Andacht_-_Kick_off - Diakonisches Werk in Niedersachsen

Andacht anlässlich der ‚Kick-off-Veranstaltung‘ Sucht im Alter am 08.07.2015
Liebe Mitarbeitende im Projekt Sucht im Alter,
ich freue mich, dass die Fragestellung die aus der gemeinsamen Arbeit mit
suchtkranken und alten Menschen ergibt, nämlich Sucht im Alter - uns heute hier
zusammenbringt. Nicht, weil dies ein so wunder- bares Thema ist, sondern weil
uns das Interesse und die Sorge um die betroffenen Menschen miteinander
verbindet. NEVAP und ELAS - zwei evangelische Fachorganisationen nehmen die
Spur
auf zu einem totgeschwiegenen oder verdrängten Thema,
das uns
zunehmend auf den Nägeln brennt, weil wir mit diesen Menschen in unseren
Arbeitsfeldern immer mehr zu tun haben. Suchtkranke Menschen werden älter,
Menschen im Alter greifen zunehmend zu abhängig machenden Substanzen. Mit
dem heute startenden regionalen Projekt wird ein Anfang gemacht, an dessen Ende
die gezieltere Unterstützung Betroffener und hoffentlich auch Möglichkeiten zur
Prävention stehen.
Sucht im Alter - gibt es dazu biblische Bezüge? Natürlich findet man dazu nichts direkt im
Buch der Bücher, weil es im Kulturkreis der Entstehung der Bibel weder Sucht als
Thema noch das Alter als eigenständige Lebensform gab. Vom Aspekt Sucht her
betrachtet, gibt es an einigen Bibelstellen meist in neutestamentlichen Briefen
sogenannte Lasterkataloge, wo die Leser vor schlimmen und schädigenden, ja
unchristlichen Eigen- schaften und Verhaltensweisen gewarnt werden. Trunkenheit
gehört an einigen Textstellen dazu. Andererseits tabuisiert die Bibel keineswegs den
Weingenuss. Im Prediger Salomo heißt es: Da merkte ich, dass es nichts besseres
gibt im Leben als dass ein Mensch isst und trinkt und hat guten Mut. Denn auch das
ist eine Gabe Gottes. Ja, im Gegenteil, der Weingarten ist zum Symbol des
Gottesvolkes selbst geworden und im Neuen Testament symbolisiert der Wein das
vergossene Blut Christi. Nicht Alkoholkonsum an sich wird negativ beurteilt, sondern der
unkontrollierte Umgang mit ihm und die die Persönlichkeit einnehmende Abhängigkeit,
die wir Sucht nennen.
Dass zwischen dem Menschen und seiner Suchterkrankung unterschieden werden
muss, zeigen auch die biblischen Erzählungen von Menschen, die ihren inneren
Personenkern verloren haben. Sie werden besonders in den neutestamentlichen
Evangelien als Besessene bezeichnet, deren Personenmitte beherrscht wird, in der
Vorstellung damals von bösen Geistern, aus dessen Abhängigkeiten sie sich von
allein nicht mehr befreien können. Solchen Menschen wendet sich Jesus häufiger zu
und vertreibt den bösen Geist. Gott geht es um den Menschen. Die Befreiung des
Menschen von inneren Zwängen und Mächten wird sogar in den Zusammenhang mit
dem bevorstehend geglaubten Anbruch der Herrschaft Gottes gestellt. Wenn Gottes
Reich anbricht, werden die einen Menschen beherrschenden Kräfte weichen.
Suchtkranken zu helfen gehört also nicht zu den 7 Werken der Barmherzigkeit, aber
hat trotzdem einen inneren Bezug zu unserem Glauben. Es geht um die Würde und
die Freiheit, die ein jeder Mensch als Gottes Ebenbild in sich trägt. Und diese Würde
darf und soll nicht beschädigt werden. Soweit einige biblische Bezüge zum Aspekt
Sucht.
Kommt man nun von dem Gedanken des Alters her, so fällt mir dazu der Psalm 90
ein, wo der bekannte 10. Vers lautet: Unser Leben währet 70 und wenn‘s hoch
kommt, so sind‘s achtzig Jahre. Und was daran köstlich scheint, ist doch nur
vergebliche Mühe, denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.
Luther übersetzte diesen Vers ja in bekannter Weise: Unser Leben währet siebzig
und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s achtzig Jahre und wenn‘s köstlich gewesen ist,
so ist‘s Mühe
und
Arbeit
gewesen.
