwachung von Internet und Telekommunikation. Nach 9/11 haben sich Dienste und Regierungen offenbar
rigoros über berechtigte politische Bedenken und rechtliche Beschränkungen
hinweggesetzt. Bezüglich der Dimension dieser rechtsstaatlich hochproblematischen Entwicklung hat Edward Snowden der Welt im Sommer 2013 die
Augen geöffnet. Seine Veröffentlichungen haben gezeigt: Geheimdienste zielen auf eine flächendeckende Überwachung der weltweiten Kommunikation.
Sie haben ein geheimes Daten-Tauschsystem errichtet, das rechtliche Vorgaben und parlamentarische Kontrolle bewusst aushebelt. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) ist ein wichtiger Akteur in diesem Spiel.
Mehr als zwei Jahre nach den ersten Snowden-Veröffentlichungen hat der
Skandal Bundeskanzlerin Merkel erreicht. Lange interessierten die Enthüllungen sie gar nicht. Dies änderte sich erst, als ihr eigenes Handy betroffen war.
Man gerierte sich als Opfer, zog ein „No-Spy“-Abkommen aus dem Hut und
suggerierte, dass dessen Abschluss unmittelbar bevorstünde – obwohl es nie
eine realistische Aussicht hierauf gab. Die Kanzlerin muss sich deshalb heute
den Vorwurf der bewussten Wahlkampfmanipulation gefallen lassen. Doch
die eklatanten Versäumnisse bei der Fachaufsicht über die Geheimdienste
reichen sehr viel weiter zurück.
Selektorenlisten – zu geheim für den NSA-Ausschuss?
Die Aufklärung im Untersuchungsausschuss, dessen Sinnhaftigkeit anfänglich
offen in Frage gestellt wurde, schreitet weiter voran. Aktuell geht es vor allem
um die Frage, ob und in welchem Umfang sich der BND rechtswidrig der Beihilfe an der Ausspionierung deutscher und europäischer Unternehmen und
Behörden durch die National Security Agency (NSA), den größten Auslandsgeheimdienst der USA, mitschuldig gemacht hat. Im Mittelpunkt der Debatte
stehen Filter- und Suchkriterien, mit denen die abgegriffenen Datenmassen
durchforstet werden, die sogenannten Selektoren.
Rasterfahndung mit Selektoren
Bei „Selektoren“ handelt es sich um Suchmerkmale wie Telefonnummern
oder E-Mail-Adressen. Massen-Telekommunikationsüberwachung funktioniert wie eine Rasterfahndung: Erfasst wird zunächst der gesamte Datenfluss
einer Richtfunkstrecke, einer Glasfaserleitung oder eines Satelliten. Unterschieden wird zwischen „Verkehrsdaten“ (wer hat wann, wo mit wem, wie
lange kommuniziert) und „Inhaltsdaten“ (Inhalte von Telefonaten, Chats oder
E-Mails). Die Inhaltsdaten werden mithilfe der „Selektoren“ durchforstet.
Taucht in einem Datensatz ein von der NSA übermittelter „Selektor“ auf, leitet
der BND diese Information an den US-Geheimdienst weiter.
Legale und weniger legale Selektoren
Die verwendeten „Selektoren“-Listen müssen natürlich mit geltenden rechtlichen Vorgaben übereinstimmen. Die Einsicht in die Listen ist essenziell, will man
bewerten, ob sich der BND immer an diese Vorgaben gehalten hat. Für den Ausschuss und seine Arbeit sind die Listen somit wichtige Beweismittel zur unmittelbaren Erfüllung des Untersuchungsauftrags. Doch die Bundesregierung versucht
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derzeit, die parlamentarische Aufklärung auszubremsen,
indem sie die Herausgabe der Listen an den Ausschuss verweigert. Die Diskussion um einen Sonderermittler ist ein
reiner Ablenkungsversuch. Diese Schwächung von Ausschuss
und Parlament werden wir nicht hinnehmen und notfalls
auf Herausgabe der Listen klagen.
„Ausspähen unter Freunden: das geht gar nicht“
– oder doch?
Die NSA hat in den vergangenen Jahren mehrere Millionen
Suchbegriffe an den BND übermittelt. Stichprobenhafte
Prüfungen hatten bereits vor Jahren ergeben, dass auch
deutsche und europäische Unternehmen zum Ziel wurden.
Doch statt die Reißleine zu ziehen, zog man es offenbar
vor, die Kooperation einfach unbeirrt fortzuführen.
Bei den Metadaten nimmt der BND nach gegenwärtigem
Kenntnisstand noch immer keinerlei Beschränkung nach
Suchbegriffen vor, sondern leitet sie nach automatisierter
Ausfilterung vermeintlich deutscher Daten vollständig an
die NSA weiter. Hinsichtlich der Verwertbarkeit dieser
Daten, beispielsweise für die Zielsteuerung von DrohnenEinsätzen, ein höchst fragwürdiges und aus unserer Sicht
rechtlich unzulässiges Verfahren.
Geheimdienste auSSer Kontrolle?
In komplexen Sicherheitslagen weltweit erfüllen Geheimdienste eine wichtige Funktion. Im Rahmen der ihnen
vom Grundgesetz zugestandenen Aufgaben und Befugnisse liefern sie Informationen, zum Beispiel zur Terrorismus- und Proliferationsbekämpfung oder zur Sicherung
von Bundeswehrangehörigen in Auslandseinsätzen.
Rechtlich sind die Dienste den typischen demokratischen
und bürgerrechtlichen Schutzvorkehrungen weitgehend
entzogen. Ihr Handeln bleibt überwiegend geheim und
kann durch Gerichte allenfalls in engen Ausnahmefällen
überprüft werden. Der kritischen Bewertung durch die
Öffentlichkeit sind damit enge Grenzen gesetzt.
Umso bedeutsamer sind die Einhaltung der rechtlichen
Vorgaben und eine effektive Aufsicht. Doch genau hier
hat das zuständige Bundeskanzleramt nicht nur weitestgehend versagt. Statt die Risiken der Kooperationen mit
der NSA sowohl rechtlich, technisch wie auch organisatorisch abzusichern, hat man sich an offenkundig unvertretbaren Überdehnungen des Rechts beteiligt.
Illegale Massenüberwachungen
Bestätigt sich dies, handelt es sich um eine illegale
geheimdienstliche Massenüberwachung unter Billigung
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des Kanzleramtes. Hierfür direkt verantwortlich ist die
Kanzlerin. Seit zehn Jahren steht sie an der Spitze der
zuständigen Fach-Aufsichtsbehörde. Obwohl es seit 2005
wiederholt Meldungen an das Kanzleramt zur Übergriffigkeit der NSA gab, zog man die rechtsstaatlich notwendigen Konsequenzen offenkundig nicht. Eine tatsächliche,
systematische Überprüfung der „Selektoren“ wurde von
Beginn der Kooperation an nicht vorgenommen. Erst nach
den Enthüllungen Snowdens im Jahr 2013 soll eine erste
grundlegende Überprüfung und Löschung fragwürdiger
„Selektoren“ im BND erfolgt sein. Heute wissen wir: Erst
nach Angela Merkels denkwürdigem Satz „Ausspähen
unter Freunden – das geht gar nicht“ stellte man die Ausspähung eben dieser Freunde durch den BND überhastet
ein. Und das angeblich heimlich, ohne die BND-Spitze und
das Kanzleramt zu informieren.
Fragwürdige Kooperationen – Merkel weiSS
nichts davon
Grenzüberschreitende Kooperationen der Geheimdienste
sind grundsätzlich notwendig, doch es gilt: Rechtliche
Bindungen und das Grundgesetz müssen zwingend
beachtet werden. Der BND aber hat sich nach heutigem
Kenntnisstand an heimlichen, unter Missachtung aller
rechtlichen Bindungen weltweit stattfindenden, geheimdienstlichen Telekommunikationsüberwachungen und
am Austausch der so gewonnenen Informationen beteiligt. Hier stellt sich die Frage, ob er dafür gezielt politische Unterstützung und Rückendeckung bekam. Auch
dies gilt es aufzuklären.
Die Liste der im Ausschuss aufgedeckten, skandalträchtigen
Vorgänge ist lang. Und die Aufklärung schreitet trotz aller
Sabotageversuche der Regierung weiter voran. Für unsere
Rechte als Parlament und Opposition werden wir auch
weiterhin entschieden streiten. Das Ziel ist und bleibt, die
mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien nicht in
Einklang zu bringende grenzen- und anlasslose geheimdienstliche Massenüberwachung zurückzudrängen.
Als Parlament müssen wir die Hoheit über ein System
zurückgewinnen, das sich nach heutigem Erkenntnisstand aufgrund einer absolut unzureichenden Fachaufsicht ein Stück weit verselbstständigt hat, sich in Rechtsstaaten aber nicht verselbstständigen darf. Dies sind wir
auch Edward Snowden schuldig.
