Selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität

18.06.2015
Überblick
Nicht-suizidales
selbstverletzendes
Verhalten und Suizidalität
im Kindes- und
Jugendalter
• Nicht suizidales selbstverletzendes Verhalten
– Definition
– Prävalenz
– Ätiologie
– Umgang mit NSSV
• Suizidalität
– Definition
– Prävalenz
– Ätiologie
– Umgang mit Suizidalität
• Gemeinsamkeiten und Differenzen
Paul L. Plener
KJPP VO
Ulm
Definition
NSSV
• Innerhalb des letzten Jahres hat sich das Individuum
• Bewusste, freiwillige und
direkte Zerstörung von
Körpergewebe,
• ohne suizidale Absicht,
die
• sozial nicht akzeptiert ist
Lloyd-Richardson et al. 2007; Nitkowski & Petermann, 2009
an fünf oder mehr Tagen absichtlich selbst eine
Schädigung an der Körperoberfläche zugefügt, in
einer Weise, die Blutungen, Quetschungen oder
Schmerzen wahrscheinlich macht (z.B. Schneiden,
Verbrennen, Stechen, Schlagen, die Haut aufreiben),
mit der Erwartung, dass die Verletzung nur zu einem
kleinen bis moderaten körperlichen Schaden führt (z.
B. ohne suizidale Intention).
APA 2014, dt. Übersetzung: Plener et al., 2014
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Studien in Schulen
• Wie häufig ist
„selbstverletzendes
Verhalten“ ?
53 Studien, mittlere Lebenszeitprävalenz: 18%
SEYLE Studie
Deutschland
6-Monats-Prävalenz: 11% vs. 14% vs. 7.6% (p=.02)
A
D
CH
Total
nie
202 (89)
572 (86)
413 (92.4)
1187 (88.6)
1-5 Mal
20 (8.8)
71 (10.7)
22 (4.9)
113 (8.4)
monatlich
2 (0.9)
13 (2)
4 (0.9)
19 (1.4)
wöchentlich
3 (1.3)
9 (1.4)
7 (1.6)
19 (1.4)
täglich
0 (0)
0 (0)
1 (0.2)
1 (0.1)
Land
Lebenszeitprävalenz
manchmal
Repetitiv
≥ 5x
F
38,5%
25,6%
13%
D
35,1%
22,9%
12,3%
Est
32,9%
23,7%
9,1%
11 Länder, n=12.068 (mittleres Alter: ca. 15)
Ein-Jahres Prävalenz repetitives NSSV: ~4%
Ein-Jahres Prävalenz stationäre Patienten: 49.6%
Plener et al., 2013; Plener et al., 2012; Kaess et al., 2013
Brunner & Kaess et al., 2014
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Medizin Studierende
Ergebnisse
• SEMPER Studie
• n=714, w: 65%, Alter: 18-35, M: 23.1
• Wie alt warst Du als Du begonnen hast
Dich selbst zu verletzen ?
40, 00%
• NSSV:
– 102 (14,3%)
– f: 79 (77.5%), m: 23 (22.5%) (p=.012)
37,50%
35, 00%
30, 00%
25,00%
25, 00%
– Häufigkeit:
• 1 mal: 31.4%
• 2-4 mal 41: 40.2%
• 5 mal oder mehr: 29: 28.4%
20, 00%
12,50%
15, 00%
6,86%
10, 00%
5, 00%
2,50%
3,13%
<10 a
10 a
9,38%
3,13%
0, 00%
11a
12 a
13 a
14 a
15 a
16 a
Allroggen et al., 2014
Verlauf
Verlauf
N=1802, 15 -30 Jahre, 7 Wellen: 1992-2008
Plener et al., 2015
Moran et al., 2012
3
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Verlauf
NSSV 16a (OR)
Suizidales
Verhalten 16a (OR)
Depression (18a)
3.08
2.39
Angststörung (18a
2.27
2.69
NSSV aktuell (21a)
4.69
14.7
Alkoholmissbrauch
(18a)
1.72
1.77
Cannabisabusus
(18a)
1.75
3.77
Rauchen (18a)
3.05
2.49
Illegaler
Drogenkonsum
(18a)
2.18
2.54
Arbeitssuchend,
nicht in Ausbildung
(19a)
1.63
2.43
• Wie entsteht
„selbstverletzendes
Verhalten“ ?
