H ocHZeitsreise in den Fünfzigern K Foto: Stadtarchiv Siegen, Fotosammlung ürzlich führte mein Weg mich wieder einmal ins Haus Herbstzeitlos zum Essen. Hier wird ein Vier-Gänge-Menü serviert, gekocht von einer Spitzenköchin - auch im vorgeschrittenen Alter - und serviert von ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen. Man kann hier eine schmackhafte Mahlzeit zu sich nehmen in wunderschönem Ambiente und in Gesellschaft anderer netter Menschen. Die Tisch-Sets und Servietten sind farbenfroh und das Geschirr geschmackvoll. Immer steht ein frischer Blumenstrauß auf den Tischen. Die Wände der Räume sind geschmückt mit Gemälden von HobbyMalern aus dem Malkurs. In so angenehmerAtmosphäre unterhält man sich gerne mit seinen Mitmenschen und erfahrt auch viele Geschichten aus deren Leben. Hier ist z.B. die Geschichte eines Siegener Mädchens, das im Kaufhof arbeitete und in den 50er Jahren ihren Ehemann fand: Ich erinnere mich selbst noch genau an das Grau in Grau des Kriegsendes und der Nachkriegszeit. Kleidung musste vor allem praktisch sein und warm halten. Aus Wolldecken, die aus einem Flüchtlingslager abgezweigt wurden, nähten Mütter Mäntel für die Kinder per Hand. Oder der Militärmantel des heimgekehrten Vaters wurde gewendet und ein Kostüm für die Frau daraus genäht. Dann aber kam das Jahr 1948, die Währungsreform. Die Währung wurde von Reichsmark auf D-Mark umgestellt. Jetzt konnte man plötzlich wieder Waren erwerben. Das Leben wurde bunter, die Stoffe ebenfalls. Nur der Betrag in der Lohntüte war noch sehr gering. Sparen war also angesagt. In dieser Zeit, so könnte man es sagen, war der Kaufhof der „gesellschaftliche Mittelpunkt“ von Siegen. Fast jeden Tag ging man in den Kaufhof, entweder auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Weg nach Hause, oder auch speziell, um die Kleiderständer oder andere Waren durchzuschauen. Und oft ohne etwas einzukaufen, denn man hatte ja nicht die nötigen Mittel zum Kaufen. Aber es wurden Wünsche geweckt und Träume entstanden. Der Kaufhof hatte eine besonders große Stoffabteilung und man wurde von den Verkäuferinnen beraten, wie viel Meter Stoff man für welches Kleidungsstück benötigte, und auf Wunsch wurde dieser auch zugeschnitten, nach Schnittmusterbögen von Änne Burda. Es standen sogar Näherinnen zur Verfügung, die dann auf Wunsch das Kleidungsstück nähten. Meistens aber hatte man selbst Nähtalente oder die Mutter oder eine Tante konnte nähen. Auch die Bettwäsche wurde im Kaufhof genäht. Hierfür standen wunderschöne pastellfarbene Stoffe mit Bordüren und Mustern zur Verfügung. Die vorangegangene Generation der Eltern legte noch Wert auf blütenweißen Damast mit eingewebten Mustern. Diese Bettwäsche brauchte noch besonders viel Pflege. Sie wurde in großen Bottichen gekocht, gespült, gebleicht, mit Gießkannen begossen, nochmals gebleicht und wieder gewaschen. Es gab da noch keine Waschmaschinen. 1/2015 durchblick Der Kaufhof war Siegens gesellschaftlicher Mittelpunkt. Auch das anfangs genannte Siegener Mädchen arbeitete als Verkäuferin im Kaufhof. Von ihr schon erfuhr ich, dass das kollegiale Verhalten und die Mitmenschlichkeit unter den Kollegen im Kaufhof schön gewesen seien. Das bestätigten mir auch zwei Damen, die inzwischen auch weit über 70 sind, an der Bushaltestelle. Die Kaufhof-Damen würden sich heute noch zum Kaffee-Klatsch treffen, erzählten sie. Unsere Verkäuferin aus den 50er Jahren ließ sich ihr weißes Hochzeitskleid ebenfalls von einer Kollegin zuschneiden und von der Mutter nähen, denn es musste immer noch gespart werden. Sie hatte einen Herrn kennengelernt, der damals als „Gute Partie“ galt. Es handelte sich um einen Bundesbahnbeamten, der zwar nicht viel verdiente, aber einen krisensicheren Job hatte. Es gab in diesem Beruf keine Entlassungen. Und vor allen Dingen erhielt er einige Freifahrtscheine. Und sie als Ehefrau würde ebenfalls zwei solcher Freifahrten bekommen. Das waren verlockende Aussichten. Man konnte wieder reisen, und das nach all den Kriegsendewirren. Alle Nichtbundesbahner konnten sich nämlich noch keine Reise leisten. Sie beschreibt nun ihre Hochzeitsreise folgendermaßen: Nach der Trauung hängten sie ihre Hochzeitskleidung in den Schrank ihrer Eltern, denn sie standen noch auf der Warteliste für eine Eisenbahnerwohnung. Dann ging es bei schönem Wetter quer durch die reizvolle Landschaft bis nach Bayern. Dort schliefen sie in München in der Jugendherberge, wo man ziemlich früh aus den Federn musste. Auf Schusters Rappen genossen sie das schöne Bayern. Gegen Mittag machten sie Brotzeit bei einem Bauern und ließen sich das selbstgebackene Brot mit frischer Butter und die köstliche Milch direkt von der Kuh gut schmecken. Abends wanderten sie zurück nach München und aßen in der Eisenbahner-Kantine ihre Abendmahlzeit, was sehr preiswert war damals, denn die Bahn versorgte ihre Angestellten gut. Das machten sie einige Tage so und kehrten dann nach Siegen zurück, wo der Alltag sie wieder einholte. Das Leben konnte jetzt nur noch aufwärts gehen. Elisabeth von Schmidtsdorf 49
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