Dr. Konstantin von Notz MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzender, AK 3:
Demokratie, Recht & Gesellschaftspolitik
Aufgaben und Befugnisse der Geheimdienste begrenzen,
Aufsicht und Kontrolle stärken!
Von Hans-Christian Ströbele MdB
Mitglied im Parlamentarischen
Kontrollgremium
Eine Reihe brisanter Vorgänge weist darauf hin, dass die
Geheimdienste ihre Kompetenzen überschritten und deren
ministerielle Aufseher versagt haben. Die Kooperation von
BND und NSA bei der Massendatenüberwachung, die dem
Militärischen Abschirmdienst (MAD) angetragene Bespitzelung von Journalisten und nicht zuletzt die unrühmliche
Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Skandal sind dafür
beredte Beispiele. Für uns ist klar: Der Wildwuchs bei den
Geheimdiensten muss beschnitten werden.
Strukturelle Veränderungen gefordert
Bereits die grüne Bundesdelegiertenkonferenz 2013 forderte, den überflüssigen MAD wie auch das Bundesamt für
Verfassungsschutz (BfV) aufzulösen. Gleiches hatten auch
wir Grüne im Bundestag mehrfach beantragt. Die Aufgaben
des BfV zur Aufklärung von gewaltfreiem Extremismus seien einem unabhängigen Institut ohne Hoheitsbefugnisse
zu übertragen. Für die Gewalt-, Spionage- und Terrorismusabwehr solle eine neue „Inlandsaufklärung“ des
Innenministeriums eingesetzt werden, soweit dafür nicht
schon Strafverfolgungsbehörden zuständig sind. Im Übrigen sollten Aufgaben und Befugnisse von BfV und BND
verringert statt erweitert werden, wie es die Regierung
zurzeit vorhat: etwa für diffuse „Cyber-Aufklärung“, beim
Einsatz von V-Leuten oder bei auswärtiger Telekommunikationsüberwachung. Schon die derzeitige „TÜ“-Praxis des
BND ist aber verfassungswidrig.
Die grünen Forderungen nach strukturellen Veränderungen sind aktueller denn je. Wenn KoalitionsvertreterInnen dieser Tage Defizite parlamentarischer Geheimdienst-Kontrolle monieren, ist das ein durchsichtiges
Ablenkungsmanöver. Tatsächlich hat die vorrangige
Dienst- und Fachaufsicht in Ministerien und Kanzleramt
ein Eigenleben der Dienste ignoriert oder gar toleriert.
Diese gravierenden Pflichtverletzungen gilt es abzustellen
und die Dienste mit klaren Vorgaben und regelmäßiger
Berichtspflicht an die kurze Leine zu nehmen.
Es ist ein Unding, wenn Bundestag beziehungsweise dessen Kontrollgremien erst aus den Medien von dubiosen
Vorgängen erfahren, statt durch die Regierung direkt
informiert zu werden. Die seit langem eingerissene
Unkultur, Bevölkerung und Parlament über die Dienste
gezielt irrezuführen, Skandale zu vertuschen oder zu
beschönigen, muss ein Ende finden.
Wirksame parlamentarische Kontrolle ermöglichen
Unser Vorschlag ist, die diversen Kontrollgremien, die
bisher isoliert nebeneinanderher arbeiten und einander
nicht informieren dürfen, in einen regulären Ausschuss
zusammenzuführen.
Dieser Ausschuss soll auch öffentlich tagen können. Das
Ausschuss-Sekretariat muss mit ausreichend Personal und
Kapazitäten ausgestattet werden. Dem soll ein Sonder­
ermittler mit eigenem Stab zur Seite stehen, den die Ausschuss-Mitglieder fallweise mit Untersuchungen beauftragen können. Anders als einige Unionsvertreter wollen wir
nicht die parlamentarische Kontrolle ersetzen durch einen
institutionellen Geheimdienstbeauftragten, der nach dem
Willen der Regierungsmehrheit gewählt würde und weniger politisches Gewicht hätte als derzeit die Abgeordneten.
Die Mitglieder des Ausschusses sollen künftig wirksamer
arbeiten können. Eigene benannte MitarbeiterInnen sollen sie dabei unterstützen. Diese müssen anders als heute regelmäßig an den Ausschusssitzungen teilnehmen
und die Kontroll-Vorgänge mit besprechen dürfen. Was
Regierungsvertreter im Ausschuss berichten, soll endlich
protokolliert werden, um es später nachprüfen zu können. Nicht nur der gesamte Ausschuss soll die Kontrollbefugnisse wahrnehmen können, sondern auch jede Fraktion separat. Sonst hinge dies vom Gutdünken der
Regierungsmehrheit im Ausschuss ab.
Auch die Zusammenarbeit der Dienste mit ausländischen
Partnern sowie die ministerielle Aufsicht müssen der parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Mitarbeiter der
Dienste müssen sich vertraulich an einzelne Ausschussmitglieder wenden dürfen.
Diese und weitere Maßnahmen sind nötig, um die Kon­
trolle über die Geheimdienste endlich wirksamer zu
gestalten. Es ist zu hoffen, dass die Abgeordneten der
Regierungskoalition konstruktiv daran mitwirken und es
nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt.
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Heute für morgen investieren
Für eine chancenreiche Zukunft
Unser Land braucht Innovationen, damit wir auch in
Zukunft gut leben können. Dazu müssen wir heute an
richtiger Stelle investieren. In Köpfe, die zukunftsträchtige Ideen entwickeln, in mehr Chancen für jeden einzelnen, in schnelles Internet und nachhaltige Mobilität. Wir
müssen die Klimakrise wirksam angehen und Europas
Wirtschaft ankurbeln. Dafür wollen wir mit dem grünen
Investitionsplan bis 2018 rund 45 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Köpfchen statt Beton, das ist das politische Gebot der Stunde. Damit machen wir Deutschland
gerechter und lebenswerter.
Die Voraussetzungen für so ein Programm sind eigentlich
gut. Der niedrige Ölpreis und ein schwacher Eurokurs
bescheren der Bundesregierung ein milliardenschweres
Konjunkturprogramm quasi frei Haus. Die gute Konjunktur
mit niedriger Arbeitslosigkeit sowie historisch niedrigen
Zinsen eröffnet erhebliche finanzielle Spielräume. Allein
an Zinszahlungen spart die Bundesregierung bis 2019
gegenüber der letzten Finanzplanung rund 32 Milliarden
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Euro. Überdies werden im gleichen Zeitraum über 100 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen erwartet.
Doch die Bundesregierung macht nichts daraus, der „große Wurf“ bei den Investitionen bleibt aus. Das von ihr aufgelegte Investitionsprogramm umfasst gerade mal zehn
Milliarden Euro. Den Kommunen bietet sie ein Sondervermögen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro an. Das sind überfällige, aber viel zu kleine Schritte angesichts des Modernisierungsstaus bei der Infrastruktur. Milliarden gehen
dagegen drauf für den Bau überflüssiger Straßen, für
Wahlgeschenke oder sie versickern irgendwo im Haushalt.
Der grüne Investitionsplan geht die Probleme entschlossener an und vor allem: Er setzt die richtigen Schwerpunkte.
» gruene-bundestag.de/zukunftsinvestitionen
Kerstin Andreae MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzende
AK 1: Wirtschaft, Arbeit, Soziales,
Finanzen, Haushalt
Die 10 ZukunftsProjekte des grünen
Investitionsplans 2015–2018
… damit Europa neue wirt-
… damit Schulen für die
schaftliche Impulse erhält.
Zukunft gerüstet sind.
In Deutschland ist es nicht so spürbar, doch Europa leidet
unter einer schwachen Nachfrage und massiv eingebrochenen Investitionen der öffentlichen Hand. Nicht die
besten Voraussetzungen für den dringend notwendigen
Ausbau der Infrastruktur; für Energie und Schiene, für
schnelles Internet, Bildung und Forschung. Der geplante
Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) will
hier neue Finanzierungswege erschließen. Er kann ein
wirksames Signal für die Zukunft der EU und der Solidarität
sein, es kommt aber auf die konkrete Ausgestaltung an.
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen und europä­
ische Zukunftstechnologien im Sinne des Green New Deal
wollen wir mit dem EFSI unterstützen. Die Bundesregierung soll sich daran mit zwölf Milliarden Euro beteiligen.
… damit wir ein Wissenschaftswunder entfachen.
Wissen und Innovation sind unsere wichtigsten Ressourcen. Um innovativ zu sein, braucht Deutschland starke
Hochschulen. Wissenschaft lebt von neugierigen Menschen und die brauchen die notwendigen Räume und
Ausstattung, also moderne Infrastrukturen des Wissens.
Durch unser Modernisierungsprogramm sollen Hörsäle
und Bibliotheken, digitale Infrastrukturen und Studienplatzvergabe, Labors, Forschungsgeräte und Wohnheimplätze bis 2020 wieder auf der Höhe der Zeit sein. Für
bessere Arbeitsbedingungen sollen eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und ein Bund-LänderProgramm sorgen, das 10.000 zusätzliche Nachwuchsstellen mit Aussicht auf eine Festanstellung schafft.
