Michael Roher: Zugvögel. Picus 2012. Mitte April landen die Zugvögel. Luka kennt zwar nur einen einzigen Satz in ihrer Sprache, aber das ist nicht das Wesentliche: Miteinander wird Brot geteilt und gegessen und damit über alle kulturellen Grenzen hinweg ganz selbstverständlich Gemeinschaft gelebt. Die Figuren, die auf der Textebene schlicht als Zugvögel bezeichnet werden, werden im Bild als Menschen mit Schnabelmasken gezeigt – gekleidet in bunte Stoffe mit fremden Mustern, die gleichermaßen ihre Andersartigkeit, aber auch Ähnlichkeit zu den „Einheimischen“ markieren. Der Sommer bringt Annäherung und Leichtigkeit, es wird gesungen und geschwatzt, gestritten und versöhnt, doch im Herbst steht schließlich fest, dass die neue Heimat keine Heimat bleiben kann: „Wir sind Zugvögel. Es ist uns nicht erlaubt zu bleiben.“ Luka versucht eine Lösung zu finden, die schließlich die warmherzige Frau Lorenz ermöglicht: Sie beherbergt in ihrem, optisch deutlich an das Motiv der Arche angelehnten, Nest unterschiedliche Menschen, die nicht wissen wohin. Ohne groß zu fragen, kocht sie Suppe und Malzkaffee und schenkt den beiden Zugvögeln, die bleiben möchten, warme Kleider. Aber trotzdem warnt sie, dass das Leben im Winter nicht leicht für die beiden sein wird: „Viele Leute haben Angst vor Fremden. Angst davor, mit ihnen zu teilen und sich für sie zu interessieren.“ In mitunter gemaltem Collagen-Stil und gedeckten herbstlichen Farben, hie und da verziert mit einer gepressten Blüte oder auf detailreichem Hintergrund, erzählt der österreichische Bilderbuchkünstler Michael Roher in Bild und Text sehr zurückgenommen vom Leben in der Emigration. Das verfremdende Moment der Zugvögel vermeidet zu vordergründige Botschaften, aber auch die leidige Unterscheidung in „falsche Wirtschaftsflüchtlinge“ und „echte politische Flüchtlinge“: Sie sind fremd, und sie haben wohl gute Gründe, um in die Fremde zu ziehen. Gänzlich entleert ist das Schlussbild, in dem Luka und seine Freundin Paulinchen, die nun doch bleiben kann, gemeinsam den ersten Schnee erwarten: Geborgen und optimistisch im Lichtschein der Fenster von Frau Lorenz‘ Arche und doch im Ungewissen, was der kalte Winter bringen wird. Das poetische Bilderbuch verweist deutlich auf entsprechende gesellschaftspolitische Debatten und besticht durch seine zarten Illustrationen und den umso klareren Aufruf zur Menschlichkeit. Kathrin Wexberg
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