Mars et al., Epub 2014
Entstehungsbedingungen: Biopsychosoziales Modell
• Alternative Identität:
– Korrelation mit NSSV (r=0.20-0.24),
– Frequenz der Selbstverletzung (r=0.32-0.35)
– Suizidgedanken (r=0.13-0.20)
– Suizidversuche (r=0.25-0.29).
Umwelt
Verhalten
Kognitionen
Jugendkultur & NSSV
NSSV
Biologie
• Sportler Identität :
– negativ korreliert mit NSSV
(r=-0.11-0.18)
Affekte
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NSSV verstehen
Die Verstärker selbstverletzenden Verhaltens I
WARUM
MACHT
MAN
DAS
?
„Autonom“
+: APR
Erreichen positiv erlebter Zustände
-: Beenden aversiv erlebter Zustände
Nock et al. (2007)
Die Verstärker selbstverletzenden Verhaltens I
Die Verstärker selbstverletzenden Verhaltens II
„Autonom“
„Sozial“
+: Erreichen positiv erlebter Zustände
-: ANR
Beenden aversiv erlebter Zustände
Nock et al. (2007)
+: SPR
Auftretenswahrscheinlichkeit eines
externen Ereignisses erhöhen
-:
Beeinflussung aversiver externer
Umstände
Nock et al. (2007)
5
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Die Verstärker selbstverletzenden Verhaltens II
„Sozial“
• Wie reagiert man bei
„selbstverletzendem
Verhalten“ ?
+: Auftretenswahrscheinlichkeit eines
externen Ereignisses erhöhen
-: SNR
Beeinflussung aversiver externer
Umstände
Nock et al. (2007)
Umgang mit SVV
• Medizinische Behandlung zuerst
(Schnitte versorgen, etc.)
• Gefühle ernstnehmen. Angebot
zuzuhören
• Wichtig: SVV ist ein CopingMechanismus und keine bizarre
Angewohnheit. SVV ist Suizid
vorzuziehen
• Hoffnung aufbauenTherapeutensuche anbieten
}
Die Zahlen dahinter
•
„Respektvolle
Neugier“
In D sterben pro Jahr ca.