Ideenreichtum und Erfindergeist sind oft das Markenzeichen kleiner und mittlerer Unternehmen. Damit sie ihre
Stärken entfalten können, wollen wir Ausgaben in Forschung und Entwicklung mit einer Steuergutschrift von 15
Prozent honorieren.
Schulen sollen unsere Kinder auf die Zukunft vorbereiten.
Doch das durchschnittliche Parkhaus ist in einem besseren Zustand als so manche Schule. Tausenden Schulen
fehlt es am Nötigsten: keine Mensen, baufällige Sporthallen, zugige Klassenzimmer. Es mangelt an Räumen für
naturwissenschaftlichen oder handwerklichen Unterricht
oder an digitalen Medien. Und nur wenige Kinder können
wie gewünscht eine Ganztagsschule besuchen. Hier setzt
das Programm „10.000 Schulen fit für die Zukunft“ an. Es
fördert Maßnahmen zur baulichen, energetischen und
behindertengerechten Sanierung. Ziele wie Barrierefreiheit und Inklusion sollen verwirklicht und die notwendige Infrastruktur für ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote geschaffen werden. Auch die mediale
Ausstattung wird unterstützt.
… damit die Kleinsten gut gefördert und betreut werden.
Seit 2013 gilt der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr.
Die Zahl der Kitas ist seitdem gewachsen, doch noch ist der
nötige Ausbau nicht vollendet. Zuweilen hat die Qualität
der Betreuung mit dem Ausbautempo nicht Schritt gehalten; mancherorts ist sie unter fachlichen Gesichtspunkten
sogar bedenklich. Um frühkindlicher Bildung und Förderung gerecht zu werden, braucht es einen bundesweit einheitlichen Standard. Dazu gehört auch ein guter Betreuungsschlüssel: das heißt eine Fachkraft für vier Kinder
unter drei Jahren beziehungsweise für zehn ältere Kinder.
Die Erziehenden brauchen zudem Zeit für Vor- und Nachbereitung, für Team-, Elterngespräche oder Weiterbildung.
Weil der Ausbau frühkindlicher Bildungsangebote eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, soll sich der Bund
beteiligen.
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wer­ber besser in Arbeit kommen.
Deutschland braucht qualifizierte Beschäftigte. Fast die
Hälfte der Arbeitslosen hat jedoch eine veraltete oder gar
keine Ausbildung. Die Folge: Geringqualifizierte werden
abgehängt und rutschen in die Langzeitarbeitslosigkeit.
Auch Asylbewerberinnen und -bewerber und Flüchtlinge
verdienen bessere Chancen. Es fehlen die nötige Unterstützung bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse und
berufsbezogene Deutschkurse.
Hier setzt unsere Qualifizierungsoffensive an. Damit sollen Brücken in Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe
gebaut werden. Mit dreifachem Mehrwert: Qualifikation,
Integration und Fachkräftesicherung. Ziel ist es, rund
90.000 Arbeitslose bis Ende 2017 nachhaltig zu qualifizieren sowie Flüchtlinge zu beraten und auf dem Weg in
Arbeit zu unterstützen.
… damit Selbstbestimmung
in jedem Alter möglich ist.
sorgende Initiativen unterstützen. Dazu wollen wir die
bestehende Städtebauförderung um die Aspekte Gesundheitsförderung, Teilhabe im Alter, Mobilität und generationsübergreifendes Engagement ergänzen. Mit einem
„Bewegungsfreiheitsbonus“ wollen wir den Abbau von
Barrieren unterstützen. Für Ältere, aber auch für Kinder,
Schwangere, junge Eltern oder Menschen mit Behinderungen sollen bauliche Hürden entschärft werden. Das
schafft Raum für Autonomie und persönliche Entfaltung.
Stadtteilkoordinationsbüros sollen sich darum kümmern,
die Strategie voranzutreiben.
… damit die Welt in unsere
Dörfer kommen kann.
Auf dem Land fehlt es noch zu oft an schnellen Internetanschlüssen. Nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner fühlen sich dadurch eingeschränkt, auch Unternehmen meiden diese Regionen. Wir wollen in die digitale
Zukunft des ländlichen Raums investieren. Überall in
Deutschland soll eine Internetverbindung mit 50 Mbit/s
zur Verfügung stehen. Mit einem Förderprogramm vor
allem für kommunale Anbieter und zinsgünstigen Darlehen für Privatunternehmen wollen wir den Breitbandausbau beschleunigen.
Der demografische Wandel ändert vieles. Auch die Stadtquartiere müssen sich anpassen. Wir wollen lebendige
Nachbarschaften entwickeln und gesundheitsförderliche,
?
Drei Fragen an Katja Dörner und Oliver Krischer
Der Fraktionsschwerpunkt Zukunftsinvestitionen betrifft verschiedene
Politikbereiche. Besonderer Nachholbedarf besteht bei Bildung und
Mobilität. Wo wollt ihr die Akzente
setzen?
Katja: Wir sollten vor allem in Köpfe
statt in Beton investieren, das beginnt
schon in der Kita. Gute Förderung und
Betreuung heißt zum Beispiel weniger
Kinder pro Fachkraft. An den Universitäten wollen wir ein Wissenschafts-
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wunder entfachen. Es gilt, Bauten
und Ausstattung auf Vordermann zu
bringen und die Arbeitsbedingungen
für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu verbessern.
Oliver: Unsere Verkehrsinfrastruktur
ist in miserablem Zustand. Wir müssen andere Prioritäten setzen und
den Erhalt vor den Neubau stellen.
Tausende Straßen- und Eisenbahnbrücken warten darauf, saniert zu
werden. Stattdessen fließt das Geld
in fragwürdige Umgehungsstraßen
und nutzlose Prestigeprojekte. Damit
muss Schluss sein.
Wie wollt ihr Zukunftsinvestitionen
nachhaltig gestalten?
Oliver: Wir brauchen mehr Investitionen in nachhaltige Mobilität. Die
Zukunft gehört einem intelligenten
und gut vernetzten Mix aus umweltfreundlichen und flexiblen Verkehrsträgern: ÖPNV, Bahn, Radverkehr,
dazu die Elektromobilität und das
Carsharing. Unser Straßensystem
muss instand gehalten werden. Des-
Fotos S. 8-11: Blickwinkel, Corbis, St. Kaminski, M. Luedecke, Picture Alliance, Radius Images, Visum, Illu: J.U. Wesselmann
… damit Arbeitslose & Asylbe­
… damit wir nachhaltig
mobil sein können.
Deutschland steht im Stau. Immer mehr Beton für immer
mehr Autos bedeutet viel Abgase und Lärm. Das wollen
wir ändern. Für eine nachhaltige Mobilität und damit wir
schnell und sicher von A nach B kommen, muss gerade in
Ballungsräumen der ÖPNV leistungsfähiger werden. Er soll
künftig das Herzstück vernetzter Mobilitätsdienstleistungen sein: mit Anlaufstellen, wo man zwischen ÖPNV,
Fahrrad oder Carsharing barrierefrei umsteigen und
E-Fahrzeuge aufladen kann.
Überall auf der Welt boomt der Radverkehr. Logisch, denn
Investitionen in den Radverkehr sind kostengünstig und
nebenbei sinken auch die Gesundheitsausgaben. Wir
wollen Radschnellwege ausbauen und in das Verkehrsnetz integrieren. Bahnhöfe und Umsteigeplätze sollen
mit sicheren Abstellanlagen ausgestattet sein. Das macht
Radfahren auch für mittlere Distanzen attraktiv.
… damit eine neue Stromwelt entsteht.
Für die Stromwelt von morgen spielen Speichersysteme
eine zentrale Rolle: Sie halten die Netze stabil, federn die
Erzeugungsspitzen von Wind und Fotovoltaik ab und
wegen dürfen Autobahnen aber nicht
zum Renditeobjekt von Banken und
Versicherungen werden, wie die
Bundesregierung sich das vorstellt.
Die Erfahrung zeigt: Das macht es
teurer, aber nicht besser.
Katja: Ich finde Investitionen in Köpfe
grundsätzlich nachhaltig. Wie sollen
sonst neue Ideen und Innovationen
entstehen? Mit unserem 10.000-Schulen-Programm sollen 10 Mrd. Euro in
die bauliche, energetische und behindertengerechte Sanierung der Schulen
und in den Ganztagsausbau fließen.
können als Schnittstelle zwischen Strom-, Wärme- und
Mobilitätssektor dienen. Überschüssiger Strom kann so
sinnvoll genutzt werden und das Energiesystem wird
wirtschaftlicher. Davon können auch die Verbraucher
profitieren. Durch unser Investitionsprogramm sollen
100.000 neue Speicher entstehen. Fördern wollen wir
zudem effiziente und umweltfreundliche Anwendungen
von Ökostrom insbesondere in Wärmenetzen („Power to
Heat“) wie auch Entwicklungs- und Markteinführungsprogramme für Power-to-Gas-Anlagen zur Verknüpfung
von Strom-, Wärme und Mobilitätssektor.
