Erläuterung: Mut zur Ecke – Mut zum Freiraum Bei dem bearbeiteten

Erläuterung: Mut zur Ecke – Mut zum Freiraum
Bei dem bearbeiteten Grundstück handelt es sich um die dem neugebauten Gerber-Einkaufszentrum
gegenüberliegenden
Gebäude
der
Marienstraße,
sowie
die
angrenzende
Kreuzung
der
Paulinenstraße/Marienstraße/Reinsburgstraße.
Städtebau
Der Entwurf basiert auf einer Neuordnung des Stadtraums, da der betreffende Abschnitt der Marienstraße
leider nur schlecht erhaltene Bausubstanz aufweist und nur noch wenig von der Bevölkerung wahrgenommen
wird. Auch soll ein Gegenpol zur Massivität des Gerbers geschaffen werden. Der fließende Freiraum fasst die
große Kreuzung der Paulinenstraße und Marienstraße zusammen; er wird von einzelnen Baukörper bespielt
und macht den sonst geschlossenen Stuttgarter Block und seinen Hinterhof der Öffentlichkeit zugänglich. Im
Hinterhof ist ein Kraftwerk zu entdecken – ein „Geheimnis“, das durch eine perforierte Mauer nun sichtbar
wird und die Funktion einer Kulisse einnimmt.
Gleichzeitig ist diese Stelle als „ Stadttor“ sehr relevant für die Stuttgarter Innenstadt. Die Besucher der
auslaufenden Königstraße sollen durch einen multifunktionalen Platz mit hoher Aufenthaltsqualität, sowie dem
eingerückten Baukörper am Ende des Abschnitts der Marienstraße aufgefangen werden.
Der mit Bitu-Terrazzo gestaltete Bodenbelag läuft durch die öffentlichen Erdgeschosse der Baukörper hindurch
– hier jedoch geschliffen -, um sie noch deutlicher dem öffentlichen Freiraum zuzuordnen. Auch fließt er über
die stark befahrene Paulinenstraße, um durch einen Wechsel im Bodenbelag die Aufmerksamkeit der
Autofahrer zu erhöhen. Der betreffende Abschnitt der Marienstraße wird verkehrsberuhigt und ihre Kreuzung
mit der Paulinenstraße entschleunigt.
Baukörper
Die ersten beiden Baukörper lösen sich schrittweise von der Blockstruktur: Lehnt sich der erste Baukörper
noch an die Brandwand von Sophie's Brauhaus, rückt der darauffolgende bereits deutlich von der Straße
zurück und erlaubt so die Entstehung des Platzes. Der dritte Baukörper wiederum rückt bis in die Mitte zum
Gerber vor, um mit seinem offenen Erdgeschoss das „Stadttor“ zu bilden. Mit dem Sprung über die
Paulinenstraße bildet der letzte Baukörper den dazugehörigen Hochpunkt als „ Stadtturm“. Es erfolgt so der
Anschluss an die weiter westlich gelegenen Wohngebiete. Außer diesem Turm, liegen die Baukörper in der
Marienstraße deutlich unter den umliegenden Gebäudehöhen, was ihre gestalterische Unabhängigkeit
unterstreicht.
Mit einem einzigen als Brandschutztreppenhaus ausgebildeten Erschließungskern ermöglichen die ungerichteten
Baukörper großzügige, flexible Räume. Diese sind durch das 1,8 x 1,8m große Raster absolut
nutzungsneutral – vom Großraumbüro bis hin zum kleinteiligen Studentenwohnheim. Nachhaltiges Bauen
bedeutet in der heutigen Zeit auch das Zulassen von flexiblen Funktionen.
Jedoch bietet sich, wie bei der Positionierung der Körper, ein immer öffentlicher werdender Funktionsverlauf
an, der sich auch in den Fassaden wiederspiegelt: Von der streng gerasterten Lochfassade hin zur
aufgelösten Pfosten-Riegel-Glasfassade, die die innere Bogenstruktur freilegt.
Baukonstruktion
Aus dem Funktionsraster ergibt sich das 7,2 x 7,2m Stützenraster. Die Tragstruktur bilden vorgefertigte
Brettsperrholz-Bögen aus Buche - einem einheimischen Bauholz, das aufgrund seiner hohen Festigkeit und
der Klimaerwärmung immer relevanter wird. Die Holz-Beton-Verbunddecken können ebenfalls vorgefertigt
werden und ermöglichen durch einen aufgeständerten Boden einen flexiblen technischen Ausbau.
Der hohe Vorfertigungsgrad ermöglicht eine kurze Bauzeit, um die Lücke in der Stuttgarter Innenstadt wieder
zu füllen.
Der bereits erwähnte gestalterische Verlauf der Fassaden und ihren Öffnungsgrößen wird ebenfalls durch eine
Holzkonstruktion mit durch Accoya behandelten Sperrholzplatten ermöglicht. Diese Sperrholzplatten ahmen das
Format der in der Umgebung verwendeten Natursteine nach und sind erst beim herantreten, angelehnt an
Sempers Stoffwechseltheorie, als Holz erkennbar. Dies soll den Kontrast zur Umgebung auf unterschwellige Art
und Weise nochmals betonen.
Zusammenfassend soll der Entwurf die Wahrnehmung für Alternativen zum vorherrschenden Investorenbau
stärken, sowie grundlegende Möglichkeiten von innovativem Städtebau und nachhaltigem Bauen aufzeigen.
Kathrin Eva Seitz, Universität Stuttgart, Institut für Baukonstruktion und Entwerfen 1
Schwarzplan; schrittweise Loslösung der Baukörper von der vorherigen Blockstruktur
Mut zur Ecke - Mut zum Freiraum; Blick auf Marienstraße von Gerber-Terrasse
Freiraum schaffen als Kontrast zu massivem Gerber-Bau an der Marienstraße
Platz und Neubauten schaffen Verbindung über die Kreuzung der Paulinenstraße
Versteckte Industrie des Hinterhofs an der Marienstraße öffentlich sichtbar machen
B-B'
A'
A
Erdgeschosse und Freiraum
Schnitt Marienstraße
Nutzungsneutrales Raster 7,2 x 7,2m
Großraumbüro
Wohnen
Galerie
Arztpraxis
Studentenwohnheim
Innenraum dominiert von Brettsperrholz-Bögen
Freiraumgestaltung Marienstraße
Ansicht Paulinenstraße
Blick bei Nacht auf “Stadttor” von Paulinenstraße
Mut zur Ecke - Mut zum Freiraum
Embrace the Corner - Embrace the Space
Kathrin Eva Seitz | Bachelorarbeit WS14/15
Universität Stuttgart | Institut für Baukonstruktion und Entwerfen 1 | Prof. Peter Cheret