Was ist mentale Inkonsistenz? Simon Gaus Irrationalität als mentale Inkonsistenz: gute Kandidaten ABSICHTSKOMPATIBILITÄT Wer zwei Handlungen A und B beabsichtigt und gleichzeitig glaubt, dass er nicht (A und B) tun kann, der ist eben deshalb irrational. ÜBERZEUGUNGSKOMPATIBILITÄT Wer gleichzeitig Propositionen der Formen p und q und ~(p&q) glaubt, der ist eben deshalb irrational. Wer gleichzeitig die Absicht hat, A zu tun, glaubt, das B ein ZWECK-MITTEL-KOHÄRENZ notwendiges Mittel für A ist, und nicht die Absicht hat B zu tun, der ist eben deshalb irrational Wer glaubt, etwas tun zu sollen und nicht die Absicht hat, es WILLENSSTÄRKE zu tun, ist eben deshalb irrational. Irrationalität als mentale Inkonsistenz: schlechte Kandidaten X WAHRHEIT X MITLEID X MP-INKONSISTENZ Wer glaubt, dass p, wenn tatsächlich gilt, dass ~p, der ist eben deshalb irrational. Wer gleichzeitig sieht, dass ein Unschuldiger leidet, und nicht den Wunsch hat, zu helfen, der ist eben deshalb irrational. Wer gleichzeitig Propositionen p und wenn p, dann q und q glaubt, der ist eben deshalb irrational Was hält die verschiedenen Formen von mentaler Inkonsistenz der Sache nach zusammen? Welches ist das Kriterium, das es uns erlaubt, die guten Kandidaten für Bedingungen für mentale Inkonsistenzen von den schlechten zu unterscheiden? Mentale Inkonsistenz als Konflikt zwischen standpunktkonstituierenden Einstellungen Grundidee: Mentale Inkonsistenz besteht im gleichzeitigen Vorliegen zweier oder mehrerer mentaler Einstellungen, die einfach aufgrund ihrer Beschaffenheit, d.i. ihrer intrinsischen Eigenschaften, nicht zusammenpassen. Naheliegende Zusatzannahme: Überzeugungen (vielleicht auch Absichten, vgl. Bratman (2009) konfligieren, wenn (vielleicht auch: gdw.) sie miteinander logisch inkonsistent sind. Das Problem: Nicht-offensichtliche logische Inkonsistenzen Eine kompetente Logikerin glaubt eine Reihe Sätze S1, S2, S3, S4. Überdies glaubt sie die Negation eines weiteren Satzes Sn, weil ihr anerkannter und sonst sehr zuverlässiger Doktorvater ihr kürzlich im Gespräch mitteilte, dass diese Negation bewiesen wurde. Tatsächlich ist der Beweis für Sn jedoch fehlerhaft. Überdies ist es kürzlich einer brillanten Logikerin nach langer Arbeit gelungen zu beweisen, dass Sn aus der Konjunktion von S1, S2, S3 und S4 folgt. Da die imperfekte Logikerin S1, S2, S3 und S4 g glaubt, aber auch die Negation von Sn, hat sie also logisch inkonsistente Überzeugungen. Problem: Die Logikerin scheint nicht irrational zu sein, obwohl sie inkonsistente Überzeugungen hat – eben weil die Inkonsistenz für sie in keiner Weise transparent ist. Reaktion 1: Uminterpretation des Urteils Verdacht: Dass wir die Logikerin nicht irrational nennen wollen, liegt nicht daran, dass wir sie nicht für irrational halten, sondern daran, dass wir ihre Irrationalität für nicht kritikwürdig halten und Irrationalitätszuschreibungen typischerweise als Kritik verstanden werden. Einwand: Ad hoc. Wenn Irrationalitätszuschreibungen als Kritik verstanden werden, legt das einfach nahe, dass Irrationalität Kritisierbarkeit impliziert. Reaktion 2: Anpassung der Idee von internem Konflikt (a) Irrationalität besteht im Vorliegen mentaler Einstellungen, die in hohem Grade inkonsistent sind. Einwand: Der Fall der Logikerin kann als ein Fall von Inkonsistenz zwischen zwei Überzeugungen gedacht werden (Konjunktion S1-S4, Negation Sn). Schwer zu sehen, wie logische Inkonsistenz zwischen zwei Sätzen graduierbar sein könnte. (b) Irrationalität besteht im Vorliegen eines mentalen Konfliktes, aber mentaler Konflikt hat nichts mit der logischen Konsistenz der propositionalen Gehalte der Einstellungen zu tun. Einwand: Keine gute Alternative. Die meisten normalen Fälle von Überzeugungsinkonsistenz müssen als irrational, also als konfligierend, herauskommen. Es scheint aber außer der Inkonsistenzrelation keine intrinsischen Eigenschaften oder Relationen zu geben, die immer vorliegt, wenn Überzeugungen auf normale Weise inkonsistent sind, und nie, wenn Überzeugungen konsistent sind. Reaktion 3: Irrationalität besteht in epistemisch zugänglichem mentalem Konflikt Neue These: Irrationalität besteht im Vorliegen mentaler Einstellungen, die offensichtlich inkonsistent sind, deren Inkonsistenz also für die jeweilige Person epistemisch zugänglich ist. Problem: Verletzt die Grundidee von Irrationalität als Konflikt zwischen mentalen Einstellungen, weil Offensichtlichkeit des Konflikts keine intrinsische Eigenschaft der konfligierenden Einstellungen ist. Wenn man was trotzdem will: Welche Art von Zugänglichkeit? Explizites Bewusstsein vom Konflikt? Deutlich zu eng Könnte den Konflikt als solchen zu erkennen? Zu weit Könnte den Konflikt durch Einsatz der eigenen Denkfähigkeit als solchen erkennen? Zu Weit Vielleicht: Person würde den Konflikt automatisch als solchen erkennen oder beheben, wenn sie den konfligierenden Einstellungen gleichzeitig Aufmerksamkeit schenken würde.
© Copyright 2024 ExpyDoc