… damit wir uns in und vor
der Klimakrise schützen.
Der Klimawandel schreitet voran. Noch können wir die
Katastrophe verhindern. Wir wollen zur Eindämmung der
Klimakrise beitragen und zugleich Menschen, Städte,
Umwelt und Natur widerstandsfähiger für den erwarteten
Wandel machen. Zu den erforderlichen Maßnahmen gehören Investitionen in den Hochwasserschutz, in Entsiegelung
und Renaturierung. Wir wollen die Auen entlang der Flüsse
reaktivieren und den Böden ihre Funktion als CO2- und
Wasserspeicher wiedergeben. Es gilt, die Wälder als wichtige
Ökosysteme und Klimaregulatoren zu erhalten und die
Meere vor Überfischung, Überdüngung und Vermüllung zu
bewahren. Programme zur Stadtbegrünung sollen die Menschen auch in den Städten besser vor den Folgen von Wetterextremen wie Hitzewellen oder Starkregen schützen.
Wie wollt ihr die Kommunen bei
ihren Aufgaben unterstützen?
Katja: Unser 10.000-SchulenProgramm kommt den Kommunen
zugute. Es sorgt dafür, dass Parkhäuser nicht besser in Schuss sind als
Schulgebäude.
Oliver: Im letzten Winter wurde viel
über die Schlaglöcher in unseren
Straßen gewitzelt, aber im Ernst: Die
Kommunen brauchen ein Sonderprogramm für den Erhalt und nachhaltigen Ausbau ihrer Infrastruktur.
Oliver Krischer MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzender
AK 2: Umwelt, Energie, Landwirtschaft, Verkehr
Katja Dörner MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzende
AK 5: Wissen, Generationen,
Gesundheit
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für Klimaschutz und
Juli: Finanzierungsgipfel in Addis Abeba
Foto: Corbis
Juni: G7-Gipfel in Elmau
Von Annalena Baerbock und Claudia Roth
2015 wird ein Gipfeljahr und ein zentrales Jahr für
die Zukunft unseres Planeten. Gleich drei internationale Zusammentreffen bieten die Chance, die
Weichen für eine nachhaltige und klimagerechte
Zukunft zu stellen: die Finanzierungskonferenz in
Addis Abeba, der Nachhaltigkeitsgipfel in New York
und die Weltklimakonferenz in Paris.
Vieles wird davon abhängen, wie ambitioniert und
glaubwürdig die Europäische Union und die
Bundesregierung im Vorfeld der Konferenzen
auftreten. Als Gastgeber des diesjährigen G7Gipfels im Juni hat Deutschland eine besondere
Verantwortung. Es kann zum Vorreiter für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit werden.
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Die Herausforderungen sind gewaltig
Die Herausforderungen, vor denen die Weltgemeinschaft
steht, sind gewaltig. Internationale Konflikte, Bürgerkriege und Flüchtlingsströme halten uns in Atem. Viele
Migrationsbewegungen gehen auf Umweltschäden und
Klimawandel zurück, viele Konflikte sind Ressourcenund Verteilungskämpfe. Gleichzeitig schreitet die Klimakrise weiter voran. Die globalen Folgen wie Dürren, extreme Unwetter, gravierende Gletscherschmelzen und der
Anstieg des Meeresspiegels werden zunehmend sichtbar.
Auch die soziale Ungleichheit nimmt rasant zu: 2016 wird
ein Prozent der Weltbevölkerung voraussichtlich mehr
besitzen als die restlichen 99 Prozent der Menschen auf
der Erde.
Doch es passiert viel zu wenig, um gegenzusteuern. Der
Ausstoß an Treibhausgasen steigt global nahezu ungebremst und knackt immer neue Negativrekorde. Seit
Beginn der Aufzeichnungen wurde keine höhere Konzentration von CO2 als in den vergangenen Monaten gemes-
globale Gerechtigkeit
Dezember: Weltklimakonferenz in Paris
September: Nachhaltigkeitsgipfel in New York
November: G20-Gipfel in Antalya
sen. Das heizt den Treibhauseffekt und die Klimakrise
immer stärker an. Auch in Deutschland nahm der CO2Ausstoß zuletzt wegen des ausufernden BraunkohleBooms weiter zu. Die Bundesregierung droht ihre eigenen
Klimaziele zu verfehlen.
Obwohl weltweit mehr Krisen zu verzeichnen sind,
ändert sich bisher wenig an den politischen Strategien.
Statt vorausschauend und nachhaltig zu handeln, doktert man nach der Heftpflaster-Methode herum: Konflikte werden nur situativ und notdürftig angegangen,
jede neue Krise wird mit überraschtem Erschrecken zur
Kenntnis genommen.
Was wir stattdessen brauchen, ist eine vorausschauende
Friedenspolitik und ein nachhaltiges und gerechtes Entwicklungsmodell. So, wie die Konflikte zusammenhängen, müssen auch die Lösungen zusammen gedacht und
umgesetzt werden, um Frieden, Armutsbekämpfung und
den Schutz der Menschenrechte zu garantieren.
Darum geht’s
Bereits im Juli wird in Addis Abeba über die zukünftige
Finanzierung der globalen Entwicklungsaufgaben entschieden. Hier wird es maßgeblich darauf ankommen,
Entwicklungsfinanzierung und Klimaschutz miteinander
zu verbinden. Es gilt die finanziellen Weichen für die
Nachhaltigkeitsagenda zu stellen. Davon werden auch die
Erfolge bei den nachfolgenden Gipfeln abhängen. Nur
wenn die reichen Staaten bereit sind, finanziell und beim
sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft voranzugehen,
werden sich auch die Entwicklungs- und Schwellenländer bewegen.
Zugleich müssen viele Länder mehr für eine eigenständige nachhaltige Entwicklung tun. Dazu gehört beispielsweise, die Menschenrechte zu sichern, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken, Korruption zu bekämpfen und
gerechte Steuersysteme aufzubauen. Besonders die Entwicklungsländer brauchen eine Chance, regionale Wirtschaftskreisläufe zu entwickeln, ohne von mächtigen
13
Industrieländern zu einer überzogenen Marktöffnung
gedrängt zu werden.
Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen
(VN) im September muss es darum gehen, eine ambitionierte und abgestimmte Agenda für nachhaltige Entwicklung zu verabschieden, die den bestehenden Herausforderungen begegnet und den Weg zu einem sozial-ökologischen Umbau der Weltwirtschaft bereitet. Dafür sollten
die von den VN vorgeschlagenen 17 Ziele, die von Armutsund Hungerreduzierung über Geschlechtergerechtigkeit,
klimagerechte Städte, eine nachhaltige Infrastruktur bis
hin zu einer neuen globalen Partnerschaft reichen,
unbedingt beibehalten werden. Vor allem braucht es
aber verbindliche Vereinbarungen zu deren Umsetzung.
Reine Absichtserklärungen gibt es schon zu viele. Es
braucht endlich den politischen Willen für eine völkerrechtlich verbindliche Klima- und Gerechtigkeitspolitik.
Dazu gehört das Bekenntnis zu einer nachhaltigeren
Gesellschaft, die sich vom Verbrauch fossiler Rohstoffe
entkoppelt, umweltschädliche Subventionen abbaut und
ihre Politikfelder glaubwürdig im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung aufeinander abstimmt. Und es braucht
ehrliche Aufwuchspläne zur Entwicklungs- und Klima­
finanzierung, die dem Prinzip der gemeinsamen, aber
unterschiedlichen Verantwortlichkeiten (Common but
differentiated responsibilities, CBDR) entsprechen.
Auf der Weltklimakonferenz Ende des Jahres in Paris steht
an, das auslaufende und ohnehin unzureichende KyotoProtokoll abzulösen. Hier muss mindestens eine prinzi­
pielle Einigung aller Staaten auf wirksame nationale
Minderungen von Treibhausgasemissionen erreicht werden. Bisher mangelt es allerdings mehrheitlich an der
nötigen Bereitschaft dazu. Neben der EU haben noch
nicht einmal zehn weitere Staaten dem Klimasekretariat
ihre nationalen Beiträge zur CO2-Reduktion gemeldet.
Außerdem sind die bisher eingereichten Ziele, inklusive
des EU-Ziels einer CO2-Minderung von 40 Prozent bis zum
Jahr 2030, zu schwach. Sie hätten eine Erwärmung von
deutlich mehr als 3,5 Grad bis zum Jahr 2100 zur Folge.
Für uns Grüne im Bundestag ist deshalb zentral, dass das
2-Grad-Limit als völkerrechtlich verbindliches Minimalziel
beschlossen wird, aus dem die Verpflichtung zu einer klimaneutralen Welt erwächst. Ein Abschluss in Paris darf
und wird damit kein Schlusspunkt in der Klimapolitik sein,
sondern ist Auftrag für engagiertes Handeln auf allen Ebenen: von der Kommune bis zur Weltgemeinschaft, von der
Bürgergenossenschaft bis zum Hedge Fonds.