–
–
–
–
•
2.300 Menschen an den Folgen von HIV
7.000 Menschen an illegalem Drogenkonsum
5.700 Menschen im Straßenverkehr
10.000 Menschen am Suizid
Statistisch gesehen stirbt ca. jede Stunde ein Mensch in D
am Suizid
Statistisches Bundesamt, www.destatis.de
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Definition
Prävalenz I
• Suizid: Willentliche Beendigung des eigenen
Lebens
• Suizidgedanken: Gedanken darüber sich
das Leben zu nehmen
• Suizidplan: Die Formulierung einer
spezifischen Methode mittels derer eine
Person aus dem Leben scheiden will
• Suizidversuch: Aktion, die mit der Intention
zu sterben ausgeführt wird, jedoch nicht
tödlich endet
•
Suizid: weltweit 14. häufigste Todesursache (16.7/
100.000 Menschen/ Jahr).
– Geschlechtsunterschiede
– nationale Unterschiede
•
Suizidales Verhalten nimmt mit Beginn der Adoleszenz
zu, hat einen ersten Gipfel b. 16 Jahren und nimmt im
jungen Erwachsenenalter wieder ab
•
Männliche Jugendliche verüben ca. 4 mal so häufig Suizid
wie weibliche Jugendliche
•
In D: zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen
Nock et al., 2008
Stand: 2013
Prävalenz II- Deutschland
Geschlecht
5-15
15-25
25-45
m
12
444
1715
w
9
Nock et al., 2008, Eaton 2007
122
447
Ca. 200-250 Suizide/Jahr
< 18 Jahren
gesamt
21
566
2162
Schmidke et al., 2008, Statistisches Bundesamt, 2010
7
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Donath et al.,
2013;
Brunner et
al., 2007,
Resch et al.,
2008, Plener
et al., 2009
Prävalenz III- Deutschland
• Suizidgedanken:
•
14 % (1-Jahres-Prävalenz) –
•
36% (Lebenszeitprävalenz)
Einführung III
Suizidgedanken
34%
Suizidplanung
• Suizidversuche: 6-9% (Lebenszeitprävalenz)
66%
28%
72%
Nock et al., 2008, Kessler et al., 1999
Suizidversuche
Suizidmethoden bei Jugendlichen: Suizide
Vom Gedanken zum Versuch
•
EAAD (15 Länder, n=14.738 Suizide, 15-24a, 2000-2005)
•
Erhängen: häufigste Methode (5 mal häufiger bei männlichen
Jugendlichen)
•
♀:
– 1. Erhängen
– 2. Vergiftungen
– 3. Sprung aus großer Höhe
♂:
– 1. Erhängen
– 2. Sprung aus großer Höhe
– 3. Waffen (Schweiz und Finnland: 1. Platz)
Länderunterschiede:
– Ertrinken: häufigste Ursache in Irland
– Sprung aus großer Höhe: ♂, Luxemburg u. ♀, Finnland
•
•
Nock et al., 2013
Värnik et
al., 2009
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Ätiologie- Biologie
Ätiologie- Psychische Krankheit
• Dysregulation
– Serotonin:
• Weniger präsynaptische 5-HT Transporter
• Upregulation postsynaptischer Rezeptoren
• Verminderter Nachweis von 5-HIAA im Liquor
•
> 90% der Suizide
•
Höchstes Risiko:
– Affektive Erkrankungen
– Drogenabusus, Substanzkonsum
– Impulskontrollstörungen
• Hyperaktivität der HPA Achse
– Psychotische Zustände
– Persönlichkeitsstörungen
• Suizide u. Suizidversuche: familiäre Häufung (auch
nach Kontrolle v. psychiatrischen Erkrankungen)
• Höhere Konkordanzraten b. monozygoten Zwillingen
– Esstörungen
– Störungen des Sozialverhaltens
•
B. Adoleszenten: Depression
Brent et al., 2009, Cavanagh et al., 2003, Nock et al., 2008, Burszetin &
Apter, 2009, Foley et al., 2006, Brausch et al., 2009, Boden et al., 2007
Brent & Mann 2005, Brent & Melhem 2008, Mann & Curier 2007, Mann, 2003
Joiner, 2005
Ätiologie- Soziale Risikofaktoren
Interpersonelle-psychologische Theorie
• Sexueller Mißbrauch und körperliche Mißhandlung
• Familiäre Geschichte suizidalen Verhaltens
Sich wie eine
Last fühlen
• Gewalt miterleben
• Bullying (Täter & Opfer)
Burzstein & Apter, 2009, Shaffer & Craft, 1999, Brown et al., 1999, McKeown et al.,
1999, Dube et al., 2001, Melhem et al., 2007, Brodsky et al., 2008
Erworbene Fähigkeit
sich selbst
zu schädigen
Sich von anderen
isoliert erleben
Suizidwunsch
+
„ACS“
9
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??????
Umgang mit suizidalen Krisen
• Wer fragt macht nichts falsch
• Wie würden SIE nach
Suizidalität
explorieren?
– Weder durch Fragebogenuntersuchungen (Gould
et al., 2005), noch durch persönliche Ansprache
(Crawford et al., 2011) wird Schaden angerichtet
– Fragen wird von Betroffenen eher als entlastend
beschrieben (Gould et al., 2005)
…darf man das?
Umgang mit suizidalen Krisen
• Suizidalität: „Haben Sie schon daran gedacht, sich
das Leben zu nehmen ?“
• Vorbereitung: „Denken Sie bewußt daran oder
drängen sich derartige Gedanken, auch wenn Sie es
nicht wollen, auf ?“
• CAVE: Falls Ihr
Gegenüber suizidal
erscheint-
• Ankündigungen: „Haben Sie schon über Ihre
Absichten mit jemandem gesprochen ?“
• FRAGEN SIE
DANACH !
Sonneck, 2000
Crawford et al., 2011
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http://projekt-4s.de
NSSV: deutschsprachige Bücher
Petermann & Winkel; 2008
Kaess; 2013
Plener; 2015
In-Albon, Plener, Brunner, Kaess; 2015
NSSV: englischsprachige Bücher
Walsh, 2012
Nixon & Heath, 2009
Zur Suizidalität
Joiner, 2005
Joiner, 2010
11
18.06.2015
Vielen Dank
für Ihre
Aufmerksamkeit
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