Man
hat
diese Übersetzung
in eine genauere Form gefasst, auch um einer falschen
Leistungs- und Arbeitsethik
nicht zu großen Raum zu geben.
Aber die alte Lutherübersetzung ist gar nicht so weit von einem wichtigen Aspekt
des Themas Sucht im Alter entfernt. Für manchen Menschen heute war die Zeit der
Mühe und Arbeit im Leben ja wirklich positiv besetzt. Arbeit und der Arbeitsplatz gaben
dem Leben des einzelnen eine deutliche Struktur: Der durch Arbeit geprägte
Tagesrhythmus, allein das morgendliche Auf- stehen, ich hatte heute echte Mühe
hoch zu kommen ....
Der Wochenrhythmus, der die Wochenenden spürbar von den übrigen Werktagen
unterscheidet, der Jahresrhythmus mit seinen Festtagen und Erholungszeiten, die
diese Tage zu besonderen machen, auf die wir uns in der Regel freuen.
Durch die Mühe und Arbeit des Lebens entstehen Kontakte, bauen sich Beziehungen
auf, die zwar meistens nicht in die Privatsphäre hineinreichen, die uns Menschen als
Beziehungswesen aber im Leben halten. Viele sehnen sich nach dem Arbeitsende
und meinen, im Ruhestand begönne ein neues Leben. Dies stimmt sogar, aber es
fallen eben nicht nur Mühe und Arbeit weg, sondern auch die bereichernden und
das Leben strukturierenden Aspekte. Früher gab es keinen Ruhestand im heutigen
Sinn, da auch der alte Menschen sich um seinen Lebensunterhalt kümmern musste,
oder, wenn dies in vorbürgerlichen Gesellschaftsformen durch die bäuerliche
Großfamilie geregelt war, trug der alternde Mensch doch wenigstens seinen ihm
möglichen Teil beim Bewirtschaften von Haus und Hof bei. Die sozialen Bezüge
blieben konstant.
Die Lebensperspektive nach 65 oder 67 hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich
ausgeweitet hat, sodass 80 Jahre nicht nur, wenn‘ss hoch kommt, erreicht werden,
sondern dies die Regel ist. Dadurch entstand erst in unserer Zeit ein eigener typischer
Lebensabschnitt, nämlich das Alter, der seine ihm eigenen Rahmenbedingungen und
Anforderungen an jeden stellt. Fast jeder von uns wird diesen Lebensabschnitt selbst
gestalten müssen. Die Herausforderungen des Alters sind erheblich: wie gestalte ich
verlässliche, tragende Beziehungen - Kinder und Enkelkinder in der Nähe zu haben
wird immer seltener. Und selbst bei bestehender Partnerschaft kommt irgendwann in
Zeitpunkt, an dem einer allein zurückbleibt. Einsamkeit und Depression drohen. Im Alter
müssen wir uns zwangsläufig mit den Fragen unseren Lebensstandards
auseinandersetzen. Die immer niedriger werdenden Rentenzahlungen verschärfen diese
Fragestellungen. Und schließlich werden die Grenzen unserer Körperlichkeit im Alter
immer mehr bewusst - Krankheit, Pflegebedürftigkeit nehmen spürbar zu. Manche
Menschen bewältigen diese Anforderungen sehr gut und blühen im Alter geradezu auf.
Andere haben damit aber ihre Schwierigkeit. Und wer auch vorher schon dazu neigte,
Problemen und Anforderungen auszuweichen, sie zu verdrängen, der wird dies auch im
Alter weiter tun. Bei Menschen mit entsprechender Disposition zur Suchterkrankung
verstärken die Rahmenbedingungen des Alters die Gefahr, dass diese Krankheit wenn
nicht vorher schon, so dann eben im Alter ausbricht.
Mit einem sehr tröstenden Bibelwort aus dem J esajabuch möchte ich enden. Es ist
ursprünglich auf das ganze Volk Israel bezogen, das nach der Eroberung durch die
Babylonischen Herrscher den Weg in Gefangenschaft antreten und sich dort ganz
neuen Herausforderungen stellen musste. Wir dürfen es aber auch individuell auf jeden
einzelnen und uns beziehen, wenn wir einen neuen Lebensraum betreten.
Gott spricht: Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr
grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten. Amen.
Pastor Christian Sundermann
08.07.2015