14
Unsere ganze Gesellschaft muss die Chance ergreifen, die
in diesem Gipfeljahr liegt. Wir appellieren an die Zivilgesellschaft, die Gipfel genau zu verfolgen und den nötigen
politischen Druck auf die Bundesregierung aufzubauen.
Denn bisher lässt die große Koalition nicht den politischen Willen für eine ambitionierte Nachhaltigkeits- und
Klimaschutzpolitik erkennen.
Warme Worte – wenig Taten
Gerade in Deutschland müssen wir genau hinschauen.
Zwischen den warmen Worten der Bundeskanzlerin und
der tatsächlichen Regierungspolitik klaffen Welten. So
spricht Entwicklungsminister Müller von einem fairen
Handel, aber Kanzlerin Merkel protegiert weiterhin den
ungehemmten Freihandel. Umweltministerin Hendricks
redet von ökologischen Belastungsgrenzen der Erde, legt
aber gleichzeitig ein Gesetz zum umweltschädlichen
Fracking vor, und der Wirtschaftsminister traut sich nur in
Trippelschrittchen an die klimaschädliche Kohle ran.
Die Entwicklungshilfefinanzierung der europäischen Mitgliedsstaaten soll auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens steigen, doch bei der Umsetzung des Ziels wird
an allen Ecken und Enden gespart. Die Bundesregierung
ist immerhin der langjährigen grünen Forderung entgegengekommen und hat für das kommende Jahr 1,2 Milliarden Euro mehr für die Entwicklung angekündigt. Aber
sie konterkariert diese richtige Mittelaufstockung mit
einer gleichzeitigen Erhöhung des Wehretats. Auf der
einen Seite mehr Geld für Entwicklung und Klima in den
Haushalt einzustellen und gleichzeitig Milliarden in teure
und sinnlose Rüstungsprojekte zu versenken und Waffen
auch in Krisengebiete zu liefern, ist alles andere als
nachhaltig. Mit einer solchen Politik der Widersprüche
und ohne gemeinsamen Kompass vergibt Deutschland
die Chance, die das Gipfeljahr bietet.
Deutschland muss seine Hausaufgaben
machen
Um in der internationalen Wahrnehmung nicht als
Scheinriese dazustehen, muss Deutschland jetzt vorangehen. Für uns heißt das, die Energiewende konsequent zu
Ende zu denken und den Kohleausstieg auf den Weg zu
bringen. Wir wollen durch den weiteren ambitionierten
Ausbau der Erneuerbaren teure Energieimporte einspa-
ren. Große Potenziale bergen die Energieeinsparung und
der Einsatz erneuerbarer Energien im Wärmebereich.
Dadurch lassen sich bei einem gleichzeitigen, schrittweisen Kohleausstieg Gasimporte in einer Höhe einsparen,
wie wir sie derzeit pro Jahr aus Russland beziehen.
Zudem braucht es ein Klimaschutzgesetz, das bis 2050
jährliche Reduktionsziele verbindlich festlegt und einen
CO2-Mindestpreis entwickelt, der den ökologischen Kosten der klimaschädlichen Kohleverstromung entspricht.
Die Bundesregierung fordern wir auf, sich national und
international für den Abbau der Subvention fossiler Energieträger einzusetzen. Es kann nicht sein, dass wir beispielsweise den Bau von Kohlekraftwerken im Ausland
immer noch mit Milliarden subventionieren und damit
die Abhängigkeit über Jahrzehnte zementieren. Dieses
Geld ist in der Entwicklungszusammenarbeit und der
internationalen Förderung erneuerbarer Energien besser
angelegt.
Wir erwarten, dass bis zur Finanzierungskonferenz in
Addis Abeba ein transparenter und realistischer „Aufholplan“ für das 0,7-Prozent-Versprechen vorgelegt wird.
Mit politischem Willen und den richtigen Maßnahmen
ließe es sich leicht erreichen. Zielführend wäre zum Beispiel die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die
die Finanzindustrie an den Kosten des globalen sozialökologischen Umbaus beteiligt, und vor allem der Abbau
von über 50 Milliarden Euro umwelt- und klimaschädlicher Subventionen. Wer das Klima schützen und die Welt
gerechter machen will, der muss hier Farbe bekennen:
Die Finanzierung von fossilen und armutsverschärfenden
Projekten ist mit diesen Zielen unvereinbar.
» gipfeljahr.gruene-bundestag.de
Annalena Baerbock MdB
Sprecherin für Klimapolitik
claudia roth MdB
Bundestagsvizepräsidentin
15
Freiheit und Verantwortung statt Prohibition:
Das grüne
CannabisKontroll-Gesetz
Von Harald Terpe und Katja Dörner
Das grüne Cannabis-Kontroll-Gesetz ist eine Alternative
zur sinnlosen Repressionspolitik. Die Prohibition kriminalisiert Konsumentinnen und Konsumenten und kostet
Polizei wie Justiz Unmengen an Geld und Personal. Es
ist Zeit für eine kontrollierte Abgabe.
Ein Glas Wein zu trinken gehört in unserer Gesellschaft
zum guten Ton. Einen Joint zu rauchen geht allenfalls im
stillen Kämmerlein, und selbst das ist strafbar. Cannabis
ist nach wie vor eine kriminalisierte Droge. Der Genuss
der Hanfpflanze ist ebenso wie der Anbau und der Verkauf verboten. Doch diese Verbotspolitik ist gescheitert.
Denn trotz des Verbots ist Cannabis überall und für jeden
leicht erhältlich. Die Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten ist seit Jahren gleichbleibend hoch: Etwa 2,3
Millionen deutsche Erwachsene nutzen die Droge, um die
22 Prozent der 15- und 16-jährigen Schülerinnen und
Schüler haben sie schon einmal probiert.
Die Verbotspolitik schreckt Konsumentinnen und Konsumenten also nicht ab, sie richtet aber gesellschaftliche
und soziale Schäden an – national wie international. Die
aktuelle Drogenpolitik befördert den Schwarzmarkt und
die organisierte Kriminalität. Der Dealer fragt nicht nach
dem Alter, er weist nicht auf Gefahren des Konsums hin
oder kontrolliert, was im Produkt enthalten ist. So sind
16
gestreckte, verunreinigte Produkte im Umlauf, die die
Gesundheit der Konsumenten gefährden können.
Diesen Schwarzmarkt gilt es auszutrocknen und die unverhältnismäßige Kriminalisierung erwachsener Konsumentinnen und Konsumenten zu beenden. Eine Entkriminalisierung der Droge würde zudem die Justiz von kostspieligen und zeitraubenden Strafverfolgungen und ineffektiven
Massenverfahren entlasten. Hier eingesparte Gelder in
Höhe von rund 1,8 Milliarden Euro könnten ungleich sinnvoller in die Suchtprävention investiert werden.
Regulieren statt kriminalisieren
Die Bundesregierung lehnt es ab, Cannabiskonsum als
gesellschaftliche Realität zu akzeptieren und gesetzlich zu
regeln. Einer neutralen Evaluation des Betäubungsmittelrechts, wie von deutschen RechtsprofessorInnen und der
Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin gefordert, verweigert sie sich. In Ländern wie Uruguay oder einigen
US-Bundesstaaten, aber auch in Portugal oder Holland
hat die Legalisierung von Cannabis in den letzten Jahren
keine Zunahme des Konsums gezeigt. Es ist Zeit, auch in
Deutschland einen anderen Weg einzuschlagen.
Die grüne Bundestagsfraktion setzt sich für eine kontrollierte Lockerung der unwirksamen Verbotspolitik ein. Mit
Foto: Picture Alliance
dazu gehören die Einführung eines Grenzwerts von 0,5
Nanogramm pro Milliliter im Blutserum für das Führen von
Kraftfahrzeugen sowie Vorgaben für die Überprüfung der
Fahreignung von Cannabiskonsumierenden.
Unsere Vorgaben für die Legalisierung von Cannabis sind
damit strenger als für die Weitergabe von Alkohol. Denn es
ist uns wohl bewusst, dass der Konsum nicht harmlos ist.
Cannabis kann bei häufigem und übermäßigem Gebrauch,
ebenso wie Alkohol und Nikotin, schädlich sein. Gerade für
Kinder und Jugendliche im Entwicklungsalter kann sich ein
Konsum negativ auswirken. Die Gefahr psychischer und
physischer Abhängigkeit ist bei Alkohol jedoch viel größer,
bei Cannabis ist sie bisher wissenschaftlich umstritten.
Viele Befürchtungen von Gegnerinnen und Gegnern der
Entkriminalisierung sind hingegen unbegründet. Dass
Cannabis eine Einstiegsdroge sei oder eine Regulierung
einen verstärkten Konsum anrege, entbehrt jeder Grundlage. Das grüne Cannabis-Kontroll-Gesetz sieht eine regelmäßige Evaluation vor, um möglichen Fehlentwicklungen
rechtzeitig entgegenzuwirken.
Cannabis als Medizin
dem grünen Cannabis-Kontroll-Gesetz wollen wir eine
regulierte Abgabe an Erwachsene ermöglichen und einen
wirksamen Jugend- und Verbraucherschutz schaffen.
Für Kinder und Jugendliche tabu
Wir wollen mündige Verbraucherinnen und Verbraucher
und einen starken Jugendschutz. So soll der Besitz von
maximal 30 Gramm Cannabis oder drei Hanfpflanzen erst
ab 18 Jahren erlaubt sein. Der Verkauf darf nur in lizen­
sierten Fachgeschäften stattfinden, die nicht in der Nähe
von Kinder- und Jugendeinrichtungen liegen. Verkauf,
Anbau und Handel sollen streng kontrolliert werden. Das
Verkaufspersonal muss regelmäßig an Schulungen zur
Suchtprävention teilnehmen, Aufklärung über Risiken und
Nebenwirkungen wird großgeschrieben. Eine Weitergabe
an Kinder und Jugendliche steht unter Strafe und wird mit
Lizenzentzug geahndet. Der Cannabisverkauf an Automaten oder per Versand ist unzulässig. Die Produktqualität
wird über Vorschriften gesichert. So dürfen beim Anbau
keine Pflanzenschutzmittel verwendet werden, nach dem
Reinheitsgebot sind Beimischungen von Alkohol oder
Tabak unzulässig. Packungsbeilagen und Warnhinweise
sollen einen informierten und verantwortungsvollen
Umgang mit Cannabis unterstützen. Neue Regelungen in
der Straßenverkehrsordnung sollen Risiken vermeiden,
Cannabis wird in seiner schmerzlindernden und entzündungshemmenden Wirkung seit Jahren in der Medizin
eingesetzt. Der Hanfpflanze wird ein hohes medizinisches
Potenzial zugeschrieben, das noch weitgehend unerforscht ist. Seit 2005 können Patientinnen und Patienten
die Droge mit einer Ausnahmegenehmigung in der Apotheke erwerben. Oft weigern sich jedoch die gesetzlichen
Krankenkassen, die Kosten zu übernehmen. Viele Schwerkranke können sie sich aber aus ihrem Geldbeutel nicht
leisten, sodass sie zum illegalen Anbau greifen, um den
notwendigen Bedarf zu decken. Sie setzen sich damit
notgedrungen der Strafverfolgung aus. Auch hier schafft
das grüne Cannabis-Kontroll-Gesetz Abhilfe, da Kauf und
Eigenanbau legal werden. Ziel bleibt es jedoch, Cannabis
als Medizin für bestimmte Krankheiten anzuerkennen
und damit auch eine Kostenerstattung über die gesetz­
liche Krankenversicherung zu erreichen.
» gruene-bundestag.de/cannkg
Dr. Harald Terpe MdB
Sprecher für Sucht- und Drogenpolitik
Katja Dörner MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzende
AK 5: Wissen, Generationen, Gesundheit
17
Brantner Entwaffnend
Auch im Bundestag hat sich die frühere EU-Parlamentarierin Franziska Brantner ihre europäische
Perspektive bewahrt. Familienpolitik und Krisenprävention sind die Themen der Heidelbergerin.
Von Susanne Sporrer
Wenige Meter vom Reichstag entfernt sitzt die zierliche
Frau mit der auffälligen großen Brille in der Frühlingssonne. Von der Spree sind die Ausflugsschiffe zu hören. Vor
zwei Jahren tauschte die 35-Jährige Brüssel gegen Berlin.
Nachdem sie bereits vier Jahre für die Grünen im Europaparlament gesessen hatte, wurde sie 2013 über die
baden-württembergische Landesliste in den Deutschen
Bundestag gewählt.
Franziska Brantner ist mit Kopf und Herz Europäerin. Im
Dreiländereck in Lörrach geboren besuchte sie das
deutsch-französische Gymnasium in Freiburg. Französisch, Englisch und Spanisch spricht sie fließend. Als Studentin und Politikerin war sie in Paris, Brüssel und Oxford
zu Hause. Nach wie vor liest sie regelmäßig Le Monde und
The Guardian auf ihrem Blackberry. „Ich habe eben nicht
nur Deutschland im Blick. Mich interessiert auch, wie sich
unsere Politik zum Beispiel auf die Wahlen in Spanien
auswirkt.“
„Die Zeit im Europaparlament hat mich geprägt“, sagt
Franziska Brantner. An manche Gepflogenheiten des
deutschen Politikbetriebes hat sie sich noch nicht
gewöhnt – und will sich damit auch nicht abfinden. „In
Berlin herrscht diese Unkultur, dass ganz viel abends
stattfindet.“ In Brüssel hingegen werde vieles beim ausgedehnten Mittagessen besprochen, der Abend bleibt
eher frei. Bei maximal zwei Abendterminen pro Woche
soll es denn auch bleiben, lautet ihr Vorsatz – der fünfjährigen Tochter zuliebe, die sie allein erzieht. Als Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik weiß Franziska
Brantner, wovon sie redet. Nicht nur aus persönlichen
Motiven fordert sie, „den Arbeitsmarkt so einzurichten,
dass er den Familien entspricht und nicht umgekehrt“.
Am Rednerpult des Bundestages erlebt man die Abgeordnete aus Heidelberg stets ruhig und sachlich, Emotionen
zur Schau zu stellen ist nicht ihre Art. Doch im Gespräch
18
wird schnell deutlich, worüber sie sich aufregt und was
sie antreibt. Das „anachronistische Bild von Familie und
Ehe in Deutschland, wo den Frauen immer noch
bestimmte Aufgaben zugeschrieben werden“, findet sie
„einfach grausam“ und schüttelt sich.
„Aber es gibt noch etwas, was mich wirklich auf die Palme
bringt, und das ist kurzfristiges Denken“, sagt Brantner.
Das hat vor allem mit ihrem zweiten Schwerpunktthema,
der zivilen Krisenprävention, zu tun. Wann in Syrien welche Chance vertan wurde, eine Eskalation zu verhindern,
hat sie genau im Kopf. Weil sie wissen wollte, wie man
Konflikte friedlich lösen kann, machte sie vor zehn Jahren
eine Ausbildung zur Mediatorin.
Verstehen und verändern wollen – dieses Motiv begleitet
Franziska Brantner seit ihrer Schulzeit. Schon als Jugendliche organisiert sie Streiks an ihrem Gymnasium. Nach
dem Abitur geht sie zur Böll-Stiftung nach Tel Aviv, um die
jüdische Kultur kennenzulernen. Als Studentin an der Sciences Po, dem renommierten Pariser Institut für politische
Studien, beschäftigt sie sich bereits vor dem 11. September
mit dem politischen Islam. Und in ihrer Doktorarbeit geht
sie der Frage nach, wie reformfähig die Vereinten Nationen sind.
Franziska Brantners Lebenslauf klingt nach Überfliegerin,
Stipendien und Arbeit für die Vereinten Nationen eingeschlossen. Sie selbst sieht es locker: „Ich lerne sehr gerne
und das fällt mir zum Glück leicht.“ Sich in neue Themen
einzuarbeiten macht ihr Spaß, aber bitte keine halben
Sachen: „Da habe ich auch den Anspruch, richtig gut
da­rin zu werden“, sagt sie und lacht. Für Kino, Theater
oder Sport bleibt da kaum Zeit. Jede freie Minute, die ihr
bleibt, verbringt Franziska Brantner mit ihrer Tochter. Nur
das Lesen lässt sie sich nicht nehmen. Gerade liegt Michel
Houellebeqs „Unterwerfung“ auf ihrem Nachttisch:
natürlich im Original.
Foto: St. Kaminski
Franziska Brantner vor dem Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Tiergarten.
Dr. Franziska Brantner
1996-1997 Mitglied im Landesvorstand der Grünen Jugend
Baden-Württemberg
seit 1997 Mitglied bei Bündnis 90/
Die Grünen
1997-1999 Mitglied im Bundesvorstand der Grünen Jugend
2009-2013 Mitglied des Europäischen
Parlaments
seit 2013 Abgeordnete im Deutschen
Bundestag, Sprecherin für
Kinder- und Familien­
politik und Vorsitzende des
Unterausschusses für Zivile
Krisenprävention
19
parlament:Grün
»»Gut versorgt bis zum Schluss
Sterben und Tod sind gesellschaftliche Tabuthemen.
Davon geprägt ist die Angst vieler Menschen, unter
unwürdigen Bedingungen, mit Schmerzen oder einsam
zu sterben. Die meisten wünschen sich, ihre letzte
Lebensphase bis zum Tod in einer vertrauten Umgebung
verbringen zu können. Die Realität sieht häufig anders
aus. Denn unsere Gesellschaft ist noch weit entfernt von
einer flächendeckenden, guten Versorgung am Lebensende. Diese Situation hat der Antrag (Bt-Drs. 18/4563)
der grünen Bundestagsfraktion: „Gute Versorgung am
Lebensende sichern“ aufgenommen und grundlegende
Verbesserungen der Palliativ- und Hospizversorgung
erarbeitet. Fakt ist, dass wir eine Palliativversorgung
brauchen, die sich an den Wünschen, Bedürfnissen und
Wertvorstellungen der PatientInnen und ihrer Angehörigen orientiert. Dafür wollen wir Beratung und Trauerbegleitung für Angehörige auf- und ausbauen, das bürgerschaftliche Engagement als Hauptträger der Hospizarbeit
finanziell und strukturell stärken, die pflegerischen und
medizinischen Leistungen besser verzahnen und mehr
Geld für gut geschultes Pflegepersonal bereitstellen.
Diese Maßnahmen zielen darauf ab, Leiden und Ängste
zu lindern sowie die Lebensqualität der Menschen in der
letzten Lebensphase so lange wie möglich zu erhalten.
»»Erinnerungskultur in Deutschland
Die angemessene Aufarbeitung der deutschen Geschichte musste in der Vergangenheit immer wieder neu von
der Zivilgesellschaft erkämpft werden und bleibt bis
heute Gegenstand von Kontroversen. Erinnerungskultur
»»Kleinanleger schützen,
solidarische
Ökonomie stärken
Mit einem gerade beschlossenen
Gesetz sollen Anlegerinnen und
Anleger besser vor unseriösen und
intransparenten Finanzprodukten
20
ist einer der kulturpolitischen Schwerpunkte der grünen
Bundestagsfraktion. Wir richten uns gegen jede Forderung nach einem „Schlussstrich“ und setzen uns für
offene und vielfältige Formen des Erinnerns ein. Die
Erinnerung an den Holocaust bleibt dabei eine moralische Verpflichtung, die sich niemals „loswerden“ lässt.
Trotz der Singularität des millionenfachen Massenmords
der Nationalsozialisten bleibt auch die Vermittlung der
DDR-Geschichte ein bleibender Auftrag. Zugleich erfordern die Realitäten der Einwanderungsgesellschaft neue
Formen der Vermittlung.
In einem Fachgespräch
über „die neue Vielfalt in
der Erinnerungskultur“
sind wir der Frage nachgegangen, wie die
Geschichten und Erinnerungen von Migrantinnen
und Migranten Teil eines
gemeinsamen Erinnerungsnarrativs werden
können. Das weitere,
derzeit intensiv diskutierte Thema des Fachgesprächs war der Umgang mit der deutschen Kolonial­
geschichte. Denn obwohl Deutschland sich gerne als
„Aufarbeitungsweltmeister“ sieht, gehört der deutsche
Kolonialismus zu den am meisten verdrängten historischen Themen. Auch dieser „weiße Fleck“ in der deutschen Erinnerungskultur kam erst durch das Engagement zivilgesellschaftlicher Initiativen auf die politische
Agenda. Die Bundestagsfraktion möchte weiterhin
Ansprechpartner für solche Initiativen sein und die
offene und demokratische Auseinandersetzung über die
Zukunft des Erinnerns vorantreiben.
Fragen zu Wissen, Generationen & Gesundheit?
[email protected]
geschützt werden. Unser Ziel war es
auch, Kleinanlegerschutz und bürgerschaftliches Engagement in
Balance zu bringen. Das Gesetz
geht da schon in die richtige Richtung, hat aber Regelungslücken
und ist an einigen Stellen sogar
schlecht gemacht.
Eine Regulierung aller Bereiche des
Grauen Kapitalmarktes war überfällig. Das haben die Erfahrungen
der letzten Jahre bitter gezeigt.
Viele langjährige grüne Forderungen wurden mit dem Kleinanlegerschutzgesetz verwirklicht: Endlich
ist der kollektive Verbraucherschutz
Foto: S. Pucher/Picture Alliance
Hier berichten wir über unsere parlamen­tarische
Arbeit aus den Arbeitskreisen. Weitere Informationen und Themen sowie unsere parlamentarischen
Initiativen bietet unsere Website
» gruene-bundestag.de.
Foto: M. Scholz/Picture Aalliance
mit den tatsächlichen Verhältnissen
in Einklang.
gesetzlich festgeschriebenes Aufsichtsziel der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) und endlich unterliegen
auch Nachrangdarlehen, eine bislang unregulierte und für den
Anleger relativ riskante Form der
Finanzierung, der Aufsicht durch
die BaFin. Wichtige Fragen des
Anlegerschutzes wurden allerdings
nicht angepackt. In Bezug auf die
solidarische Ökonomie ist die
Regulierung zudem ungenau und
bringt die Belange des Verbraucher- und Anlegerschutzes nicht
Bürgerschaftlich getragene Projekte
der solidarischen Wirtschaft brauchen politischen Rückenwind.
Denn diese Initiativen treiben mit
ihren Projekten vor Ort den ökologischen und sozialen Fortschritt
voran. Beispielsweise wäre der
Erfolg der Energiewende in
Deutschland ohne das genossenschaftliche und bürgerschaftliche
Engagement nicht denkbar gewesen. Viele dieser Projekte finanzieren sich mit Nachrangdarlehen aus
Unterstützerkreisen. Nachrangdarlehen findet man heute vielerorts
auch bei der Finanzierung von am
Gemeinwohl orientierten Wohnprojekten, Dorfläden und Schulen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hatte dies zunächst gar
nicht berücksichtigt. Es hätte für
viele solidarische Projekte in
Deutschland das Aus bedeutet. Wir
Grüne im Bundestag haben uns
deshalb für Änderungen im Gesetz
starkgemacht. Es ist zwar gelungen,
die gravierendsten Folgen für Pro-
»»Die Stadt der Zukunft ist grün
Die Berliner Jugendfarm Moritzhof bangt um ihre Existenz, weil neben den Ponyställen Wohnungen gebaut
werden sollen. Ein weiterer grüner Freiraum in einer
engen, lauten Stadt droht verloren zu gehen. Dabei sind
grüne Freiräume für Städterinnen und Städter lebenswichtig. Dort trifft man sich zum Gärtnern und Erholen;
sie sind gut für die Natur, kühlen die überhitzte Stadt ab
und können Starkregen auffangen. InvestorInnen und
StadtentwicklerInnen opfern oft leichtfertig städtische
Grünflächen. Dabei wäre es so einfach: Denn wer flächensparend baut und eine Stadt der kurzen Wege plant,
hat genug Reserven für guten Wohnungsbau mit grünen
Freiräumen. Wir fordern: keine Investoren-Baupläne
ohne solide Umweltprüfung und Bürgerbeteiligung. Liegenschaften des Bundes sollten günstiger abgegeben
werden, etwa um Kleingärten als Grünoasen in dicht
jekte der solidarischen Wirtschaft
zu verhindern. Dennoch fehlt es
dem Gesetz immer noch an Passgenauigkeit und Verhältnismäßigkeit. So ist die Obergrenze für
Nachrangdarlehen in Höhe von
2,5 Millionen Euro weiterhin zu
niedrig. Hier wäre eine Grenze von
4 Millionen Euro angemessen
gewesen. Außerdem sind einige
Rechtsunsicherheiten für Genossenschaften immer noch nicht
beseitigt. Leider versäumt das
Gesetz zudem eine gute Regulierung der Crowd­investingPlattformen. Die Aufsicht über die
Plattformen sollte nicht bei kommunalen Gewerbeämtern, sondern
zentral bei der BaFin angesiedelt
sein. Schließlich versäumt die Bundesregierung, bessere Standards für
Wertpapierprospekte zu setzen,
damit diese ihren eigentlich Zweck
erfüllen: Anleger auf verständliche
Weise mit den wesentlichen Informationen zu versorgen.
Fragen zu Wirtschaft, Finanzen
& Sozialem?
[email protected]
bebauten Stadtteilen zu schützen. Und auch die Städtebaumittel des Bundes sollten Bürgerengagement wieder
besonders berücksichtigen. Doch für unsere Anträge
(18(16)14, 18/3044, 17/10846) zum Schutz städtischen Grüns
hat Schwarz-Rot nur eins übrig: Ablehnung.
»»Meere weltweit schützen
Unsere Meere sind in einer historischen Krise und teils
bereits unumkehrbar verändert. Leergefischt, vermüllt,
übernutzt und als Opfer der Klimakrise sind die Meeresökosysteme bis zum Äußersten strapaziert. Tausende an
Quadratkilometern große Plastikmüllteppiche treiben
durch die Ozeane, Nährstoffe aus industrieller Landwirtschaft und Gifte fließen ungefiltert ins Wasser. Zwar hat
es der Meeresschutz auf die Agenda des G7-Gipfel
geschafft, doch außer einem Aktionsplänchen gegen
21
parlament:Grün
Vermüllung, wird in Elmau nichts für einen wirksamen
Schutz der Meere verabschiedet. Das greift zu kurz. Wir
Grüne im Bundestag meinen, es müssen vielfältige
Hebel zum Schutz der Meere in Bewegung gesetzt werden. Zum Beispiel müssen die Fischerei in die Verantwortung genommen, konsequente Schutzzonen umgesetzt,
aber auch die Nährstoff- und Gifteinträge (beispielsweise
Phosphate aus der Landwirtschaft) verringert werden
(Antrag „Schutz der Meere weltweit verankern“, Bt-Drs.
18/4814). Die Kanzlerin hätte ihren Einfluss auf die Mächtigsten beim G7-Gipfel dafür aufwenden müssen – so
aber bleibt es bei einem bisschen Müll.
len Energieträger an Kohle, Gas und Öl im Boden bleiben. Viele der fossilen Reserven von Konzernen wie
Shell oder Exxon wären dann weniger wert als bislang
angenommen und es bestünde die Gefahr einer auf
fossilem Kohlenstoff basierenden Finanzmarktblase
(Carbon Bubble). Um eine solche Fehlentwicklung zu
verhindern und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft abzuwenden, muss jetzt entschieden gegengesteuert werden. Wir wollen deshalb Investitionen in den
Klimaschutz umlenken (Divestment), indem zum Beispiel FinanzberaterInnen auf fossile Risiken hinweisen
müssen und Fonds und Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck erkennbar ausweisen (Bt-Drs. 18/4877).
»»Carbon Bubble
Auf den Finanzmärkten der Welt werden täglich Milliarden bewegt. Nach wie vor wird dort sehr viel Geld in
fossile Energien investiert. Doch wenn wir die Klimakrise abwenden wollen, dann muss ein Großteil der fossi-
»»Rückenwind aus
Foto: C.McNaughton/Reuters
Irland
Mehr als 62 Prozent der Iren votierten für die Öffnung der Ehe. Auch
in Deutschland ist eine ähnlich
breite Mehrheit dafür. Das Eheverbot für lesbische und schwule Paare
hierzulande ist eine konkrete und
eine symbolische Diskriminierung,
für die es keinerlei Rechtfertigung
gibt. Wir Grüne im Bundestag wollen gleiches Recht: Ehe für alle. Nur
die Bundesregierung will weiter
diskriminieren. Merkels Regie22
Fragen zu Umwelt, Energie, Landwirtschaft &
Verkehr?
[email protected]
rungssprecher betonte, dass „die
vollständige Gleichstellung von Ehe
und Lebenspartnerschaft (…) kein
Projekt dieser Bundesregierung“
sei. Stattdessen präsentierte sie ein
paar kosmetische Änderungen bei
der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, die selbst nach eigener Aussage nur „von geringerer praktischer Bedeutung“ sind. Das
SPD-geführte Bundesjustizministerium behauptete auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen
sogar, das Grundgesetz lasse eine
Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare nicht zu. In gewundenen
Formulierungen dementierte Justizminister Maas daraufhin via
Facebook sein eigenes Ministerium!
Wir meinen: Die Lebenspartnerschaft war eine wichtige Etappe auf
dem Weg von der Rechtlosigkeit
gleichgeschlechtlicher Paare hin
zum Ziel der vollständigen Gleichstellung. Durch ein fortwährendes
Eheverbot werden Lesben und
Schwule aber als Bürgerinnen und
Bürger zweiter Klasse behandelt.
Das steht nicht im Einklang mit den
Grundwerten unserer Verfassung –
der Menschenwürde, der freien
Entfaltung der Persönlichkeit und
der Gleichheit vor dem Gesetz. Die
grüne Bundestagsfraktion wird ihre
Anstrengungen verstärken, auch in
Deutschland die Ehe für alle durchzusetzen. 20 Länder sind uns hier
schon voraus.
»»Kirchentag 2015 –
Ein Gipfel mit den
Menschen
Wie der Spiegel es ausdrückte, war
der 35. Evangelische Kirchentag
„grün unterwandert“. Die „Parlamentarische Nacht“ der Bundestagsfraktion in Stuttgart stand unter
dem Thema „Globale Gerechtigkeit“. Im Gegensatz zum G7-Gipfel
ist der Kirchentag ein Gipfel der
aktiven Zivilgesellschaft; „statt
abgeschottet in einem Schloss auf
einem Berg, findet er mit den Menschen statt“, so Katrin Göring-
»»Bindende Kriterien
»»Nicht zum SchieSSen
Ohne eine Gesetzesänderung wird
es keine entscheidende Trendwende
in der Exportpraxis von Militärgütern
geben. Deutschland zählt nach wie
vor zu den Top-Rüstungsexporteuren der Welt, ganz entgegen den
Ankündigungen von Wirtschaftsminister Gabriel. Solange Kriterien wie
die Menschenrechtslage im Empfängerland, die Einstufung als
Spannungsgebiet oder die Zuverlässigkeit der Endverbleibskontrolle
nur unverbindliches Beiwerk sind,
stehen der Rüstungsindustrie Tür
und Tor offen, um fragwürdige
Drittstaaten zu beliefern. Ein Rüs-
Eckardt. In vielen Tischgesprächen
war das Gipfeljahr Thema. Volker
Beck griff das Motto des Kirchentages „Damit wir klug werden“ auf.
Politik, Parlamente und Kirchentag
treffen sich prinzipiell bei der Frage,
wie wir den Verzehr unserer natürlichen Lebensgrundlagen aufhalten
können - in diesem Sinne müssen
wir alle noch klüger werden. Neben
Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Oberbürgermeister Fritz
Kuhn, die als Ehrengäste ein Grußwort hielten, waren Kirchentagspräsident Andreas Barner und der Vorsitzende des Rates der EKD, Heinrich
Bedford-Strohm, sowie zahlreiche
weitere Bischöfe und Mitarbeitende
der kirchlichen Gremien und Werke
zur „Parlamentarischen Nacht zu
begrüßen.
Fragen zu Bürgerrechten &
Demokratie, Rechts& Gesellschaftspolitik?
[email protected]
Foto: epa AFP Nackstrand
für Waffenexporte
tungsexportkontrollgesetz könnte
das ändern. Es würde endlich die
„Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ auf eine gesetzliche
Ebene heben und damit klare Entscheidungskriterien etablieren. So
sieht es unser Antrag (BT-Drs.
18/4940) vor. Ebenso gilt es, die vom
Bundesverfassungsgericht angemahnten Informationslücken zu
füllen, damit sich Außenste­hende
überhaupt ein vollständiges Bild der
Genehmigungsverfahren machen
können. So, wie die Bundesregierung unterrichtet, ist das Parlament
weiterhin nicht in der Lage, Rüstungsexporte ausreichend informiert zu kontrollieren.
Worte und Taten klaffen im Wirtschaftsministerium auseinander.
Auch die jüngste Ankündigung
sogenannter Kleinwaffengrundsätze
zur Verhinderung des Weiterleitens
von Kleinwaffen ist kein großer
Wurf. Die Idee „Neu für Alt“ – also
Genehmigungen für kleine und
leichte Waffen nur dann zu erteilen,
wenn im Gegenzug alte Bestände
vernichtet werden – ist keineswegs
neu. Sie sollte auf Druck der grünen
Bundestagsfraktion bereits seit ihrer
Einführung 2003 gängige Praxis
sein. Ob sie es ab jetzt wird, wird
sich zeigen. Auch diese „Kleinwaffengrundsätze“ sind bisher nur
eins: unverbindlich.
Das Pannengewehr G36 hat in seiner
jetzigen Konstruktion keine Zukunft
mehr in der Bundeswehr. Das ist das
vorläufige Ergebnis unzähliger
Nachfragen, Recherchen und Sitzungen des Verteidigungsausschusses
des Deutschen Bundestages. Über
Jahre wurden Hinweise auf Probleme am Gewehr durch das Verteidigungsministerium (BMVg) wahlweise
ignoriert, beiseitegewischt oder vertuscht. Jüngst wurde bekannt, dass
das Rüstungsunternehmen Heckler
& Koch unter Mithilfe der Abteilung
Rüstung im BMVg versucht hat, den
Militärischen Abschirmdienst gegen
Kritiker des Gewehres einzuschalten.
Nach Hinweisen auf Korruption
musste nun auch Verteidigungsministerin von der Leyen eingestehen,
dass es möglicherweise Verbandelungen zwischen ihrem Haus und
Heckler & Koch gibt, die über das
übliche Maß vertrauensvoller
Geschäftsbeziehungen hinausgehen. Spätestens diese Enthüllungen machen unseres Erachtens
einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss notwendig, um
die Causa G36 aufzuklären. Die
Fraktion Die Linke im Bundestag
hat sich jedoch gegen eine sorgsame parlamentarische Aufklärung
entschieden und den Weg für einen
Untersuchungsausschuss blockiert.
Frau von der Leyen muss nun liefern und insbesondere klären, welche Kenntnis der Probleme sie seit
wann und in welchem Umfang
hatte. Auch der Filz zwischen Hersteller und Ministerium muss
schleunigst aufgedeckt werden.
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